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Rolf Dischs Wohn-/Experimentalhaus »Heliotrop« in Freiburg

Spaziergang durch die Landschaft
Wohn-/Experimentalhaus »Heliotrop« in Freiburg (1994)

Prinzip Sonnenblume: Seit nun fünfzehn Jahren dreht sich das seinerzeit für Furore sorgende und ein neues Bewusstsein für energieeffizientes Bauen einleitende Heliotrop im Einklang mit der Sonne. Nur im Sommer verharrt das besagte Plusenergiehaus gen Osten, um Überhitzung zu vermeiden. Gerade im derzeitigen Energiespar-Zeitalter ist das Gebäude aktueller denn je, was sich auch an wieder zunehmenden Besucherzahlen zeigt. Doch eine Frage stellt sich nun: Würde sich heute noch der Aufwand für seine Drehbarkeit lohnen?

  • Architekt: Rolf Disch, Freiburg
    Energiekonzept: Krebsler & Freyler
  • Text: Rüdiger Krisch
    Fotos: Rüdiger Krisch u. a.
Häuser werden Immobilien genannt – »im-mobil« insofern, als dass sie sich nicht bewegen können. Ausnahmen von dieser alten Regel sind – von Wohnmobilen einmal abgesehen – außerordentlich selten. Auch verstehen sich die wenigen Projekte beweglicher Häuser meist als Prototypen, die nicht nur ein neues Kapitel in der Architekturgeschichte aufschlagen, sondern sich gleichzeitig selbst als Titelbild für eben dieses empfehlen wollen.
In diese Kategorie fällt zweifellos auch das wahrscheinlich derzeit bekannteste und meistpublizierte bewegliche Gebäude in Mitteleuropa, das Heliotrop in Freiburg. Das vom ebenso einschlägig bekannten »Solar-Architekten« Rolf Disch entwickelte Experimentalgebäude hat das Thema energie-effizientes Bauen in die Diskussion gebracht und steht auch heute noch beispielhaft für die »Solarisierung« der Architektur. Daran haben – neben der zweifellos im Projekt enthaltenen technologischen Innovation und dem kommunikativen Talent seiner Erbauer – nicht zuletzt die markante Form und die axiale Beweglichkeit des Hauses ihren entscheidenden Anteil.
Dass das in einer Kleinserie von drei Stück produzierte Heliotrop ein Demonstrativ-Bauvorhaben ist, lässt sich schon am Schicksal der beiden anderen Exemplare sehen, von denen hier nur kurz die Rede sein soll: Das eine ›
› war im Sommer 1994 für einige Monate ein Ausstellungsstück auf der Messe Swissbau in Basel, wurde anschließend demontiert und in Hilpoltstein südlich von Nürnberg wieder aufgebaut, wo es als Dentallabor genutzt wird. Das zweite dient im Schwarzwald auf dem Firmengelände eines Herstellers von Badarmaturen als Besucherzentrum, wurde dort aber aus Kostengründen ohne Drehmechanik erstellt.
Der Sonne Nach
Das von Rolf Disch und seiner Frau im Selbstversuch bewohnte Heliotrop steht am südöstlichen Stadtrand von Freiburg am Rande von Weinbergen in einer geringfügig älteren, äußerlich recht konventionellen Solarsiedlung, die ebenso aus der Feder von Disch stammt. Der geometrisch klare Zylinder ruht auf einem schlanken Fuß, der seinerseits in einem in den Hang geschobenen Sockelgeschoss steckt. Der Zylinder ist umgeben von einer zweiten Fassadenschicht aus Balkonen und Kollektoren, auf dem Dach thront eine imposante PV-Anlage.
Die zylindrische Form ist das erste äußere Indiz für die Mobilität des Hauses: Oberhalb seines kleinen »Fußabdruckes« kann sich das gesamte Gebäude um seine Mittelachse drehen und dadurch dem Lauf der Sonne folgen. Selbst die Treppe und die Eingangstür sind dabei in Bewegung – nur die zentrale Säule und die daran angelagerten Leitungen bleiben fixiert an ihrem angestammten Ort. Die verglaste Hälfte des Zylinders folgt der Sonne, um einen möglichst großen Anteil von deren Strahlung in die Warmwasser-Kollektoren und durch die Glasfassade ins Innere des Hauses zu befördern. Dies alles gilt allerdings nur im Winter, wenn solare Erträge aus passiven und aktiven Maßnahmen erwünscht sind – im Sommer bleibt das Haus zur Vermeidung von Überhitzung meist den ganzen Tag über mit seiner geöffneten Hälfte nach Osten orientiert.
