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Klärwerk Gut Marienhof bei Dietersheim

… in die Jahre gekommen
Klärwerk Gut Marienhof bei Dietersheim

Dass die Kläranlage nördlich von München eine lange Planungs- und Baugeschichte haben würde, war gleich zu Beginn abzusehen. Kurt Ackermann entwickelte daher ein durchgehendes architektonisches Erscheinungsbild, das unbeeindruckt von den Zeitströmungen Gültigkeit haben sollte. Mit industriellen Mitteln, in klaren Geometrien und technischer Ästhetik fügte er den gewaltigen Komplex in die wertvolle Auenlandschaft entlang der Isar ein. In Erscheinung treten nur einzelne, weithin sichtbare Elemente, die zwei Jahrzehnte anstandslos überdauert haben.

    • Architekten: Kurt Ackermann und Partner

  • Text: Ira Mazzoni Fotos: Ingrid Voth-Amslinger, Ira Mazzoni, Jens Weber
Hauptsache, es ist nichts zu sehen und zu riechen. Da waren sich die Nachbargemeinden einig, als die Landeshauptstadt München vor 35 Jahren begann, ihr zweites großes Klärwerk mitten im Landschaftsschutzgebiet der Isarauen rund 10 km nördlich der Stadtgrenze zu planen. Die Anlage, die Kurt Ackermann auf dem Gelände Gut Marienhof nach komplizierten Genehmigungsverfahren realisierte, galt bei der Inbetriebnahme 1989 als »Jahrhundertwerk« – nicht nur, weil sie die damals unglaubliche Summe von 560 Mio. DM verschlungen hatte und damit die bis dato größte Einzelbaumaßnahme Münchens war. Das sorgsam hinter bewaldeten Wällen verborgene Klärwerk setzte umwelttechnologische Maßstäbe in Bezug auf den Reinheitsgrad des Wassers und bewies architektonisch so viel Haltung, dass keine einzige renommierte Fachzeitschrift es verpasste, die innovative Anlage mehrseitig zu präsentieren. Die Jury des Constructa Preises für Industriearchitektur unter Vorsitz von Lord Richard Rogers urteilte 1990: »Die Gesamtanlage mit allen Bauwerken ist die gelungene architektonische Lösung einer ingenieurmäßigen Aufgabe und Ausdruck der guten Zusammenarbeit aller am Bau Beteiligten (…) Die Beherrschung von Detail und Gesamtform ist beispielhaft, die Verwendung von Aluminium und Ziegel in ihren natürlichen Oberflächen unterstreicht das unprätentiöse Gesamtkonzept. Für die ständig wachsende Zahl zu erwartender neuer Klärwerke in den Städten Europas kann dieses Bauwerk Vorbild sein.«
Vom Landgut Marienhof ist nichts mehr zu sehen, nur die kleine denkmalgeschützte Kapelle an der Bundesstraße 11 legt Zeugnis ab, von der ruralen Vergangenheit, die den Bedürfnissen der wachsenden Großstadt weichen musste. 1938 hatte es die ersten Planungen gegeben, 1960 konnte die Stadt das Gut erwerben, erst zehn Jahre später wurden die Klärwerkpläne wieder konkreter, 1972 begann das Raumordnungsverfahren, 1978 das Bebauungsplanverfahren und das Wasserrechtsverfahren, das 1985 abgeschlossen wurde. Kurt Ackermann, der seine Entwürfe 1975 vorgelegt hatte, erinnert sich noch gut an die schwierigen Abstimmungen zwischen der Landeshauptstadt, dem zuständigen Landratsamt Freising und dem benachbarten Landkreis Erding. Sich widersprechende Gutachten und unzählige Auflagen mussten geprüft, überdacht und technisch gelöst werden. U. a. ließ sich die Gemeinde Eching verbriefen, dass der Klärschlamm nicht auf ihrem Grund beseitigt wird. So muss der Schlamm in einer Druckleitung entweder bis zur Mülldeponie Großlappen oder gar bis zum Kraftwerk Nord gepumpt werden, wo er verbrannt wird.
