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Hotspot maßstabsgetreu

Théâtre de Poche in Hédé (F)
Hotspot maßstabsgetreu

Bereits zu Beginn der 70er Jahre hatte die Gemeinde in der ehemaligen Markthalle ein Theater installiert. Die neuerlichen Umbauten erbrachten flexible Strukturen, die maximale Offenheit zulassen, aber auch die Abschottung zur »Black Box«. Unterschiedliche Materialqualitäten regen die Sinne der Besucher an und verleihen dem Haus einen informellen Werkstattcharakter.

    • Architekten: Fouquet Architecture Urbanisme

  • Kritik: Wilhelm Klauser Fotos: Philippe Ruault
Das Erstaunliche zuerst: Ein 1 700-Seelen-Dorf leistet sich ein Theater. Eines mit mobilen Rängen, mit einer Regiekanzel, einer Beleuchterbrücke, einer richtigen Bühne und einer Künstlergarderobe. Das Haus wird professionell betrieben: In einem Auswahlverfahren wurde eine eigene Truppe bestimmt, die nun das Programm gestaltet. Man bemüht sich um einen regelmäßigen Spielplan – mindestens zweimal im Monat hebt sich der Vorhang. Es gibt einen eigenen Bereich Jugendarbeit, in der Lobby finden Lesungen statt und manchmal gibt es ein kleines Konzert. Die Tickets kosten 12, reduziert 8 Euro. Es ist kein großes Theater, es gibt gerade einmal 100 Plätze. Eben ein »Taschentheater«. 70 % der Besucher kommen aus den umliegenden Dörfern, der Rest macht sich abends auf den Weg aus dem Metropolenraum Rennes. Die Fahrt über die gut ausgebaute Nationalstraße dauert 30 Minuten.
Die Verblüffung ist gelungen. Während andernorts Kommunen selbst ihre Bibliotheken auf den Prüfstand stellen, wenn Kinderbetreuung oder Tages-mütter als irrelevant erachtet und Schulen geschlossen werden, subventioniert das Dorf Hédé sein Theater jährlich mit 12 000 Euro. Das Dorf nahm die Mühe auf sich, ein komplexes Finanzierungsmodell durchzufechten, um das Gebäude zu modernisieren und umzubauen. Und das Dorf schafft es, eine Finanzierung des Betriebs aus kommunalen, regionalen, aus staatlichen und sogar aus EU-Fördertöpfen herzustellen. Man ist sichtlich stolz. Und man ist traditionsbewusst. Immerhin gibt es das Theater seit 1973, und als vor zwei Jahren die Brandschutzpolizei die Reißleine zog und angesichts der Sicherheitsmängel den Betrieb einstellen wollte, war man sich einig: Das Theater muss weiter existieren. Es galt eine Reputation zu verteidigen. Es ist möglich, auf dem Land modernes Theater zu machen: Théâtre de Poche – Taschentheater. ›
Kontinuierliches Werden der Werkstattbühne
Hédé ist ein kleines bretonisches Dorf. Die Gebäude sind aus Granit gebaut und mit schwarzem Schiefer gedeckt. Kein besonderer Ort, aber die Häuser sind alle bewohnt. Selbst im Dorfzentrum leben noch Menschen und junge Familien kaufen sich hier ein. Das Dorf ist auch beliebt bei der »Silbergeneration«, den jungen Rentnern, die aus der Stadt wegziehen und sich auf dem Land niederlassen. Die Bevölkerungszahlen haben sich, laut der offiziellen Statistik, in den vergangenen 20 Jahren nur unwesentlich verändert. Das Dorf scheint zu funktionieren, nicht zuletzt deshalb, weil es einen Ruf als Kulturstandort hat. Die Bereitschaft zum Engagement für diese Kultur bildet die Basis für die Identifikation der Bevölkerung mit dem Ort. Vor einigen Jahren hat man ein Jazzfestival aus der Taufe gehoben – und nun eben das Theater grunderneuert, das jetzt, nach dem Umbau, in seine erste Saison geht.
