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Energiezentrale der Erzabtei St. Ottilien

Vergelt's Gott
Energiezentrale der Erzabtei St. Ottilien

Noch vor kurzem wurde in der Erzabtei St. Ottilien jedes Jahr eine dreiviertel Million Liter Heizöl verbrannt. Heute setzen die Mönche bei der Energie- und Wärmeerzeugung auf nachwachsende Rohstoffe. Die neue Energiezentrale ist zeichenhafter Ausdruck dieses ökologischen und technologischen Modernisierungsprozesses, steht zugleich aber auch für eine architektonische Erneuerung.

    • Architekten: Atelier Lüps, Günter Schmitt-Bossle
      Tragwerksplanung: Udo Heinrich

  • Kritik: Roland Pawlitschko
    Fotos: Florian Freund, Thomas Huber
Abseits der Hauptverkehrsstraßen liegt die Erzabtei St. Ottilien in der sanft hügeligen Wald- und Wiesenlandschaft zwischen Fürstenfeldbruck und Landsberg. Doch es geht dort weitaus weniger beschaulich zu als diese Ortsbeschreibung zunächst vermuten lässt. Dafür sorgen rund 100 Mönche, 750 Schüler eines kirchlichen Gymnasiums, ein Gästehaus mit 120 Betten, ein Restaurant, ein Biergarten, zahlreiche Werkstätten, ein Verlag, zwei Museen und nicht zuletzt die großen Anlagen der Land- und Viehwirtschaft. Anders als das nur 30 km entfernte Kloster Andechs steht das Stammhaus der weltweit tätigen Missionsbenediktiner von St. Ottilien jedoch weniger für eine oberbayerische Bilderbuchidylle als vielmehr für einen ganz im Zeichen des Leitspruchs »ora et labora« stehenden Kloster- und Wirtschaftsbetrieb. So verfügt das 1887 gegründete Kloster zwar über einen kompakten baulichen Kern aus Kirche und nichtöffentlichen Klostergebäuden, der Rest allerdings besteht aus eher unprätentiösen und ungleichmäßig auf dem Gelände verteilten Zweckbauten.
Mehr als eine geheimnisvolle Lichtskulptur
Unmittelbar am nördlichen Rand des Klostergeländes lässt ein Neubau innehalten. Die Energiezentrale verwandelt sich allabendlich von einem zurückhaltenden grauen Quader in eine geheimnisvolle Lichtskulptur. In langsam ›
› ineinander übergehenden oder rhythmisch pulsierenden Farbsequenzen tauchen die technischen Innereien des transluzenten Körpers dann immer wieder aufs Neue schemenhaft aus der Dunkelheit des Innenraums auf, um anschließend wieder in derselben unterzugehen. Spätestens beim Blick auf die in einem Besucherstand an der Westfassade untergebrachten Schautafeln mit Energiekennwerten und Wärmebildern der Altbauten wird klar, dass es hierbei nicht nur um ästhetische Farbspielereien mit Heizkesseln und Rohrleitungen geht, sondern um die Inszenierung eines für die Erzabtei in vielerlei Hinsicht zukunftsweisenden »Leuchtturmprojekts«.
Landwirte werden zu Energiewirten
Am Anfang stand die Erkenntnis, dass das Klosterdorf mit seinen 45 Gebäuden über mehrere dezentrale, ebenso überdimensionierte wie ineffiziente Heizkessel verfügte. Nicht zuletzt auf Initiative eines als Cellerar sowie Physik- und Mathematiklehrer tätigen Mitbruders machten sich die Mönche gemeinsam mit der Münchener Forschungsstelle für Energiewirtschaft zunächst daran, den tatsächlichen Energiebedarf zu ermitteln. Daraus ging u. a. hervor, dass die Wärmeleistung bei 4 MW lag, der Bedarf aber selbst bei winterlichen -16 °C lediglich die Hälfte betrug. Die anschließend entwickelte Strategie für eine ökologischere, effizientere und kostengünstigere Energie- und Wärmeversorgung beinhaltete die kombinierte Nutzung von Biogas und Hackschnitzeln mit Wärmerückgewinnung und großem Pufferspeicher sowie die Einrichtung eines neuen Heizungsnetzes mit vielfältigen Überwachungs- und Steuerungsmöglichkeiten. Mit Fertigstellung der Biogasanlage Ende 2010 werden heute 25 % des Gesamtwärmebedarfs durch Biogas aus Gülle, Gras bzw. Mais und 60 % durch Hackschnitzel überwiegend aus eigenen Wäldern gedeckt – Heizöl wird in zwei Heizkesseln aus dem Bestand nur noch zur Deckung winterlicher Spitzenlasten eingesetzt. 85 % erneuerbare Energien aus lokal verfügbaren Ressourcen ermöglichen – auch ohne die noch bevorstehende energetische Sanierung der Gebäude – ökologisch nachhaltiges Wirtschaften und deutlich reduzierte CO2-Emissionen. Gleichzeitig stehen sie aber auch für Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen und langfristige Kosteneinsparungen. ›
