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Großstädte auf dem Holzweg

Holz im Urbanen Kontext
Großstädte auf dem Holzweg

Holzbau und Stadt. Ein scheinbarer Gegensatz, der in den letzten Jahren viele Architekten und Baugruppen mit neuen Ideen und Konzepten für den urbanen Kontext aktiv werden ließ. Sie zeigen, wie die Vorzüge von Holz gezielt genutzt werden können, um zusätzlichen Wohnraum in Städten zu schaffen und zugleich die Wohn- und Lebensqualität zu steigern. Die zahlreichen Beispiele energieeffizienter Mehrgeschosser in Holz überzeugen zunehmend auch größere Unternehmen und Behörden. So erfährt der nachwachsende Rohstoff stetigen Zuspruch beim urbanen Bauen, wie nachfolgende Projekte unter Beweis stellen.

Text: Susanne Jacob-Freitag Fotos: Bernd Borchardt, David Grandorge, Roland Krauss, Stefan Müller, Stefan Müller-Naumann u. a.

Es ist kein Geheimnis mehr: Der Trend geht zurück in die Stadt. Immer mehr junge und alte Menschen – ob Singles, Paare oder Familien – erkennen den Vorteil kurzer Wege und vorhandener Infrastruktur. Aber auch die Zuwanderung und der steigende Wohnflächenbedarf pro Person sorgen in Ballungszentren für eine wachsende Nachfrage nach Wohnraum. Doch der Platz in Städten ist begrenzt. Es gilt daher, die vorhandenen Potenziale bestmöglich zu nutzen. Sie liegen in der städtischen Nachverdichtung, v. a. im Aufstocken von Gebäuden, wodurch sich ohne zusätzliche Grundstücks- und Erschließungskosten Nutzflächen gewinnen lassen. Das erkannten in den letzten Jahren immer mehr Architekten, Investoren und Kommunen und setzten bei der Entwicklung und Umsetzung neuer Ideen auf den Holzbau. Nicht nur, weil Holz ein besonders guter Problemlöser bei diesen Bauaufgaben ist, sondern auch, weil es alle ökologischen Anforderungen erfüllt sowie dem Wunsch nach einem gesundem Wohnen und natürlichen Ambiente entgegenkommt. Aspekte, die Planer heute nicht mehr ignorieren können.
Holz kehrt zurück
Die Verwendung von Holz hat in der Baugeschichte schon immer eine entscheidende Rolle gespielt. Fachwerkbauten aus dem 16. und 17. Jahrhundert belegen außerdem, dass mehrgeschossige Wohnhäuser aus Holz in Städten Tradition hatten. Seitdem entwickelten sich unterschiedliche Konstruktionsarten wie z. B. der Holzskelettbau, die Holzrahmenbauweise sowie die Holzmassivbauweise aus Brettsperrholz- und Brettstapel-Elementen. Nachdem der Baustoff aber über 100 Jahre weitgehend von Stahl und Stahlbeton verdrängt worden war, kehrte er in den 80er Jahren nach und nach wieder in den städtischen Raum zurück: Im Zuge der Ölkrisen und Umweltschutzdebatten formulierten Bauherren verstärkt den Anspruch, umweltschonend und energiesparend bauen zu wollen. Heute ist es der Klimawandel, der Holz als CO2-neutralen ›
› Baustoff – Stichwort Nachhaltigkeit – wieder in den Fokus rückt. Gleichzeitig bietet der moderne Holzbau mit seinen flexiblen Bausystemen gerade für die Nachverdichtung umfangreiche Gestaltungsmöglichkeiten.
Leicht, einfach, leise und schnell
Schon aus Gewichtsgründen lassen sich besonders Aufstockungen am besten mit Holz errichten: Die meisten Bestandsbauten haben nur wenig Tragreserve und könnten Zusatzlasten in konventioneller Bauweise kaum aufnehmen. Weitere Vorteile liegen in der einfachen Handhabung: Bei beengten Platzverhältnissen bietet sich die Verwendung vorgefertigter Bauteile an, die sich bei eingeschränkter Zugänglichkeit des Grundstücks mit Geräten wie Mobilkränen einbringen lassen. Weitere Pluspunkte von Holz sind minimierte Lärm- und Schmutzbelastungen für die Anwohner während der Bauphase. Die software- (CAD) und maschinengestützte (CNC) Fertigung im Holzbau ermöglicht außerdem eine hohe Ausführungsqualität und eine optimale Passgenauigkeit der Elemente auf der Baustelle. Durch die Vorfertigung von Wand-, Decken- und Dachtafeln – bei Bedarf sogar mit Fenstern und Türen – kann der Rohbau innerhalb kürzester Zeit wind- und regendicht erstellt werden. Das ist für private Bauherren wirtschaftlich vorteilhaft, da z. B. eine lange Doppelfinanzierung von Miete und Neubau entfällt, für Investoren dagegen sind die kurzen Vorfinanzierungszeiten und die schnelle Vermarktbarkeit eines Objekts bei sicheren Fertigstellungsfristen entscheidend.