Eine alte Markthalle aus dem 19. Jahrhundert ist vom Rathausplatz aus zu sehen. Leicht zurückgesetzt steht sie in einer kleinen Gasse, unmittelbar vor der Schlossruine. Enorme, alte Granitsäulen tragen eine Fachwerk konstruktion aus Holz. Der Charakter eines großen Schutzdachs, unter dem einmal gehandelt wurde, ist nach wie vor erhalten. Ein unauffälliger Bau ist es, in den man 1973 das erste Theater eingebaut hat. Zwischen den Säulen wurden Ziegelwände eingezogen. Zwei einläufige Treppen führen unmittelbar in den Saal zu den betonierten Zuschauerrängen.
Als der junge Architekt Xavier Fouquet im Rahmen eines beschränkten Verhandlungsverfahrens im Jahr 2009 beauftragt wurde, war klar, dass kein großes Budget zur Verfügung stand. Das Gebäude war an die Wärmeschutzverordnung anzupassen und die Technik musste erneuert werden. Die große Geste war danach nicht mehr möglich, die hätte der Bauherr auch gar nicht zugelassen. Aber genau diese Normalität, die Selbstverständlichkeit im Umgang mit dem Vorgefundenen, gefällt. Räumlich relevant sind zwei einfache Entscheidungen: Die festen Ränge mussten verschwinden, um das Theater flexibler zu gestalten, und das Foyer musste vergrößert werden, damit die Besucher des Theaters es tatsächlich auch als einen Ort zum Bleiben und Treffen annehmen.
Anstelle der gemauerten Außenwände wurden im Foyer hohe Öffnungsflügel aus Glas eingesetzt. Eine einfache Holztheke wurde aufgestellt. Auch sie lässt sich verschieben, so sind unterschiedliche Raumdispositionen möglich. Helle Sperrholzmöbel stehen auf dem dunklen Eichenparkett. Im Sommer erweitert sich das »Café de Poche« – das Taschencafé, auf die Gasse und das Kopfsteinpflaster hinaus. Nach den Vorführungen bleiben die Menschen gerne länger, und im Winter wird hier ein kleiner Weihnachtsmarkt eingerichtet.
Mit einfachsten Mitteln stellte Fouquet eine Übergangssituation her. Die Betontreppen, die vom Foyer aus auf die Tribüne führen, wurden gestrichen und ihr Antritt begradigt. Die Wände sind nun mit grauem Filz beschlagen, der die Geräusche schluckt und die Akustik verändert hat. Der Theaterraum steht im Kontrast zum »geselligen« Teil des Cafés, er benötigt Konzentration. Fouquet baute aus Vierkantrohren schwarz gestrichene Stahltribünen, die sich mit wenigen Handgriffen ineinanderschieben oder zur Seite rollen lassen. Schwarz gestrichene Tischlerplatten sind die Böden und einfache Stühle mit grauen ›
› Polstern stehen darauf. Schwarz gestrichene Wände gibt es und ein einfaches Stahlrohrgitter unter der Decke, um die Scheinwerfer zu befestigen. Eine fahrbare Beleuchterbrücke ist auf Schienen unter der Decke aufgelagert. Sie erlaubt es, schnell und unkompliziert zu arrangieren. Die Lichtregie erhielt einen eigenen Raum, er kann mit Klappläden gesichert werden. Der schwarze Bühnenboden wurde auf Drängen der Kommune unglücklicherweise glänzend gestrichen. Mehr ist da nicht und mehr braucht es nicht. Auf der Bühne lassen sich zwei große Klappläden zur Straße hin und somit für das Tageslicht öffnen. Eine optische Erweiterung des Raums, gleichzeitig aber auch für Workshops oder für die Probenarbeit wertvoll, denn der Kontakt nach außen geht nicht verloren. Das Theater versteht sich als aktiver Teil des Dorfs, die Schauspieler können bei der Arbeit beobachtet werden. Hier auch verständlich die Entscheidung, die Verwaltung und die Ensembleräume und eine kleine Werkstatt in den unmittelbar angrenzenden Häusern einzurichten. Die Mission ist klar: Kultur im Dorf und Zeitgenossenschaft.