Unsichtbares sichtbar machen
Über diesen technologischen Innovationsschub hinaus sollte die Energiezentrale für das Kloster auch gestalterisch neue Maßstäbe setzen. Aus diesem Grund wollten die Mönche von Anfang an keinen gesichtslosen Industriebau, sondern zeitgemäße Architektur, die mit einfachen Mitteln transparent macht, welche Aufgaben es hier zu bewältigen gilt. In diesem Sinne entwickelte das Atelier Lüps zwei freistehende, unterirdisch verknüpfte Bauten: das niedrige Hackschnitzel-Lager mit 400 m³ Fassungsvermögen und die Energiezentrale. Letztere präsentiert sich als zurückhaltender Baukörper mit niedrigem Sichtbetonsockel und filigraner Gebäudehülle aus transluzenten Polycarbonat-Doppelstegplatten, hinter der sich schemenhaft sowohl ein dreigeschossiger, roter Betonquader mit Technikräumen wie auch die große Halle mit Heizkesseln und Pufferspeicher (55 m³) erahnen lassen. Konstruktiv besteht die Halle aus einer einfachen Stahlrahmenkonstruktion, die über einen Verbund aus horizontalen und schräg gestellten Holzelementen ausgesteift wird. Diese »Aststruktur« dient zur Aufnahme der Windlasten und steht zugleich symbolisch für das Wachstum des hier in Strom und Wärme umgewandelten Rohstoffs Holz. Für dessen eher untypische Verwendung innerhalb eines Stahlrahmenbaus sprach aber auch, dass es sich hierbei um einen Baustoff aus eigener Erzeugung handelt, der sich problemlos in den Werkstätten des Klosters bearbeiten ließ.
Gestaltungsspielräume durch Eigenleistung
Die Realisierung zahlreicher Bauarbeiten in Eigenleistung – hiervon vollständig ausgenommen waren lediglich Beton- und Stahl-Rohbauarbeiten – führte nicht nur zu enormen Kosteneinsparungen, sie machte auch viele gestalterische Lösungen möglich, deren Planung in der parallelen Abstimmung mit externen Firmen und der Erzabtei zu aufwendig oder zu langwierig geworden wäre. Dazu zählt die »Aststruktur« der Gebäudehülle oder die Farbkompositionen an Innenwänden und -decken ebenso wie das kugelförmige »Lichtobjekt«, das allabendlich die in den Kesseln verborgene Energie sichtbar machen soll. Auf Grundlage fraktaler Lindenmayer-Systeme entwickelten die Architekten hierzu ein baumartig verästeltes Gebilde aus nahezu identischen Stahlrohren und 300 RGB-LEDs. Durch die jeweils in kleinen Gruppen ansteuerbaren LEDs entstehen jene frei programmierbaren »Lichtschwärme«, die von den Doppelstegen der Polycarbonatplatten in alle Richtungen reflektiert werden und damit den sphärischen Eindruck einer großflächig illuminierten Gebäudehülle erzeugen. Anfängliche Bedenken einiger Mitbrüder, dass hier eine Art bunte Oktoberfeststimmung entstehen könnte, haben sich rasch zerstreut. Das liegt sicherlich daran, dass Kloster und Architekten in Planung bzw. Bauausführung von Anfang eng zusammenarbeiteten – fast selbstverständlich ist es daher, dass die von Mauritz Lüps angenehm ruhig programmierten Standard-Lichtszenarien mittels Fernbedienung von den Mönchen mühelos umkonfiguriert werden können. Es hat aber auch damit zu tun, dass die Lichtinszenierung keine aufgesetzte Spielerei, sondern längst Teil des Klosteralltags ist – etwa indem die Mönche die Farbigkeit oder die Geschwindigkeit der Farbwechsel an aktuelle liturgische Gegebenheiten anpassen.
Als Leuchtturmprojekt werden mit der Energiezentrale nicht nur praktische, sondern auch pädagogische Ziele verfolgt. So zeigt sie einerseits, dass die Versorgung mit erneuerbaren Energien keine Utopie ist. Andrerseits steht das Projekt aber auch im Einklang mit der von Demut, Offenheit und einer großen Affinität zu ästhetischen Fragen geprägten Lebensphilosophie der Missionsbenediktinermönche. Für Erzabt Jeremias, vor acht Jahren zu einem der jüngsten Erzäbte St. Ottiliens gewählt und als Abtpräses auch für rund 1 000 Mönche in weltweit 19 selbstständigen Klöstern und 50 Niederlassungen verantwortlich, ist Spiritualität gleichbedeutend mit der »Ordnung von Raum und Zeit«. Dazu zählt für ihn ganz selbstverständlich, dass Bauaufgaben nicht irgendwie, sondern mit Anspruch und durchaus auch mit Vorbildfunktion erledigt werden – nicht nur in der Erzabtei selbst, sondern auch in den Klöstern, die noch immer von St. Ottilien aus auf fast allen Kontinenten neu gegründet werden.