Hinterfragt
Dem erklärten Ziel der Drehbarkeit zur Maximierung solarer Erträge stehen einerseits der (nach Angaben der Architekten allerdings sehr niedrige) Energiebedarf der Mechanik sowie der technische, materielle und finanzielle Aufwand zu ihrer Erstellung entgegen. Zudem wurden in den vergangenen Jahren sowohl die Dämmwirkung von Materialien der Gebäudehülle (Gläser und geschlossene Paneele) als auch die Effizienz von Kollektoren so drastisch verbessert, dass die Frage erlaubt sein muss, ob der Aufwand für die Bewegung des Hauses heute noch in einem sinnvollen Verhältnis zu deren Nutzen steht.
Allerdings sollte man den experimentellen Gehalt des Heliotrop nicht auf seine Drehbarkeit reduzieren. Es enthält zahlreiche ökologische Komponenten, die inzwischen fast schon Standard sind, aber damals innovativ und beispielhaft waren. Etwa das fast vollständig aus Holz und Holzwerkstoffen gefertigte Tragwerk oder die kontrollierte Be- und Entlüftung mit vorschaltbarem Erdkanal und zwei integrierten Wärmetauschern, die den Solarspeicher und die Restwärme der Abluft zur Erwärmung der Zuluft nutzen. Erwähnenswert ebenso ein System zur Regenwassernutzung sowie zur Klärung und Rückführung von Grauwasser und ein im Sockel befindlicher Pelletofen, der für die Deckung der Heizlast an besonders kalten Tagen gedacht war – aber nach Auskunft der Bewohner praktisch nie zum Einsatz kommt.
Die aktiv-solaren Komponenten des Hauses treten sehr unterschiedlich in Erscheinung: Während die Vakuumröhrenkollektoren zur Erzeugung von Warmwasser als Geländerstäbe des äußeren Umgangsbalkons fungieren und somit funktional wie gestalterisch in die Architektur integriert sind, bildet die PV-Anlage als über dem Dach schwebendes Segel ein aufgesetztes, optisch unabhängiges Element. Dies hat den Vorteil, dass sie sich frei von der Bewegung des Hauses um zwei Achsen drehen und somit auch im Sommer Erträge bringen kann, wenn das Haus selbst »stationär« bleibt.
Spaziergang mit der Natur
Die Bedeutung der Beweglichkeit liegt insofern weniger in der Erhöhung des energetischen Ertrags als in dem ganz speziellen, einzigartigen Wohn-erlebnis: Nahezu unmerklich (üblicherweise im Tempo des Sonnenlaufs von 15 ° pro Stunde) bewegt sich der Zylinder mit der Sonne und liefert dadurch den Innenräumen nicht nur immer neue Lichtstimmungen, sondern auch langsam wechselnde Aussichten auf die östlich angrenzenden Weinberge, den Merzhausener Schönberg im Süden sowie nach Westen über die Rheinebene. Wie in Zeitlupe kann man die Landschaft an sich vorbeiziehen lassen, ohne sich aus dem Sessel zu erheben. Obwohl der Autor nur einen halben Meter Bewegung erleben konnte, ist der besondere Reiz dieser Promenade gut vorstellbar.
Angesichts des aufwändigen Apparates, der die Drehung des hundert Tonnen schweren Hauses ermöglicht, ist es doch erstaunlich, dass nach Auskunft der Bewohner in 15 Jahren genau ein mechanischer Schaden aufgetreten ist: Als der Sturm Lothar zu Weihnachten 1999 übers Land zog, traute Rolf Disch der automatischen Sicherung des Photovoltaik-Segels nicht und versuchte, es mittels manueller Steuerung einzuklappen. Dabei brach die Ölwanne des zugehörigen Getriebes, ihr Inhalt tropfte durch den zentralen Kern bis in den Fuß des Gebäudes. Hätte Disch sich auf die Automatik verlassen, wäre der Schaden wahrscheinlich nicht aufgetreten. Trotz dieser Episode kann man das Haus als alltagstauglich bezeichnen – übrigens auch in puncto regelmäßiger Pflege und Unterhaltung, die sich von einem konventionellen, stationären Gebäude nicht nennenswert unterscheidet.
› Gewöhnungsbedürftig sind weniger die Bewegung des Hauses an sich als vielmehr ihre typologischen und haustechnischen Nebenwirkungen: Der Architekt entwarf um die zentrale tragende Stahlstütze eine Sequenz spiralförmig ansteigender Räume, deren einzelne Teilebenen jeweils ein Drittel des Grundrisses abdecken und – abgetrennt beziehungsweise verbunden durch eine schmale, tortenstückförmige Zwischenstufe – um ein Drittelgeschoss gegeneinander versetzt sind. Diese Abfolge ist konsequent durchgehalten, verhindert aber die Entstehung wirklich großzügiger zusammenhängender Räume – was gerade für ein von nur zwei Personen bewohntes Haus durchaus reizvoll wäre. Hingegen ermöglicht die Drehbarkeit zwar noch ein Mindestmaß an sanitärer Installation (über Druckschläuche), bietet aber keinen Leitungsweg für die Ableitung von Fäkalien an. Daher ist das Heliotrop nur mit zwei Kompost-Toiletten ausgerüstet, die gelegentlich geleert werden müssen. Das funktioniert zwar im Alltag seiner Bewohner problemlos, wäre aber sicherlich nicht jedermanns Sache.
