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Kultur-Landschaft

Freilichttheater und Besucherzentrum »Gurisentret« auf Edøy / Smøla (N)
Kultur-Landschaft

Der norwegische Staat leistet sich ein umfassendes Förderprogramm für kulturelle Einrichtungen in entlegenen Provinzen. So entstand auch auf der Insel Smøla ein Freilichttheater, das Schauspiel, Kino und Konzerte bietet. Es öffnet sich zur Landschaft hin und bildet dadurch den idealen Bezugsrahmen für das ortsspezifische Historienspiel. Aus einfachsten Materialien – Holz und Doppelstegplatten – entstand ein auratischer Ort, der den Geist der Insel spürbar macht.

~Aus dem Englischen von Dagmar Ruhnau

  • Architekten: Askim/Lantto Architects / Jens Petter Askim Tragwerksplanung: Tonning og Lieng
  • Kritik: Henning Nielsen Fotos: Niels Marius Askim; Bjarne Ytrøy; Wigdis Wollan; Aerial photos: Kvernberget Print og Reklame AS
Bei der Ankunft mit der Fähre auf der Insel Smøla (der nördlichsten Kommune in West-Norwegen), fällt gleich am Pier das Gurisentret (Guri-Zentrum) auf. Gemeinsam mit der nahen mittelalterlichen Kirche von Edøy bildet es zugleich Auftakt und kulturellen Höhepunkt dieser kleinen Inselkommune mit nur 2 100 Einwohnern.
Der Name Guri-Zentrum spiegelt den Ursprung des Projekts wider: Das hier angesiedelte Theaterstück über »Frau Guri von Edøy«, wurde 1990 anlässlich des 800. Jahrestags der alten Kirche auf einem nahegelegenen Bauernhof uraufgeführt. Durch die wachsende Popularität des Stücks wurde ein fester Bau für das jährlich wiederkehrende Ereignis nötig. Viele – überraschend kleine – Gemeinden im ländlichen Norwegen investieren beachtliche Summen in kulturelle Projekte und veranstalten Freilichtspiele in natürlichen oder eigens angelegten Amphitheatern.
Smøla kontrollierte im Mittelalter die strategisch wichtige Küstenroute nach Trondheim und war daher ein wichtiger Machtfaktor in der Region. Seitdem ist die Bevölkerung allerdings kontinuierlich geschrumpft. Die Investitionen der Kommune in das Guri-Zentrum und in eine neue Sporthalle haben diesen Trend umgekehrt. Solche Einrichtungen können der entscheidende Faktor dafür sein, dass junge Einheimische nach dem Studium wieder zurückkehren, und in der Tat steigt die Zahl langsam wieder an. ›
Multitalent
2003 entwickelte der Osloer Architekt Jens Petter Askim einen Vorentwurf für das Theater. Ursprünglich sollte der Bau ein größeres Amphitheater haben und näher bei der Kirche stehen, doch die staatlichen Denkmalschützer waren gegen diesen Standort. Nachdem auch die Kosten gesenkt werden mussten, fand das verkleinerte Projekt in einem ehemaligen Steinbruch am Fährhafen seinen Platz. Nachdem das Büro Askim-Lantto – das Jens Petter Askims Sohn Niels Marius gemeinsam mit Lars Lantto betreibt – die offene Ausschreibung für die Realisierung gewonnen hatte, änderten die Architekten einiges und ergänzten etwa die Dachterrasse. Das Büro hat Erfahrung mit kulturellen Projekten, und das Guri-Zentrum durfte Norwegen gemeinsam mit anderen Projekten sogar auf der Biennale 2010 in Venedig (mit dem übergeordneten Thema »People meet in architecture«) repräsentieren.
In erster Linie ist der Bau ein Freilichttheater, doch er bietet auch einer interaktiven Dauerausstellung Raum, die dem Wind als Energiequelle sowie der lokalen Geschichte und Kultur gewidmet ist. Die Eingangshalle und das anschließende Café stehen auch den Fährpassagieren als Warteräume zur Verfügung. Besprechungs- und Verwaltungsräume sowie Lager- und Garderobenflächen für das Theater belegen den Rest der Innenraumflächen von insgesamt 620 m².