Die Wirkung der neuen Heizzentrale lässt sich auch als ein sanftes »Missionieren« sehen. Sie ist so zurückhaltend einfach gestaltet, dass viele sie gar nicht wahrnehmen werden. Die feinen Farb- und Lichtinszenierungen werten den heterogenen nördlichen Rand des Geländes dennoch enorm auf – untertags ebenso wie in der Dunkelheit. Der Baukörper steht selbstbewusst und zugleich selbstverständlich da und erzählt bereitwillig, aber unaufdringlich von seinen Aufgaben. Für jeden Passanten, der sich kurz auf ihn einlässt, hält er bei näherer Betrachtung eine tolle Geschichte parat. Danach können die Besucher das Kloster mit anderen Augen sehen …


  • Standort: St. Ottilien 1, 86941 Eresing

    Bauherr: Erzabtei St. Ottilien , Erzabt Jeremias
    OSB Architekten: Atelier Lüps, Architekten und Stadtplaner, Schondorf; in Zusammenarbeit mit Günter Schmitt-Bosslet (Bauleitung), Utting am Ammersee
    Mitarbeiter: Mauritz Lüps (Entwurf, Konzept), Peter Megele
    Tragwerksplanung: Udo Heinrich, Weilheim
    Wärmeversorgungstechnik: Ebert-Ingenieure, München
    Machbarkeitsstudie: Forschungsstelle für Energiewirtschaft e.V., München
    Nutzfläche: 481 m² (Energiezentrale), 189 m² (Hackschnitzellager)
    BRI: 3 792 m³ (Energiezentrale), 1 669 m³ (Hackschnitzellager)
    Baukosten: 2,62 Mio. Euro (technische Anlagen: 1,32 Mio.)
    Bauzeit: Frühjahr 2008 bis September 2008; Segnung: Juli 2009
  • Beteiligte Firmen: Bauunternehmer: Ditsch Bau, Prittriching, www.ditsch-bau.de
    Technischer GU: Imtech Deutschland, Hamburg, www.ditsch-bau.de
    Stahlbauarbeiten: Markthaler Stahlbau, Kaufbeuren
    Polycarbonatfassade: Prokuwa Kunststoff, Dortmund, www.ditsch-bau.de
    Zimmerarbeiten, Schlosserarbeiten: Erzabtei St. Ottilien Rolltore: Steinau, Arnsberg, www.ditsch-bau.de
    LEDs: Josef Barthelme, Nürnberg, www.ditsch-bau.de
    Förderband, Hackschnitzelkessel: MAWERA Holzfeuerungsanlagen, Hard am Bodensee, www.ditsch-bau.de
db-Ortstermin: Für den frühen Abend des 18. März laden wir Sie ein, gemeinsam mit Bruder Josef und dem Architekten das Heizwerk innen zu besichtigen und bei Einsetzen der Dämmerung die Lichtinstallation zu erleben.

St. Ottilien (S. 34)


Atelier Lüps


Mauritz Lüps
1978 geboren. 1999-2005 Studium an der Accademia di Architettura, Mendrisio (CH). Mitarbeit im Atelier Peter Zumthor in Haldenstein (CH). Seit 2006 Atelier Lüps gemeinsam mit Vater Wolf-Eckart Lüps. Dozent an der Università di Ferrara (I), Gastdozent in Mendrisio.
Roland Pawlitschko
1969 in Stuttgart geboren. Architekturstudium in Karlsruhe und Wien. Architekturtheoretische Arbeiten, Ausstellungen und Architekturführungen. Seit 1999 Architekt und freier Autor in München.
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