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Kleine Aufgabe und grosse Hoffnungen

Wohnhaus Maier in Beutelsbach
Kleine Aufgabe und grosse Hoffnungen

Um das kleine Haus aus den fünfziger Jahren an die Bedürfnisse einer modernen Großfamilie anzupassen, wurde es um einen geräumigen Anbau erweitert. Alt- und Neubau bilden gestalterisch eine Einheit. Die einzelnen Bestandteile sind jedoch, innen wie außen, klar ablesbar – innen durch die Materialwahl, außen durch die differenzierte Geometrie.

    • Architekten: Thomas Ott, Dieter Faller Tragwerksplanung: Ludwig Gregori

  • Text: Hans-Jürgen Breuning Fotos: Andreas-Thomas Mayer
»Rückzug ins private Idyll!« – so lautete die Devise der bewegten fünfziger Jahre. Das eigene Heim sollte mit der verordneten Heiterkeit von Nierentischchen, Dreibein und Tütchenlampen die Schrecken des Krieges vergessen machen. Dieser neue Geist erfüllte manches brave Einfamilienhäuschen, das in jener Zeit entstand. Auch das schmucke »Haus Maier«, 1954 im schwäbischen Weinstadt-Beutelsbach erbaut, machte hier keine Ausnahme: Mit seinem steilen, konventionellen Satteldach, seinen leicht aus der Fassade springenden Blumenfenstern und den kleinen Wohnräumen fügte es sich nahtlos in seine Umgebung und den »Geist der Zeit« ein.
Fast fünfzig Jahre lang blieb alles wie es war. Dann starb der Besitzer, das Haus wurde zum Erbstück und der Sohn stand vor der entscheidenden Frage: »Soll ich das Haus erhalten oder lieber gleich einen Neubau auf dem rund 500 Quadratmeter großen Grundstück errichten?« Nur drei Jahre hatte er hier in seiner Kindheit gelebt, bevor die Familie dem väterlichen Betrieb hinterher und in ein geräumigeres Gebäude einzog – gleichwohl verband Gunter Maier mit dem Haus immer noch einen starken ideellen Wert. Obwohl sich schon bei den ersten Überlegungen abzeichnete, dass ein Anbauen und Umbauen des alten Hauses nicht ganz einfach werden würde, kamen bei Bauherr und Architekt nie wirkliche Zweifel auf: Es musste möglich sein, aus diesem vertrauten Altbau etwas völlig Neues zu machen. Doch nicht nur um eine formale Erneuerung oder ein kosmetisches Face-Lifting sollte es dabei gehen, auch der Geist des Hauses sollte ein spürbar anderer werden. Gesucht wurde die feine Balance zwischen Alt und Neu, die beide Teile spannungsreich zusammenführt, deren Besonderheiten jedoch nicht zu kaschieren versucht. Eine vermeintlich kleine Aufgabe mit großen Erwartungen und Hoffnungen …
Rekursives Spiel
In der Nähe des alten Ortskerns von Beutelsbach liegt das Haus , unweit von Friedhof und Dorfkirche, exponiert auf dem abschüssigen Eckgrundstück. Umrahmt von einem eingeschossigen, in die Jahre gekommenen Schulhaus und einigen freistehenden, unprätentiösen Wohngebäuden präsentiert sich nun das neue »Haus Maier« als echter Blickfang: Vor dem alten Satteldachhaus erhebt sich – getrennt durch eine Terrasse – ein flachgedeckter, zweigeschossiger, kubischer Baukörper. Schon beim Näherkommen fällt auf, dass dieses Ensemble aus Alt und Neu keineswegs additiv gefügt wurde, dass es hier mitnichten darum ging, das Alte deutlich vom Neuen zu trennen. Vielmehr wurden die beiden Baukörper wie selbstverständlich über einen durchgängigen grauen Außenputz miteinander verbunden – auch ein horizontales Bandfenster verklammert die beiden Teile. Allein die Kubaturen sind es, die mit ihrer merklich unterschiedlichen Formensprache den klaren Hinweis auf den Zeitsprung geben. Von zwanghafter Verbindung kann hier jedoch keine Rede sein: Die große Fuge – ein von drei Seiten umschlossener Außenraum – vermittelt zwischen Alt und Neu, schafft neue, offene Blicke. Kein Zweifel, unter dem neuen, grau schimmernden Zinkdach des Altbaus, das die alten Dachziegel ersetzt, hat sich einiges verändert. Doch schon beim Eintreten in das Haus werden auch Erinnerungen wach: Die mit einer Metallbox gerahmte Eingangstür ist keine neue Erfindung der Architekten, sie ist vielmehr Rekurs auf den alten, ebenfalls gerahmten Hauseingang. Und dieses rekursive Spiel aus Alt und Neu setzt sich auch in den Innenräumen fort: Obwohl das Haus nach dem Anbau ungefähr die doppelte Wohnfläche besitzt, wurde der ursprüngliche Charakter des Hauses nicht radikal verändert.
Die Erweiterung überzeugt durch das Maßhalten mit den vorhandenen Räumen und die unspektakulären Eingriffe – Alt und Neu respektieren sich gegenseitig. Freilich erscheint mancher Raum heute etwas großzügiger und »bereinigt«, doch die Bezugsgröße der fünfziger Jahre bleibt spürbar. Dies lässt sich vor allem auch an der Erweiterung des Wohnraumes ablesen. Das Esszimmer im Altbau und der Wohnbereich im Neubau sind räumlich getrennt. Beide Räume sind jedoch nicht überdimensioniert. Sie wurden maßvoll erweitert und orientieren sich nun mit raumhohen Fenstern zur offenen Mitte des Hauses hin. Nach Süden öffnet sich der ›
› Wohnbereich mit einem großen quadratischen Fenster, das mit seiner tiefen Laibung an das Vitrinenfenster des Altbaus erinnert. Der weite Blick auf die Weinberge erscheint wie in einem großen Bilderrahmen – einzig die Südostecke dieses neuen Raumes wirkt ein wenig zu dunkel.
Der Kunstharzestrich der Küche und ein durchgängig verlegtes Industrieparkett aus Eichenholz verbinden Alt mit Neu – hier wurde bewusst auf eine Differenzierung verzichtet. Lediglich die raumbegrenzenden Wände – weiß verputzt im Altbau und Sichtbeton im Neubau – machen den Unterschied deutlich. Eine kleine Betontreppe führt nach unten in das Gartengeschoss. Drei kleine Wohnräume öffnen sich dort mit ihren bodentiefen Verglasungen zum Außenraum. Ihre Offenheit kontrastiert mit der eher geschlossen wirkenden Lochfassade des Altbaus. Dieser bietet unter seinem Zinkdach die Schlafebene für die dreiköpfige Familie – und auch dort oben die vertraute Kleinteiligkeit der Räume.

