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Keine Uniform

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Keine Uniform

Wohnbau ist in und um Grafenwöhr augenblicklich eine lukrative Angelegenheit. Durch Umstrukturierungen in der US-Armee werden hier außerhalb der Kasernen Mietobjekte gesucht, die militärisch-strengen Vorgaben zu entsprechen haben. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung der Region zieht dabei leider eine rein bedarfsorientierte, monotone Siedlungs»baukultur« ein. Aber es geht auch anders: regelkonform, aber nicht uniform und dabei nachhaltig.

    • Architekten: weberwürschinger architekten
      Tragwerksplanung: Bräutigam Consult

  • Text: Matthias Castorph
    Fotos: Mirco Taliercio
Seit die US Army vor ein paar Jahren begann, die Truppenstandorte in Deutschland neu zu ordnen, wächst der Standort Grafenwöhr in der Oberpfalz zum größten Truppenübungsplatz in Europa. Innerhalb des Militärbereiches werden an diesem Standort fast 5 Mrd. US-Dollar in die Infrastruktur, in Schulen, Kindergärten und Wohnungen investiert. Zusätzlich werden für die höheren Dienstgrade der Armeeangehörigen, die das Privileg haben, mit ihren Familien auch außerhalb des Stützpunktes wohnen zu dürfen, ungefähr 4000 weitere Wohnungen – meist als Doppelhaushälften – in der näheren Umgebung (30 Minuten Fahrzeit zum Haupttor) benötigt.
In diesem strukturschwachen Gebiet in ehemaliger Zonenrandlage ein Anlass für private Investoren, in Wohnraum zu investieren – besonders, da die Häuser für mindestens zehn Jahre verbindlich angemietet werden und zusätzlich die fälligen 19 Prozent Umsatzsteuer für die gesamte Investition zurückerstattet werden.
REGELWERKE und ihre folgen
Ein penibel aufgestelltes Regelwerk der Armee wacht allerdings darüber, dass alle Häuser den gleichen Standards entsprechen. Die Grundrisse mit exakten Zimmergrößen und räumlichen Zuordnungen sind genau festgelegt und an US-amerikanische Verhältnisse angepasst. Pedantisch werden auch alle Ausstattungsdetails vom Kingsize-Kühlschrank bis zum WC-Papierhalter (12 x 12 cm) und der Satelliten-TV-Empfangsanlage geregelt. Bei dieser Ausführlichkeit muten selbst die detaillierten Förderbedingungen der hiesigen Wohnungsbauförderung als »abstrakt« an. Nimmt man die Anforderungen wörtlich, so lassen sich vermutlich neunzig Prozent der Ausschreibung dem Regelwerk direkt entnehmen. Es soll nicht nur dafür sorgen, ».. . die Wohnungen lediglich bewohnbar zu machen, sondern so beschaffen zu sein, daß es den Bewohnern möglich ist, darin komfortabel, sicher und mit einem Gefühl des Stolzes zu wohnen« (Zitat Mietvertrag). ›
› Das Resultat dieser rigiden Vorgaben zeigt sich ernüchternd in den Neubaugebieten am Ortsrand von Weiden. Regelkonforme Gebäude füllen ganze Straßenzüge, lediglich in Farbnuancen variierend; eine Abfolge von Doppelhäusern mit dazwischen freigestellten Doppelgaragen mit Satteldach, die den Eindruck einer gedankenleeren Gleichförmigkeit vermitteln. Auch additive Rundbogenvordächer können die vorherrschende Monotonie nicht mindern. Da liegt die Frage nahe, ob die Regularien für die gebaute Einfallslosigkeit verantwortlich sind. Sind es die exakten Anforderungen und die monokausale Abhängigkeit von Renditeerwartungen, die zur Mittelmäßigkeit auf kleinstem gemeinsamen Nenner führen oder ist es die ständige Wiederholung von immer gleichen Kubaturen, Fassaden, Elementen und Materialien?
