1 Monat GRATIS testen, danach für nur 6,90€/Monat!
Startseite » Architektur » Kultur | Sakral »

Glaubenssache

Kirche in Rijsenhout (NL)
Glaubenssache

Die Expansion des Amsterdamer Flughafens verschlang auch die Kirche der benachbarten Gemeinde. Als »eine feste Burg« entstand an anderer Stelle ein Ersatzbau, dessen Materialität das landläufige Bild von Bauten mit »Waschbeton-Optik« auf den Prüfstand stellt.

    • Architekten: Claus en Kaan Architecten Tragwerksplanung: ABT Delft

  • Text: Anneke Bokern Fotos: Christian Richters
Rijsenhout ist ein 4000-Seelen-Dorf am östlichen Rand des Haarlemmermeerpolders, dem ältesten maschinell trockengelegten Polder der Niederlande. Was zunächst nach beschaulichem Landleben klingt, hat damit in Wirklichkeit wenig zu tun. Einen großen Teil der Polderfläche nimmt der Flughafen Schiphol ein. Der Rest ist eine nicht enden wollende Ansammlung von gesichtslosen Siedlungen und Gehöften, Gewächshäusern, Bürokomplexen und Gewerbehöfen, umgeben von pfannkuchenflachen, geometrischen Ackerflächen. Und über allem dröhnen ständig die Motoren der startenden und landenden Jets.
Die Hauptdurchgangsstraße von Rijsenhout wird von frei stehenden Wohnhäusern aus dunklem Backstein gesäumt und ist eigentlich nicht weiter bemerkenswert. Dass man sich hier nicht lange aufhält, beweisen nicht nur die vorbeirasenden Autos, sondern auch das Nichtvorhandensein eines Gehwegs. Aber selbst bei einer Geschwindigkeit von fünfzig Stundenkilometern kommt man nicht umhin, einen Fremdkörper im Einerlei wahrzunehmen: In der Reihe der Wohnhäuser taucht plötzlich ein skulpturaler, maisgelber Kirchenbau mit einem 15 Meter hohen Turm auf. Die Ästhetik des abgetreppten Volumens erinnert ein wenig an Bauten von Willem Marinus Dudok (1884–1974) aus seiner Frank-Lloyd-Wright-Phase, scheint aber auf den ersten Blick mindestens ebenso sehr mit brutalistischer Architektur der sechziger und siebziger Jahre verwandt. Letzteres liegt unter anderem am Material: Die Kirche besteht ganz aus sandgestrahltem Ortbeton, dem auf den ersten Blick der Charakter von Waschbeton zu eigen ist.
Der Flughafen will sein Frachtareal erweitern und hat dafür seit 1990 die meisten Gebäude im einige Kilometer nördlich von Rijsenhout gelegenen Ort Rozenburg aufgekauft und abgerissen. Nur die alte Kirche der Niederländisch-Reformierten Gemeinde Haarlemmermeer-Ost stand noch.
Nach vierzehnjährigen Verhandlungen einigte man sich 2005 darauf, dass die Flughafengesellschaft die alte Kirche abreißen durfte, dafür aber in Rijsenhout eine neue Kirche für die Gemeinde errichten sollte. Obwohl die Kirchengemeinschaft zunächst ihren Hausarchitekten beauftragen wollte, entschied sie sich letztlich für das Büro Claus en Kaan, vorgeschlagen von Schiphol Real Estate. Die Architekten, die noch nie eine Kirche gebaut hatten und angesichts der schwindenden Kirchgängerzahlen in den Niederlanden vermutlich auch nie wieder eine bauen werden, versprachen der Gemeinde ein außergewöhnliches Gebäude.
Die Kirche besteht aus drei Teilen: dem Kirchensaal für 250 Besucher, einem Trakt mit Besprechungszimmern, Kinderhort und Teeküche sowie einer Wohnung für den Küster. Sie alle sind um ein ›
› großes, innen liegendes Foyer arrangiert, das man durch den Haupteingang an der Nordseite des Gebäudes betritt. Beleuchtet wird es über mehrere schlitzförmige, horizontale Fensteröffnungen, die teils direkt unter, teils direkt über dem Übergang von Wand zu Dach liegen. Zwei große Flügeltüren trennen das Foyer vom Kirchensaal und ermöglichen, es bei großen Veranstaltungen als Erweiterung des Saals zu benutzen.
