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Landnahme

Auf der Suche nach Tradition
Landnahme

Um dem kapitalistischen Druck des »Höher-Schneller-Weiter« zu entkommen, widmen sich einige chinesische Architekten dem Bauen jenseits von Hochglanzarchitektur und rasender Weiterentwicklung. International bekannt geworden ist z. B. Wang Shu, der den Pritzker-Preis nicht etwa für ein technisch hochgerüstetes Gebäude bekam, sondern für sein Schaffen, bei dem die handwerkliche Leistung im Vordergrund steht. Auch wenn diese unabhängigen Büros jeweils in sehr unterschiedlichen Regionen tätig sind, verbindet sie alle doch die Liebe zu Material und Herstellungsprozess wie auch zum andauernden Lernen am Objekt. Sie versuchen dabei, westliches Formdenken, chinesische Tradition und örtliche Gegebenheiten miteinander zu verbinden.

    • Architekten: Wang Shu, Yung Ho Chang, Liu Jiakun

  • Text: Ulf Meyer Fotos: Julia Ackermann, Yang Cao
Großer Paukenschlag Anfang des Jahres 2012: Der angesehene amerikanische Pritzker-Preis wurde erstmals an einen chinesischen Architekten vergeben – an Wang Shu, einen völlig unrepräsentativen Entwerfer. Während das Gros der enormen Neubaumassen in den ausufernden chinesischen Metropolen auf das Konto der staatlichen, post-kommunistischen »Design Institutes« (ergänzt durch meist stark kommerziell geprägte ausländische Architekturbüros) geht, richtete die Wahl von Wang das Augenmerk auf eine rare Spezies unter den chinesischen Architekten: Unabhängig, öffentlichkeitsscheu, materialbetont und am Bauen in der Provinz interessiert, ist Wang Shu das genaue Gegenteil des landläufigen Architekten im Reich der Mitte. Wang steht jedoch nicht allein, sondern ist nur der bekannteste der angenehm »anderen« Architekten Chinas. Die private Architekturpraxis ist dort noch vergleichsweise neu – erst 1994 wurde die Gründung privater Architekturbüros zugelassen. Aber die 20 Jahre, die seither vergangen sind, genügten, um eine Handvoll reizvoller Architektenkarrieren zu ermöglichen, fernab der sprießenden Skylines, der Highways, der Architektur der Superlative und großen Angeber-Projekte. Von der ausländischen Architekturpresse neugierig verfolgt, von der Pekinger Regierung (und der Mehrheit der Immobilienentwickler) zumeist geflissentlich ignoriert und von der amerikanischen akademischen Welt umworben, haben die freien Architekten ein Œuvre geschaffen, das mit der schieren Masse an bemüht-spektakulären Bauten in den Megastädten nichts zu tun hat. Die private Immobilienspekulation, staatliche Mega-Investitionen in Infrastruktur und die atemberaubende Binnen-Migration in die Mega-Städte im Osten des Landes haben China während dieser zwei Jahrzehnte zu einem der aufregendsten Entwicklungslabore der zeitgenössischen Baukunst gemacht. ›
› Wang Shu ist nur ein winziges Mosaiksteinchen dieses Phänomens. Er gilt als Baumeister, der seine Architektur sensibel in Verbindung zur jeweiligen Umgebung entwickelt und deshalb gerne vernakuläre Motive der Architektur aufgreift. In Wang Shus Baukunst klingen vernehmlich Bezüge zum Ort und die Erinnerung an die örtliche (Bau-) Geschichte an. Wang hat bisher ausschließlich in seinem Heimatland gebaut und ist dennoch international sehr bekannt geworden. Nach dem Studium beschäftigte er sich zunächst mit der Renovierung alter Gebäude und rettete Hunderte von Dachziegeln aus Abrisshäusern, um damit später die Dächer seiner eigenen Neubauten einzudecken. In Hangzhou gründete Wang 1997 das Büro Amateur Architecture Studio, und nur drei Jahre später wurde sein erstes Opus eingeweiht: Die Bibliothek des Wenzheng College der Universität Suzhou zeigte Wangs rücksichtsvolle und sensible Entwurfshaltung erstmals und bereits auf höchstem gestalterischen Niveau. Die Vielzahl der kleinen, weißen Quader der Uni-Bauten scheint über dem Wasser eines Sees auf