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Feine Antworten auf alte Fragen

Gedanken zum Werk von Hild und K
Feine Antworten auf alte Fragen

Kaum ein Büro ist stilistisch derart schwer zu fassen wie Hild und K: Die Erinnerung an Bekanntes schwingt in ihren Entwürfen stets mit, ohne dass man von einer »Zitate-Architektur« sprechen könnte. Unsere Autorin spürt im Gespräch mit Andreas Hild und Dionys Ottl deren akribischer Konzept- und Entwurfsarbeit nach.

  • Architekten: Hild und K
  • Kritik: Ira Mazzoni Fotos: Stefan Braun, Michael Heinrich
Eine Geschichte über das Duo Andreas Hild und Dionys Ottl, die seit 1999 gemeinsam das Büro Hild und K in München führen, in einem Retro-Heft zu platzieren, folgt der Strategie des feinen Unterschieds. Während unseres Gesprächs in der Lobby ihres jüngst fertiggestellten Hotels Louis am Münchener Viktualienmarkt ist es vor allem Andreas Hild, der skeptisch jede Vokabel prüft, die zur Charakterisierung der Arbeiten versuchsweise von der Autorin angeführt wird. Bloß in keine Schublade gesteckt werden! Da mag der Betrachter und Nutzer der Hild und K-Architekturen von deren stupenden handwerklichen Details beeindruckt sein, aber in handwerkliche Traditionen mag sich das Büro nicht stellen. Bloß keine Werkbund-Sentimentalitäten von guten alten Zeiten der Materialgerechtigkeit. Da mögen die Anklänge an bereits Klassisches durch den ganzen Raum schwingen, aber retrospektiv sind die Entwürfe keinesfalls.
Die Anfänge des Reisens: Spiel mit der Erinnerung
Dieses Hotel hat eine Philosophie: »Auf Reisen daheim« lautet das Motto. Und wie vermittelt man das Vertraute, Bequeme besser als mit solch tiefen einarmigen, in Blattgrün gepolsterten, geradlinigen Sesseln und Sitzbänken, die so auch im frühmodernen Salon einer Wiener Erbtante stehen könnten?
Die Herangehensweise des Büros ließe sich kon-textuell oder kon-piktoral nennen. In jedem Fall gehen Hild und Ottl immer vom konkreten Ort aus. Dabei entwickelt sich das Bild vom neu zu Schaffenden so dialogisch wie ein Gespräch. Wer den beiden Architekten gegenübersitzt, wird in einen Redefluss des Hin und Her, sich Bedingenden und Hinterfragenden, Weitergehenden und Einschränkenden, Ergänzenden und Präzisierenden hineingezogen, der sich unentwirrbar zu einer geistreichen Geschichte verdichtet. Hild und K betreiben Architektur als Kommunikation. Und da sich die beiden Persönlichkeiten, die Auftraggeber, die Aufgabe, die Architektur und der Ort gegenseitig bedingen, gleicht kein Hild und K-Projekt dem anderen. Es gibt kein (historisches) Formenrepertoire, das bei jedweder Gelegenheit durchdekliniert wird, um angeblich bessere Zeiten zu memorieren. Es gibt nur sehr distinguierte Antworten auf meist komplexe, mitunter auch schwierige Fragestellungen. Und nicht selten wirken die Antworten in dem Moment, da sie gegeben sind, ganz selbstverständlich und dadurch vertraut. ›
› So auch im Hotel Louis, das einmal ein Versicherungsgebäude war. Zum Viktualienmarkt hin hatte der vierachsige Stahlbetonskelettbau eine Vorhangfassade aus blaugrünen Fliesen, die die schräg zum neobarocken Kustermannhaus gestellte Front zu einem sehr auffälligen Schlussprospekt des Viktualienmarkts werden ließ und den folgenden niedrigen barocken Terrassenbau in den Schatten stellte. Ein schmaler, rückwärtiger Seitentrakt nebst öffentlicher Passage verbindet das Gebäude mit einem Ärztehaus am höher gelegenen Rindermarkt. Dort flankiert einerseits der in den 50er Jahren errichtete Kustermann-Erweiterungsbau und andererseits das schlichte, barocke Pfarrhaus von St. Peter den Komplex. Als Hild und K das Projekt vom Grundstückseigentümer Kustermann übernahmen, war ein erstes Bauvorhaben bereits gescheitert und der Versicherungsbau stand bis auf die Betonstützen entblößt hinter dem Bauzaun. Es galt sich neu zu orientieren. Da half die typisch münchnerische Nachbarschaft, die trotz aller Nachkriegsbauten altstädtisch wirkt. Formal und inhaltlich wählten die Architekten die Strategie des Einpassens: In jeder europäischen Stadt gäbe es so etwas wie ein »Vereinbarungsgefüge«, erklärt Hild. Zeitgenössisches Bauen müsse sich mit diesem Vereinbarungsgefüge auseinandersetzen, um die Stadt weiter zu stärken. Kapriziöse Originalität und unvermittelte Objekthaftigkeit wären da fehl am Platz.