Ist Architektur, die man fast nicht sieht, die so eindeutig und überzeugt auf all das verzichtet, was Architektur ausmacht, überhaupt erwähnenswert? Anders gefragt: Ist im Zeichen der reduzierten kommunalen Budgets, der demografischen Veränderungen und dem Sterben der Dörfer nicht gerade solch eine Architektur notwendig, um mit den massiven Problemen des ländlichen Raums klarzukommen? Was hier entstand, ist in seiner unscheinbaren Art eine sehr flexible Improvisationsfläche, die sich zunächst einmal offen und neugierig der Zukunft zuwendet. Der Ansatz führt weit weg von all jenen Retro-Marketingkonzepten, mit denen die unglücklichen Landschaften immer häufiger überzogen werden und die ausschließlich während der Tourismussaison relevant sind. Es ist Fouquet und seinen Mitarbeitern gelungen, den Spagat zwischen Dorf und Stadt lässig zu überbrücken. Denn das »schönste Dorf« ist Hédé gewiss nicht. Aber man hat auch sehr genau verstanden, dass Fassadenarchitektur nicht weiterführt, wenn dieser Standort eine Zukunft haben soll. Es geht um eine Anpassung der Substanz, im weitesten Sinn. Es geht um die einfache und klare Programmierung eines neuen Angebots für Bewohner, die in Hédé ihren Lebensmittelpunkt haben, und um eine konsequente Übersetzung dieses Angebots in einen modernen Raum. Die wenigsten Menschen hier sind noch in der Landwirtschaft tätig. Sie pendeln zur Arbeit in die Städte, mitunter gar bis nach St. Malo, über 90 km bis an die Küste. Sie sind gut ausgebildet, nutzen das Internet und essen Sushi. Sie führen längst ein weitgehend urbanisiertes Landleben und sie haben damit eigene Ansprüche entwickelt, denen der robuste Charme der alten Markthalle und des neuen Theaters entgegenkommen. Eine Landpartie, gewiss, wenn man sich nach Hédé begibt. Aber eben eine Fahrt in eine Landschaft, die in der Gegenwart angekommen ist, relativ illusionslos und doch mit kulturellem Anspruch. Manch einem anderen Ort würde man solch ein Selbstbewusstsein wünschen und gleichzeitig einen so souveränen Umgang mit dem Maßstab, wie er in Hédé an den Tag gelegt wurde. •
    • Standort: 2, rue St Louis, 35630 Hédé (F) Bauherr: mairie de Hédé Architekten: F.au – Fouquet Architecture Urbanisme, Nantes Projektleitung: Xavier Fouquet, Matthieu Douane HLS-Planung: Hays ingénierie, Saint Herblain Kostenplanung: Azeco, Cholet BGF: 550 m² Baukosten: 380 000 Euro (ohne MwSt.) Bauzeit: Februar bis September 2009
    • Beteiligte Firmen: Bauausführung: Marse Construction, St Aubin du Cormier, www.marseconstruction.com Tribüne: Hugon, Cahors, www.marseconstruction.com Zimmerarbeiten: OMS production, Thorigné Fouillard Schalbretter, Schreinerarbeiten, Parkett: Menuiserie André, St Symphorien, www.marseconstruction.com Brandschutzplatten: Isolbat, Rennes, www.marseconstruction.com Filz: Decibel France, Miribel, www.marseconstruction.com Elektrik: Liffré Electricité Générale L.E.G, Rennes

HédÉ (F) (S. 36)

Fouquet Architecture Urbanisme
Xavier Fouquet
1989 Prüfung zum Bautechniker. Studium an der Ecole Nationale Supérieure d’Architecture de Nantes, 1996 Examen. 1997-2004 freie Mitarbeit im Büro Oxymore, Nantes. Seit 1998 Lehraufträge an den Hochschulen von Nantes, Rouen, Paris und Rennes. Seit 2005 eigenes Architekturbüro in Nantes.
Wilhelm Klauser
1961 geboren. 1983-87 Studium von Architektur und Städtebau in Stuttgart und Paris. 1989-91 Mitarbeit im Architekturbüro Striffler, Mannheim, 1992-98 in Tokio, u. a. bei Riken Yamamoto und Yamshita Sekkei. 1999-2003 eigenes Büro in Paris, seit 2003 in Berlin. Autor und Kritiker, Architekt und Urbanist.
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