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… in die Jahre gekommen: »Fisher House« in Philadelphia

1960-67, Louis Kahn
… in die Jahre gekommen: »Fisher House« in Philadelphia

Beim Fisher House im Bundesstaat Pennsylvania hat Louis Kahn das Material Holz auf vielfältige Weise, pragmatisch und gestalterisch kunstvoll, eingesetzt: Es bildet das Tragwerk, ist Fassadenbekleidung und dient zugleich der Möblierung – die teilweise sogar aus der Fassade herauszuwachsen scheint. Nicht zuletzt aufgrund dieser Details wird das Haus so zu einem der wichtigsten Wohnhäuser des 20. Jahrhunderts in den USA.

Architekt: Louis Kahn
Kritik: Jochen Eisenbrand
Fotos: Urs Büttiker, Roberto Schezen u. a.

Als sich die Eheleute Norman und Doris Fisher im Jahr 1960 an Louis Kahn wandten, um ihn mit der Planung ihres Hauses zu beauftragen, brachten sie drei gute Voraussetzungen für die Zusammenarbeit mit dem Baumeister mit: einen idyllisch gelegenen Bauplatz unweit von Philadelphia, der Stadt, in der Kahn sein Büro hatte; ein zwar moderates, aber doch ausreichendes Budget von 45 000 US Dollar; und schließlich: sehr viel Geduld. Denn bis die Fishers mit ihren beiden Töchtern in ihr neues Heim in Hatboro, Pennsylvania, einziehen konnten, sollten sieben Jahre vergehen. Ein Grund dafür war Kahns schon beinahe berüchtigte Angewohnheit, den Grundriss eines Projekts immer wieder von Grund auf neu zu denken, sobald sich auch nur ein Element des Ganzen verschob. Der andere Grund war, dass die Karriere des 1903 geborenen Architekten damals an einem entscheidenden Wendepunkt stand. Hatte er sich bis dahin nur unter Experten einen Namen gemacht, wurde Kahn um 1960 durch einen Laborbau für die University of Pennsylvania auf einen Schlag international bekannt. Zeitschriften weltweit berichteten über die archaisch anmutenden Richards Medical Towers aus Fertigbetonteilen und Backstein (1957-61) und das Museum of Modern Art widmete dem Bau sogar eine eigene Ausstellung.
Nicht nur aus Kostengründen
Trotz mehrerer großer Aufträge, die jener Erfolg nach sich zog, traf sich Kahn weiterhin im Schnitt alle zwei Monate mit den Fishers, um die Pläne für deren Haus zu besprechen. Schon früh standen dabei zwei Punkte fest: Das Haus sollte aus einem »privaten« Trakt mit Schlafzimmern und Bädern und einem »öffentlichen« Wohntrakt mit Küche, Wohn- und Esszimmer bestehen; und es sollte – in Anlehnung an die Bauweise historischer Farmerhäuser in Pennsylvania – aus Bruchstein der Gegend und aus Holz konstruiert sein. Holz schätzte Kahn zudem als flexibles und formbares Baumaterial. Auch bei großen, institutionellen Bauten wie dem etwa zeitgleich entstandenen Salk Institute im kalifornischen La Jolla (1959-65) verwendete Kahn Holz, hier jedoch eingesetzt in eine tragende Sichtbetonkonstruktion. Mit Fensterrahmen, Schiebeläden und Innenausbauten aus Holz definierte Kahn dort die sogenannten Studiertürme mit den privaten Rückzugsräumen für die Wissenschaftler des Instituts als wohlige »places of oak and rug« im Kontrast zu den gemeinschaftlichen Laboratorien als »places of steel and glass«.
Bis beim Fisher House 1964 endlich mit dem Aushub begonnen werden konnte, machte Kahn insgesamt fünf Entwürfe. Anfänglich plante er, einen Teil des Hauses komplett aus Bruchstein zu konstruieren und darin das Esszimmer unterzubringen, aus Kostengründen musste er jedoch darauf verzichten. Nachdem Kahn in den ersten beiden Jahren an einem länglichen Baukörper gearbeitet hatte, hatte er 1963 den für die endgültige Komposition des Grundrisses entscheidenden Einfall: Er trennte den Wohn- vom Schlaftrakt ab und positionierte die beiden dadurch entstandenen Kuben im 45 °-Winkel zueinander. So stößt die Südspitze des Wohnkubus‘ auf die Nordfassade des Schlafkubus‘ und bildet dort die Verbindung zwischen den beiden Trakten. Ein dritter, kleinerer Kubus beherbergt Gartengerät und Gebäudetechnik. Die beiden Kuben mit insgesamt 180 m² Wohnfläche ruhen auf einem Fundament aus Bruchstein und passen sich, bei gleicher Traufhöhe, dem Gelände an, das zu einem Bach auf dem Grundstück hin abfällt. Unter dem Wohnkubus, der zum Garten hin ausgerichtet ist, bilden aufgrund des Gefälles Bruchsteinmauern den Keller aus.
Tragwerk, Beplankung und Möbelstück