Im Vereinbarungsgefüge der Münchener Altstadt dominieren sehr schlichte Putzbauten, deren Lochfassaden mit leichten Stuck- oder Farbbändern und -feldern unauffällig individualisiert wurden. Das Thema unscheinbarer Putzreliefs griffen die Architekten gerne auf, genauso wie den Farbklang aus Grau- und Grüntönen. Die Gliederung der Lochfassade des Hotels am Viktualienmarkt ergab sich zwingend aus der Notwendigkeit, in dem Vierachser mit potenziell acht Fenstern fünf Hotelzimmer unterzubringen. Eine Trennmauer bedingt eine Achse aus Blindfenstern, die Hild und K zum vertikalen Flachrelief mit dem Schriftzug »Hotel« verleiteten. Durch diese typografisch ornamentierte Blindachse erhält die breite Front einen schönen Rhythmus von vier zu drei Fenstern. Alle zweiflügligen, zimmerhohen Fenster bekamen eine außergewöhnliche, nur zweiseitige Stuckrahmung in Form eines einfachen Streifens. Die Fensterleibungen sind – ebenfalls nur dreiseitig – von einem Wechsel aus Hohl- und Rundkehlen profiliert. Man hat das Gefühl, dass diese einseitige Rahmung nicht nur mutwillig die historische Tradition bricht, sondern Bezug auf die Passantenströme nimmt. Keiner der, vom Marienplatz kommend, zum Viktualienmarkt schlendert, stellt sich vor das Haus, um es achsensymmetrisch wahrzunehmen. Jeder bemerkt ein Bauwerk en passant, im flachen Winkel. Und in diesem Winkel teilt sich das raffinierte Spiel mit den individualisierenden Schmuckelementen mit. Nicht aufdringlich originell, sondern fast unter der Wahrnehmungsschwelle. ›
› Hild und K kopieren nicht. Sie imitieren und zitieren nicht. Sie reflektieren die Möglichkeiten tradierter architektonischer Gestaltungsmittel im zeitgenössischen Kontext. Ihre Neuinterpretationen gleichen Variationen über musikalische Themen. Dabei geht es häufig um die leisen Töne. Mit dem Effekt, dass ihre Werke kaum auffallen. So etwa das spätbarocke Handwerkerhaus in der Münchener Brunnstraße. Der Vorbesitzer hatte es ungenehmigt ausgebaut und farblich wie ornamental aufgemotzt. Als das Büro Hild und K vom neuen Eigentümer den Auftrag bekam, das Wohnhaus im Hackenviertel wieder in Ordnung zu bringen, war ihnen klar, dass es aus philosophischen wie bautechnischen Gründen keinen Rückbau in einen vermeintlichen Urzustand geben konnte. Stattdessen boten Hild und Ottl eine integre Neuinterpretation der vom Mittelalter bis heute tradierten, quartierstypischen Fassaden an. Zwei Putzfaschen, die gegeneinander verschwenkt über dem Fenstersturz aus der Fassadenfläche kippen bzw. in diese zurückweichen, modellieren die Fassade, die bis auf den Gehsteig heruntergezogen wurde. So ergibt sich im morgendlichen und abendlichen Streiflicht ein lebendiges Schattenspiel auf der Nordfront und das Haus ist in die Nachbarschaft integriert, ohne die letzte von vielen Überarbeitungen zu leugnen. Mit feinem Understatement vermag das Büro immer wieder zur »Normalität« zurückzukehren und doch für Überraschungen gut zu sein.
