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Experimentierfeld Stadtbrache

»Wriezener Freiraum Labor« in Berlin
Experimentierfeld Stadtbrache

Internetzugang im Park, ein halbwilder Gemüsegarten, ein grünes Klassenzimmer … – In Berlin entwickelt sich derzeit mit dem Modellvorhaben »Wriezener Freiraum Labor« sukzessive eine neuartige Form von Park, der stärker als andere von seinen zukünftigen Nutzern geprägt sein wird. Noch gleicht das Ganze einem verwilderten Experimentierfeld, doch kleinere Teilbereiche sind bereits fertig – ein Zwischenstand der Planungen, und ein Hinweis auf eine zukunfts- weisende Herangehensweise im Umgang mit öffentlichen Freiflächen.

{Architekten: tx – büro für temporäre architektur {Kritik: Mathias Remmele Fotos: Mathias Remmele u. a.

Das Areal, auf dem heute im Berliner Bezirk Friedrichshain das sogenannte Wriezener Freiraum Labor entwickelt wird, gehört zu jenen verwilderten Stadtbrachen, an denen es der Hauptstadt wahrlich nicht mangelt. Als vor wenigen Jahren die zwischen Ostbahnhof und Warschauer Brücke gelegene Fläche des ehemaligen Wriezener Güterbahnhofes zum Gewerbegebiet umgewidmet wurde, bestimmte man einen schmalen Geländestreifen längs der Helsingforser Straße zur Grünzone – als Ausgleichs- und Ersatzmaßnahme für versiegelte Flächen, wie es der Gesetzgeber verlangt und um eine Pufferzone zwischen Gewerbegebiet und dem benachbarten Wohnquartier zu schaffen. Nüchtern betrachtet eine ziemlich kümmerliche Restfläche von rund 1,8 Hektar, etwa 550 Meter lang und im Durchschnitt kaum dreißig Meter breit; eingeklemmt zwischen dem neu geschaffenen Gewerbegebiet, auf dem die dunkelblaue Blechkiste eines Metro-Marktes dominiert, und einer wuchtigen Mauer aus Betonplatten entlang der Helsingforser Straße, an der billig sanierte, gründerzeitliche Mietshäuser und ein heruntergekommener Plattenbau einen schäbigen Eindruck machen. Auf dem Gelände selbst ein halbruinöser Lokschuppen und Reste der Verladerampen aus zerbröselndem Beton, um die sich im Lauf der Jahre eine erstaunlich vielfältige und bisweilen durchaus reizvolle Spontanvegetation entwickelt hat. ›
Architekten als Initiatoren, Organisatoren, Koordinatoren
Man kann sich denken, was unter normalen Umständen aus diesem Gelände geworden wäre: eine jener uninspiriert gestalteten, billig angelegten und schlecht gepflegten Grünanlagen, die vor allem von Hundebesitzern und pubertierenden Jugendlichen frequentiert werden. Dass es im Fall des Wriezener Parks anders kam, hat einerseits mit einem außergewöhnlichen lokalen Engagement in der »Planungswerkstatt« – einer im Rahmen des Bebauungsplanverfahrens initiierten Bürgerbeteiligung – zu tun und andererseits mit dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Das nämlich unterstützt das im Rahmen der Planungswerkstatt entwickelte Ideenkonglomerat Wriezener Freiraum Labor aus dem Fördermitteltopf »Experimenteller Wohn- und Städtebau« (ExWoSt). Als anerkanntes Modellvorhaben in der Kategorie »Gestaltung urbaner Freiräume – Öffentlicher Raum für alle Generationen« kann das vom Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg getragene und mit einem Budget von 300 000 Euro ausgestattete Projekt jetzt im Verlauf von drei Jahren (bis 2009) mit finanzieller Rückendeckung aus Bundesmitteln in Höhe von zusätzlich rund 800 000 Euro realisiert werden.
Das Besondere am Konzept des Wriezeners Freiraum Labors besteht darin, dass die potenziellen zukünftigen Nutzer des Geländes nicht nur in die Planung für das Areal einbezogen, sondern auch in die praktische Umsetzung dieser Pläne und in den späteren Betrieb des Parks integriert werden. Für diese Entwicklung sind die beiden Architekten Ines-Ulrike Rudolph und Gabor Stark, die vor acht Jahren »tx – büro für temporäre architektur« gründeten, maßgeblich verantwortlich. Sie kamen über das Bebauungsplanverfahren zu dem Projekt und wurden vom Bezirk Kreuzberg beauftragt, den Planungsprozess in Gang zu bringen, die verschiedenen Nutzungsinitiativen und -ideen zu koordinieren und schließlich die von allen beteiligten Gruppen entwickelten Vorstellungen in einen realisierbaren Gestaltungsplan zu übersetzen. Gleichzeitig waren sie es auch, die sich durch das Bewerbungsverfahren beim Bund um Fördermittel für das Vorhaben bemühten.
Fünf Module, zig Beteiligte
