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Institut du Monde Arabe

1982-87
Institut du Monde Arabe

    • Architekten : J. Nouvel, G. Lézénès, P. Soria und Architecture Studio

  • Text: Sebastian Niemann
    Fotos: Georges Fessy, Philippe Ruault
»Die Südfassade des Institut du monde arabe verfügt über 240 mobile Moucharabiehs: Diese stellen eine Neuinterpretation des traditionellen arabischen Architekturelementes dar und sorgen für eine automatische Regulierung der Sonneneinstrahlung.« So etwa lautet die Beschreibung des »Institut du monde arabe« (IMA, Institut für die arabische Welt), die vom Personal des Gebäudes vorgetragen wird. Ähnlich dürfte auch die Erläuterung eines Professors in der Vorlesung über die Baugeschichte des 20. Jahrhunderts ausfallen, in der das IMA seit Langem einen genauso festen Platz hat wie im Programm eines architekturinteressierten Paris-Touristen. Wenngleich die Identifikation des gesamten Bauwerkes über eine einzige Fassade zu funktionieren scheint, lässt sich die Architektur insgesamt dennoch nicht darauf reduzieren: Der Entwurf, mit dem 1982 eine Gruppe junger französischer Architekten um Jean Nouvel den Wettbewerb für sich entschied, überzeugte zunächst durch seine bestechende Klarheit. Das Programm – ein die diffuse inhaltliche Ausrichtung des IMA repräsentierender Mix von Ausstellung, Bibliothek, Vortragsräumen, Restauration und Verwaltung – wird souverän und vor allem kompakt abgehandelt.
Auch auf jede Frage aus der komplexen städtebaulichen Situation wird eine einfache Antwort gegeben, wodurch sich das Gebäude wie selbstverständlich in diesen besonderen Ort einpasst. Gliederung und Höhe der Baumassen vermitteln zwischen dem historischen Zentrum von Paris und der ehemaligen Vorstadt Saint-Germain. Die nördliche Straßenfront des Riegels entlang der Seine wird weitergeführt und mit Schwung in einen offenen Kreuzungsbereich umgeleitet, wo ein weiteres Element die Blicke auf sich zieht, der Turm der Bücher. Spiralförmig schraubt sich dieser hinter einer Glasfassade acht Geschosse in die Höhe und dominiert so unter anderem die Blickachse von der Brücke über die Seine. Zwischen geschwungener Fassade und kantigem, von etagen-hohen Quadraten gerasterten Turm öffnet sich ein Spalt, der zum Innenhof führt und von hier aus den Blick auf Notre-Dame frei gibt.
Die kleinteilige Nordfassade ist durch horizontale Aluminiumlamellen klassisch in die drei Teile Sockel, Mittelteil und Attika gegliedert und trägt auf ihrer gläsernen Oberfläche die Zeichnung einer historischen Stadtsilhouette.
Im Süden hält das Gebäude Abstand zum Universitäts-Komplex aus den sechziger Jahren und schafft so einen großen Vorplatz, welcher der breiten Südfassade eine zentrale Bedeutung zukommen lässt. Auch hier sind den Etagen große quadratische Felder vorgehängt, die jedoch zusätzlich zwischen ihren Glasscheiben jenes System aus Edelstahl-Blenden enthalten, das heute als Identifikationsmerkmal für die Architektur des IMA dient.
Die Blenden werden über einen automatischen Mechanismus, ähnlich dem Verschluss eines Fotoapparates, je nach Sonneneinstrahlung geschlossen bzw. geöffnet. Neben dieser eher banalen Funktion schaffen Geometrie und Anordnung der Blenden einen Bezug zur traditionellen arabischen Baukunst. Ursprünglich erlaubten die Moucharabiehs [1], vor allem den Frauen, das Treiben auf der Straße zu beobachten ohne selbst gesehen zu werden. Sie wurden dafür nach einem geometrischen Plan aus kleinen Holzstücken zusammengesetzt und dienten insbesondere der Gestaltung von Fenstern, Balkonen und Trennwänden. Als Neuinterpretation in Form und Ausführung wurde dieses Element hier in die zeitgenössische, abendländische Architektur eingefügt. Es wurde dabei nicht ironisch-postmodern zitiert, sondern bekam über seine technisch ausgefeilte Herstellung einen eigenständigen Wert zugesprochen.
Das direkte Ergebnis dieses »Geniestreiches« ist ein außergewöhnliches Zusammenspiel aus Form und Funktion, aus Geometrie und Bewegung, aus Licht und Schatten, das tags wie nachts für eine Immaterialisierung des Raumes sorgt. In den mobilen Moucharabiehs wird die Suche der Architekten nach einer radikalen Aussage am deutlichsten ablesbar – eine Architekturauffassung, welche gleichwohl dem gesamten Entwurf innewohnt.
Ähnlich wie die Reduzierung des Projektes auf die Südfassade, vollzieht sich zur Eröffnung im Jahre 1987 auch die Suche nach dem Autoren des Projektes: Welches Genie steckt hinter dieser aufsehenerregenden architektonischen Geste?
