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Krabbelstube

Kindergarten in Sighartstein/Neumarkt (A)
Krabbelstube

Als riesige Grasnarbe taucht der Kindergarten inmitten von Wiesen, Feldern und lockerer Bebauung auf. Doch er ist nicht nur äußerlich grün. Die Farbe steht zudem für eine ökologische und pädagogisch-liberale Geisteshaltung. In enger Abstimmumg mit den Pädagogen entwarfen die Architekten ein offenes Haus, in dem sich die Kinder erfreulich frei bewegen und entfalten können.

    • Architekten: kadawittfeldarchitektur Tragwerksplanung: Anton Stipschik

  • Kritik: Wojciech Czaja Fotos: Angelo Kaunat
Sighartstein, irgendwo im Flachgau, irgendwo im Norden der Mozartstadt Salzburg. Die Fahrt führt zwischen schmucken, bunt verputzten Häusern am Hauptplatz vorbei, dreimal um die Ecke, den Hügel hinauf bis zum Ende der Straße, und plötzlich steht sie da, die grau verputzte Kiste (Stahlbeton-Bauweise mit Wärmedämmverbundsystem) mit ihrem unverwechselbaren Fassadenkleid aus stilisierten, saftig grünen Grashalmen. Harmonisch und gut getarnt fügt sich der Baukörper in die Landschaft. Je nach Blickwinkel muss man das Haus aus dem sommerlichen Bild, das sich hier bietet, regelrecht »herauslocken«. Die kleinen Menschen, die mit Sandschaufel und Eimer gewappnet regelmäßig durch die Glasfassade hindurch diffundieren, helfen einem dabei: Wo ein Kind, da auch ein Kindergarten.
Wie selbstverständlich wird man an der Rückseite des Hauses entlang des vollflächig verglasten Turn- und Bewegungsraums, wo die Kinder sich ihre Nasen an der Fensterscheibe plattdrücken und Handabdrücke hinterlassen, zum Eingang geleitet. Es ist der erste Einblick in das, was die Architekten einen Bewegungskindergarten getauft haben.
An der Eingangstür angelangt ist das Geschrei der Kinder dem freundlichen Lächeln der Leiterin gewichen. Daniela Rogl sitzt an ihrem Schreibtisch und blickt den ankommenden Besuchern entgegen. »Das war von Anfang an mein Wunsch«, sagt sie, »im Grunde genommen habe ich ein ›
› Corner Office; ich sehe auf der einen Seite die Leute, die ins Gebäude eintreten, und auf der anderen die Kinder im Garten. Da hat man alles im Überblick.« Und was meint sie zu der kräftig grünen Farbigkeit? »Mit dem Grün hatten wir am Anfang schon unsere Probleme, aber mittlerweile haben wir uns alle an die Farbe gewöhnt. Ich finde sie, ehrlich gestanden, richtig gut!« Man glaubt es ihr aufs Wort: Grüne Bluse, grüne Weste, grüner Schlüsselanhänger auf dem Tisch.
Die Farbgebung des Kindergartens ist Programm. Und das, ohne jemals ins Kitschige oder Kindische abzudriften. Denn statt aus dem entbehrlichen Fundus an ohnehin schon tausendfach bedienten Klischees zu schöpfen, haben sich die Architekten einzig und allein von der Umgebung inspirieren lassen. »Kindergarten hin oder her, wir hätten wahrscheinlich auch bei einem anderen Funktionsspektrum zu dieser Farbe gegriffen«, erklärt Kerstin Tulke, Projektleiterin im Aachener Büro kadawittfeldarchitektur, das 2003 den international ausgeschriebenen Wettbewerb gewann. »Rund um Salzburg wächst das Gras einfach grüner. Wenn man sich auch nur ein bisschen auf die Umgebung einlässt, dann wird man unweigerlich die bestehenden Motive aufgreifen und ins architektonische Konzept einfließen lassen.«
Nach Betreten des Kindergartens geht es links zu den einzelnen Gruppenräumen mit angeschlossenem Garderoben- und Sanitärbereich; um die Ecke rechts pulsiert das monochrome, apfelgrüne Herz des Hauses, der zweigeschossige Bewegungsraum. Auf rund 70 m² können sich die Kinder hier austoben und ihrem ureigentlichen Drang nach Bewegung folgen. Die freundliche Farbe animiert dazu. An der Decke sind Metallösen angebracht, an denen sich mit einem Handgriff Seile, Strickleitern und Schaukeln befestigen lassen. Der Kautschukboden ist weich und lindert gegebenenfalls den Aufprall. ›
Aggressionspegel gesunken