Der Anspruch des Freiraum Labors, für viele Funktionen und Nutzergruppen offen zu sein, konkretisiert sich in den einzelnen Projekt-Modulen, denen jeweils bestimmte Zonen des Areals zur Verfügung stehen. Zu den wichtigsten und sicherlich verlässlichsten Akteuren auf dem Areal zählt das direkt benachbarte Dathe-Gymnasium. Es nutzt den Park als »Grünes Klassenzimmer« zur Beobachtung und Bestimmung von Pflanzen, für einen Schulgarten, in dem Futter für die Tiere der schuleigenen Biostation angebaut wird und für einen phänologischen Garten. Er ist Teil eines weltweiten Forschungsprojektes, bei dem es um die Beobachtung von Pflanzenwachstum unter verschiedenen klimatischen Bedingungen geht. Auch im Sportunterricht der Schule wird der Park, dessen zentraler Erschließungsweg in einem Teilbereich als Hundert-Meter-Bahn angelegt werden soll, bald eine Rolle spielen.
Für die Akzeptanz und Nutzung des Parks vor allem durch junges Publikum sind Sport- und Spielflächenangebote von entscheidender Bedeutung. Sie sind, entsprechend dem sogenannte Sportparcours, über das gesamt Gelände verteilt. Ein multifunktionales Sportfeld am östlichen Ende des Areals besteht bereits und dient hier, von der Warschauer Brücke aus gut sichtbar, als eine Art Aushängeschild für den Park. Eine Gruppe von BMX-Radlern hat an anderer Stelle auf dem Gelände vor Kurzem einen »Pump Track«, eine Art ›
› Buckelpiste, angelegt und bald soll eine Sportplaza für weitere sportliche Aktivitäten zur Verfügung stehen.
Für ein weiteres Modul, den »FreifunkHain«, in dessen Rahmen eine allgemein zugängliche WLAN Funkstation im Park installiert werden soll, engagieren sich Studenten und Absolventen der Landschaftsarchitektur, Kunst und Infomatik, die zur »Freifunk«-Initiative zählen. Die Funkstation ist als Plattform für die Kommunikation zwischen den Akteuren vom Freiraum Labor gedacht, will aber auch medienkünstlerischen Projekten offen stehen. Betrieben werden soll sie mit vor Ort, direkt auf den einzelnen Masten gewonnenem Solarstrom.
Eine weitere Besonderheit ist das Modul »Fukuoka Demofeld«, das dem sogenannten halbwilden Gemüseanbau dient. Es basiert auf den Ideen des Japaners Fukuoka Masanobu, der sein etwas esoterisch anmutendes Pflanz-Konzept selbst als »Nichts-Tun-Landwirtschaft« beschreibt. Die Aufgabe des Menschen beschränkt sich demnach im Wesentlichen auf Aussäen (die richtigen Pflanzen zur richtigen Zeit) und Ernten. Das Fukuoka-Demofeld gehört zu den Modulen, die auf dem Gelände bereits vorhanden sind, und so stolpert man zwischen dem Wildwuchs da und dort plötzlich auf Kohlrabi, Tomatensträucher oder Schnittlauchbüschel. Ein Problem dieses Moduls ist seine Anfälligkeit gegenüber Vandalismus. Bleibt abzuwarten, wie frustresistent die Fukuoka-Gärtner auf die Dauer sein werden.
In einem letzten Projekt-Modul geht es schließlich um den architektonisch und räumlich reizvollen alten Lokschuppen am westlichen Ende des Areals. Er soll schon bald zum kulturellen Kern des Parks hergerichtet werden, so dass er als begehbare Skulptur, als Aussichtspunkt und als Servicestation für die im Park engagierten Gruppen dienen kann.
Wider den Dornröschenschlaf
Soweit die in Ansätzen bereits verwirklichte Planung für das Freiraum Labor, durch die das Gelände keiner radikale Neugestaltung unterworfen wird. Auch nach seiner Fertigstellung – soweit man davon überhaupt sprechen kann – soll sich der Park in einem »halbwilden« Zustand befinden. Das wird seinen Reiz ausmachen und dürfte gleichzeitig Kritiker auf den Plan rufen, die es gerne »schön ordentlich« haben. Fest steht aber, dass dieses Modellvorhaben mit der Eigeninitiative und der praktischen Mitarbeit seiner Nutzer steht und fällt. Ohne deren andauerndes Engagement geht das Konzept des Freiraum Labors, dessen Tragfähigkeit sich im Verlauf der nächsten Jahre beweisen muss, nicht auf und das Gelände dürfte dann entweder in einen neuen Dornrösschenschlaf sinken oder aber einer »normalen« Stadtgrünplanung zugeführt werden. Das wäre schade. •
Bauherr: Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg, Abt. Bauen, Wohnen und Immobilienservice, Amt für Umwelt und Natur Architekten/Projektleitung: tx – büro für temporäre architektur, Berlin Weitere Beteiligte und Initiativen: complizen Planungsbüro, Berlin; atelier le balto, Berlin (bis 2007); Dathe-Gymnasium; FreifunkHain; Fukuoka-Demofeld; BMX Berliner Bund e.V.; Stadtteilbüro Friedrichshain; Albatros e.V.; Runder Tisch Senioren; Familie & Co – Einhorn e.V.; BUND Umweltverband; LokDock Friedrichshain; workstation e.V.; Sunflower Hostel; Anwohner Baukosten: Eigenmittel Bezirksamt: 300 000 Euro (bauliche Mittel); ExWoSt-Förderung 707 100 Euro (Bundesmittel für Entwicklung und Planung sowie bauliche Mittel für Lokschuppen und FreifunkHaine) Bauzeit: 2007 bis 2009
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