Schnell wird Jean Nouvel aus dem Team seiner damaligen Partner Gilbert Lézénès und Pierre Soria sowie dem Architecture Studio (Martin Robain, Jean-François Galmiche, Rodo Tisnado, Jean-François Bonne) isoliert und als Autor des Projektes gefeiert. Nouvel findet mit dem IMA Einzug in das internationale Star-System der Architektur. Er wird zur Leitfigur – zugleich vorantreibende Speerspitze und nutznießender Repräsentant – einer Generation französischer Architekten, die bis dato kaum Projekte realisieren durfte.
Die Bürogemeinschaft, die sich in den siebziger Jahren auf der Suche nach Möglichkeiten zur Überwindung der Postmoderne formierte und deren Schlüsselprojekt das Institut du monde arabe ist, zerbricht wenig später an den Nebenwirkungen des Erfolges.
»Die Zukunft der Architektur ist nicht mehr architektonisch.« [2] Parolen wie diese sind bis dahin nur schwer verständliche Teile von Manifesten, die noch nach einer gebauten Bestätigung suchen. Der gewonnene Wettbewerb für das IMA bietet die Möglichkeit, diese Positionen zu verifizieren und voranzutreiben. Das Gebäude ist schließlich das Produkt eines langwierigen Diskussionsprozesses.
Der disziplinfremde Einfluss vor allem von Szenografie und Film auf die Wahrnehmung der Architekten materialisiert sich im Institut du monde arabe. Die räumlichen Sequenzen, beispielsweise vom beengten Eingang zum überhohen Atrium der Fahrstühle, und die szenische Inszenierung der Räume, insbesondere das Zitat der scheinbar endlosen Säulenreihen von Moscheen im Untergeschoss, entstammen keinem damals gängigen Architekturvokabular. Die einzelnen Elemente des Projektes sind dabei nahezu übergangslos aneinandergefügt.
Der architektonische Ausdruck nutzt Gegensatz, Widerspruch und Provokation, um »die schläfrigen Monster der unbedachten Gewohnheiten (…) aufzuscheuchen.« [3] Diese Radikalität ist es auch, die dem Wandel der Zeit als Erstes zum Opfer zu fallen scheint: Nur wenige Jahre nach Fertigstellung des IMA beschwert sich Jean Nouvel, dass »das Erdgeschoss ohne mich (!) umgebaut wurde.« [4] Während er die ihm zugespielte Rolle als »Schöpfer« längst angenommen hat, klagt er über eine Veränderung im Eingangsbereich (Einzug einer Decke über dem Luftraum zum tiefer liegenden Ausstellungsbereich hinter der Südfassade), welche »die Eigenarten dieses Ortes verhunzt.« [5] Er interpretiert diesen Eingriff als »Form der Banalisierung «, in der »der ‚gute Geschmack’ (…) wörtlich das Störende beseitigt.« [6] Später folgen weitere Veränderungen: u. a. Umbauten im Hof, eine dauerhaft-temporäre Konstruktion eines Antik-Bazars auf dem Vorplatz und ein großes Werbeplakat am Turm der Bücher.
Sogar die 240 mobilen Moucharabiehs der Südfassade sind vor der Zeit nicht geschützt und bieten heute ein recht ungleichmäßiges Bild in ihrer Regulierung der Sonneneinstrahlung. Ob der Mechanismus nie funktionierte, durch Verschleiß beschädigt wurde oder sogar, wie manche behaupten, wegen seines Geräuschpegels vorsätzlich abgeschaltet wurde, ist weder eindeutig festzustellen noch ist es für die Bedeutung des Projektes von besonderem Interesse.
Heute kann der Besucher vor Ort zu jeder vollen Stunde sogar eine Demonstration der beweglichen Fassadenelemente erleben. Diese pädagogisch-touristische Vorführung verdeutlicht die Ambivalenz der mobilen Moucharabiehs, deren Gestaltung sich zwischen banaler Funktion und bildhafter Wirkung bewegt.
Paradoxerweise sind diese Elemente (wie auch das gesamte Projekt) nun zu einem gebauten Manifest einer nach Immaterialität und Flüchtigkeit strebenden, radikal-zeitgenössischen Architektur geworden. Denn im Institut du monde arabe konnte die Gruppe der Architekten um Jean Nouvel schließlich ihre eigenen Parolen verwirklichen und »das Ornament wagen« [7].
[1] aus dem Arabischen: machrabiyyah
[2] J. Nouvel, C. Hauvette, M. Gravayat, M. Robain: Fragments : en différé… in: L’Architecture d’Aujourd’hui Nr. 231, Februar 1984, S. 2 (alle Zitate als Übersetzung des Autors)
[3] J. Nouvel, C. Hauvette, M. Gravayat, M. Robain: Fragments : en différé… a.a.O.
[4] J. Nouvel: jeu de massacre in: L’Archite ture d’Aujourd’hui Nr. 296, Dezember 1994, S. 3
[5] ebd.
[6] ebd.
[7] J. Nouvel, C. Hauvette, M. Gravayat, M. Robain: Fragments : en différé… a.a.O.
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