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Kindertagesstätte in Stuttgart-Heslach

… in die Jahre gekommen
Kindertagesstätte in Stuttgart-Heslach

Es war die Zeit, als Kindergärten schräg, bunt und verspielt daherkamen, »heiter«, überfrachtet mit Metaphern, mehr kindisch als kindgerecht, ein formales Aufbäumen gegen die Tristesse in der übrigen Architektur. Auch diese Kita sieht aus, als wolle sie nie erwachsen werden: ein Stapel Holzkisten, scheinbar hingeworfen, um dem benachbarten »Bürokratenkasten« zu trotzen. Doch ihr Architekt Peter Hübner versteht zu viel davon wie Kinder denken, um nur Effekte aufzutischen. Sogar als mittlerweile Siebzigjähriger wirkt er oft wie ein großer Junge. So wird das unordentliche »Häuserhaus« im Stuttgarter Süden bis heute von den Kindern geliebt und von der Bürokratie geduldet.

    • Architekten: plus+ bauplanung GmbH (Peter Hübner, Peter Mayer)

  • Kritik: Christoph Gunßer Fotos: Wolfram Janzer, Cornelia Suhan, Christoph Gunßer
Das »Häuserhaus«, das gleichartige Raumbausteine zu einem komplexen Cluster verbindet, ist ein sehr altes architektonisches Fügungsprinzip. Der Natur entlehnt (Kristalle, Bienenwaben), zieht es sich von den Pueblos bis in die jüngste Neuzeit, als die Strukturalisten Beton-Module zu »Landschaften« türmten. Demselben systematischen Geist entsprang auch Peter Hübners frühe Design-Arbeit: Pavillons aus umschäumter Pappe lieferte er zur Olympiade 1972, sein eigenes Büro- und Wohnhaus ließ er 1975 an einem Tag aus eben diesen Leichtbau-Zellen montieren. Und auch als der gelernte Schuhmacher und Schreiner bald darauf im Zug der Zeit zum handwerklichen Holzbau zurückkehrte, ließ er nicht vom modularen Prinzip ab: Wohnhäuser, vor allem aber die unter intensiver Beteiligung der künftigen Nutzer entstandenen Jugendhäuser der 80er Jahre waren oftmals »Häuserhäuser«. ›
› In dieser Linie steht die »Kindertageseinrichtung Mörikestraße 71« im Stuttgarter Stadtteil Heslach, die das Büro Hübner 1991-93 gemeinsam mit dem Architekten Peter Mayer realisierte. Nach den vielen auf Selbsthilfe und Spenden angewiesenen Projekten war dies der erste städtische Direktauftrag mit einem normalen Budget, aber dafür ohne die den Architekten oft beflügelnde Nutzerbeteiligung. Die Baukosten waren mit gut 150 DM/m³ dann auch in der Tat sehr niedrig gehalten.
Affenhaus, Starenkästen, Kinderdörfle
Drei Kindergarten-Gruppen sollten auf dem Grundstück Platz finden, einem Garten mit altem Baumbestand, eingezwängt zwischen gründerzeitlicher Hinterhofbebauung und dem Hochhaus des Statistischen Landesamts. Für diesen Standort war das Konzept »Häuserhaus« ideal: Die aus Modulen einer Grundfläche von 2,75 x 2,75 m addierte Struktur (darin können etwa zwanzig Kinder im Kreis sitzen) reagiert flexibel auf die Situation und ordnet sich den mächtigen Baumkronen, die über die Glasdächer eines Wintergartens mit in den Bau einbezogen werden, unter. Der informelle hölzerne Leichtbau wahrt den Charakter und im einzelnen Modul auch den Maßstab eines Gartenhauses. Nur zur Straße hin nimmt eine massive »Schuhschachtel« die »Erwachsenen-Funktionen« auf. Dahinter verzweigt sich das Gebäude auf vier Etagen und Zwischenebenen in etliche Nischen und Winkel, Spieltreppen und Spielkuhlen, die teilweise ob ihrer Enge nur für Kinder zugänglich sind: ein bespielbares Haus, das Kindern Deckung und Schutz, aber auch viele Aus- und Durchblicke bietet – und Einsicht in die überall sichtbare Holzrahmenkonstruktion. Bezeichnend, dass es keinen Namen bekommen hat: Zu offen ist das Konzept, zu vielfältig die Nutzungsmöglichkeiten. Anfangs nannte man es mal »Affenhaus«, wegen des auf dem höchsten First balancierenden Holz-Pavians (die Hübners hatten ihn wie die Elefanten im Eingangsbereich auf einer Kenia-Reise entdeckt), »Starenkästen« oder »Kinderdörfle« wurde es tituliert, doch die Kinder verwenden diese Namen selber nicht. Und die Stadt Stuttgart gibt ihren Einrichtungen keine Namen. So blieb es bei der »Tageseinrichtung Mörikestraße 71«. ›
