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Hybrid am Berg

Mehrfamilienhaus »Wohnen an der Barnimkante« in der Fehrbelliner Strasse
Hybrid am Berg

Ursprünglich als reines Holzhaus geplant, wurde dieses Projekt zu einer Mischung aus Stahl- und Betontragwerk mit Holzfassaden. So kombiniert es die Vorzüge der drei Materialien: große stützenfreie Räume dank vorgespannter Decken, breite Öffnungen dank Stahlträgern, schlanke Wände dank hochgedämmter Fassadenelemente, die sogar – und das macht das Projekt dann doch zum »Holzhaus« – hofseitig über sieben Geschosse mit Lärchenbrettern verschalt werden durften.

    • Architekten: Susanne Scharabi Tragwerksplanung: TSB Ingenieurgesellschaft

  • Kritik: Christoph Gunßer Fotos: Matthias Broneske, Taufik Kenan
Für Berliner Verhältnisse ist der Prenzlauer Berg tatsächlich ein Berg: Von der Torstraße zum Teutoburger Platz steigen die Straßen besonders steil an. Oben am Platz entstand in einer Baulücke das Projekt »Wohnen an der Barnimkante«, das die geologische Besonderheit dieses eiszeitlichen Randes zum Thema macht. Ohne die einheitliche Berliner Traufhöhe von 22 m zu durchbrechen, überragt das neue Haus seine Hinterhoflandschaft um volle zwei Geschosse – und gestattet seinen Bewohnern ein Panorama der gesamten Innenstadt. Mit dieser Lage als Startkapital gelang es der Architektin, ein auch ansonsten ungewöhnliches Haus zu realisieren. Seit den 90er Jahren im Kiez heimisch, wohnte sie zuletzt im heruntergekommenen Nachbarhaus, das sie 2004 denkmalgerecht sanierte und umbaute. So entstand gemeinsam mit dem Eigentümer der Baulücke (praktischerweise ihr Ehemann) die Idee, hier einen Neubau zu realisieren: ein Vorderhaus mit einem an die Brandwand des Nachbarhauses gebauten Seitenflügel. Nachdem dafür zunächst eine Baugruppe im Gespräch war, die mit der Architektin das Pionierprojekt eines reinen siebengeschossigen Holzhauses wagen wollte, entschied sich das Paar doch zu einer Lösung in Eigenregie. Zu groß schienen die Risiken einer solchen Pioniertat. Die Baugruppe fand andernorts eine Lücke: In der Esmarchstraße 3 baute sie (mit den Architekten Kaden+Klingbeil) tatsächlich ein »reines« Holzhaus, bei dem das Material aber aus Brandschutzgründen zugeputzt wurde.
»Sichtholz«
Die Architektin findet solche Kompromisse fragwürdig. Sie wollte das Holz, zumindest auf der Hofseite, sichtbar lassen. Im ökologisch sensibilisierten Prenzlberg sollte das ein zugkräftiges Wohlfühl-Argument sein. Holz als Tragwerk aber hätte nicht die stützenfreien Innenräume ermöglicht, die ›
› für einen Verkauf der Wohnungen auf dem freien Markt ratsam sind. Anders als eine Baugruppe, die schon früh ihre Grundrisse festlegen kann, schätzen Bauträger die Flexibilität, um unterschiedliche Bauherren anzusprechen. Also entstand die Mischkonstruktion aus Stahlskelett, weit spannenden Betondecken und nichttragenden Holzrahmenwänden. Während die ruhig gegliederte Platzfassade mit anthrazitfarbenen Faserzementplatten bekleidet wurde, durfte die Hoffassade freier gestaltet werden. Breite, fast geschosshohe Öffnungen am Vorderhaus und schmale Schlitze am Seitenflügel stehen sich gegenüber. Geschickt wurde ein »Berliner Zimmer« vermieden, indem im schwer zu belichtenden Zwickel zwischen den zwei Baukörpern das großzügige Treppenhaus untergebracht wurde.
Zwei Brandschutzgutachten für die Holzbeplankung
Um die Beplankung jedoch wurde lange gerungen. Die Berliner Bauordnung lässt Holz als Bekleidungsmaterial im Geschossbau nicht zu. Die Bauaufsichtsbehörde verlangte folglich ein Brandschutzkonzept, das die Abweichung durch ein Gutachten absicherte. Zwei Gutachten, letzteres quasi amtlich von der Materialprüfanstalt in Leipzig, waren schließlich notwendig, um die Beamten davon zu überzeugen, dass die geschossweise angebrachten horizontalen Bleche und ein Wandaufbau mit feuerhemmenden Calziumsilikatplatten den Brandüberschlag an der Holzfassade ebenso lange hinauszögern wie ein Verputz. Mehrere Monate Verzögerung kostete der Streit – ein Präzedenzfall, gewiss.
Die Bretter aus unbehandelter, astreicher Lärche geben im Kontrast zu den leichten stählernen Geländern und der gewendelten Fluchttreppe ein gelungenes Bild ab. Fern einer deplatzierten Zirbelstüberl-Romantik bringen sie doch etwas natürlich Warmes, Leichtes, Weite Atmendes in die Enge des steinernen Berlin – als sei an der Barnimkante ein Bootsanleger der Eiszeit wiedererstanden…
Integration in den Stadtraum
»Die Straße ist der Innenraum der Stadt«, sagt die Architektin und fügt das Haus außen, auf der Platzseite, unauffällig ein. Flankiert von zwei prächtigen Baudenkmälern, wäre jede aufgeregte Pose dem Haus auch schlecht bekommen. Zwanzigmal dasselbe französische Fensterformat (aus Lärchenholz), in Vierergruppen geschossweise abgesetzt und nur leicht »baugruppenmäßig« verwackelt angeordnet, sagen schlicht: Hier wird gestapelt gewohnt, mit nicht ganz so üppiger Deckenhöhe wie nebenan (immerhin 2,80 m) und geschossweisen Variationen im Grundriss. Erst über der Traufkante weicht die Zurückhaltung: Schon beim Umbau des denkmalgeschützten Nachbarhauses konnte statt des verlangten Schrägdachs eine verglaste Gaube durchgesetzt werden. Nun gelang es der Architektin sogar, ein geräumiges Staffelgeschoss zu realisieren, das in der Straßenflucht zwar kaum in Erscheinung tritt – erst vom Platz aus sieht man den »Kasten« –, ein Nachbarhaus indes deutlich überragt.
Hell und flexibel – das Innere
Wie die äußere Erscheinung, so vermeidet die innere Gestaltung das Auffällige, Luxuriöse. Die elf Wohnungen – sieben im Vorderhaus, vier im Seitenflügel, darunter eine Maisonettewohnung – sind alle verschieden. Drei Installationskerne lassen die Küche mal vorn, mal hinten stehen, mal wird durchgewohnt, mal konventionell in Zimmern. Pastell- oder erdfarben getönte Wände geben den Räumen Tiefe und setzen sehr schöne Akzente. Die Käufer seien der ursprünglichen Baugruppe ähnlich, sagt die ›
› Architektin, mehrere junge Familien mit Kindern leben im Haus. Der um die Mittagszeit sonnige Hof konnte mit dem des Nachbarhauses zusammengelegt und einheitlich gestaltet werden (karges Stahlkantendesign von Topotek 1), so dass die Kinder außer den eher schmalen Balkonen etwas Ausweichfläche geboten bekommen. Und dann liegt ja der große Platz gleich vis-à-vis. Eine Baugemeinschaft hätte die Dachterrasse mit dem spektakulären Blick vielleicht allen Parteien zugänglich gemacht.
Im Vergleich zu anderen Neubauten im Stadtteil gibt sich das Haus aber ausgesprochen schlicht und, auf der Straßenebene, freundlich: statt abweisender Fliesen ein Sockel aus Faserzementplatten von nur geringfügig dunklerer Farbe (graffitiresistent), darin ein einladendes großes Schaufenster mit Holztür (das Büro der Architektin), statt eines Tiefgaragenschlundes ein nur schmales, passend lärchenholzbekleidetes Rolltor. So war die Architektin sehr erstaunt, ja verbittert, als Autonome auf die Baustelle einen Anschlag verübten. Mittlerweile scheint die Szene aber beruhigt, vielleicht gar überzeugt. Andere Projekte, etwa der luxuriöse, abgeschottete Marthashof (s. S. 37) werden im Kiez weit kontroverser wahrgenommen als die Barnimkante.
Standard bei der Haustechnik
Im Vermarktungskonzept des Gebäudes wurde die Ökologie großgeschrieben. Schaut man genauer hin, handelt es sich um ein gut gedämmtes Niedrigenergiehaus mit Dreischeibenverglasung und einer (zentralen) Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung. Eine Gasbrennwerttherme mit nur 60 kW versorgt die Fußbodenheizung und wärmt das Brauchwasser. Auf weitergehende Öko-Konzepte wurde indes verzichtet – es gibt keine Solaranlage, keinen Grauwasserkreislauf oder baubiologische Materialien. Beim ersten großen Projekt waren die Planer offenbar unsicher, ob der Markt den Mehraufwand honoriert. Eine Baugemeinschaft mit ihrer klaren Eigentümerstruktur wäre da wohl mutiger gewesen – auch das spricht für diese Trägerschaft.