Dem recht einfachen Grundriss steht eine für niederländische Verhältnisse hochwertige Materialisierung des Kircheninneren gegenüber. Das Foyer wurde rundum mit osteuropäischem Eichenholz verkleidet, hinter dem auch die Klimaanlage sowie alle Leitungen versteckt sind. Altar, Kanzel und Orgelgehäuse bestehen aus demselben Material und wurden ebenfalls von Claus en Kaan entworfen. Den Boden bedecken sowohl im Foyer als auch im Kirchensaal anthrazitfarbene Keramikfliesen; die Bestuhlung besteht aus einfachen Stahlrohrstühlen mit schwarzen Holzsitzen und -lehnen. Insgesamt wirken die Räume zwar warm, aber auch recht karg – was zu den Grundsätzen der streng protestantischen Glaubensgemeinschaft passt. Nahezu verspielt wirkt bei all dieser Strenge das verspringende Muster, das die dimmbaren Neonröhren an der Decke des Kirchensaals bilden.
Die einzelnen Funktionsbereiche der Kirche sind von außen deutlich ablesbar: Da Kirche, Wohnung und Gemeinschaftsräume jeweils eine andere Deckenhöhe haben, präsentiert sich der Bau als Konglomerat aus abgestuften und zusammengeschobenen kubischen Elementen. So wurde mit minimalen Mitteln ein skulpturaler Eindruck erzeugt, zu dem auch die Wasserspeier einen großen Teil beitragen: Sie sind in kubische Mauervorsprünge integriert.
Mit Fenstern sind die Architekten an den Schauseiten der Kirche eher sparsam umgegangen. In der Hauptfassade befindet sich nur ein einziges großes laibungsloses Fenster mit dünnem Stahlrahmen über dem Altar, das genau dasselbe Format hat wie das vertikale Fenster in der Turmspitze. Die Seitenfassaden sind, abgesehen vom einem braunen Stahltor, völlig geschlossen. Dagegen haben die zum Parkplatz hin orientierten Gemeinschaftsräume und die Küsterwohnung jeweils große Fensterfronten mit dreißig Zentimeter tiefen Laibungen, die aber von der Straße aus nicht zu sehen sind.
Raue Betonhaut
Die Geschlossenheit der Fassaden und das Fehlen eines sichtbaren Dachrandes, vor allem aber die uniforme Materialisierung in »Waschbeton-Optik« lassen die Kirche sehr monolithisch wirken. Während jedoch bei Waschbeton die Platten am Ende der Fertigung ausgewaschen werden, wurde hier die fertige Fassade sandgestrahlt. Das Ergebnis sieht Waschbeton täuschend ähnlich – wobei man dieses Fassadenmaterial in der Regel wahrhaftig nicht mit Skulpturalität oder Monolithik assoziiert. Im Gegenteil: Kaum ein anderes Material ist so sehr zum Synonym für menschenfeindliche Bausünden der siebziger Jahre geworden. Den meisten Leuten fallen zu diesem Stichwort vor allem billige Massenwohnungsbauten und unattraktive Mehrzweckhallen ein, verkleidet mit mausgrauen, stumpfen, pickeligen Fertigteilplatten. In Rijsenhout handelt es sich jedoch nicht um vorgefertigte Platten, sondern um eine tragende Fassade aus 28 Zentimeter dickem Ortbeton. Was man auf den ersten Blick für Dehnungsfugen halten könnte, sind in Wirklichkeit Schalfugen. ›
› Um den gewünschten Farbton und die Kieselgröße für den Beton zu bestimmen, haben Claus en Kaan zahlreiche Materialproben anfertigen lassen. Zuletzt wurde auf dem Kirchengrundstück ein Fassadenmuster errichtet, an dem der Strahlprozess getestet wurde. Man entschied sich für einen gelb eingefärbten Beton und eine etwas größere Gesteinskörnung als gewöhnlich. Als die Kirche dann stand, waren die Architekten, die noch keine Erfahrung mit dem Material hatten, dennoch schockiert darüber, wie intensiv gelb sie schien. Erst nach dem Sandstrahlen nahm sie ihre jetzige, sanft maisgelbe Farbe an.
Der Beton überzieht das Gebäude wie eine raue Haut. Seine Struktur passt unerwartet gut zur Gesamtform: Sie überträgt ihre Skulpturalität sozusagen auf einen kleineren Maßstab. Damit bewerkstelligt der Kirchenbau beinahe so etwas wie eine Ehrenrettung des unbeliebten Waschbeton-Looks. Die Fassade ist taktil, warm und schwer.

