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Ein Fest für Weissach

Strudelbachhalle in Weissach bei Stuttgart
Ein Fest für Weissach

Die Gemeinde Weissach mit ihren gut 7000 Einwohnern lässt sich kaum mit anderen Gemeinden dieser Größe vergleichen: Nur wenige sind wie Weissach in der glücklichen Lage, einen potenten Gewerbesteuerzahler zu haben, der ihnen zu einer stabilen wirtschaftlichen Lage verhilft.

    • Architekt: Peter W. Schmidt Tragwerksplanung: Klein + Albert und Partner

  • Text: Volker Kittelberger Fotos: Stefan Müller
Im Tal, eingebettet in die Natur, zwischen den beiden Ortsteilen Weissach und Flacht, hat die Gemeinde Weissach im Landkreis Böblingen bei Stuttgart ihre neue Festhalle errichtet. Da die beiden Gemeindeteile bereits Fest- und Sporthallen besitzen, war die Halle von vorneherein als reine Kulturhalle konzipiert. Weitere Bausteine waren eine zu integrierende öffentliche Gaststätte mit wettkampftauglicher Kegelbahnanlage. Für wen die Halle gebaut werden sollte, wurde vom Gemeinderat in der Rangfolge der Belegungsrechte beantwortet: An erster Stelle kommen die kulturellen Veranstaltungen der Vereine, dann folgen Kulturveranstaltungen wie Theater, Konzerte oder Vorträge ortsansässiger und auswärtiger Veranstalter und an dritter Stelle das Angebot, die Halle für gewerbliche oder private Ereignisse und Feiern zu mieten.
Der Architekt Peter W. Schmidt ging mit seinem Entwurf als Sieger aus dem Wettbewerb hervor. Er stellt den Hallenkörper nicht quer in den Talraum, mit Öffnung zur Straße, sondern längs und damit parallel zum Talverlauf. Im Weiteren adaptiert und überhöht er die vorgefundenen, den Hang terrassierenden Trockenmauern zu seinem wesentlichen Entwurfselement und führt sie als architektonische Eingriffe fort.
In Überarbeitung des Wettbewerbsentwurfs wurde der Hallenraum noch um drei Achsen auf maximal 600 reihenbestuhlte Zuschauerplätze verlängert und die Teilbarkeit ermöglicht. Trotzdem führten während der Rohbauphase die Überlegungen des mit seinem Entwicklungszentrum auf Weissacher Gemarkung ansässigen Sportwagenherstellers Porsche AG zu einem Baustopp. Es wurde untersucht, ob die Hallenausstattung so modifizierbar wäre, um der Porsche AG bei Modellpräsentationen studiogerechte Bedingungen bieten zu können. Dies wurde aufgrund der erheblichen gestalterischen Beeinträchtigung des Innenraumes verworfen, eingeplant wurde jedoch die Möglichkeit, die Fahrzeuge durch entsprechend breite Eingangsbereiche in die Halle bringen zu können.
Die fertiggestellte Gesamtanlage ist homogen in die Topografie eingebettet und wirkt trotz Sockelausbildung nicht als Fremdkörper. Die Braun- und Grautöne der Fassadenmaterialien finden ihre Spiegelungen in der Landschaft und verschmelzen mit dieser. Farbe als Oberflächenbehandlung kommt nicht vor.
Zur Straße tritt ein ruhiger Baukörper mit durchgehender Dachkante in Erscheinung. Die »dienenden« Räume (Hallenküche, Seminarräume, Gaststätte) liegen straßenabgewandt hinter der Halle und verschwinden teilweise im ansetzenden Hangfuß. Aus diesem niedrigeren Bauteil »ausgestanzt« wurde ein zum Vorplatz offener, langer, schmaler Innenhof (vom Architekten »Patio« genannt), der dem Restaurant als Terrasse dient. ›
Der reine architektonische Raum
Nähert man sich vom Vorplatz her, öffnet sich die Front des Hauses mit großer Geste: die weit auskragende Dachscheibe auf einer Passage von filigranen und an den Enden konisch zulaufenden Holzstützen, die objekthaft wie kostbare überdimensionale Tischbeine wirken.
Das Foyer wirkt durch die soliden Materialien und ruhigen Flächen, die kalkulierte Lichtführung auf der dunklen Stirnwand aus eingefärbtem poliertem Beton feierlich. Der Hallenraum selbst empfängt eher mit einer heitereren Note, da hier an Boden, Wand und Glasfassade Eichenholz verwendet wurde und auf beiden Längsseiten durchgehend Tageslicht einfällt. In diesem Hauptraum komplettiert letztendlich die Deckengestaltung in Form einer Kassettendecke das Gefühl, dass man sich hier in einer in sich abgeschlossenen Raumordnung aufhält, wo nichts ins Ungefähre laufen soll. Diese Deckengestaltung ist abgeleitet von dem Stahlrost des Dachtragwerkes, der auf den massiv ausgeführten Wandscheiben aufliegt und alle Raumpartien stützenfrei überspannt.
Anpassungsfähig ist die Halle dennoch: sie ist teilbar, Hubpodeste im Parkett sorgen für ansteigende Stuhlreihen oder für eine zweite Bühne, Bodentanks erlauben die Versorgung eines messeartigen Aufbaus, die Tischwagen sind unter der Bühnenfront integriert, die Zuluft kommt durch die perforierten Wandpaneele. Doch von dieser Infrastruktur ist in der ruhigen, gelassenen Grundstimmung nichts zu spüren, die Integration unter den Oberflächen ist überzeugend gelöst. ›
