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In der Marsch

Neuordnung der Nolde-Stiftung Seebüll bei Neukirchen
In der Marsch

In der Nähe des nordfriesischen Ortes Neukirchen, zehn Kilometer von der Küste entfernt, schuf Emil Nolde in den Jahren 1927–37 einen Ort, an dem Kunst, Natur und Architektur eine außergewöhnliche Verbindung eingehen und der noch heute eng mit seinem Leben und Werk verbunden ist. 2007 ließ die 1957 gegründete Nolde-Stiftung drei Neubauten errichten, die einerseits sensibel auf den Bestand eingehen und andererseits große Eigenständigkeit beweisen, wodurch die besondere Atmosphäre des Ortes weiter gestärkt wird.

    • Architekten: Walter Rolfes Architekten Tragwerksplanung: Theobald und Partner

  • Kritik: Ulrike Kunkel Fotos: Helmut Kunde, Walter Rolfes
Nachdem man das niedrige, weiße Gartentor passiert hat, führt der schnurgerade Kiesweg entlang eines schilfgesäumten Sielgrabens auf das Ensemble der Nolde-Stiftung zu: das Museum – untergebracht in Noldes Wohn- und Atelierhaus – der Bauerngarten mit Teich, das Mausoleum – in dem Emil Nolde und seine Frau Ada beigesetzt sind – sowie die drei Neubauten »Forum«, »Kontor« und »Botanikum«. Von Bäumen gesäumt, sind die Gebäude im Näherkommen kaum zu sehen bis auf der rechten Seite unvermittelt ein großer Glasbau auftaucht – das Forum, der neue Eingangsbau für die Gesamtanlage, die sich seitlich und dahinter erstreckt. Der Weg, der auf Höhe des Forums von einer langen Bank begleitet wird, führt am südlichen Rand des Geländes weiter und geht schließlich in einen Wiesenweg über.
Der besondere Ort
Als Emil Nolde 1926 die unbebaute Warft in der Landschaft des »Gotteskoog« einschließlich des nahe gelegenen Hofs Seebüll und der dazugehörigen Ländereien erwarb, waren weite Teile des Koogs noch Wasserflächen. In den folgenden Jahrzehnten entstand die heutige, von Gräben und niedrigen Deichen durchzogene, vorwiegend als Weiden genutzte Landschaft mit weit auseinander liegenden Höfen. Unter Mitwirkung des befreundeten Architekten Georg Rieve plante Nolde nach seinen eigenen Vorstellungen zwischen 1927 und 1928 ein Atelier- und Wohnhaus, das er 1934–37 durch einen Bildersaal erweitern ließ. Der aus klaren, geometrischen Formen zusammengesetzte Bau aus Bockhorner Klinkern erhält sein eigenwilliges Aussehen vor allem durch die Anordnung der Fenster sowie durch zwei dreieckige Erkerbauten, deren Dächer sich an der Form damaliger Heuhaufen orientieren. Am Fuße der Warft legte Nolde einen Bauerngarten an, in dem Dahlien und Astern noch bis lange in den Herbst hinein in zahlreichen Farben blühen. ›
› Seit den fünfziger Jahren waren auf dem Gelände fünf im Vergleich zum Nolde-Haus eher grob anmutende Bauten errichtet worden, die den zunehmenden Platzbedarf der nach Noldes Tod eingerichteten Stiftung deckten. Diese, gestalterisch unbefriedigenden und technisch unzulänglichen Gebäude wurden im Zuge der 2004 begonnenen Neuordnung des Gesamtareals abgerissen und durch drei architektonisch anspruchsvolle Neubauten ersetzt. Wesentlicher Leitgedanke des von der Stiftung beauftragten Architekten Walter Rolfes war es, das Nolde-Haus mit seinem Garten und dem hinterlassenen malerischen Werk des Künstlers als Einheit wiederherzustellen und diesen authentischen Ort mit seiner großen kulturellen Ausstrahlung zusätzlich zu stärken. Durch die Komposition der Gebäude, ihre klare Formensprache sowie die Materialwahl wird dieses Anliegen absolut überzeugend umgesetzt. Die großen Neubauten – Forum und Kontor – wahren respektvoll Abstand zum erhöht stehenden Altbau. Mit ihm sind sie über Sicht- und Wegebeziehungen verbunden und bilden räumlich ein Dreieck aus. Um die jeweils erheblichen Volumen der Neubauten möglichst dezent in der Landschaft zu platzieren, wurde der mittlere Gebäudeteil aus der Dachfläche »herausgeschoben«, so dass die Baukörper wesentlich kleiner erscheinen als sie sind.
Kontor und Forum
Das Erscheinungsbild des Forums und des Kontors spiegelt ihre jeweiligen Funktionen klar wider: Das Kontor, als Sitz der Stiftung, mit Depot der Nolde-Werke, Bibliothek, Büros und Direktorenwohnung, ist nicht öffentlich zugänglich und hat bedingt durch den großen Wert der Sammlung einen extrem hohen Sicherheitsanspruch, aus dem seine kompakte, eher geschlossene Architektur resultiert. Ein Gebäude wie ein Tresor oder ein Schatzkästchen, dessen Längsseite zum Forum hin nur durch wenige Fenster im Bereich der Büros und der Wohnung gegliedert wird, während sie im Sammlungsbereich fensterlos ist. Im Gegensatz zum übrigen Gebäude sind die Wände in diesem Teil auch nicht aus massivem Mauerwerk, sondern aus Beton. Das Kontor ist an den nordwestlichen Rand des Areals gesetzt und somit von den öffentlich zugänglichen Gebäuden und dem Garten leicht abgerückt. Seine besondere Wirkung entsteht durch den außergewöhnlichen, sehr hart gebrannten, dunklen, fast schwarzen, metallisch glänzenden Backstein, der sich am Bockhorner Klinker des Altbaus ›