Allerdings verträgt sich die Betonhaut gar nicht mit dem blaugrauen Kies, mit dem die Außenanlagen bestreut wurden. Mit Ausnahme zweier Pflanzbeete und eines betonierten Pfads zum Tor ist das gesamte Gelände damit bedeckt. Laut den Architekten geschah das aus ästhetischen Erwägungen, denn der große Parkplatz hinter der Kirche steht nur sonntags voller Autos. Man wollte dort keine Asphaltwüste schaffen, sondern eine Einheit mit der Architektur erreichen. Tatsächlich beißt sich der Farbton des Kieses jedoch mit dem des Betons und strahlt die lieblos zugeschüttete Optik des Geländes unvorteilhaft auf die Kirche ab. Dadurch wirkt die Fassade im Gesamtbild harscher als nötig. Das ändert aber nichts daran, dass dieser Kirchenbau sicher manch einen, der kiesgespickte Betonfassaden bisher für einen Frevel gehalten hat, zum Glauben bekehren kann.


  • Standort: Aalsmeerderweg 751, 1435 EK Rijsenhout, Niederlande

    Bauherr: Schiphol Real Estate
    Nutzer: Nederlands Gereformeerde Kerk Haarlemmermeer Oostzijde
    Architekten: Claus en Kaan Architecten Amsterdam/Rotterdam (NL)
    Projektarchitekten: Felix Claus, Dick van Wageningen
    Mitarbeiter: Jan Kerkhoff, Stefan Hofschneider, Leo van den Burg, James Webb, Katharina Sander Tragwerksplanung: ABT, Delft (NL)
    Haustechnik: Adviesbureau van der Weele, Groningen (NL)
    Gesamtnutzfläche: 300 m² Baukosten: 1,45 Mio Euro
    Bauzeit: September 2005 bis Oktober 2006
  • Beteiligte Firmen Bauausführung: Heijmans IBC Bouw, Amsterdam (NL), www.heijmans.nl
    Schalung: PERI GmbH, Weißenhorn, www.heijmans.nl
    Pigmente: Mebin B.V., ’s-Hertogenbosch (NL), www.heijmans.nl
  • Beton Ausführungsvorgaben durch die Architekten: Beton, Schalung und Ebenheit waren nach der niederländischen Richtlinie CUR 100 »Schoon Beton« (Sichtbeton) auszuführen. Auch in Deutschland wird diese Vorschrift oft zur Rate gezogen. Einen wesentlicher Unterschied zu den meisten deutschen Sichtbetonausschreibungen stellte die Forderung dar, mit Hilfe des Reifecomputers nach Erreichen der Ausschalfestigkeit den festgelegten Reifegrad zum Ausschalen der Betonflächen zu ermitteln. Um eine einheitliche Betonfarbe zu erhalten, ist es unbedingt nötig, immer dieselbe Reife anzustreben, diese kann gleichzeitig mit der Ausschalfestigkeit übereinstimmen. Die Wände (3 m und 7 m hoch) sollten in jeweils nur einem Betonierabschnitt betoniert werden. Für die Wandaußenseite war eine Betonüberdeckung von 60 mm vorgegeben, die ohne die Verwendung von Abstandhalterklötzen zu realisieren war. Die äußere Bewehrungsmatte musste an der inneren befestigt werden. Die Durchankerungsöffnungen mussten mit demselben Beton geschlossen werden. Die Fensterlaibungen wurden poliert, die Außenflächen sandgestrahlt (Vergleich mit Probewand) und mit Funcosil hydrophobiert Nach vielen Betonversuchen wurden folgende Festlegungen getroffen: Betonfestigkeitsklasse: C25/30 nach 91 Tagen Gesteinskörnung: 0/32 Zement: CEM III/B 42,5 N/LH Zusatzstoff : Kalksteinmehl (380 kg/m³) Mehlkorn: Gehalt mindestens 160 l/m³ Farbpigment: Gelb (10 kg/m³) Wandaufbau: – Beton (280 mm) – Holzlattung – Isolierung (125 mm) – dampfdichte Schicht – 2 x Gipsplatte
Aktuelles Heft
MeistgelesenNeueste Artikel

Architektur Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Architektur-Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Medien GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum arcguide Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des arcguide Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de