Glückliche finanzielle Lage
Der Finanzstatus der mit 7700 Einwohnern relativ kleinen Gemeinde lässt sich durch ihren großen Gewerbesteuerzahler Porsche AG nicht mit anderen Gemeinden vergleichen. Man war in der glücklichen Lage, den Bau aus Eigenmitteln zu finanzieren. Dennoch wird seitens der Verwaltung Wert auf die Feststellung gelegt, dass hier keine »Luxushalle« entstanden ist, obwohl sich der Gemeinderat bei seinen Ausstattungsentscheidungen in der Regel für die höherwertige Ausführung entschieden hätte. Alle Komponenten und Einrichtungen seien vor allem zweckmäßig und damit nachhaltig. Somit war der Stolperstein Baukosten, an dem sich gravierende Auseinandersetzungen zwischen Architekten und Bauherren entzünden und das Verhältnis belasten können, schon frühzeitig aus dem Weg geräumt. Dass die Gemeinde andererseits ein Auge auf die Wirtschaftlichkeit der Baudurchführung hatte, zeigt das hauseigene »Bauherrenmodell«: die gemeindeeigene Tochter »Kommbau« war Generalübernehmer und damit Bauherr für die Auftragnehmer. Damit konnte beschränkt ausgeschrieben werden, was wiederum in den Einzelgewerken Nachverhandlungen ermöglichte. Dieses nicht unumstrittene, aber nicht nur in der Gemeinde Weissach bei verschiedenen Bauprojekten angewandte Verfahren, lässt zunächst höhere Kosten gegenüber der öffentlichen Ausschreibung vermuten. Doch in der Verwaltung ist man sich sicher, nicht nur ortsansässige Handwerksfirmen besser berücksichtigt zu haben, sondern auf diesem Weg sogar kostengünstiger zu bauen. Die Festhalle ist noch zu »frisch«, um über die Unterhaltskosten eine Aussage machen zu können. Klar ist aber, dass die Vermietung der Halle an Dritte, die aktiv mit Internetseite beworben wird, nur ein bescheidenes Zubrot sein wird. Viel höher würde für Weissach der Imagegewinn wiegen, sollte eine überregional beachtete Veranstaltung in die Halle geholt werden können. Das scheitert jedoch oft an Schwierigkeiten bei der Terminabstimmung mit den ortsansässigen Vereinen. ›
Gebaute Perspektiven
Körper und Räume sprechen bei diesem Bauwerk eine klare Sprache, die der Perspektive: Sie ist das große Thema, das dem Besucher geboten wird. Die Zentralperspektive erzeugt ein ausgewogenes Maß an Ruhe und Feierlichkeit, das allgegenwärtig ist. Sei es die Esplanade über den Vorplatz (Parkplatz) zum Foyer, der Hallenraum oder der der Hallenfassade vorgelagerte Wandelgang. Allenfalls im Verbindungstrakt der beiden Gebäudeteile, wo Seminarräume und Künstlergarderoben untergebracht sind, entsteht eine momentane Orientierungslosigkeit; die einzige offensichtliche Schwäche der Grundrissgrammatik.
Als gedoppelte Perspektive darf der erwähnte Wandelgang gelten, der auch als Loggia hin zur Landschaft bezeichnet werden kann. Nüchtern betrachtet ein überdachter Austritt für die Besucher, der aber als Blickfang hin zur viel befahrenen Ortsverbindungsstraße schnell zur zweiten Bühne wird, zum prägnanten öffentlichen Ort.
Architekturtheater, ernst und heiter
Eine routinierte Einordnung dieses Gebäudes in eingeübte Kategorien will nicht gelingen, ein Fundus an Zitaten: die aaltoschen Oberlichter, der in die Muschelkalkfassade eingeschlitzte Stahlträger des Dachrandes, das Rot des Bühnenvorhangs als einzige Farbe, jedes Detail beansprucht eigene Aufmerksamkeit.
An einer Ecke in der Tektonik seiner Muschelkalkfassade zeigt der Bau Monumentalität, führt diese aber gleich wieder mit seinen »Tischbeinen«, die alle Maßstäbe sprengen, ins Absurde. Diese Widersprüche umreißen das Spannungsfeld, in dem diese Architektur steht, und an dem sie nicht gescheitert ist, sondern aus dem sie ihren Reiz gewinnt, gut. Dieses »Architekturtheater«, dieses abwechselnd ernste und heitere Spiel des Architekten fügt letztlich seine Teile zu einem vitalen Werk, das in sich vibriert, aber nicht auseinanderbricht. Die besten Voraussetzungen für ein rauschendes Fest also. •
  • Bauherr: Gemeinde Weissach / KommBau Weissach GmbH Architekt: Peter W. Schmidt, Pforzheim Projektleiter: Tobias Lammerich Mitarbeiter: Simon Hähndel, Viola Müller, Sonya Untch Tragwerksplanung: Klein + Albert und Partner GmbH, Karlsruhe Haustechnik: IGP Ingenieurgesellschaft, Pforzheim Raumakustik: Müller-BBM, Prof. Karlheinz Müller, Planegg Außenanlagen: relais Landschaftsarchitekten, Berlin Bruttogeschossfläche: 3296 m² Nutzfläche: 1969,93 m² Baukosten: 9,9 Mio. Euro Bauzeit: September 2003 bis Juni 2005
  • Beteiligte Firmen: Fenster/Fassade: Fensterbau Anthonj GmbH, Rheinau, www.anthonj-fensterbau.de Naturwerkstein/Fliesen: Fliesen&Naturstein GmbH, Weissach-Flacht Tischler (Holzstützen): Wohnwerk GmbH, Kleinheubach, www.anthonj-fensterbau.de
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