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Der Superlativ ist relativ

Energieeffizienz bei Supermärkten
Der Superlativ ist relativ

Bei Lebensmitteln wirbt man gerne mit Superlativen: bester Geschmack, hochwertigste Zutaten und »niedrigster« Preis. Nun liest man: erster Klimasupermarkt, einziger Niedrigenergiesupermarkt und bestes Energiekonzept. Dabei ist der Trend zur Klimafreundlichkeit mehr als Werbung. Zwar verbessern die Unternehmen damit ihr Image, doch sparen sie bei steigenden Energiekosten viel Geld – z. B. wenn neue Gebäudetechnik-Komponenten sinnvoll miteinander verknüpft werden.

Text: Rosa Grewe Fotos: Annette Kisling u. a.

Nicht der Bau eines Supermarkts, sondern v. a. sein Betrieb ist kostenintensiv. Etwa 51 Euro/m2 Verkaufsfläche fallen nach einer Studie des Kölner EHI Retail Instituts beim Lebensmittelhandel jährlich für den Energieverbrauch an, bei durchschnittlich großen Märkten von rund 1 500 m² Fläche sind das 76 500 Euro im Jahr – allein für die Energie. Der komplette Primär- energieverbrauch liegt bei herkömmlichen Supermärkten dieser Größe bei ca. 900-1 000 kWh/m²a. Die Kühlung der Waren, die sogenannte Gewerbekälte, stellt mit etwa 50-65 % den Hauptteil des Energieverbrauchs, gefolgt von der Beleuchtung, die 13-20 % beansprucht, erst danach kommen die Belüftung und Temperierung der Verkaufsräume. Es ist also v. a. der Strom für Kühlung und Beleuchtung, der den Betrieb verteuert. Doch lassen sich die Kosten etwa über eine Sanierung der Kühltechnik gut halbieren, was letztlich auch hart kalkulierende Unternehmer ohne Öko-Idealismus überzeugt. Und auch die Umwelt profitiert davon, denn herkömmliche Kältemittel führen zu einem erheblichen Austritt von Treibhausgasen, eine Sanierung der Kühltechnik reduziert diese Emissionen.
Zur Energiebilanz des Supermarktbetriebs addiert sich die »graue Energie«, die Energie für Herstellung, Verpackung und Transport der Waren, Anfahrt der Kunden und für die Abfallentsorgung. Alles in allem verbraucht ein herkömmlicher Supermarkt so viel Energie wie eine größere Einfamilienhaussiedlung – folglich ist das Potenzial zur Einsparung groß. Daher optimierten in den vergangenen Jahren fast alle großen Supermarktunternehmer in Europa einige ihrer Filialen energetisch und ließen sie zertifizieren. Ent-standen sind Prestigeobjekte, die mit Auszeichnungen oder einer sehr guten Bewertung bei der Zertifizierung glänzen.
Der energetische Neubau und die energetische Sanierung von Supermärkten sind allerdings noch kein Standard. Doch zwei Projekte, eines von Rewe, eines von Tengelmann, zeigen nachfolgend, wohin der Standard in Zukunft geht: Die Filiale von Rewe in Berlin-Rudow, 2009 von Koch Architekten aus Düsseldorf neu gebaut, verzeichnet einen Primärenergiebedarf von etwa 500 kWh/m²a, inklusive der Gewerbekälte, und wurde für seine Technik nicht nur mit dem DGNB-Zertifikat in Gold, sondern auch mit dem Green Building Award 2009 ausgezeichnet sowie für den energy efficiency award 2010 (Entscheidung 20. April) nominiert. 2008 sanierten in Mühlheim an der Ruhr die Architekten Vervoorts & Schindler für Tengelmann eine Filiale, die mit dem EU-Green-Building Label zertifiziert ist, ein Ort im »Land der Ideen« war und für den Cool Industry Award 2009 nominiert wurde.
Das Engagement beider Supermärkte geht über die EnEV-Anforderungen hinaus, das Green Building Zertifikat bestätigt eine Reduktion des Jahresprimärenergieverbrauchs um 25 % unter EnEV-Niveau bei Neubauten und unter Altbestand-Niveau bei Sanierungen.
Besser gekühlt
Wie eingangs erwähnt, benötigt die Gewerbekälte, mit der die Waren im Plus- und Minusbereich gekühlt werden, um ein Vielfaches mehr Energie als die Raumkühlung. Sie wiegt energetisch also am schwersten, das Einsparpotenzial liegt hier bei bis zu 80 %.
Rewe wählte statt mobiler, steckfertiger Kühltruhen eine Verbundkälte- anlage. Dabei sind die Truhen fest installiert, besser isoliert und mit der Haustechnik verknüpft. Ein Wärmetauscher nutzt die Abwärme der Kühlgeräte zur Vortemperierung der Raumluft. Bei vielen Supermärkten würde diese Wärmeenergie schon ausreichen, um in den Übergangsmonaten die Verkaufsräume zu heizen. Bei Tengelmann deckt die Abwärme z. B. rund 75 % des Heizwärmebedarfs. Bei beiden Supermärkten findet man Glastüren vor den sogenannten Pluskühltruhen, in denen Milchprodukte und Frischwaren liegen. Das mag zwar die spontane Kaufentscheidung des Kunden bremsen, spart aber alleine schon 75 % der Energie für die Kühltruhen. Transparente Folien auf der Innenseite der Glastüren verhindern, dass die warme Luft die Glasscheibe beschlagen lässt. Außerdem liegt die Beleuchtungs- und Belüftungstechnik außerhalb der Kühlebene – weitere 10 % Energieeinsparung. Eine weitere Maßnahme ist das korrekte Handling der Truhen, also die richtige Befüllung, die Nachtabdeckung und die Wartung. Ein verbesserter Kältespeicher sorgt zusätzlich für gleichmäßige Kühltemperaturen bei weniger Energieaufwand.
