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Die »innere Logik« der Form

Neues vom Design Modelling Symposium 2009
Die »innere Logik« der Form

Über Blobs, Nurbs, Kacheln und Knoten, Visionen und ihre Umsetzung: Das dreitägige Design Modelling Symposium in Berlin (vormals 3D-Modelling-Symposium), das im Oktober zum zweiten Mal stattfand, bietet allen in der »3D-Szene« arbeitenden Planern Hinweise auf geeignete Software, neue Werkzeuge und einen Ideen– und Gedankenaustausch bei der Umsetzung komplexer geometrischer Formen. Zwei Fachautoren waren für uns auf Erkundungstour.

Text: Wolfgang Höhl, Peter Zeile

Rückblick
Das diesjährige Design Modelling Symposium an der Universität der Künste in Berlin stand unter dem Motto »Concepts beyond geometry«. In dieser als Plattform konzipierten, interdisziplinären Veranstaltung diskutierten Architekten und Ingenieure, Industriedesigner und Künstler, Softwareentwickler, Materialwissenschaftler und Mathematiker über die Zukunft des Einsatzes von CAD (»Computer Aided Design«), CAM (»Computer Aided Manufacturing«), dem computergestützten Herstellen von Modellen und Bauteilen, sowie FEM (»Finite Element Method«), numerischen Verfahren zur Lösung von Differenzialgleichungen bei der Berechnung von Tragwerken. Mithilfe von FEM können Architekten und Ingenieure z. B. statische oder wärmeleittechnische Probleme lösen. Neben diesen Aspekten standen drei weitere bei den Diskussionen im Mittelpunkt: Parametrisches oder geometrisches Entwerfen inklusive der Konzepte zur Umsetzung in CAM und Produktion, die Integration von »Green Building«-Gedanken inklusive der Simulation in dem Entwurfsprozess sowie die Anwendung von Open Source Software im Bereich des Entwurfes und der Visualisierung von Projekten.
Planer lernten auf dem Symposion also verschiedene Softwarepakete kennen, konnten sich mit Experten in die Grundlagen der analytischen Geometrie vertiefen und erlernten anhand gebauter Objekte, mit welchen Strategien sie komplizierte Geometrien einfach umsetzen können.
Wie entwerfe und wie baue ich beispielsweise Blobs? In drei Workshops und zwei »Masterclasses« beschäftigen sie sich mit der neuen Software und konkreten Aufgaben. Neben zehn »Key Lectures« wurden 18 »Case Studies« vorgestellt.
Themen und Köpfe
Stand vor einem Jahr noch das Softwarepaket Rhinoceros im Vordergrund, sind es heute viele neue Anwendungen. Autodesk‘ Ecotect, Scripting mit Rhinoceros, parametrische Designstudien und Augmented Reality-An-wendungen (s. u.) erweitern die Entwurfswerkzeuge für Architekten und Ingenieure.
»You have to look beyond geometry to solve geometrical problems«, erklärte etwa Helmut Pottmann, Professor an der TU Wien, »freeform architec-ture needs other design tools«. Er interessiert sich für die Regeln und Gesetze der Grundlagen der analytischen Geometrie. Der Mathematiker entwickelt Systeme zur sinnvollen Optimierung komplexer Formen, bei der diese Formen analysiert und in optimale Flächenabschnitte zerlegt werden (Abb. 1). Viele realisierte Projekte zeigen deutlich, wie die Umsetzung freier geometrischer Formen gelingen kann. Wolf Mangelsdorf, Partner im Büro Happold in London, referierte über »form finding«, »mathematical geometries«und »free form«. Sehr zeitgemäß präsentierte er Frei Ottos Gedanken des »Form finden« im Gegensatz zum »Form wollen«. Wie auch viele andere sieht er verschiedene strategische Lösungsansätze für die Umsetzung komplexer Geometrien einerseits in standardisierten Lösungen aus mehreren Einzelteilen, andererseits in konstruktiv durchdachten Raumfachwerken und Netzen. Die Idee und das konstruktive Konzept bilden dabei den Kern der Überlegungen.
Wie organisiere ich meine Arbeit? Und wie können komplexe 3D-Daten vom Architekten an Ingenieure und ausführende Firmen übergeben werden? Auch das waren Kernpunkte der Auseinandersetzung. Oft besteht eine komplexe Form aus vielen hundert Einzelteilen. Die Organisation des Workflow, die Logistik der Ausführung und der Umgang mit Dateiformaten und Datenmengen bleibt daher auch weiterhin ein interessantes Problem.