Die tragende Pfosten-Riegel-Konstruktion des Fisher House wurde außen mit je zwei Reihen vertikal verlaufender Zypressenbretter beplankt. Deren Länge variiert von Fassade zu Fassade und leitet sich jeweils von der Anordnung und den Dimensionen der Fenster ab. Über Nut und Feder ineinandergesteckt, bleiben die Bretter bei Klimaschwankungen beweglich und die Fassaden frei von sichtbaren Schrauben und Nägeln. Den Stoß zwischen der oberen und der unteren Lage der Holzbekleidung betont eine horizontal verlaufende Tropfenleiste, die rund ums Haus entsprechend die Höhe wechselt. Rhythmisiert wird die Fassade zudem durch die unregelmäßig angeordneten und verschieden großen Fenster. Diese schließen entweder bündig mit der Außenfassade ab und sind dann von Vertäfelungen eingefasst – oder sie springen zurück und sitzen in Nischen, sodass sie auch bei Wind und Regen geöffnet werden können. Über die vergangenen viereinhalb Jahrzehnte verwitterte die Fassade allerdings etwas, was zwischenzeitlich zu einer »erfolgreichen Auffrischung« (so die Fishers im Gespräch mit dem Architekten Urs Büttiker, Anmerkung Red.) führte – eine umfassende Sanierung war jedoch nicht nötig. Insgesamt mutet das Haus bis heute bereits von außen wie ein mit äußerster Sorgfalt getischlertes Möbelstück an. Ein Eindruck, der sich im Innern fortsetzt, wo Einbaumöbel und Türen formal schlicht, jedoch konstruktiv aufwendig und präzise aus Eichenholz gefertigt wurden.
Hinter dem Hauseingang an der Westseite des Schlaftrakts liegt der Eingangsflur, der beide Teile des Hauses erschließt. Von hier geht es in die Schlafzimmer und Bäder, die über zwei Etagen verteilt sind, sowie in den Wohnbereich, der, auf einer Ebene angesiedelt, die volle Raumhöhe des Kubus‘ ausnutzt. Raum prägendes Element ist ein imposanter Kamin, der aus dem gleichen Stein wie Fundament und Kellerwände gemauert wurde. Bei aller technischen Aufrüstung, die insbesondere die US-amerikanische Küche in den 60er Jahren erfuhr, sah Kahn in der Feuerstelle immer noch den zentralen Ort eines Hauses. Frei im Raum stehend schirmt der – auf der Vorderseite plane und auf seiner Rückseite halbrunde – Kamin Wohn- und Esszimmer voneinander ab, während die Küche hinter halbhohen Wänden einen eigenen Bereich bildet. Jene Wände sind, wie auch die übrigen Innenwände, verputzt. Schattenfugen markieren den Übergang von verputzter Wand zu Holzelementen.
Kunstvolle Komposition
Den prominentesten und schönsten Platz des Hauses bildet eine dem Kamin gegenüberliegende Sitzecke. Eine kunstvolle, über Eck verlaufende, dreidimensionale Komposition aus Holz und Glas mit eingebauter Bank rahmt den Blick in die Natur und holt sie zugleich ins Haus. Und sie hat noch eine weitere Bedeutung, denn Kahns Ansicht nach sollte sich an einem Bau ablesen lassen, wie er gemacht wurde, wie seine Bauteile aneinandergefügt wurden. Ein hoher Anspruch, für den er insbesondere beim Bauen mit Sichtbeton wegweisende Lösungen fand, dem er beim Fisher House und seinen mit Holz und Putz bekleideten Wänden jedoch nicht überall gerecht werden konnte. Dafür zelebrierte er gerade mit dieser Ecke des Hauses die Möglichkeiten einer »offenliegenden« Holzkonstruktion meisterhaft.
Doris Fisher lebte nach dem Tod ihres Mannes noch bis Herbst 2008 in ihrem Haus. Bereits 1995 hatte die Familie beschlossen, das Haus dem National Trust zu stiften, um es für die Nachwelt zu bewahren. Dieser versah den Besitz mit einer Reihe von Denkmalschutz-Auflagen und sorgte dafür, dass er im Herbst 2012 ins nationale Register historischer Orte aufgenommen wurde. Inzwischen wurde das Haus von einem Europäer für 600 000 US Dollar gekauft. Er ist verpflichtet, es dreimal im Jahr für Studienbesuche zugänglich zu machen. Das Interesse ist da, denn längst zählt das Fisher House zu den wichtigsten Wohnhäusern des 20. Jahrhunderts. •
Standort: 197 East Mill Road, Hatboro, USA-19154 Philadelphia (PA)
~Jochen Eisenbrand
1970 in Stuttgart geboren. 1992-98 Studium der Kunstwissenschaften an der Uni Lüneburg. 1998-2000 wiss. Mitarbeit am Vitra Design Museum, Kurator und derzeit Chefkurator. 2007-10 Mitglied des Ankaufkomitees der regionalen Kunststiftung FRAC in Orléans (F). Ausstellungsprojekte und Veröffentlichungen. Promotion.

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