dem Campus zu schweben – ihr Arrangement griff sehr wirkungsvoll das Motiv der Gärten, für die Suzhou weltberühmt ist, auf: Eine Fortführung der Tradition fernab von jeglichem Kitsch-Verdacht war Wang damit gelungen. Bei den folgenden beiden Museumsbauten in der Hafenstadt Ningbo (das Museum für Zeitgenössische Kunst und das örtliche Geschichtsmuseum), konnte Wang sein entwerferisches Talent perfektionieren und sein geschicktes Händchen für Details, Materialien und Räume erneut beweisen. Wang ist dafür bekannt, den am Bau beteiligten Handwerkern möglichst freie Hand für neue Lösungen zu lassen und damit sein und deren gestalterisches Repertoire zu erweitern. Sein Büroname »Amateur Architects« ist deshalb keine Koketterie, sondern Programm. Gute Handwerker zu finden, ist in China jedoch schwer: Die Kulturrevolution und die jahrzehntelange kommunistische Diktatur haben irreparabel erscheinende Schäden an Städten, Gebäuden, Psychen und Handwerkstraditionen angerichtet.
Revolutionärer Gedanke: Lebensqualität
Davon kann der »Vater« der freien Architektur-Szene in China, Yung Ho Chang aus Peking, ein Lied singen. Mit Gründung seines »Atelier Feichang Jianzhu (FCJZ)« (dt. etwa: »besonderes Bauen«) im Jahr 1993 hatte er ›
› den Grundstein für eine Baukunst abseits des Bauwirtschaftsfunktionalimus‘ in China gelegt. Ökonomisch möglich war die Bürogründung wohl nur im Freiraum der Universität, an der Chang lehrt. FCJZ gilt als Chinas erstes freies Architekturbüro. Yung Ho Chang beschwert sich über die »enorme Geschwindigkeit und unglaublichen Quantitäten«, die der Wirtschafts- und Bauboom den chinesischen Architekten in den letzten Jahren abverlangt haben. Für ihn persönlich war das Schlüsselerlebnis der Unterschied zwischen dem Peking, das er einst verließ und dem, in das er nach 15 Jahren in den USA zurückkehrte. Die Stadt war zwischenzeitlich völlig »aus dem Leim gegangen« und unwirtlich geworden. Dies war der Ausgangspunkt für Changs »Architektur der Entschleunigung«. Die meist auf Pomp und Größe hin konzipierten Stadträume und die einschüchternden, austauschbaren und plumpen Großbauten sind in den chinesischen Metropolen allgegenwärtig. Changs Entwürfe suchen hingegen keine Repräsentation, sondern schlicht Lebensqualität für Stadtbewohner. Ein revolutionär einfaches Konzept im heutigen China!
Während die Raumprogramme, Tragwerksplanungen und auch architektonischen Räume bei fast allen Neubauvorhaben in China streng und einfallslos sind, ist im Gegensatz dazu bei der Fassaden-Gestaltung scheinbar alles erlaubt. Chang macht bei diesem Wettlauf um die verrückteste Fassadengestaltung nicht mit. Er sucht vielmehr die Einfachheit und den örtlichen Bezug. Noch immer werden überall im Land großräumig Altstadtquartiere abgerissen und damit Geschichte und Kultur des Landes der Gefahr der Mystifizierung ausgesetzt. Der »Unterlegenheitskomplex der meisten Chinesen gegenüber dem Westen« (Chang), der ausgeprägte Materialismus und der mangelnde Bezug zur eigenen Tradition fußen seiner Meinung nach nicht zuletzt auf einer falsch verstandenen und aufgepfropften Verwestlichung. Chang selbst hat im Ausland studiert und gelehrt, und so ist es nicht ohne Ironie, dass gerade seine Auslandserfahrung und seine Eloquenz auf Englisch ihn zum Sprachrohr einer ganzen Generation von unabhängigen Architekten in China gemacht haben, die ursprüngliche chinesische Motive in der Baukunst wiederbeleben und modern interpretieren wollen. ›
Auf Entdeckungsreise
Der prominenteste Vertreter dieser Strömung (neben Wang Shu) ist Liu Jiakun. Das neu erwachte Interesse am Material, an angestammten Bautechniken und Tragwerken treibt auch Liu Jiakun aus Chengdu im Hinterland von Sichuan an. Er ist einer der Pioniere einer Gegenbewegung zum »Höher-Schneller-Weiter« der Küsten-Metropolen und steht für die Flucht ins Langsame, Echte und Erdige. Er baut gerne mit dem vor Ort erhältlichen Material und dem zur Verfügung stehenden Personal und erschafft dabei Bauten von vereinnahmender räumlicher Qualität, die ihn auf eine Stufe mit Wang Shu stellen.