Schaukeln im Wind
Aber auch das künstlerisch wissenschaftliche Experiment kam nicht zu kurz: Marc Fornes, Architekt und Gründer des Büros THEVERYMANY in New York und ehemaliger Mitarbeiter bei Zaha Hadid, beschäftigt sich mit morphologischen Studien und einer speziellen Logistik, um komplexe Flächen in »Nodes« (Knoten) und »Tiles« (Kacheln) zu zerlegen. Er zeigte Spritzgussmodelle und Fertigungsstrategien von der Fläche in die Form. An der Grenze zwischen Kunst, Interior und Architektur geraten seine Experimente oft zu eigenständigen Installationen.
»Design Exploration« hieß der Beitrag von Axel Kilian von der TU Delft. Bei ihm schaukelte ein kinetischer Turm computergesteuert im Wind. Er sprach u. a. über »Fluid Simulation« und »Laser Cut Prefab Structures«. Der Fabrikationsprozess steht auch bei ihm im Mittelpunkt. Neben Referenten von Hochschulen waren aber auch viele der Vortragenden Mitarbeiter und CAD-Profis aus Architekturbüros wie Herzog & de Meuron oder Nex architecture oder aus Ingenieurbüros wie Bollinger + Grohmann oder Knippers Helbig.
Nutzen
Es ging bei diesem Symposium aber weniger um unrealisierbare Architekturvisionen. Vielmehr war es der Anspruch, komplexe geometrische Formen strukturell zu begreifen, sie als Chance zu sehen, sie im experimentellen Entwurf zu nutzen, mit ihnen zu arbeiten und am Bau umzusetzen. Es ist die Verflechtung eines pragmatischen Ansatzes mit dem experimentellen Entwurf, die nach wie vor interessant bleibt.
Dieser Kongress und dessen Ergebnisse sind also nicht nur für Computerfreaks interessant. Sie sollten gleichermaßen auch »traditionell« arbeitende Architekten, Ingenieure und Designer ansprechen. Erstaunlicherweise gab es trotz der großen fachlichen Bandbreite eine hohe inhaltliche Konvergenz der Beiträge. Das lässt erwarten, dass dieser breite interdisziplinäre Diskurs auch weiter wachsen und fruchtbar bleiben wird.
Grashüpfers Vor- und Nachteile
Parametrisches Entwerfen mithilfe Scripting, also Formengenerierung und Formenfindung durch Eingeben von Parametern, ist ein in der Szene heiß diskutiertes Thema. Gerade das kostenlose »Grasshopper« Plugin für Rhino bietet im Entwurfsprozess eine unglaubliche Vielfalt an Einsatzmöglich-keiten, die erstmalig auch über eine grafische Benutzeroberfläche realisiert werden können [1]. Als Beispiele sind hier die von Matthias Ballestram betreuten Entwürfe an der TU Berlin zu nennen (Abb. 2-4). Über 3D-Plotter können die neu gefundenen Formen einfach ausgeplottet werden. Und eben in diesem, im Entwurfsprozess einfachen Workflow, liegt die Gefahr bei der Realisierung und Umsetzung der Entwürfe in der Praxis. Viele der parametrisch erzeugten und geplotteten Entwürfe sind nicht einfach als Bauteile in Beton, Glas oder Stahl 1:1 zu bauen. Die erzeugten Formen müssen für den nachfolgenden Produktionsprozess auf ihre geometrisch korrekte Abwicklung überprüft werden. Die einfachste Methode dafür ist das Erstellen eines Dreiecksnetzes auf der gewünschten Oberfläche. Je nach Entwurfsaufgabe können aber auch Viereckflächen oder andere Formen für die Gestaltung der Konstruktion erwünscht sein. Soll dies reibungslos in einem Entwurfsprozess funktionieren, sind zwei Strategien denkbar: Für die Umsetzung dieser Formen müssen sich Spezialisten intensiv um die korrekte Berechnung der auftretenden statischen und geometrischen Probleme und Lösungen bemühen und diese durch computergestützte Simulationen in soweit lösen, dass anschließend prototypische 1:1-Modelle, sogenannte Mockups, mit dem gewünschten Material erstellt werden können. Die zweite, pragmatischere Methode ist einfach: Direkt bei den ersten Konzeptentwürfen müssen der Entwerfer und die an der Bauausführung beteiligten Akteure sich darüber ›
› abstimmen, ob eine geometrische Freiform so auch umsetzbar ist. Kommunikation ist auch in diesem Fall – wie in allen Bereichen des Bauens – eine zwingende Voraussetzung. Es zeigt aber auch, dass geometrische Freiformen nur dann stringent durchgeplant werden können, wenn alle Beteiligten die Bedürfnisse und Restriktionen der jeweiligen Partner kennen und verstehen.
