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Ein Museum aus Brücken

Brücken IM Ruhrgebiet
Ein Museum aus Brücken

Seit rund zehn Jahren präsentiert sich das Ruhrgebiet mit einer beeindruckenden, neuen Brückenlandschaft, die parallel zur IBA entstand. Die Brücken gewährleisten ein Städte, Straßen und Flüsse übergreifendes Fußgänger- und Radwegenetz und symbolisieren den Strukturwandel – weg von der Industrie-, hin zur Kulturregion. Gleichzeitig zeugen sie von hohem ingenieurtechnischen Einfallsreichtum und gestalterischer Sensibilität im Umgang mit der Haldenlandschaft. So setzen sie auch heute noch – oder gerade heute – hohe Maßstäbe, etwa bei der Gestaltung neuer Brücken.

  • Kritik: Roland Günter
  • Fotos: Thomas Wolf, H.G. Esch, Bernhard Klockhaus
Im wirtschaftlich zusammenbrechenden Ruhrgebiet wurde in den achtziger Jahren das Thema Strukturwandel ausgerufen. Seither denken manche Menschen, dies sei einzigartig. Ein Irrtum. Das Ruhrgebiet ist seit eh und je ein Terrain des Strukturwandels: in Wellen der Industrialisierung. Nur wandelt es sich seit zwanzig Jahren zur Kulturregion. Strukturwandel gibt es jedoch nicht allein im Ruhrgebiet, sondern in allen Bereichen der Bundesrepublik. Im Ruhrgebiet war der Strukturwandel allerdings stets dramatisch, manchmal sogar katastrophisch. Daher irritierte er seit jeher am meisten – und so konnte man bundesweit seine eigenen Ängste zur »Entlastung« auf das Ruhrgebiet projezieren.
In den achtziger Jahren beschäftigte viele der Verfall der gigantischen Industrien, von denen sie noch kurz zuvor beeindruckt waren – in einer Mischung von Angst einflößend und hochgeachtet. Wie überall war der Wandel verbunden mit einer aufregenden Ambivalenz der Gefühle: Untergang, Verlust, soziale Ungerechtigkeit, von Schuldzuweisungen und einer Flut unterschiedlicher Zukunftsverheißungen, die zu glauben schwer fiel. Auf der anderen Seite entstand bei einer Minderheit von Menschen das Gefühl, dass es nun viel zu tun gäbe, und eine Euphorie, dass Chancen entstanden sind für manches, was bis dahin ausgelassen wurde.
Als produktives Symbol dafür kann man die Internationale Bauausstellung Emscher Park sehen, die von 1989–99 ein Jahrzehnt bestimmte. Heute gilt sie als das Fundament der dezentralen, sogenannten ›
› Metropole Ruhr. Die Projekte der damaligen IBA schufen eine veränderte Mentalität. Symbol dafür ist die Kultur, die sie auch für das Thema Brücke entwickelte.
Rückblende: Bereits in der dichten, industriellen Stadtlandschaft Ruhr entstand in zwei Jahrhunderten eine Fülle von Brücken für Eisenbahnen, Straßen, Fußgänger: über Gewässer, auch hoch über Industrieanlagen hinweg, manchmal sogar eine Brücke über der anderen. Zur IBA kamen schließlich zahlreiche neue Brücken hinzu. Wesentlich verantwortlich dafür war Karl Ganser, Geschäftsführer der IBA Emscher Park. Als Geograf besaß er einen interdisziplinären Horizont, hatte sich im Blick auf Zusammenhänge trainiert. Mit einem Denken, wie es seit 1907 der Werkbund entwickelte, versuchte er, sowohl den alltäglichen Nutzen zu erweitern wie ihn mit Schönheit zu verbinden. Zusammen mit dem Städtebauminister Christoph Zöpel und im Austausch mit Experten erarbeitete er eine Entwicklungsstruktur für das zusammengesackte Ruhrgebiet mit rund 120 Projekten – immens an Gedankenreichtum, dann an staunenswerter Organisation und schließlich an Durchsetzung. Die neue Fassung der Metropole Ruhr lebt über die IBA hinaus von dieser Tätigkeit. Vieles diente zunächst dazu, um der gebeutelten Region eine Identität zu geben. Karl Ganser betonte stets, dass man ohne Identität keine Modernisierung betreiben kann, weil die Menschen, wenn sie keinen Halt durch Identität haben, keine Souveränität besitzen, Neues aufzunehmen und gut zu integrieren. Für diese Identität steht nun eine in Europa einzigartige Kette von Industriedenkmälern.
Nicht Meer und nicht Alpen
Das größte, ehemalige IBA-Projekt ist die noch heute im Prozess befindliche Umwandlung der industrialisierten Emscher, die die Abwässer der Region in ihr Betonbett aufgenommen hatte. Hier fanden und finden auch nach der IBA wichtige Innovationen statt. Dabei geht der Blick auch seitlich über die Ufer des Flusses hinaus – mit einer umfangreichen Landschaftsentwicklung. Darin eingebettet ist eine Kette von Halden aus Gestein, das mit der Kohle nach Übertage kam. Die IBA gab vielen dieser Hügel eine Gestalt und krönte sie oft mit Kunst, die Zeichen setzte.