Seit der Verleihung des Pritzker-Preises hat Wang Shu bisher leider nur ein einziges weiteres Gebäude fertiggestellt: Das Gästehaus auf dem Xiangshan Central Campus der »China Academy of Art (CAA)« in Hangzhou. Erst bei diesem Projekt »ist es mir wirklich gelungen, den chinesischen Esprit in Architektur auszudrücken«, sagt Wang. Der Pfad durch die Anlage gleicht einer Wanderung durch eine chinesische Berglandschaft wie sie zu Tausenden auf den chinesischen Tusche-Rollbildern zu sehen sind. Die verschiedenen Routen durch eine Vielfalt an kleinen labyrinthischen Räumen bieten immer wieder neue Aus- und Einblicke und führen unweigerlich zu unvorhergesehenen Begegnungen. »Bei diesem Gebäude geht es nicht um die Form, sondern um eine räumliche Entdeckungsreise. In jeder Schicht gibt es neue Überraschungen«, so Wang. Das gilt auch für die zeitgenössische Baukunst in China als Ganzes. •
  • Amateur Architecture Studio, Hangzhou Wang Shu ist in China auch als Lehrer extrem wichtig und durch seinen Erfolg stilprägend für die junge Generation. (www.chinese-architects.com/amateur)
  • FCJZ (Atelier Feichang Jianzhu), Peking/Shanghai www.fcjz.com – Yung Ho Chang lässt sich in gewisser Weise als Sonderfall sehen, denn er war lange im Ausland (MIT, Boston) und hat zwischenzeitlich viele »glatte« Interior-Projekte realisiert.
  • jiakun architects, Chengdu www.jiakun-architects.com – Liu Jiakun versucht, ungünstige Faktoren in Entwurfskapital umzumünzen und die gegebenen Beschränkungen durch gute Gestaltung auszugleichen.
Schon allein der Größe des Landes wegen ist es vollkommen unmöglich, alle Strömungen und Erscheinungen zu erfassen. Zu den Büros, deren Namen man in Bezug auf den Begriff »vernakuläres Bauen« im weiteren Sinne aber ebenfalls kennen darf, zählen u. a.:
    • Li Xiaodong, Peking www.lixiaodong.net – Li Xiaodong führt sein Büro quasi als One-man-show an der Tsinghua Universität. 2010 erhielt er den »Aga Khan Award for Architecture«. Mit seinem Buch über chinesische Raumtheorie trat er auch als anerkannter Theoretiker in Erscheinung.
    • in+of, Peking Wang Lu, ebenfalls an der Tsinghua Universität tätig, schreckt nicht davor zurück, aus traditionellem Handwerk, althergebrachter Bautechnik und lokal erhältlichen Materialien zu schöpfen und diese mit modernen Mitteln zu kombinieren – Zeitgeist und kulturelle Authentizität sieht er nicht als Widerspruch. (www.chinese-architects.com/en/in-of_architecture)
    • TAO Trace Architecure Office, Peking www.t-a-o.cn – Hua Li kritisiert das von den Medien getriebene Konsumdenken und Architektur, die sich selbst auf modische Formen reduziert.
    • standardarchitecture, Peking www.standardarchitecture.cn – Das Büro um Zhang Ke machte durch Besucherzentren und Bootsanleger in Tibet auf sich aufmerksam, die mit massiven Wänden aus vor Ort gefundenen Steinen in der Landschaft beinahe verschwinden und neben dem Tourismus auch der lokalen Bevölkerung nutzen.
    • TM Studio, Shanghai tm-studio.com – Tong Ming versucht, das ungenutzte Potenzial des real Verfügbaren zu nutzen und zusammenzubringen, was im dauerhaften Wandel voneinander getrennt wurde, z. B. Gegenwart und Vergangenheit.
    • Scenic Architecture Office, Shanghai www.scenicarchitecture.com – Für Zhu Xiaofeng liegt in der gleichzeitigen Wertschätzung eines alten Steins und einer digitalen Struktur kein Widerspruch, vielmehr führt sie zu Architektur abseits internationaler Trends und Formalismen.
    • Rural Urban Framework (RUF), Hongkong www.rufwork.org – (s. S. 26-32)

Traditionssuche (S. 18)
Ulf Meyer
s. db 4/2013, S. 96
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