Die Unmöglichkeit von Rekonstruktion und Imitation reflektierte Andreas Hild mit seinem ersten Büropartner Tillmann Kaltwasser bereits 1998/99 bei der Sanierung eines Gründerzeitbaus an der Belziger Straße in Berlin, dem im Zuge einer Nachkriegsmodernisierung jeder Bauschmuck genommen worden war. Eigentlich wünschten sich die Eigentümer die Wiederherstellung der Bauornamentik nach dem vorhandenen Eingabeplan, auch um mit der opulent historistischen Nachbarschaft mithalten zu können. Die Münchener Architekten, an Sgrafitto-Scheinarchitekturen gewöhnt, beharrten auf zeitgemäßer Differenz und ließen den vergrößerten Eingabe-Entwurf mit allen entstandenen Verzerrungen in den neuen Putz ritzen und »stanzen«. Bei dieser Art der Repräsentation stellte sich heraus, dass der alte Ornament-Plan nicht aufging, da es offenbar noch während der Realsierung Ende des 19. Jahrhunderts eine Bauänderung gegeben hatte. So bekam das skizzierte Zitat eine ironische Elastizität.
In den letzten Jahren wurden Hild und K immer wieder mit schwierigen Bauaufgaben im Bestand betreut. Da war das Renaissance-Wasserschloss Hohenkammer, das, in den 70er Jahren total verhunzt, als Tagungsstätte der Münchener Rückversicherung neuen Glanz erhalten sollte. Auch hier verbot sich jedes Historisieren. Stattdessen amalgamierten die Architekten Alt und Neu, verhalfen sogar der Betonbalkendecke über dem großen Saal zu beeindruckender Raumwirkung. Mit nur wenigen, einfachen Materialien – Massivholz, Naturstein und Putz – wurden den historischen Räumen Ruhe und Harmonie geschenkt. Sorgfältig wurde darauf geachtet, dass die neue Haus- und Medientechnik sich im Hinter- bzw. Untergrund hält. Der Versuch freilich, das Renaissance-Thema »Wandmalerei« aufzugreifen, bleibt fragwürdig. Die zaghaften Floraldekore von Martin Schwenk scheinen beliebig und finden keine Verbindung zur Architektur und der sachlich kühlen, in jedem Detail noblen Aufwertung der Raumfolgen. ›
Heutzutage eher unüblich: Die Integration von Spolien
Für viel Diskussion sorgte zuletzt die Wohnanlage Klostergarten »im Lehel«. Die Franziskaner im St.-Anna-Kloster traten den ehemaligen Refektoriums-Trakt in Erbpacht an die Bayerische Hausbau ab, um die Sanierung und Umstrukturierung ihres Klosters finanzieren zu können. Die neue luxuriöse Wohnanlage im Klosterhof mit der umliegenden Klausur zu vereinbaren, war eine Sache, der Umgang mit der gewachsenen Geschichte des Orts und dem Denkmal eine andere. Die explizit »normale« Wohnanlage, die so oder ähnlich als Hofarchitektur im 19. Jahrhundert und als Stadthaus in der Nachkriegszeit hätte gebaut werden können, bekam ihre Extravaganz durch die neoromanischen, 5 m hohen Steinbögen des ehemaligen Refektoriums. Auseinandermontiert und über die fünf Hausachsen vom Erd- bis zum Obergeschoss versetzt, bedingen die historischen Versatzstücke die Geometrie der neuen Wohnungen mit großer Wohnhalle und anschließenden Split-Level-Räumen. Dieses Spiel mit den Antiquitäten wirkt schon sehr manieriert und kommt mancher historistischen Ausstattungsstrategie seit der Romantik sehr nahe, reflektiert aber auch den Zeitgeist, der durch solch exklusive innerstädtische Wohnanlagen weht und mit einer Buddha-Statue auf einer Loggia seinen unfreiwillig komischen Ausdruck findet. Dem gewachsenen Kloster-Ensemble tun die wiederverwendeten Doppelbögen indes gut. Sie binden die so fremde Welt des Luxus und der Moden an die Traditionen des Orts und des Bettelordens. Ein schlichtes Eisengitter, das zwischen einfachem Lattenzaun und hochherrschaftlichem Spalier changiert, schafft die nötige diskrete räumliche Trennung der Sphären.
So sehr die Auseinandersetzung mit dem Tradierten in der »Welt der Architektur« bei Andreas Hild und Dionys Ottl eine gewichtige Rolle spielt, so wenig führen sie ihre kommunikativen Strategien zu unreflektierten, sentimentalischen, werbestrategisch plakativen Übernahmen historischen Materials. Mit Ironie und Taktgefühl wissen sie den feinen Unterschied zeitge- nössisch zu kultivieren. •
db-Ortstermin: Am 30. Juli laden wir Sie um 16.00 zu einem architektengeführten Rundgang durch das Hotel Louis am Münchener Viktualienmarkt ein.
Anmeldungen bitte bis zum 30. Juni unter: www.db-ortstermin.de
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