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Etikettieren ist nicht Planen

Zur Einführung des Energiepasses
Etikettieren ist nicht Planen

Der Energiepass rückt näher. Für das kommende Jahr ist die Einführung einer neuen Verordnung im Baugenehmigungsprozess zu erwarten, die für Nichtwohngebäude auf neuen Berechnungsregeln basiert. Damit wird ein weiterer Schritt zur Intensivierung und Harmonisierung von Vorschriften und Berechnungsregeln für Gebäude getan. Aber: Harmonisiert die gleichzeitige Einführung des Energiepasses in den Genehmigungsprozess auch mit den Erfordernissen des energiesparenden Planens und Bauens?

Text: Christian Fischer

Die Bundesregierung hat im Oktober 2006 beschlossen, den Energiepass zum 1. Januar 2008 verbindlich einzuführen, das heißt im Handelsverkehr von Wohngebäuden zu verlangen. Für Nichtwohngebäude wird er ab 1. Januar 2009 Pflicht. Der Pass gibt Auskunft über die »Gesamtenergie- effizienz« von Gebäuden und bewertet diese in einer von Grün (niedriger Energiebedarf) nach Rot (hoher Energiebedarf) wandernden Skala und soll eine Gültigkeitsdauer von zehn Jahren haben. Der neueste Referentenentwurf zur Energieeinsparverordnung (EnEV) vom 16. November 2006 regelt dies im Einzelnen. Für den Sommer 2007 rechnet man mit der Verabschiedung einer neuen EnEV.
In der Diskussion »Bedarfs- oder Verbrauchsausweis?« haben die Bundesminister Michael Glos (Wirtschaft und Technologie), Sigmar Gabriel (Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit) und Wolfgang Tiefensee (Verkehr, Bau und Stadtentwicklung) wie folgt entschieden:
  • Für Gebäude mit bis zu vier Wohnungen, die vor 1978 gebaut wurden, muss ein bedarfsorientierter Ausweis vorliegen. Bei Beanspruchung von staatlichen Fördermitteln gilt dies grundsätzlich für alle Wohnbauten.
  • Bei allen anderen Gebäuden kann zwischen bedarfs- und verbrauchsorientiertem Pass gewählt werden.
Der verbrauchsorientierte Pass ist nur für Bestandshäuser möglich und kann aus dem klimabereinigten Energieverbrauch der letzten drei Jahre gemittelt werden. Der bedarfsorientierte Pass ist unabhängig vom tatsächlichen Nutzerverhalten und wird rechnerisch ermittelt. Er ist aufwändiger zu erstellen, da er eine Nachweisrechnung gemäß der neuen EnEV beinhaltet.
Tiefensee hat für die Erstellung (ohne Bestandsaufnahme und Sanierungsvorschlag) Aufwendungen von 40–60 Euro (Verbrauchsausweis) und 80–120 Euro (Bedarfsausweis) genannt [1]. Diese Zahlen sind leider weit von der Realität entfernt. Horschler, »Energiepass – Energieausweis, Ein babylonisches Sprachgewirr« [2] hat gezeigt, dass selbst bei nicht offensichtlich falschen Annahmen sehr unterschiedliche Ergebnisse entstehen können. Dieser lesenswerte Beitrag verdeutlicht, dass die Ersteller und Prüfer der Ausweise nicht annähernd auf einen angemessenen Umgang mit der komplexen Sache vorbereitet sind, insbesondere nicht, wenn ein so minimaler Aufwand suggeriert wird.
Bei Nichtwohngebäuden bietet die zugrunde zu legende DIN V 18 599 ein wesentlich aufwändigeres Berechnungsverfahren an, welches analytisch angemessener ist. Während Wohngebäude so wie bisher berechnet und bewertet werden (außer bei Warmwasserbereitung aus Strom), müssen für Nichtwohngebäude der Gesamtenergiebedarf einschließlich mechanischer Lüftung, Kühlung, Strom (auch für Beleuchtung und Hilfsenergien) ermittelt werden. Die neue Norm 18 599 stellt hierfür umfangreiche Berechnungsregeln zur Verfügung. Sie sind in ihrer Komplexität im Grundsatz bewunderungswürdig, auch wenn es berechtigte wissenschaftliche und praktische Einwände gibt, siehe z. B. [3].
Um welche Ziele geht es?
Die bisherige EnEV bezieht sich auf den Genehmigungsprozess (Neubau, Renovierung, Erweiterung), während der Pass für den gesamten Gebäudebestand Pflicht wird, sobald dieser in den Handel gerät (Verkauf, Vermietung) oder öffentlicher Besitz ist. Die inzwischen geschaffenen Instrumente lassen ihre Absicht, eine Bestandssituation zu erfassen und zu bewerten, deutlich erkennen. Es werden alle Energieverbraucher erfasst, wie es für eine »Momentaufnahme« eines in Betrieb befindlichen Gebäudes ja auch angemessen ist. Ziel ist, das Gebäude zu etikettieren und mit anderen vergleichbar zu machen, neudeutsch: zu benchmarken. Damit soll, das ist die politische Absicht, im Handelsverkehr Druck in Richtung Verbesserung der Energiesparmaßnahmen ausgeübt werden. Soweit, so gut.