Unübersichtlichkeit – geliebt und gefürchtet
Heute ist das Gebäude durch Büsche und Bäume noch weniger als früher in seiner Gesamterscheinung wahrnehmbar. Es wird fast nur von innen erlebt – und von oben, von der Dachterrasse. Die Deckelschalung aus rauen Douglasienbrettern ist stark nachgedunkelt, stellenweise vergraut, so dass neben der Form nun auch das Material in der Umgebung aufzugehen scheint. Der terrakottafarbene Putzbau trägt eine »Mähne« aus üppigem Bambus- bewuchs.
Die Innenräume haben ihren hölzern-höhligen Charme behalten. Das ganze Gebäude zeugt von intensiver Be-, nicht aber von Abnutzung. Weiterhin wird das Haus von rund 60 Kindern zwischen drei und sechs Jahren frequentiert, die in drei Gruppen von je zwei Erzieherinnen bis in den Nachmittag betreut werden. Die für einen Kindergarten ungewöhnliche Höhe, entstanden aus der Enge des Grundstücks, lässt die Kinder komplexe Raumerfahrungen machen, während die Erzieherinnen (ein Mann ist sogar auch darunter) mit der Unübersichtlichkeit und dem Treppensteigen fertig werden müssen. Kinder mit Migrationshintergrund verstünden oft nicht die Anweisungen, klagt die Leiterin, das Herabspringen oder -werfen berge Gefahren, weswegen auch bereits eine Rutsche entfernt und Geländerstäbe ergänzt wurden. Die vielen Ausgänge seien schwer zu kontrollieren. Überhaupt: die Sicherheit! Nichts fürchtet die Verwaltung mehr, als von Eltern verklagt zu werden. Risikoarm und pflegeleicht ist das Gebäude gewiss nicht. Wenn zurzeit die Aufnahme von Kleinkindern unter drei Jahren erwogen wird, ist die Skepsis der Experten groß. Umbauten, wie sie die Architekten anfangs eingeplant hatten, etwa durch zusätzlich einzuschiebende Podeste, unterblieben bislang.
Dass sich die Kinder im Häuserhaus gut aufgehoben und geborgen fühlen, steht indes außer Frage. Es gibt keine Spuren mutwilliger Beschädigungen. Das Raumklima im Holzbau ist auch im Sommer angenehm, selbst unterm Dach, wo die Kinder über Mittag ausruhen können. Die Akustik wirkt gedämpft, Störungen von oben nach unten scheinen kein Problem zu sein. Fragt man die Kinder, zählt die ♣»Bauecke« zu den beliebtesten Räumen gerade bei den Jungs. Gut möglich, dass das so begreifbare, ihrem Maßstab entsprechende Haus schon manchen dazu inspiriert hat, selber Baumeister zu werden …
Peter Hübner wird denn auch nicht müde, über die Zwänge der Bürokratie und die Ignoranz der Architekten zu schimpfen, die für eine imposante Großform über die elementarsten Bedürfnisse von Kindern hinweggehen. Gern zeigt er bei Vorträgen Fotos von langen kahlen Schulfluren neueren Datums, menschenleer fotografiert. Er selbst baut fast nur noch für freie Träger und kann sich vor Anfragen von Eltern-Initiativen kaum retten. Auch wenn er große Komplexe wie die annähernd fertiggestellte Internationale Friedensschule Köln oder das Voorzieningencluster in Enschede entwirft, teilt er sie in kleine, überschaubare Einheiten auf und lässt diese von verschiedenen Mitarbeitern planen. Bescheidene Holzbauten wie das Heslacher Häuserhaus sind inzwischen die Ausnahme, farbigere, freier geformte Mischkonstruktionen häufiger. So hoch hinaus wie im Affenhaus dürfen die Kinder aber nirgends mehr. Aus der flachen neuen Kita in Bremens Technologiepark ragen aber wenigstens fünf zweistöckige Klettertürme – als Refugien für die Kinder.


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