THEMA MIT VARIATIONEN: sixpack Supersize
Aber es gibt auch qualitätvolle Ausnahmebauten, die unter gleichen Rahmenbedingungen entstanden sind: In einem von weberwürschinger Architekten aus Berlin in Weiden realisierten Projekt lässt sich gut nachvollziehen, welcher Spielraum sich eröffnet, wenn die Anforderungen zwar ernst genommen, aber nicht als wörtliche Handlungsanweisungen verstanden werden. Mit dem Entwurf ihrer drei Doppelhäuser an der Mooslohstraße, im Übergang zu einem ehemaligen Bauernhof mit dahinter liegendem Landschaftsschutzgebiet, zeigen sie, was realistisch möglich ist, wenn man über die aktuellen Anforderungen der »housing division« hinausdenkt.
Die drei Doppelhäuser von nahezu gleicher Kubatur stehen giebelständig an der viel befahrenen Ortsausfallstraße. Eine kleine Stichstraße erschließt hangabwärts eine rückwärtige, großflächig versiegelte Erschließungszone im Überformat. Hier befinden sich die Stellplätze – 6 x 3,5 Meter für die Pick- ups und SUVs – sowie die Zufahrten zu den Garagen im Sockelgeschoss, dazu ein eigenes Nebengebäude für die Satellitenfernsehanlage der sechs Wohneinheiten. Was an den Häusern auf den ersten Blick irritiert, ist der Maßstab: Doppelhäuser XXL. In dieser Kubatur vermutet man nicht jeweils zwei Doppelhaushälften, sondern mehrere Geschosswohnungen.
Der Grund für diesen Maßstabssprung liegt in einem konzeptionellen Weiterdenken über die heutigen Gegebenheiten hinaus. Was wäre, wenn die Amerikaner abziehen würden und tausende von Wohnungen schlagartig leerstünden?
Dieser Gedanke ist als Szenario in den Entwurf eingeflossen, lässt Luft und baut auf Nachhaltigkeit. Denn innerhalb der Kubaturen sind auf zwei Geschossen zwar die exakten Raumanforderungen der heutigen Nutzer realisiert, im Sockel jedoch bisher nur die Garagen und Nebenräume integriert, die Dachgeschosse werden augenblicklich als zusätzliche Abstellräume genutzt.
Später lassen sich innerhalb dieser XXL-Gebäudehülle Wohnformen in fast unzähligen Varianten und Nutzungsmischungen realisieren. Sie reichen von zwei Wohneinheiten mit integriertem Gewerbe über mehrere Geschosswohnungen bis hin zu betreutem Wohnen mit Dienstleistungseinrichtungen oder zwölf Apartments und barrierefrei zugänglichen Wohnungen im Sockel. So kann künftig auf die veränderlichen Ansprüche des Wohnungsmarkts reagiert werden und es können vom Patchwork-Generationenwohnen bis zu kleineren Wohn-Büroformen fast alle denkbaren Möglichkeiten ohne größere bauliche Eingriffe realisiert werden.
Die heutige Nutzung bildet daher nur einen kleinen Ausschnitt für die langfristig ausgelegte Lebensdauer der Gebäude. Die Lage der Häuser ist so gewählt, ›
› dass sie innerhalb des Ortszusammenhangs noch gerade nahe genug zu Stadtzentrum und Bahnhof und in direkter Nähe zum Grünzug am Orthegelmühlbach liegen. Langfristig könnte man die Wohnanlage um drei weitere Gebäude ergänzen und dazu den heute überdimensionierten Erschließungshof in einen großzügigen Wohn- und Spielhof verwandeln.