Diese Instrumente werden nun in den Genehmigungs- und damit Planungsprozess von Gebäuden eingeführt, so als wären beschreibende/analytische Instrumente unmittelbar planungstauglich. Die Einhaltung von Standards wird übrigens von der zugrunde liegenden EU Richtlinie nicht gefordert. Diese fordert – wie üblich aus Brüssel – nur eine begriffliche Vergleichbarkeit. Meine Kritik ist, dass ein Beschreibungsinstrument zum Planungsinstrument gemacht wird. Ein Gebäude ist ein langlebiges Wirtschaftsgut, während seine technischen Einrichtungen eine kürzere Lebensdauer haben. Werden alle Energieverbraucher gleichgestellt, so hat das zur Folge, dass alle im Betrieb relevanten Einflüsse auf den Energieverbrauch gleichrangig mit der Qualität der Gebäudestruktur und der Bausubstanz bewertet werden und sich (in Grenzen) gegenseitig substituieren können. Dies ist planerisch ein falscher Effekt.
Energiesparend Bauen!
Gibt es moderne technische Anlagen, die eine Bausubstanz mit höheren Energieverlusten wünschen? Unsere Erfahrung seit Einführung der EnEV 2002 zeigt, dass bei größervolumigen Gebäuden die Dämmschichtdicke z. B. auf 5 cm reduziert werden konnte, ›
› was verantwortungsbewusste Planer natürlich vermieden haben. Hier spielt vor allem die Nichtbeachtung der Volumenabhängigkeit des A/V-Verhältnisses eine Rolle [4], ein seit der ersten Wärmeschutzverordnung vererbter Fehler. Die Anforderung an die Transmissionsverluste (HT´) fällt dadurch bei größeren Volumina weit hinter den erreichten Stand energiesparenden Bauens zurück, während sie bei kleinen kaum erfüllbar ist. Mit der Anforderung an den Jahres-Primärenergiebedarf (QP´´) wird dies teilweise ausgeglichen; hier gehen aber die Verrechnungen mit allen Energiequellen und -trägern ein (bei Nichtwohngebäuden über ein Referenzverfahren), wobei ebenfalls die Ausgleichsmöglichkeiten bestehen und die Volumenabhängigkeit des A/V-Verhältnisses ebenso unbeachtet bleiben.
In der Planung eines energieeffizienten Gebäudes sind,
  • die Transmissionswärmeverluste nach den Regeln der Technik zu senken,
  • falls nutzungsbedingt möglich: die Lüftungswärmeverluste zu senken,
  • Gebäudekubaturen für natürliche Belichtung zu optimieren (was kompakter Bauweise widersprechen kann!),
  • Solareinstrahlungen im Sommer zu mäßigen, ggf. mit variablen Bauteilen.
Dies sind die Gegenstände im Genehmigungsprozess, für die es unabhängig von EU-Richtlinien und Energiepässen klare Standards zu setzen gilt. Verrechnungsansätze, die diese Zielsetzung wieder aufweichen, werden nicht gebraucht.
Mit der komplexen Betrachtung aller Energieströme – auch der technischen Anlagen – in HOAI-Leistungsphase 4 zwingt man den Planer zum Treffen von Annahmen »zur sicheren Seite« hin, denn viele der zu recherchierenden technischen Details sind zu dem Zeitpunkt noch nicht bekannt. Auf diesem Weg, einer Art Blinde-Kuh-Spiel, können unwirtschaftliche und vielleicht sogar energiepolitisch unvernünftige Resultate entstehen. Das kann nicht Basis einer zukunftsweisenden Planung sein. Im Baugenehmigungsverfahren ist eine Rückkopplung zur Fernwärmeversorgung (vom Gebäudeplaner ohnehin unbeeinflussbar), zu diesen oder jenen Vorlauftemperaturen, zu modernen Energiesparlampen (vielleicht im nächsten Jahr bei einem Nutzerwechsel schon wieder entfernt) usw. fehl am Platz.
Ganzheitliche Planung
Ich spreche hier von allen Bauvorhaben, nicht von besonders ambitionierten Energiespargebäuden. Wer seine Ziele in Richtung Niedrigenergiehaus definiert, muss sicher anspruchsvollere Ingenieurleistungen bemühen, die sich zur planerischen Zwischenbilanzierung dann auch der Instrumente der DIN V 18 599 bedienen können. Auch er muss – anders bei der bloßen Bestandsbeschreibung – Technik und Bau gemeinsam optimieren, nicht eines auf Kosten des andern.