Neben all diesen Vorzügen ist der im Vergleich zu anderen Bausystemen geringere Flächenbedarf für Außenwandbauteile besonders hervorzuheben: Bei identischen wärmedämmtechnischen Eigenschaften und Abmessungen kann die zur Verfügung stehende Nutzfläche aufgrund der schlankeren Bauteile um bis zu 10 % größer sein. All das muss bei der Wirtschaftlichkeit in Betracht gezogen werden. Denn der 1:1 Kostenvergleich je gebautem Quadratmeter zwischen Holzbau und einer anderer Bauweise stimmt nur, wenn die oben genannten Faktoren mit einkalkuliert werden.
Chancenöffner und Wegbereiter
Aktuelle Projekte belegen, dass Aufstockungen, eingepasste Gebäude in Baulücken und Brachflächen sowie mehrgeschossige Gebäude immer häufiger in Holzbauweise errichtet werden. Vorreiter in Sachen urbaner Holzbau sind in Deutschland die Berliner Architekten Tom Kaden und Tom Klingbeil. Mit ihrem siebengeschossigen Wohn- und Geschäftshaus »e3« schlossen sie 2008 im Auftrag einer Baugruppe, die in Holz bauen wollte, eine Lücke in einer Reihe von Stadthäusern am Prenzlauer Berg in Berlin und machten damit nicht nur deutschlandweit auf das mehrgeschossige Bauen mit Holz aufmerksam (s. db 6/2008 Technik aktuell). Wegen des hohen Vorfertigungsgrads dauerte es nur neun Wochen bis zum Richtfest. Das Mehrfamilienhaus aus BrettschichthoIz-Stützen und -Riegeln, Holz-Beton-Verbund-Decken und Brettstapel-Wänden widersprach allerdings brandschutztechnisch der Berliner Bauordnung. Denn die novellierte Musterbauordnung (MBO) 2002 und die Einführung der Muster-Holzbaurichtlinie (M-HFHHolzR) im Jahr 2004 eröffneten dem Holzbau zwar Chancen, doch sind dennoch seither nur fünfgeschossige Holzbauten bis Gebäudeklasse 4 (OK Fertigfußbodens der höchsten Etage bei max. 13 m) zulässig. Höhere Gebäude in Holz, wie eben das in die Gebäudeklasse 5 eingestufte »e3«, müssen durch spezifische Brandschutzkonzepte nachweisen, dass alle bauordnungsrechtlichen Anforderungen erfüllt sind. Kaden Klingbeil erarbeiteten gemeinsamen mit den Brandschutzingenieuren und den Genehmigungsbehörden ein spezifisches Brandschutzkonzept und erwirkten zwei Befreiungen von der Bauordnung: Tragende Bauteile und Decken konnten hochfeuerhemmend (F90-BA) statt feuerbeständig (F90-AB) ausgeführt werden. Damit war es in Deutschland erstmals möglich, für ein siebengeschossiges Wohnhaus Holz zu verwenden.
Inzwischen haben Kaden Klingbeil weitere mehrgeschossige Wohnbauten in Holzbauweise für Baugruppen realisiert. Darunter 2011 eine Wohnanlage mit zwei drei- bzw. viergeschossigen Holzhäusern in Berlin-Friedrichshagen (Abb. 1), die inmitten eines städtebaulich sensiblen Denkmalensembles errichtet ›
› wurden und mit einer Putzfasse aus mineralischen WDVS versehen sind, sowie 2012 ein weiterer Siebengeschosser mit einer mit Zementfaserplatten bekleideten Fassade in Berlin-Mitte (Abb. 2, 3). Weitere sind im Bau.