Noch bevor 120 000 m³ Beton auf ehemaligen Ackerflächen verbaut wurden, modulierte das Team von Karl Kagerer blickbannende, bis zu 6 m hohe Hügelketten, die dicht bepflanzt das Betriebsgelände allseitig abschirmen. Zum großen Gewinner der Baumaßnahme wurde die Isar. Die schütteren Auenwälder wurden qualitativ aufgeforstet; zu Nadelgehölzen und Erlen gesellten sich Buchen und Eichen. Insgesamt wurden 170 000 neue Sträucher und 800 Bäume gepflanzt. Neue Wander- und Radwege erschlossen die vermeintlich »unberührte« Natur. Nach Abschluss aller Maßnahmen bekam die »Rest-Isar« sogar wieder sauerstoffreiches, sauberes Frischwasser zugeleitet. ›
Offene Anlage – zeitlose Geometrie
Im Prinzip erscheint das Klärwerk als moderner Wasserpark. Symmetrie und Geometrie bestimmen die Ästhetik der Komposition, die dennoch prinzipiell dem natürlichen Geländegefälle von Süd nach Nord folgt und die Funktionen von der ersten mechanischen Reinigung des Abwassers, über die beiden biologischen Abbaustufen, die Sandfilter, die Eindicker bis hin zur Ausfaulung und damit zur Gasgewinnung auf kürzestem Weg miteinander verkettet. Dabei ist die Anlage fast wie eine feudale Villa organisiert: An der alten Kapelle beginnt die Auffahrtsallee, man passiert ein Pförtnerhäuschen und gelangt auf ein Hof-Rondell, dessen Mitte von einer repräsentativen Brunnenanlage, dem metallischen »Lebensbogen« von Hannsjörg Voth dominiert wird. Das flache Hauptgebäude, das Empfang, Kontrollraum und Labors um zwei Innenhöfe gruppiert, hält sich mit seinem Ziegelmauerwerk und den in Aluminium gefassten Fensterflächen dezent im Hintergrund. Rechterhand schließen im gebührenden Abstand die »Wirtschaftsgebäude« an: Kantine, Werkstätten und Garagen, die einen eigenen kleinen Vorhof umstehen.
Auftakt zum großen Wasserparterre bildet das Rechenhaus am südlichen Rand des Terrains. Es ist mit Abstand das höchste Gebäude und ist allein dem Geruchsbann geschuldet. Andernorts sind die Rechenbecken, in denen Toilettenpapiere und sonstige Feststoffe aus dem Abwasser gefischt werden, noch offen. Damit die Fäkalien der Millionenstadt nicht zum Freisinger Himmel stinken, wurde die Maschinerie so hoch eingehaust, dass genügend Spielraum zum Hochziehen und Reinigen der beiden Großrechen bleibt.
Nach dem Einlaufhebewerk folgt eine achsensymmetrische Anlage aus runden Klärbecken und rechteckigen Belebungsbecken. Das Zentrum nehmen zwei quadratische Belebungsbecken ein, denen vier kleine und vier große Nachklärbecken für die biologische Reinigung folgen. Den Abschluss bildet ein Querriegel aus Sandfiltern, deren standardisiert blaue Industriehüllen den Architekten seinerzeit sehr geärgert haben, weil sie nicht in das ästhetisch puristische Konzept aus Beton, Aluminium und Ziegel passten.