Ganzheitliche Planung ist eine eigene Aufgabenstellung. Sie bedient sich vielfältiger ingenieurtechnischer Instrumente. Schwerpunkte können z. B. gründliche Standortrecherchen zur möglichen Energieversorgung sein oder auch Simulationsvarianten von Gebäudeausschnitten für das Zusammenwirken von architektonischen und technischen Maßnahmen. Auch die Verwendung der DIN V 18 599 kann dabei hilfreich, aber sicher nicht das einzig sinnvolle Instrument sein. Im Deutschen Ingenieurblatt [5] wurde kürzlich unter Bezug auf den kommenden Energiepass betont, dass trotz dessen komplexer Hintergründe die Planung energieeffizienter Gebäude für gute Fachingenieure kein Problem sei. Darum geht es nicht! Es geht um den richtigen und effektiven Einsatz planerischer Intelligenz.
Der Energiepass ist ein Handelsinstrument, kein Planungsinstrument. Er gibt eine Momentaufnahme eines Bestandes, er beschreibt. Sein instrumenteller Apparat kann auch ein Hilfsinstrument in einer ganzheitlichen Planung sein, aber nicht ein Nachweisinstrument in der Gebäudegenehmigung und damit Entwurfsplanung. Denn dann muss er »Informationen« annehmen, die in der Entwurfsplanung noch weich sind, muss lang- und kurzlebige Güter gleichstellen und kann rechnerische Ausgleichsmöglichkeiten nutzen, die planerisch nicht sachgerecht sind.
Gebäudestruktur und Baumaterialeigenschaften sind in der Gebäudegenehmigung energiesparend zu regulieren. Nicht mehr und nicht weniger. Hierfür sind instrumentell einfache Vorgaben nicht nur möglich [4], sondern sogar angemessen. Bauphysiker, Technikplaner und Energieberater müssen für ihr Honorar das tun dürfen, was für den zahlenden Bauherrn jeweils vordringlich und hilfreich ist. Wer erinnert sich eigentlich noch, dass die Honorare für Leistungen § 78 HOAI bis heute auf die WSVO 1982 bezogen sind? Dieser Pflicht-Honorareinsatz, den der Markt häufig schon nicht mehr hergibt, muss absolut effektiv sein. Darüber hinaus kann und sollte wer will gern eine »Kür« leisten (und honorieren), die sich sinnvoller ingenieurtechnischer Arbeit bedient. In dieser sind beschreibende und auf Einzahl-Benchmarking ausgerichtete Instrumente aber sicher nicht das primäre Mittel der Wahl.
Schlusswort
Halten wir fest: Energiepässe mögen als Etikettierung für bestehende Gebäude wie vorgesehen erstellt werden. Die Baugenehmigung muss unabhängig davon für Gebäude einen guten Energiespar-Standard sicherstellen. Differenzierte ganzheitliche Planung kann darüber hinaus für jeden Bauherrn geleistet werden; aber sie wird bei Anwendung von bestehender und zukünftiger EnEV nicht automatisch mitgeliefert. Daher sollte im Baugenehmigungsprozess, ähnlich wie beim Schallschutz mit der DIN 4109, ein guter baulicher Standard definiert, z. B. in DIN 4108 niedergelegt und bauaufsichtlich eingeführt werden. Die Norm heißt ja inzwischen »Wärmeschutz und Energieeinsparung in Gebäuden«. Jetzt muss sie nur noch ihrem Namen gerecht werden und energiesparendes Bauen auch tatsächlich regeln, so relativ einfach wie dies angemessen ist.
Das Baugenehmigungsverfahren ist Ländersache, die Energiepolitik Bundessache und das Einzahl-Benchmarking EU-Sache. Umso eher könnten die Länder in ihrem Genehmigungsprozess ein – noch zu erstellendes und nur gebäudebezogenes – Normblatt 4108 verbindlich einführen, während der Bund seine EU-konformen Energiepässe in Handel und Bestand fordert, ohne dass diese genehmigungsrelevant werden – und dann auch eine vernünftige und effektive Planung nicht stören. •
{ Literaturhinweise und Quellen:
[1] Britta Großmann: Koalition findet Kompromiss, in: DDH, Deutsches Dachdecker Handwerk 22/2006, S. 22 f.
[2] Stefan Horschler: Energiepass – Energieausweis, Ein babylonisches Sprachgewirr, in: Deutsches Ingenieurblatt 03/06, S.21 ff.
[3] Stefan Kern: Innovativ bis ins Detail, Trotzdem Kritisches über Teile der DIN V 18 599, in: Deutsches Ingenieurblatt, Nr. 12 2006, Dezember 2006, S. 30 ff.
[4] Christian Fischer: Wärmeschutz, Energieeinsparung und die allgemein anerkannten Regeln der Technik, in: wksb, Neue Folge, Heft 53, Januar 2005, S. 1 ff.
[5] Deutsches Ingenieurblatt, Kammerspiegel NRW Nr. 11 2006, 14.11.2006, S. 4.
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