› orientiert, diesen aber nicht imitiert. Durch ihn wird nicht nur der monolithische Charakter des Gebäudes verstärkt, er verleiht ihm auch sein edles Aussehen, ganz seinem Inhalt entsprechend. Das Ungewöhnliche an diesem, eigens für das Bauvorhaben erdachten und gefertigten Mauerstein ist seine gekippte, leicht spiegelnde Oberfläche, in der das Spiel der Wolken und das in Küstennähe ständig wechselnde Licht sowie die zahlreichen Farben der Natur reflektiert werden. Je nach Wetter, Perspektive des Betrachters, Tages- und Jahreszeit befindet sich die Fassade so in ständiger Veränderung. Unterbrochen und strukturiert wird das wechselhafte Fassadenbild durch einzelne, glatte Läuferschichten, die die oberen und unteren Abschlüsse der Fenster aufnehmen.
Das Forum – als Empfangsgebäude Ort der Kommunikation und Information – mit Kassenbereich, Shop, Restaurant, biografischer Ausstellung, Malschule und Vortragssaal gibt sich dagegen offen und transparent. Die Stahl-Glas-Konstruktion der Außenhaut umschließt eine eingestellte »Skulptur«, die im ersten Geschoss unter anderem die Ausstellung zu Noldes Leben aufnimmt, während im Erdgeschoss Serviceeinrichtungen wie Sanitäranlagen, Schließfächer und die Restaurantküche integriert sind. Die gläserne Gebäudehülle bezieht die Landschaft in die Räume ein; Innen- und Außenraum durchdringen einander, die Übergänge sind fließend. Das Innere ist so gestaltet, dass sich neben den Ausblicken in die Landschaft auch zwischen den Raumeinheiten und den Geschossen vielfältige Blickbeziehungen ergeben.
Die Verschmelzung von Innen und Außen, aber auch die enge, wechselseitige Beziehung der Gebäude zueinander, wird über den Einsatz der Materialien noch unterstützt. So findet sich beispielsweise der Stein des Kontors auch an der dem Kontor zugewandten Seite des Forums und wird außerdem bei beiden Gebäuden in den Innenraum hineingezogen.
Ein Projekt mit Sonderwünschen
Nicht nur der Mauerstein wurde speziell für das Projekt gefertigt, auch die meisten Einbauten – unter anderem flache, lehnenlose Sitzbänke sowie Tresen- und Thekeneinbauten im Shop und Restaurant – wurden von den Architekten mit entworfen und von Handwerksfirmen der Umgebung umgesetzt. Ein Anspruch, der die Projektkosten nicht gerade niedrig hielt, der sich aber allemal gelohnt hat und wesentlich zum stimmigen Gesamteindruck beiträgt. Doch die relativ hohen Gesamtkosten sind nicht ausschließlich gestalterisch, sondern auch konstruktiv begründet. Da die Gebäude in der Marsch stehen, war eine vergleichsweise aufwendige Pfahlgründung erforderlich. Vorteil dabei: 75 der insgesamt 220, 18 Meter langen Pfähle liefern als sogenannte Energiepfähle die Erdwärme für den Betrieb der Fußbodenheizung. ›
› Nach Neuordnung des Geländes der Nolde-Stiftung, die neben den Abriss- und Baumaßnahmen auch die Wiederherstellung der authentischen Bepflanzung des Gartens beeinhaltete, ist in Seebüll ein kraftvoll-poetischer Ort entstanden, dessen Sinneszusammenklang sich nur schwer fassen lässt, wenn man ihn nicht selber erlebt hat. Die klare Sprache der beiden so unterschiedlichen und doch verwandten Neubauten verbindet sie über zahlreiche, subtile Verweise mit der Formidee des Nolde-Hauses und zeugt von einem tiefen Verständnis für die Landschaft und das künstlerische Werk Emil Noldes. •
  • Bauherr: Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde, Seebüll Architekten: Walter Rolfes Architekten BDA Gesellschaft von Architekten mbH, Berlin Projektbearbeitung: Walter Rolfes, Klaus Deterding Mitarbeit: Kirsten Händel, Jan Christof Ferber, Rüdiger Frisch Tragwerksplanung: Theobald und Partner Ingenieure, Berlin Bauleitung: Manfred Schasler, Berlin Mitarbeiter: Andreas Schultze, Janine Burdack Landschaftsplanung: Lützow 7 Cornelia Müller / Jan Wehberg, Berlin Mitarbeiter: Tim Hagenhoff BGF: 2250 m² Umbauter Raum: 7500 m³ Fertigstellung: 2007
  • Beteiligte Firmen: Backsteine: Janinoff, Münster, www.janinhoff.de Glas: Pilkington, Oberried (CH), www.janinhoff.de Stahlfassade: Jansen Profile, www.janinhoff.de Beleuchtung: Glashütte Limburg, www.janinhoff.de; Bega, Menden, www.janinhoff.de Sanitärobjekte: Duravit, www.janinhoff.de Bestuhlung: Thonet, www.janinhoff.de
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