Behaglichkeit in 3D
Die Integration des »Nachhaltigkeitsgedanken« in den Bauprozess, wie die frühzeitige Berechnung der energetischen Bilanz des Hauses, der Akustik, der Tageslichteinstrahlung zur Reduktion künstlicher Beleuchtung oder die optimale Ausrichtung des Gebäudes zur Verwendung von Photovoltaikanlagen kann über digitale Simulationsmethoden einfacher und vor allem frühzeitiger in die Planung integriert werden. Dies geschieht entweder wiederum durch Scripting [1] oder durch die Benutzung kommerzieller Produkte [2]. Mithilfe dieser schnell durchzuführenden Simulationen kann der Entwurf auf die oben aufgeführten Aspekte hin untersucht und eventuell auch angepasst werden. Wichtig in diesem Zusammenhang ist allerdings, dass auch hier die Software zwar gute und anschauliche Ergebnisse liefert, sie soll jedoch nicht dazu verführen, später auf einen Bauphysiker zu verzichten. Die Simulation und die Visualisierung der Ergebnisse sollte als Grundlage für ein besseres Verständnis bauphysikalischer Parameter zwischen den an der Planung Beteiligten verwendet werden. Ein großes Potenzial liegt allerdings im Anwendungsbereich stadtstruktureller und stadtgestalterischer Aufgaben: So kann beispielsweise eine zukünftig auftretende Verschattung von Gebäuden bei Neuplanungen, die optimale Ausrichtung zur Nutzung von Sonnenenergie oder der Einfluss von Baustrukturen auf die natürliche Durchlüftung innerhalb eines Baugebietes geklärt und angepasst werden.
Erweitert virtuell
Gerade in Bezug auf die Visualisierung von Architektur und die Präsentation von Objekten ist ein weiterer Trend abzusehen. Neben dem klassischen und nahezu realistisch perfekt aussehenden computererzeugten Rendering können zunehmend Techniken der sogenannten Augmented Reality (der erweiterten Realität) aus dem Open Source-Bereich für Planungen eingesetzt werden. Im Gegensatz zur »Virtual Reality«, bei der Neuplanungen als auch Umgebung nur als virtuelle Modelle vorliegen, wird bei der »Augmented Reality« über einer Kamera die reale Situation wie in einem Film aufgenommen und gleichzeitig das neu zu planende Objekt virtuell und dynamisch in die aktuelle Szene eingesetzt. Mithilfe von sogenannten Markern werden die neuen Objekte relativ simpel in die Szenerie eingefügt. Solche Systeme waren bis dato sehr kostenintensiv [3], es etablieren sich aber mittlerweile auch im Open Source Bereich Anwendungen [4], die neue Methoden für die Präsentation von Architekturinhalten zulassen. Dazu wird nicht mehr benötigt als ein Laptop und eine Webcam, um erste Erfolge zu erzielen. Spannend ist dieser Trend insofern, als dass die Telekommunikationsbranche diesen Trend auch aufnimmt: Smartphones mit dem Betriebssystem Android oder iPhone OS Betriebssystem können über die integrierte Kamera die aktuelle Szene erfassen und blenden überlagert in das aktuelle Bild Informationen zu Gebäuden ein [5]. Zwar sind dies momentan nur punktuelle Informationen, jedoch wird auch hier schon an der Darstellung flächenhafter Geometrien gearbeitet. Die Zukunft könnte also so aussehen, dass der Architekt mit seinem Bauherr auf den zukünftigen Bauplatz kommt, und das Haus schon virtuell vor Ort projiziert werden kann. •
[1] Zum Testen auf www.grasshopper3d.com [2] Etwa »Ecotect« von Autodesk, siehe auch: db 6/2009, Neues vom Softwaremarkt, S. 90 [3] z. B. D’Fusion auf www.grasshopper3d.com [4] ARToolKit auf www.grasshopper3d.com [5] Wikitude: www.grasshopper3d.com, oder LayAR: www.grasshopper3d.com
Der Nachbericht zum Design Modelling Symposium 2008 erschien in db 8/2008 unter dem Titel »Das Treffen der Vernetzten« in der Rubrik Software, S. 86/87
Alle Beiträge vom diesjährigen Design Modelling Symposium sind im Tagungsband zusammengefasst: (Proceedings of the) Design Modelling Symposium Berlin 2009 – Concepts Beyond Geometry, Christoph Gengnagel (Hrsg.), Universität der Künste, Berlin 2009
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