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Häuser im Haus

Kindergarten St. Irmengard in Übersee
Häuser im Haus

Die Gliederung der Baumasse in sechs zusammenhängende »Häuser« schafft Identifikationspunkte sowie vielfältige Angebote und Freiräume für den Kindergartenalltag. Klare räumliche Strukturen und die Holzmassivbauweise sorgten überdies dafür, dass nur wenige Veränderungen am Gebäudekonzept nötig waren, als sich der Bauherr nach Abschluss der Entwurfsphase entschied, den Neubau als zertifiziertes Passivhaus zu realisieren.

    • Architekten: hirner & riehl architekten und stadtplaner
      Tragwerksplanung: Seeberger Friedl und Partner

  • Kritik: Roland Pawlitschko Fotos: Thomas Zwillinger
Am östlichen Rand des zwischen Chiemsee und Chiemgauer Alpen gelegenen Orts Übersee liegt das lang gestreckte Grundstück der katholischen Kirche, auf dem sich bis vor Kurzem noch zwei unscheinbare Kindergartengebäude aus den 50er Jahren befanden. Eines der beiden Häuser steht nach einer energetischen Sanierung kurz vor der Wiedereröffnung als Kinderkrippe. Das andere galt als nicht mehr sanierungsfähig und wurde durch einen dreigruppigen Neubau von Hirner & Riehl Architekten ersetzt.
Der vom Erzbischöflichen Ordinariat München direkt beauftragte Kindergarten in Holzmassivbauweise korrespondiert trotz stattlicher 750 m² Bruttogeschossfläche erstaunlich gut mit der kleinteiligen Nachbarbebauung. Ursache hierfür ist einerseits die maßstäblich gegliederte Grundrissfigur mit gerader Straßen- und gestaffelter Gartenseite, andererseits eine Dachlandschaft, die die Baumasse in sechs gleich breite »Häuser« mit verschränkt asymmetrischen Satteldächern unterteilt. Die einzelnen Gruppenbereiche erstrecken sich dabei als Einheiten aus Gruppen-, Intensiv- und Abstellräumen jeweils über zwei dieser Hausstreifen, was sich von außen nicht zuletzt durch die großen Gartenterrassen abzeichnet. Während unterschiedlich breite und dicke Fichtenholzbretter in fünf Rottönen für eine plastische Außenfassade sorgen, schaffen die lediglich mit einem farblosen UV-Schutz angestrichenen Fichten-Leimholzplatten der Innenräume den ruhigen Hintergrund für das bunte Treiben von maximal 75, auf zwei Mittagsgruppen und eine Nachmittagsgruppe verteilten Kindern.
Rückzugsbereiche auch für die Erzieher
Erster Anlaufpunkt nach Betreten des Kindergartens ist ein langer Spielflur, der zugleich als großzügiger Garderobenbereich dient, in dem das Bringen der Kinder ab sieben Uhr morgens unkompliziert und ohne größeres Gedränge abläuft. Von den Architekten entworfene offene und geschlossene Ablagefächer bieten viel Platz für Schuhe, Jacken und Mützen, während eine höher gelegene Pinnwand mit Filzoberfläche den Informationsaustausch zwischen Eltern und Erziehern unterstützt. Vom Flur aus führt der Weg weiter zur Aula, zum stirnseitigen Mehrzweckraum, zur Küche und zum Personalraum im OG. Hierher können sich die Mitarbeiter zurückziehen – etwa für ungestörte Besprechungen oder um sich kurzzeitig vom Trubel in den Gruppenbereichen zu erholen, wo sie und die Kinder den größten Teil des Tages gemeinsam verbringen. ›
Raum und Möblierung als Einheit
Die von der Aula bzw. dem Spielflur erschlossenen Gruppenbereiche sind hinsichtlich Grundriss, Farbigkeit und Ausstattung identisch und entsprechen in der Fläche und der Aufteilung in große Gruppen- (50 m²) und kleine Intensivräume (20 m²) den üblichen staatlichen Förderrichtlinien. Die Geometrie der Dächer ermöglichte in den Gruppenräumen jedoch die Einrichtung zusätzlicher offener Spielgalerien, die den Kindern als Kuschelecken oder Rückzugsbereiche zur Verfügung stehen. Das Zusammenspiel dieser ganz unterschiedlich ausgeprägten Räume sowie der größtenteils von den Architekten gestalteten Möblierung (Tische, frei stehende Spielküchen, Einbauschränke etc.) eröffnet Kindern wie auch Erziehern vielfältige kreative Aneignungsmöglichkeiten. Einheitliche Oberflächen in Fichtenholz und die auch im Innern überall ablesbaren »Häuser« führen darüber hinaus zu einer ebenso geborgenen wie anregenden Atmosphäre mit Werkstattcharakter. Schade nur, dass derart feinsinnige Differenzierungen nicht auch den Übergang zwischen Gruppenbereichen und Garten definieren – zumindest bis heute stehen den Kindern dort zwar Terrassen, aber leider keinerlei witterungsgeschützte oder anderweitig gestaltete Bereiche zur Verfügung.