»Der Bewegungsraum ist das absolute Highlight dieses Gebäudes«, sagt die Kindergartenleiterin. Einerseits werde das Angebot sehr gut genutzt, weil sich die Kinder hier gerne aufhalten. Andererseits diene die alltägliche Bewegung, die nun nicht mehr von Garten und Witterung abhängig ist, nicht zuletzt als psychologischer und sozialer Katalysator. »Seitdem wir diesen Kindergarten besiedelt haben, ist der Aggressionspegel unter den Kindern deutlich gefallen. Das können sowohl Eltern als auch Erzieherinnen bestätigen.« Einziger Nachteil: Es ist ziemlich laut. Daran können auch der weiche Boden und die Akustikdecke nichts ändern.
Aufgrund der knappen Platzverhältnisse (Gesamtnutzfläche 830 m²) war es nötig, den Bewegungsraum mehrfach zu nutzen und ihn mit anderen Funktionen zu überlagern. So gibt der rundum grün gefasste Saal beispielsweise auch für Geburtstage, Weihnachtsfeiern und ähnliches einen perfekten Rahmen ab. Die kreisrunden Oberlichter in der Decke und die kugelförmigen Beleuchtungskörper, die in unterschiedlicher Höhe in den Raum hinab baumeln, unterstreichen den festlichen und doch leicht verspielten Charakter.
Auf der anschließenden Tribüne, die für 100 bis maximal 150 Besucher angelegt ist, können Eltern und Verwandte Platz nehmen und den kleinen Schauspielern auf der Bühne zusehen. Außerdem dient die grüne Zone als Vertikalerschließung. Neben den aufsteigenden Sitzbänken führt eine einläufige Treppe nach oben. Während die etwas älteren Kinder aufgrund der Nähe zum Garten ebenerdig untergebracht sind, halten sich die Allerjüngsten, in ihrer Mobilität noch nicht ganz sattelfest, ›
› im Obergeschoss auf. Zwei Krabbelgruppen gibt es derzeit. Optional kann ein etwas kleinerer Ruheraum zu einem dritten Gruppenraum umfunktioniert werden.
Auffällig ist nicht nur die klare und überaus funktionale Anordnung der unterschiedlichen Bereiche, sondern auch die Offenheit im ganzen Haus. »Natürlich haben wir uns eine gewisse Trennung und Zonierung gewünscht, anders lässt sich ein Kindergartenbetrieb ja auch nicht in den Griff kriegen«, erklärt Rogl, »soweit es der tägliche Betrieb jedoch ermöglicht, verstehen wir uns als offenes und barriereloses Haus, in dem sich die Kinder frei bewegen können. Die Architektur unterstützt diese Qualität.«
Offenheit, Transparenz und Autonomie
Die einzelnen Gruppenräume, denen jeweils unterschiedliche Funktionen zugewiesen wurden, sind durch Glastüren miteinander verbunden. Hier ein Kreativraum, da ein Spiel- und Übungsraum, dort ein etwas stillerer Lern- und Leseraum. Eindeutige Zugehörigkeiten von Gruppen und Räumen gibt es nicht, denn jeder hält sich dort auf, wo es ihm gefällt. Das pädagogische Konzept, das in enger Zusammenarbeit zwischen Architekten und Nutzern entstanden ist, geht davon aus, dass vier- und fünfjährige Kinder durchaus in der Lage sind, selbstständig über die eigenen Bedürfnisse zu reflektieren und zu entscheiden. Und das ist löblich.
Je nach Lust und Laune können die Kinder also ungehindert von einem Bereich in den anderen hinüberwechseln. Damit im Augenblick der überschwänglichen Spielfreude nicht der eine oder andere kleine oder große Mensch gegen die Glastür knallt, ist in Augenhöhe (in allen Augenhöhen wohlgemerkt) eine Folierung aus stilisierten Grashalmen angebracht. Auf die Frage hin, ob das Grasmotiv nicht etwas überstrapaziert wird, antwortet die Projektleiterin: »Nein, das sehen wir nicht so. Wir haben uns ganz klar für ein einziges Motiv entschieden. Und dieses taucht von der Fassade bis zu den grün bedruckten Toilettentüren konsequent immer wieder auf. Nicht mehr und nicht weniger.«
Am auffälligsten ist die Fassadengestaltung im Obergeschoss. In einem Abstand von 20 cm vor der thermischen Außenhülle flimmert ein kreuz und quer zueinander gefügtes Stabwerk aus unterschiedlich dimensionierten Aluminiumhohlprofilen. Das ist die neu interpretierte, üppig grüne Flora Österreichs, wie Klaus Kada und Gerhard Wittfeld sich ausdrücken. Es ist aber auch ein Hinweis auf das in Anbetracht der Baukosten durchaus ambitionierte Haustechnikkonzept, das völlig unscheinbar im Hintergrund bleibt: Niedrigenergie-Bauweise, Brennwertkessel mit Fußbodenheizung und Sonnenkollektoren auf dem Dach. Wichtig zu erkennen, dass das eingesetzte Grün an diesem Haus nicht nur Farbe ist, sondern auch Ausdruck einer ökologischen und pädagogisch-liberalen Geisteshaltung.