Alles wirkt ruhig und ausgewogen und der Aufgabe angemessen. Alt und Neu treten gemeinsam auf, ohne sich dabei anzubiedern. Das Neue misst sich am Vertrauten – und schärft über den Kontrast die Wahrnehmung. Entstanden ist ein neues Haus, das jedoch seine Geschichte nicht leugnet, sondern aus ihr die Impulse des Neuen generiert. Ein Haus, dessen Stärke vor allem im sensiblen Umgang mit dem Bestand liegt.


  • Standort: Beutelsbach

    Bauherr: Gunter Maier, Beutelsbach
    Architekten: LPH 1–4: Prof. Thomas Ott (2003 verstorben); LPH 3–8: Prof. Dieter Faller / f m b architekten, Stuttgart Projektleitung, Bauleitung: Andreas-Thomas Mayer
    Tragwerksplanung: Dipl.-Ing. Ludwig Gregori, Büro für Baustatik, Weinstadt-Beutelsbach
    HLS-Planung: IB Manfred Haarer, Fellbach
    Bauzeit: August 2003 bis Juni 2005
  • Beteiligte Firmen: Rohbauarbeiten: Karl Fingerle Bauunternehmung GmbH, Esslingen
    Wärmedämmverbundsystem: Sto AG, Stühlingen, www.sto.de
    Sanierung Dachstuhl: Zimmerei Fleck, Weinstadt, www.sto.de
    Flaschnerarbeiten: H. Robert Mayer Zeltwanger & Co. GmbH, Stuttgart
    Schlosser- und Metallbauarbeiten: Schlosserei Mergenthaler, Weinstadt
    Außenanlagen: Valentin Stülpnagel, Schorndorf, www.sto.de
    Sonderkonstruktionen/Kastenfenster (Fabrikat: Velfac, www.sto.de):
    Bößenecker Metallbau, Weinstadt, www.sto.de
    Verdunklung, Verschattung: Maier Rolladenbau e.K., Weinstadt Stahlzargentüren: Hörmann KG, Steinhagen, www.sto.de Fußbodenheizung: Schlüter-Systems KG, Iserlohn, www.sto.de
    Möbel- und Schreinerarbeiten: Effmert & Gause Exklusiv Innenausbau GmbH, Remshalden-Geradstetten
    Türgriffe, Möbelbeschläge: d line, Ballerup (DK), www.sto.de
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