Fluch oder Segen?
Auf die Frage nach dem Lerneffekt aus dem Experimentierhaus antwortet der Architekt differenziert: Angesichts der experimentellen Ziele des Projekts wurde so viel unterschiedliche Technik in das Haus gezwängt, dass die Koordination nicht überall gelang und manche Maßnahmen sich als redundant erwiesen oder auch über ihr Ziel hinausschossen. Aus seinem heutigen Kenntnisstand heraus würde Disch auf bestimmte High-Tech-Komponenten wie zum Beispiel die raumweise organisierte Heizungssteuerung verzichten und das über den Eigenbedarf hinaus produzierte Warmwasser entweder saisonal speichern oder an die Nachbarschaft zur Nutzung weiterleiten. Die Drehbarkeit des Hauses stellt er hingegen trotz ihrer fragwürdigen Effizienz bis heute nicht in Frage, ordnet ihre Zielsetzung jedoch weniger dem technischen als dem atmosphärischen Aspekt zu. Seine Frau geht noch einen Schritt weiter und interpretiert die Bewegung des Hauses als implizite Anregung zum Nachdenken über die Kreisläufe, in denen alle natürlichen Prozesse organisiert sind.
Allerdings ist es genau die – fraglos aus der Drehbarkeit entstandene – zylindrische Form, die einer städtebaulichen Anwendbarkeit des Heliotrops als Gebäudetypus enge Grenzen setzt. Überhaupt kann man das Erscheinungsbild des Experimentalhauses als Segen oder Fluch interpretieren: Seine Extravaganz hat einerseits die erwünschte Aufmerksamkeit für das energieeffiziente Bauen erzeugt, andererseits aber möglicherweise der Entwicklung einer unprätentiösen, alltäglichen solaren Ästhetik im Weg gestanden. Unabhängig davon muss man auch 15 Jahre danach den Mut des Architekten loben, ein solches Projekt praktisch ohne Fördermittel auf eigenes, persönliches Risiko zu realisieren. Ebenso bemerkenswert ist das – an Sendungsbewusstsein grenzende – Engagement, mit dem das Ehepaar Disch sich weiterhin um die Verbreitung des Gedankens des energiesparenden Bauens bemüht. Dass dieses Thema immer aktueller wird, statt in die Jahre zu kommen, ist eine positive Entwicklung. In den frühen Neunzigern war das Heliotrop seiner Zeit zweifellos um Jahre voraus. Es hat eine Diskussion angestoßen und vorwärts gebracht, aus der wichtige Erkenntnisse und zahllose technische Innovationen hervorgegangen sind. Und: Es hat dem zeitlosen Anliegen, dass Gebäude künftig mehr Energie erzeugen sollen, als sie verbrauchen, ein unverwechselbares Gesicht gegeben. Den oben erwähnten Fragezeichen zum Trotz trägt der Diskurs zum Thema bis heute dieses Gesicht. •
Bauherr/Architekt: Rolf Disch, Freiburg Tragwerksplanung: Lignaplan AG, Waldstatt (CH) Simulationen: Sunna, Dr. Wilhelm Stahl, Freiburg (heute Stahl+Weiß) Haustechnik: Krebsler & Freyler, Teningen Generalunternehmer: Blumer AG, Herisau (CH) Holzbauer: Unmüssig & Co. KG, Freiburg Nutzfläche: 355 m2 Baukosten: 3,2 Mio. DM (inkl. Entwicklungs- und Planungs- sowie Grundstücks- und Erschließungskosten), Kosten »Baumhaus« ca. 850 000 DM Bauzeit: Sommer 1993 bis Sommer 1994 Seinerzeit errechneter Heizenergiebedarf: 21 kWh/m2a (»Baumhaus«), 47 kWh/m2a (Sockelgeschoss) PV/Solarmodule: Siemens M 110 L, 60 Stück, monokristallines Silizium, Nennleistung Gesamtanlage 6,6 kW Vakuumröhrenkollektoren: Viessmann, Allendorf (Eder)
Kosten für Gruppenführungen (bis maximal zwanzig Personen) durch das Heliotrop: pauschal 300 Euro zzgl. MWSt., für Studierende 200 Euro, Samstagszuschlag 100 Euro. Terminvereinbarung Mo–Fr zwischen 8–9 Uhr, Tel. 0761 459320
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