Doch wie gefällt den Kindern der neue Kindergarten? »Gut.« Und was gefällt ihnen am besten? »Grün.«


  • Bauherr: Stadtgemeinde Neumarkt am Wallersee (A)

    Architekten: kadawittfeldarchitektur, Aachen
    Projektleitung: Kerstin Tulke, Arnd Schüle
    Wettbewerb: Oliver Venghaus, Sebastian Streckel
    Landschaftsarchitektur: Club L94, Köln
    Projektmanagement: SABAG – Salzburger Bauträger GmbH, Salzburg
    Tragwerksplanung: Anton Stipschik, Salzburg
    Bauphysik: Dipl.-Ing. Reiner Rothbacher, Zell am See
    Haustechnik: TB Dipl.-Ing. Axel Burggraf GmbH, Salzburg
    Elektrotechnik: Ing. Friedrich Müller-Uri Ges.m.b.H, Thalgau
    Nutzfläche: 640 m² BRI: 3665 m³ Baukosten: 1,2 Mio. Euro
    Bauzeit: Februar 2008 bis März 2009
  • Beteiligte Firmen: Rohbau/Betonarbeiten: Ebster Bau Ges. m.b.H., Henndorf am Wallersee
    Metallbau, Verglasung : KA-MA Metallbau GmbH, Mattighofen, www.ka-ma.a
    WDVS, Fassadenputz: Caparol GmbH, Ober-Ramstadt, www.caparol.com
    WDVS: Capatect Baustoffindustrie GmbH, Perg, www.caparol.com
    Kautschukboden: nora systems GmbH, Weinheim, www.caparol.com
    Verschattung: Ferrari Gruppe, www.caparol.com
    Außenspielgeräte: eibe Produktion+Vertrieb GmbH & Co. KG, Röttingen, www.caparol.com
    Mobiliar: VS-Möbel, Tauberbischofsheim, www.caparol.com
    Schalter: Gira, Giersiepen GmbH & Co. KG, Radevormwald, www.caparol.com
    Sanitärtechnik: Geberit Vertriebs GmbH, Pfullendorf, www.caparol.com
    Sanitärkeramik: Duravit, Keramag Armaturen: Grohe Deutschland Vertriebs GmbH, Porta Westfalica, www.caparol.com Beleuchtung: RZB, Zumtobel, OMS, Licht Art Schließanlagen: Kaba GmbH, Dreieich, www.caparol.com
Weitere Informationen
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