Variabilität und lesbarkeit
Auch in Konstruktion und Detaildurchbildung ist die Variabilität bereits konsequent angelegt. Zwischen den Betonsteinaußenwänden des Massivbaus spannen die Decken über die Schmalseite auf die zweischalige Kommunwand (für eine spätere Realteilung); alle weiteren Wände sind nicht tragend. Im Gebäudekern liegt die Erschließung der Doppelhäuser, deren angewendelte Treppen später durch ein zweiläufiges Treppenhaus an gleicher Stelle ersetzt werden können, die dann den Kern für die Grundrissalternativen bilden. Bei der Bauphysik und Haustechnik wurden keine Experimente gemacht: Die hinterlüftete Wärmedämmung (18 Zentimeter) entspricht hohen EnEV-Standards (siehe hierzu Detailbogen, S. 104), die Gasheizung ist im Dachraum untergebracht. Die Installationen sind schon so vorbereitet, dass später einmal alle Grundrissvarianten haustechnisch problemlos realisierbar sind und auf dem blecheingedeckten Dach eine Solaranlage angeschlossen werden könnte.
Das konzeptionelle Weiterdenken zeigt sich am besten im gestalterischen Ausdruck der Fassade. Die mit einer Vergrauungslasur behandelte heimische Lärchenholzschalung deutet bereits an, wo die weiteren Fenster liegen werden. Da man aus Kostengründen auf Lagerware zurückgriff, wurden mittels der definierten Brettlängen (3 Meter/ 4 Meter/ 5 Meter) die notwendigen Stöße so gesetzt, dass die konstruktiv notwendigen horizontalen Fugenhölzer die Fassade gestalterisch anspruchsvoll gliedern und sich die Blindfenster abzeichnen. Durch diese klare formale Struktur und dadurch, dass die Fensterstürze für alle möglichen Varianten in die Außenwände schon jetzt konstruktiv integriert wurden (ebenso die Auswechslungen im Dachstuhl), werden spätere Fassadenanpassungen sehr einfach; lediglich die Schalung und die Mauersteine unter den Stürzen müssen entfernt werden, um Fenster neu zu platzieren oder weitere einzubauen. ›
› Betrachtet man das Gesamtensemble vor Ort, wird deutlich, dass, obwohl die Baukörper fast identisch anmuten, die Oberflächen gleich, die Fensterformate unterschiedslos sind, dabei allen Regeln und Anforderungen der Mietverträge entsprochen wurde und Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit ein entwurfsbestimmendes Thema waren, keine Tristesse und Monotonie entstanden ist.
Liegt es daran, dass es kleine Varianten gibt: zum Beispiel die differenzierte Lage der Loggien oder das schräge »Anschneiden« der Gesamtkubatur, um die Blickachsen der Umgebung aufzunehmen? Sind es die Fugenhölzer, die formal-grafisch als »Störer« in der Fassade wirken und so die Gleichartigkeit brechen? Vermutlich liegt es aber daran, dass man spüren kann, dass die Architekten die zum Teil recht bizarren Rahmenbedingungen zwar einerseits ironiefrei akzeptierten, jedoch weiterdachten, mit komplexen planerischen Entscheidungen reagierten – ohne diese selbst zur Schau zu stellen – und dann wenige architektonische Elemente passend zum knappen Budget einsetzten. Das Resultat: zurückhaltend, regelgerecht gut und garantiert monotoniefrei. •
  • Architekten: weberwürschinger Gesellschaft von Architekten mbH, Michael Weber, Klaus Würschinger und Haye Bakker, Berlin Mitarbeiter: Rui Alves, Katharina Bonhag, Joana Mendo, Lea Niewöhner, Ralf Klabunde Tragwerksplanung: Bräutigam Consult, Ernst Bräutigam, Nabburg Bauherr: Wilhelm Weber, Weiden Bausumme (KGR 300–400): 1 245 000 Euro netto BGF: 1 698 m2 BRI: 7 370 m3 Bauzeit: April 2005 bis März 2007 (Bezug ab Mai 2007)
  • Beteiligte Firmen: HLS und Spenglerarbeiten: Hans Lang & Sohn, Weiden Zimmermannsarbeiten: Pleysteiner Holzbau GmbH, Pleystein Rohbauarbeiten: Töppel Bau GmbH, Vohenstrauß
Weitere Informationen finden Sie auf dem Detailbogen, S. 104
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