An der Stelle einer zersiedelten und von Industrie gefüllten Landschaft entstand als Rückgrat der Region der Landschaftspark. Dazu gehören die Terrains des Industriewald-Projektes: Natur, die sich auf Brachen neu und anders entfaltet – teilweise durchsetzt mit Skulpturen als Erinnerungsspuren der Industrieepoche. Diese Landschaft ist nicht Meer und nicht Alpen, aber voller spannender Gegensätze. Zur Erschließung entwickelte die IBA ein umfangreiches Wander- und Radwegenetz. Damit einhergehend entstand eine Kette überraschender Brücken. Sie lässt sich als Symbol für den gewaltigen Prozess lesen, eine Kulturregion zu entwickeln. Brücken für Fußgänger und Radfahrer bieten ›
› leichter und mehr Chancen zur Gestaltung. Sie erschließen sich auch besser für die Wahrnehmung, wenn die Geschwindigkeit nicht das einzige Kriterium für den Bau ist.
Industrielandschaft aus Halden und Brücken
Die Ouvertüre für dieses Programm ist der Nordsternpark in Gelsenkirchen. Auf der »Insel im Ruhrgebiet« zwischen den beiden Gewässern der Emscher und dem Rhein-Herne-Kanal entstand ein Museum an Brücken – insgesamt sieben, in vielen Variationen. Stefan Polonyi gestaltete sie. Er ist der Poet unter den Brückenkonstrukteuren. Sein Thema stammt aus der Region. Das Labyrinth der Rohrleitungen regte ihn an, aus Rohren Brücken entstehen zu lassen: hohe Bögen, mit Überschneidungen, auch Schlangen, die über die Erde kriechen und sich in die Höhe schwingen. Dies geschieht geradezu musikalisch – in Melodie und Rhythmus. Und bildhauerisch im Raum.
Ein weiterer großartiger Konstrukteur ist Jörg Schlaich vom Stuttgarter Büro Schlaich Bergermann und Partner. Er gestaltet Brücken als Abenteuer. Die Möglichkeiten der Statik werden aufs Äußerste herausgefordert – bis an die Grenzen getrieben. Die Ripshorst-Brücke in Oberhausen läuft hoch über dem Kanal in einem eleganten und dynamischen Bogen, sie scheint von einer imaginären Gewalt exzentrisch »gestresst« und zu schweben. Diese Abenteuerlichkeit seiner Brückengestaltung erreicht ihren Höhepunkt im Westpark von Bochum, einem umgewandelten Industriegelände. ›
› In dem dramatischen Terrain entstand eine ebenso dramatische Brücke: Aufgehängt an zwei Pylonen, die fast imaginär wie dünne Nadeln erscheinen, schwingt der Brückensteg sich in mehreren eleganten Kurven weit durch den Raum. Im Innenhafen in Duisburg entwarfen Schlaich Bergermann und Partner ein weiteres Kunststück: eine Zugbrücke, die sich wie zu einem Katzenbuckel in die Höhe heben kann.
Im Rahmen einer Vortragsreihe erinnerte Jörg Schlaich an den IBA-Gedanken: Alles, was in Zukunft nötig ist, besser zu gestalten. Sein Aufruf: Die Region darf keine banale Brücke mehr bauen! Er brachte den Oberbürgermeister von Oberhausen, Klaus Wehling dazu, dies Ernst zu nehmen und konkret zu werden: Weil die Ripshorster Brücke über die Köln-Mindener-Eisenbahnlinie baufällig war, durfte Stefan Polonyi eine weitere Rohrschlangen-Brücke gestalten. Sie wurde Anfang Mai eingeweiht. Mit ihr wies Polonyi wiederum nach, dass das Schöne – trotz Teuerung der Stahlpreise – nicht mehr kosten muss als das Banale.
Vor allem im Generationenprojekt der Umwandlung der Emscher wird es noch viele Gelegenheiten geben, den Ruhm der Metropole Ruhr als »Landschaft der Brücken« zu erweitern. Denn aus ihr stammen die Impulse, die höhere Anforderungen an die Gestaltung von Brücken stellen und die geplante Banalität an der Elbe zum Skandal werden lässt und Dresden den Titel Weltkulturerbe kostet. Im Oberrhein-Tal versuchen Karl Ganser und Jörg Schlaich, die Bahn AG zu überzeugen, über einer neuen ICE-Strecke statt Übergängen mit landschaftszerstörenden Dämmen elegant gestaltete durchsichtige filigrane Konstruktionen zu bauen. Denn die Brücke als öffentliche Infrastruktur soll mehr sein als ein unmerklicher oder störender Übergang.
Ein weiterer Höhepunkt entsteht derzeit in Oberhausen an der »Insel«, dem Zukunftsprojekt der Metropole Ruhr, und soll pünktlich zur RUHR.2010 fertig werden: Hierzu tüfteln der Künstler Tobias Rehberger und Mike Schlaich an einer Brücke über den Kanal zwischen dem Kaisergarten-Park, in dem der einzige Rest der alten gewundenen Emscher »aufbewahrt« ist, und dem Sport-Park auf der »Insel«. Vorgesehen ist eine Rohrspirale, die den farbig geplanten Steg umhüllt – rhythmisch und reich an Variationen. Das Schreiten durch den Raum als psychologisch wirksames Ereignis. •
Literaturhinweis: Das Thema der Brücken in der Metropole Ruhr fasste der Kurator Peter Pachnicke 2005/06 anschaulich unter den literarischen Stichworten »leicht und weit – Brücken im Neuen Emschertal « in einer einzigartigen Ausstellung (gezeigt in der Ludwig Galerie Schloss Oberhausen) und einem hervorragend gestalteten Katalog zusammen: Mensch, Bernhard und Peter Pachnicke, leicht und weit – Brücken im Neuen Emschertal. Ludwig Galerie Schloss Oberhausen, 2005.
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