Obwohl der Bau klein ist, zeigt er dem Besucher drei deutlich unterschiedliche Gesichter: das zur Kirche hin geöffnete Amphitheater, die Polycarbonat-Blende Richtung Fährhafen und die Holz-Glas-Fassade von Café und Bürobereich, die auf einen kleinen Strand geht. Die Komplexität, die durch diese architektonischen Elemente entsteht, lassen den Bau größer erscheinen als er ist; und durch die sinnfälligen Lösungen für die einzelnen Nutzungen wirkt er nicht eng.
Den Großteil der Finanzierung übernahmen Kommune, Provinz und Staat gemeinsam mit privaten Sponsoren wie der örtlichen Bank sowie mehrere Energieunternehmen – auf Smøla steht der größte Festlandswindpark Europas.
Das Ziel der Architekten (und auch der staatlichen Denkmalschützer), keine Konkurrenz zur ortsprägenden alten Kirche zu etablieren, ist einer der Hauptgründe für die großzügige, tiefgezogene Horizontalität Richtung Hafen, von wo aus der Blick die beiden Gebäude zusammen erfasst. Das Guri-Zentrum verschmilzt sanft mit dem Gelände, während das Amphitheater aus dem grasbewachsenen Hang herauswächst und sukzessive eine architektonische Gestalt annimmt. 850 Zuschauer können hier sitzen, bei Konzerten ist sogar Platz für 1 500. Die Bergspitzen der benachbarten Inseln bilden einen dramatischen Hintergrund für das Geschehen auf der Bühne. Während des gesamten Jahres finden unterschiedliche Veranstaltungen statt, u. a. sogar Freilicht-Filmaufführungen im November. Die Dachterrasse bietet beeindruckende Ausblicke wie von einer Schiffsbrücke auf das Gebäude und die umgebende Landschaft und wird im Sommer vom Café und für Konzerte genutzt. Da der Platz in den Innenräumen des Zentrums begrenzt ist, muss das Gurisentret Konferenzen in der Kirche von Edøy abhalten – der Vikar ist sehr kooperativ. Wände und Dach bestehen aus massiven Holzelementen, die zum Großteil vorgefertigt vom österreichischen Unternehmen KLH geliefert wurden. Ein einheimischer Hersteller solcher Elemente, Moelven, hatte nach eigener Auskunft aufgrund mangelnder Nachfrage in Norwegen seine Produktion schließen müssen. Im Außenbereich ist Lärche vorherrschend, die sich gut für das hiesige Klima – oft feucht und stürmisch – eignet. Die Komplexität der vielen schrägen Wände und verschiedenen Winkel erforderte höchst präzise Gründungen. ›
Kostengünstig kann auch gut sein
Ein besonderes Charakteristikum des Projekts sind die gewellten Polycarbonatpaneele, die den Eindruck vermitteln, das Gebäude sei innen hell, auch wenn kein Licht die Innenwand durchdringt. Diese Fassade sollte ursprünglich aus Holz bestehen, doch die Architekten wollten ein anspruchsloseres Material, das zur nahen Hafen- und Verkehrsinfrastruktur passt und einen Kontrast zu den anderen äußeren Elementen bildet. In den frühen Planungsphasen waren hier Fenster vorgesehen, doch da der Ausstellungsbereich kein Tageslicht erfordert, wurden sie konsequenterweise weggelassen. Wesentlich für die leichte, nahezu abstrakte Wirkung dieser Fassade ist die diagonal verlaufende hölzerne Unterkonstruktion, mit der der Architekt auf die Form des ehemaligen Steinbruchs verweist. Zu Beginn fielen die Reaktionen der Einheimischen auf dieses unorthodoxe Material eher negativ aus, da man sich an einfache Scheunendächer erinnert fühlte, doch mit der Zeit gibt es immer mehr Zustimmung.