Klare, aber auch flexible Raumstrukturen
Während sich Kleingruppen z. B. zum konzentrierten Basteln oder zur Förderung von Vorschulkindern in den jeweiligen Intensivräumen treffen, finden sportliche oder musikalische Aktivitäten gruppenübergreifend im Mehrzweckraum statt – hier machen die Kinder der Nachmittagsgruppe auch ihren Mittagsschlaf, nachdem sie zuvor in der Aula mittaggegessen haben. Anders als heute sollen die einzelnen Gruppen bis zum jeweiligen Kindergartenschluss in Zukunft allerdings nicht mehr die meiste Zeit unter sich bleiben, sondern sich zeitweise über das ganze Gebäude verteilen können. Sowohl der Spiel- flur als auch die »durchspielbaren« Intensivräume bieten hierfür beste Voraussetzungen.
Nachträgliches Passivhauskonzept
Ebenfalls zukunftsorientiert, wenn auch erst nach Abschluss der Entwurfsphase getroffen, ist die Entscheidung der katholischen Gemeinde, den Kindergarten als zertifiziertes Passivhaus zu realisieren. Dies zog zwar einige Veränderungen im Entwurf nach sich, führte aber nirgendwo zu unlösbaren Problemen. Unkompliziert in das bestehende Raumkonzept integrieren ließen sich z.B. die dreifachverglasten Fenster und die dezentrale kontrollierte Raumlüftung mit Wärmerückgewinnung. Die entsprechenden vier Geräte platzierten die Planer u. a. wegen kürzerer Leitungswege und der einfachen Zu- und Abluftführung über dem Dach in den mittigen Lagern neben den Intensivräumen bzw. in der Küche. Für ausreichend Wärme auch an kalten Wintertagen sorgt eine Wärmepumpe mit Erdregistern, bei der bis zu 4 m tiefe Spiralkörbe das Wasser eines Multifunktionsspeichers für Fußbodenheizung und Warmwasserversorgung erwärmen. Relativ unkompliziert kompensieren ließ sich auch das aus der ›
› bewegten Dachlandschaft resultierende, für Passivhäuser eher ungünstige A/V-Verhältnis. Hierfür wurden einfach die Dämmstärken sämtlicher raumbegrenzender Bauteile erhöht – in Außenwänden und Dachflächen betragen diese nun 36 bzw. 40 cm. Da die tragenden Leimholzplatten generell nur 6 cm dick sind, und auch die OSB-Doppelsteg-Dachträger ohnehin große Aufbauhöhen benötigen, ergibt sich aus dieser Maßnahme keine merkwürdig überdimensioniert wirkende Gebäudehülle.
Als tatsächlich eher ungünstig erwies sich allein die ostseitige Ausrichtung der Gruppenbereiche, die jedoch angesichts des schmalen Grundstückszuschnitts kaum anders zu lösen gewesen wäre. Während Mitarbeiter ebenso wie das derzeit laufende Monitoring zum Schluss kommen, dass der Stromverbrauch für technische Anlagen und das Raumklima im Winter und in den Übergangszeiten den ehrgeizigen Passivhausstandards entsprechen, kam es im Sommer in den Gruppenräumen vereinzelt zu Wärmestaus. Diese resultierten z. T. aus den in der Nacht kaum absinkenden Temperaturen, die das nächtliche Auskühlen über die großflächigen Oberlichter verhinderten, z. T. aber auch aus dem allmorgendlichen Sonneneintrag. Grundlegend verändern wird sich dieser Zustand erst, wenn nach Fertigstellung der benachbarten Kinderkrippe endlich auch die längst geplante Gartengestaltung fertiggestellt ist. Mit der natürlichen Verschattung durch gezielt gepflanzte Bäume wird sich dann ein letzter Mosaikstein in ein Gesamtkonzept fügen, das auf der Idee der Architekten beruht, grundsätzlich mit möglichst einfachen, aber wirkungsvollen Mitteln ein gleichermaßen identitätsstiftendes, die Sinne anregendes und energieeffizientes Haus für Kinder und Erzieher zu schaffen. •
  • 1 Eingang
  • 2 Spielflur 3 Aula 4 Mehrzweckraum 5 zum Personalraum im OG

Übersee (S. 40)

hirner & riehl architekten und stadtplaner


Martin Hirner
Architekturstudium an der TU München und ETH Zürich. 1988-90 Architekt im Erzbischöflichen Ordinariat München. Seit 1990 Büro mit Martin Riehl.

Martin Riehl
Architekturstudium an der TU München. Promotion über Le Corbusier. Seit 1990 Büro mit Martin Hirner.
Roland Pawlitschko
s. db 1/2013, S. 144
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