Eingepasst und angepasst
Aber auch andere Architekten und Baugruppen haben in jüngster Zeit mit mehrgeschossigen Holzbauten von sich reden gemacht, etwa die Baugemeinschaft 3XGrün mit einem fünfgeschossigen Mehrfamilienhaus in Berlin (Abb. 4 und 5, s. db 9/2012 Neu in …). Den in eine Baulücke eingepassten Holzbau bildet eine Mischkonstruktion aus Holzskelett-, Holzrahmen- und Brettsperrholz-Bauweise. Nur Brandwände, Treppenhauskerne und die fünf Maisonette-Wohnungen im EG sind aufgrund der Gebäudehöhe und hoher Brandschutzauflagen pragmatisch in Stahlbeton ausgeführt. Das Wohnhaus wurde im Forschungsprojekt »fertighauscity5+« vom Institut für urbanen Holzbau (IfuH) entwickelt und im November 2011 übergeben. Untersucht wurde, wie ein Wohnungsbau aus Holz in der Gebäudeklasse 4 konzipiert sein muss, damit er im Rahmen der MBO genehmigungsfähig ist. Ziel des IfuH war auch, möglichst viel Holz sichtbar zu lassen bzw. Brandschutzkapselungen weitgehend zu vermeiden. Das Haus erreicht den Energieeffizienzhaus-70-Standard.
Einen anderen Weg der Nachverdichtung ging die Städtische Wohnungsgesellschaft GWG in München: Bestandsbauten aus dem Jahr 1958 wurden entkernt und mit vorgefertigten »TES Energy«-Holzfassaden-Elementen energetisch saniert bzw. in Holzbauweise aufgestockt und erweitert (Abb. 6, 7). Ziel war es, das Wohnungsangebot und den Komfort unter maximalem Erhalt der Bausubstanz auf Neubaustandard zu bringen. Die Entscheidung, dafür Holz zu verwenden, kann für eine städtische Gesellschaft durchaus als Pionierleistung gewertet werden. Unter Mitwirkung der Architekten Florian+Wendelin Lichtblau aus München und dem Vorarlberger Hermann Kaufmann, in dessen Fachbereich Holzbau der TU München das Forschungsprojekt »TES EnergyFacade« entwickelt wurde, war sie gut beraten. Bei TES werden mittels Fotogrammetrie und 3-D-Laserscanner »maßgeschneiderte« Elemente zum Anbringen auf Bestandsfassaden vorgefertigt. Das System funktioniert mit jedem denkbaren Oberflächenmaterial und erlaubt Fassadenmodernisierung, Aufstockung und Erweiterung im gleichen konstruktiven System des Holzrahmenbaus.
Aufgestockt und nachverdichtet
Sind Dachflächen groß genug, können darauf sogar kleine Dörfer errichtet werden, wie PPAG Architekten aus Wien für eine Baugruppe bewiesen haben: Sie »krönten« ein typisches Gründerzeithaus in der Radetzkystraße mit mehreren Wohneinheiten, die vom Straßenraum aus kaum sichtbar sind (Abb. 8, 9). Ein Lift führt nach oben auf einen kleinen, öffentlich zugänglichen Platz, um den sich die unterschiedlich proportionierten Baukörper mit geneigten Flächen gruppieren. Sie sind das Ergebnis eines spielerischen Umgangs mit strikten gesetzlichen Rahmenbedingungen. Die Raumhöhen variieren zwischen 2,30 m und 5 m. So ist eine lebendige Dachlandschaft entstanden. Für die Wohneinheiten in Niedrigenergiestandard haben die Architekten die Holzrahmenbauweise gewählt. Die vorgefertigten, gedämmten Bauelemente ermöglichten eine saubere und schnelle Montage per Kran. Die einheitliche Putzfassade der verschiedenen Wohneinheiten reagiert respektvoll auf die bestehende Gründerzeitstruktur. Ende 2012 war das kleine Dorf auf dem Dach bezugsfertig.
Aber auch eine Hinterhofbebauung in Harlesden im Nordwesten Londons (Abb. 10, 11) zeigt, wie auf brachliegenden Grundstücken architektonisch ansprechende Wohnbauten in Holzbauweise errichtet werden können: Unter dem Namen »Highwood Court« entwickelten die Architekten des Londoner Büros SUSD neun Häuser für Familien. Da der enge Bauplatz die Lagerung von Baumaterial nicht zuließ, und die Nachbarn so wenig wie möglich mit Schmutz und Lärm gestört werden sollten, fiel die Wahl auf vorgefertigte Holzelemente (Bohlenstapel- und Holzrahmenbau-Elemente). Per Lkw angeliefert, konnten sie binnen weniger Tage montiert werden. Seit 2011 sind die Häuser bezogen.