Etwas abseits der Mittelachse des Wasserparterres haben die Architekten ein matt silbriges Skulpturenkabinett reiner Geometrie geschaffen: Ikonografisch einprägsam ist dabei vor allem die Gruppe der drei kegelförmigen Faulbehälter, die sich um einen zentralen Treppen- und Aufzugsturm gruppieren. Von dieser Leichtbau-Konstruktion führen unterspannte Stahl-Brücken zu den achteckigen Glaslaternen auf den Faulbehältern. Unter den Brücken und am Turm werden auch die Gasleitungen geführt, die das beim Ausfaulen der Klärschlämme entstehende Methangas dem werkseigenen Gasometer und letztlich dem Kraftwerk zuführen, das wiederum die Energie für den Betrieb der Anlage produziert. Für die Faulbehälter hatte das Büro Ackermann seinerzeit drei Patente angemeldet, so innovativ ist die mit aufgekanteten Aluminiumblechen polygonal verkleidete Spannbeton-Geometrie, die so auffallend von den herkömmlichen Dyckerhoff-Eiern abweicht. Um fernhin unsichtbar zu bleiben, mussten die neuen Behälter allerdings weit in die Erde versenkt werden. Damit im Grundwasserbereich liegend, wurde es nötig, das untere Drittel der Behältnisse auftriebssicher dickwandig zu dimensionieren. Dasselbe gilt für den Zylinder des Gasometers.
Das »Jahrhundertwerk« verdankt sich einem Dream-Team: Neben dem Landschaftsarchitekten Karl Kagerer, dem Ingenieur und Architekten Kurt Ackermann, dem Tragwerksplaner Jörg Schlaich war niemand geringerer als Otl Aicher für die Grafik zuständig. Sein heute – nach digitaler Neueinrichtung – ›
› spurlos aus der Leitwarte verschwundenes Schaubild der Gesamtanlage war die Krönung des bis ins Detail stimmigen technischen Gesamtkunstwerks. Aicher legte auch fest, dass die Betriebsfahrzeuge in reinem Weiß auf den schnurgeraden Wegen der Parkanlage ihre Runden drehen.
In die Jahre gekommen? Fast gar nicht. Ein wenig Algenbefall an den Turmstreben auf der Schlagwetterseite ist allenfalls eine leicht zu beseitigende Verschmutzung. Aber ansonsten ist alles tiptop – selbst die hölzernen Bauhütten stehen noch am Rande des Park-Areals, als seien sie dort erst gestern gezimmert worden. Ansonsten ist das Büro Ackermann dabei, die Anlage stets zu optimieren. So ist im Norden im Anschluss an die Sandfilter 2002-05 eine Desinfektionsanlage hinzugekommen. Zur Verunklärung der schönen Geometrie tragen allerdings viele kleine, den neuen Sicherheitsnormen geschuldete Ein- und Aufbauten bei: So bekamen alle Abgänge zu den unterirdischen Kanälen und Rohren Glashauben als Regenschutz. Demnächst sollen alle Absperrungen, die bisher nicht weiter auffallen, engere Stahlsprossen erhalten – auch wenn kein einziger Uneingeweihter im Gelände unterwegs ist und auch Schülergruppen nur geführt durch den Wasserpark trollen, um am Schluss staunend zu erleben, dass das Abwasser wieder Trinkqualität hat, bevor es in die Isar geleitet wird.

Das Klärwerk Marienhof dient nach wie als Vorbild. Inzwischen konnte das Büro Ackermann das Konzept weiterentwickeln: Die polygonalen, aluminiumbewährten »Fauleier« dürfen steiler, höher und effektiver auf dem Gelände des Klärwerks Großlappen der berühmten Allianz-Arena gegenübertreten, um zu signalisieren, dass sich Versorgungsbauten, die für eine reinere Umwelt sorgen, nicht verstecken müssen. Aber auch da gab es Widerstände zu überwinden. Die damalige Stadtbaurätin Christine Thalgott verweigerte die Baugenehmigung zweimal, weil sie die Wirkung der Arena gefährdet sah.


  • Standort: Hauptstraße, 85386 Eching-Dietersheim

… in die Jahre gekommen (S. 50)
Ira Diana Mazzoni
1960 in Wiesbaden geboren. Studium der Kunstgeschichte, Germanistik und Theaterwissenschaften in Mainz und München. Freie Journalistin, u. a. für das Feuilleton der Süddeutschen Zeitung und die ZEIT.
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