Nachts verleihen LEDs im unteren Teil der Fassade der Polycarbonatfläche mehr Tiefe und eine neue Qualität. Die Programmierung umfasst verschiedene Farbkombinationen. Ihre Wirkung ist im Winter besonders stark, wenn Reflexionen in Schnee und Eis den gesamten Eingangsbereich leuchten lassen. Die Beleuchtung ist ein Geschenk des Energieunternehmens Statkraft, geplant wurde sie von Oslo Light Design, das den Bogen der Möglichkeiten vielleicht ein wenig zu weit gespannt hat. Die Architekten hätten eine neutralere, weniger stark farbige Beleuchtung bevorzugt.
Ane Fornes, die 25-jährige Leiterin des Guri-Zentrums, die diese Aufgabe mit ihrem Kunststudium verbindet, ist begeistert, dass das Gebäude so ›
› erfolgreich kulturelle Aktivitäten fördert und die Identität des Orts stärkt. Von einem Fremdkörper hat sich das Zentrum zu einem Treffpunkt für die Insulaner und Einwohner benachbarter Gemeinden gewandelt, Amphitheater, äußere Treppe und Dachterrasse sind rund um die Uhr zugänglich. Seine Popularität hat zu einer wachsenden Nachfrage externer Nutzer geführt, allerdings sind mögliche Aktivitäten durch den begrenzten Platz eingeschränkt. Durch die vielen Schrägen und Winkel im Innern und den Mangel an Flexibilität aufgrund der Konstruktion fühlt sich Ane Fornes von der Architektur ein wenig eingeengt.
In den Innenräumen dominiert das massive Holz von Wänden und Decken. Gemeinsam mit dem Betonboden verleihen die simplen Mittel dem Bau eine deutlich erkennbare Qualität. An der technischen Innenausstattung oder der Möblierung waren die Architekten nicht beteiligt, was zu leicht chaotischen Verläufen von Lüftungs- und Elektroleitungen führte. Das massive Holz weist eine gute Energiebilanz auf und die gewählte Wärmepumpe wird nicht so häufig gebraucht wie erwartet. Draußen sind die vielen verschiedenen Elemente so klar und einfach gefügt, dass die Materialien ohne komplizierte Details und Anschlüsse aufeinandertreffen.
Das Guri-Zentrum bietet Spannung und Entspannung zugleich. Durch seine erstaunliche Komplexität zeigt das kleine Gebäude drei Gesichter. Es verbindet selbstbewussten architektonischen Ausdruck mit erfolgreicher Anpassung an die nahe Landschaft und an die gebaute Umgebung und zeigt, mit wie viel Gewinn eine kleine Gemeinde in gute Architektur investieren kann. •
  • Standort: Edøy, 6570 Smøla (N) Bauherr: Smøla kommune Architekten: Askim/Lantto Architects / Jens Petter Askim, Oslo Mitarbeiter: Niels Marius Askim (Projektleitung), Hans Guttormsgaard, Anne-Ki Thoresen Tragwerksplanung: Tonning og Lieng, Kristiansund, Dagfinn Jarp HLS-Planung: Ing. Jan A. Loe, Averøy Lichtplanung: Elektrond, Kristiansund, Trond Sæterøy Ausstellungsplanung: SKÍRNIR, Per Nikolai Haukeland Nutzfläche: 642 m² Baukosten: 3,5 Mio. Euro Bauzeit: Oktober 2008 bis Juli 2009 Auszeichnung: ausgestellt auf der Venedig-Biennale 2010
  • Beteiligte Firmen: Vollholz: KLH Scandinavia, Hønefoss, www.klhscandinavia.se Polycarbonatplatten: Halleplast, Laholm, www.klhscandinavia.se Fenster-, Türenprofile: Sapa, Stockholm, www.klhscandinavia.se
  • 1 Café 2 Ausstellung 3 Büro 4 Besprechungsraum 5 Künstlergarderobe 6 Lager
  • 7 Technik
  • 8 Anlieferung

Smøla (N) (s. 28)
Askim/Lantto Architects
Niels Marius Askim
1964 in Trondheim geboren. 1985-91 Architekturstudium in Oslo.
Lars Lantto
1962 in Oslo geboren. 1984-91 Architekturstudium in Oslo.
Jens Petter Askim
1939 in Oslo geboren. 1961-65 Architekturstudium an der Norwegischen Universität für Wissenschaft und Technologie.
Henning Nielsen
1956 geboren. 1978-80 Studium der Kunst in Oslo. 1980-86 Architekturstudium an der Königlichen Kunstakademie Kopenhagen. 1986-2003 Mitarbeit bei verschiedenen Architekturbüros. Seit 2003 eigenes Architekturbüro und Mitarbeit im Netzwerk Guiding Architects als zertifizierter Architekturführer.
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