Holz pur
Dass sich inzwischen auch Großunternehmen an Mehrgeschosser in Holz heranwagen, ist erfreulich. Und dass sie sogar Konstruktionen wagen, die ohne Klebstoffe und stählerne Verbindungsmittel auskommen, ist bemerkenswert: Das neue Bürogebäude des Medienkonzerns Tamedia im Herzen Zürichs ist siebengeschossig und beeindruckt dadurch, dass das Holzskelett – gemäß der japanischen Tradition – ganz ohne Schrauben, Nägel und sonstige Stahlverbinder auskommt (Abb. 12) und sichtbar bleiben konnte. Es wird wie ein dreidimensionales Puzzle zusammengesteckt. Entworfen hat es Shigeru Ban, umgesetzt wurde es mit dem Holzbauunternehmen Blumer-Lehmann – beide hatten bereits beim ausladenden Holztragwerk des Centre Pompidou in Metz zusammengearbeitet. Das Traggerüst bilden Rahmen aus gebäudehohen Stützen, Zangen und ovalen Querbalken. Wirtschaftlich betrachtet sind die Baukosten gegenüber einem herkömmlichen Gebäude höher, doch, so ließ der Bauherr verlauten, nehme er dies gerne zugunsten der öffentlichen Aufmerksamkeit und des aufgewerteten Stadtbilds in Kauf. Seit April soll der Bürobau nach und nach bezogen werden. Er bietet rund 300 Journalisten einen Arbeitsplatz. ›
› Ein anderes Objekt aus purem Holz steht auf der diesjährigen Internationalen Bauausstellung in Hamburg und wird als das »modernste Holzhaus der Welt« betitelt. Es handelt sich um den Prototyp des »Woodcube« aus der Reihe der »Smart Material Houses« der IBA (Abb. 13). Das fünfgeschossige Mehrfamilienhaus mit 900 m² Wohnfläche ist als Holz-Massivhaus konzipiert und besteht – bis auf den Erschließungskern – aus naturbelassenen, klebstofffreien »Holz100«-Elementen, die das österreichische Unternehmen Thoma Holz entwickelte. Dabei sind (tendenziell eher weiche) Holzbrettlagen mit sehr trockenen Buchenholzdübeln verbunden, die vor ihrem Einbau leicht befeuchtet wurden, dann aufquellen und so eine kraftschlüssige Verbindung herstellen, die aus den nachfolgend ausgleichenden Feuchtebewegungen in den Hölzern resultiert. Das Gebäude kommt ohne Plastikfolien, Bauchemie und Holzschutzmittel aus – und wird folglich und u. a. auch unter dem gesundheitsfördernden Aspekt (laut Studien reduziert Holz die Herzfrequenz und verbessert Luftqualität und Raumklima) vermarktet. Das zusammen mit der TU Darmstadt entwickelte Brandschutzkonzept ermöglicht zudem den Verzicht auf eine Brandschutzkapselung, sodass das Holz weitgehend sichtbar bleibt. Der Woodcube soll sowohl im Betrieb als auch in der Erstellung CO2-neutral und vollständig recyclebar sein. Geplant und fertiggestellt hat ihn das Stuttgarter Büro architekturagentur. Die flexiblen Grundrisse können auch über zwei Etagen zu Maisonetten verbunden werden. Bald soll ein weiteres Gebäude dieser Art in Berlin entstehen.
Weiter im Kommen
Dass der mehrgeschossige Holzbau momentan einen Boom erlebt, zeigen aber auch viele andere Projekte der letzten Jahre wie der achtgeschossige Wohnturm in Bad Aibling von Schankula Architekten (s. db 4/2013 Energie) oder der sogenannte LifeCycleTower in Dornbirn von Hermann Kaufmann Architekten (s. db 9/2012 Technik aktuell). Auch in Italien entsteht in Mailand derzeit eine Wohnsiedlung mit vier neungeschossigen Türmen in Holzbauweise aus Brettsperrholz. Der kanadische Architekt Michael Green plant sogar den Bau eines 30-stöckigen Holzhauses in Vancouver, und die Stadt Kirkenes in Norwegen will ein 16-geschossiges Holzhochhaus bauen. Holz in der Stadt wird zukünftig wohl noch mehr von sich reden machen. •

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