Der Erfolg der »Barnimkante« lässt Susanne Scharabi inzwischen Größeres wagen: Während sie sich bisher beruflich nur in ihrem Kiez bewegte (derzeit entsteht eine Mensa für die nahe Waldorfschule – ganz aus Holz), ist ihr nächstes Projekt, gemeinsam mit einem Kollegen, eine Baugruppe mit über 60 Parteien in Berlin-Treptow.


  • Adresse: Fehrbelliner Str. 90, 10119 Berlin

    Bauherr: UmBauBüro UBB, Berlin
    Architekten: Architekturbüro Susanne Scharabi, Berlin
    Mitarbeiter: Susanne Scharabi, Alexandra Zintsch, Ingo Andernach, Anita Eyrich, Hendrik Tovar, Davide Tognon, Farid Scharabi
    Tragwerksplanung: TSB Ingenieurgesellschaft, Darmstadt
    Haustechnik: Ingenieurbüro Schiller & Drobka, Belzig
    Brandschutz: Ingenieurbüro Peter, Prenzlau
    Landschaftsplanung: Topotek 1, Berlin
    BGF: 2 250 m2 BRI: 6 850 m3
    Baukosten: 2,7 Mio. Euro (Kostengruppe 300/400)
    Bauzeit: März 2008 bis August 2009
    Energiestandard: KfW 40
  • Beteiligte Firmen: Generalunternehmer: Heinrich Hecker, Oldenburg, www.hecker-bau.com
    Fassadenelemente: Holzbau Hunold, Leinefelde, www.hecker-bau.com
    Fassadenmaterial Straßenseite: Eternit, Heidelberg, www.hecker-bau.com
    Schalter: Albrecht Jung, Schalksmühle, www.hecker-bau.com;
    Berker, Schalksmühle, www.hecker-bau.com
    Außen-Treppenleuchten: BEGA, Menden, www.hecker-bau.com;
    Glashütte Limburg, www.hecker-bau.com
    Tiefgaragentor: Hörmann, Steinhagen, www.hecker-bau.com
    Aufzug: ThyssenKrupp Aufzüge, Stuttgart, www.hecker-bau.com
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