Die Zukunftstechnik sehen Wissenschaftler aber v. a. in einem neuen Kühlmittel statt der bisher genutzten und klimaschädigenden Fluorkohlen- wasserstoffe: CO2. Gab es 2007 in Deutschland erst sechs CO2-Kühlanlagen, so rüsten derzeit immer mehr Supermärkte darauf um, auch Rewe und Tengelmann. CO2 ist preiswert, energieeffizient und emissionsarm. Weil es aber wärmeempfindlich ist, muss bei einer Außentemperatur ab ca. 23 8 C die Kälteanlage selbst gekühlt werden. Bei Tengelmann funktioniert das mit Regenwasser, das eine 100 m³ große Zisterne hinter dem Markt speichert. ›
Besser beleuchtet
Die Beleuchtung im Supermarkt muss energieeffizient, aber auch funktional und atmosphärisch sein. Experten empfehlen effiziente Dreibanden-Leuchtstoffröhren, eine gute Atmosphäre lässt sich damit aber nur bedingt schaffen. Mehr Gestaltungsmöglichkeiten bieten LEDs und Halogendampflampen, Reflektoren und Zeitschaltungen, die ebenfalls Energie sparen. LEDs haben besonders bei den Kühlmöbeln den Vorteil, dass sie kaum Hitze entwickeln und wenig Platz benötigen. Sowohl Rewe als auch Tengelmann setzen zudem auf eine Lichtsteuerung, die via Helligkeitssensoren auf den Tageslichteinfall reagiert und das Kunstlicht entsprechend steuert. Außerdem bewirken bei Tengelmann mit Gel gefüllte Scheiben in den Dachfensterbändern eine gleichmäßige Tageslichtstreuung.
Strom und Wärme produzieren
Der Strom, der für Kühlung und Beleuchtung gebraucht wird, kommt bei beiden Supermärkten über unterschiedliche Photovoltaiksysteme. An der Fassade bei Tengelmann und auf dem sichtbaren Vordach bei Rewe liefern glasintegrierte PV-Zellen Strom – zwar nur mit einem eingeschränkten Wirkungsgrad, aber mit einer besseren Integration in die Architektur. Auf dem Dach erzeugen bei Rewe aufgeständerte Module Strom, bei Tengelmann sind es PV-Folien, die direkt mit der Dachbahn verklebt sind. Beide Anlagen decken jedoch nur einen Bruchteil des Strombedarfs der Märkte, daher wird Ökostrom zugekauft. Zudem hat Tengelmann fünf Windräder zur Stromgewinnung auf dem Dach montiert.
Der Supermarkt Sainsbury´s im britischen Gloucester ließ sich zur Energiegewinnung etwas Besonderes einfallen: Via Kinetik sollen die Kundenautos zur Stromerzeugung beitragen. Die Bodenplatten des Parkplatzes sind derart präpariert, das ihre Be- und Entlastung durch die darüber fahrenden Autos in elektrische Energie umgewandelt wird. Die Ausbeute ist zwar mager – die gesamte Anlage liefert gerade mal rund 30 kWh, die Schlag- zeilen in der internationalen Presse sind dem Unternehmen jedoch sicher.
Da die Abwärme der Kühlung schon einen Teil oder den gesamten Energiebedarf deckt, ist der Heizwärmebedarf in Relation zum Strombedarf energetisch kaum problematisch. Einzig bei niedrigen Temperaturen im Winter entsteht ein weiterer Heizenergiebedarf. Rewe und Tengelmann decken diesen mit Geothermie und einer Wärmepumpe, die im Sommer auch für angenehm kühle Raumtemperaturen sorgt.
Energieeffizienz bei Discountern
Auch Discounter rüsten immer mehr um; ein Zeichen dafür, dass sich die Investitionen zunehmend schneller amortisieren. Lidl setzt mit seinen neuen Filialen auf eine gut gedämmte Konstruktion, auf eine energetische Verbundkälteanlage, deren Abwärme mittels Wärmepumpe die Beton-Bodenplatte thermisch aktiviert, auf eine Lichtsteuerung und auf energiesparende LEDs. Strom kommt teilweise von der eigenen PV-Anlage. Die Klima- maßnahmen sind auch hier so effizient, dass sich die Energiekosten um rund 35 % senken lassen. Für seinen Markt in Neckarsulm erhielt das Unter- nehmen das DGNB-Prädikat in Silber. Sein neues Energieverständnis möchte Lidl in einer neuen Architektur manifestieren. Diese ähnelt jedoch dem Gewohnten: Eine Stahlkonstruktion mit dem typischen Lidl-Touch.
Ebenso bedeutend: die Verteilzentren
Spricht man über den Energieverbrauch von Supermärkten, dann lohnt sich auch ein Blick auf die Verteilzentren ihrer Waren, deren Transport und die Logistik. Diesen März fertiggestellt ist das Verteilzentrum von Alnatura in Lorsch, gebaut von bfk Architekten aus Stuttgart. Es besteht aus einer niedrigbeheizten Lagerhalle von rund 20 800 m2 sowie einem ›
› benachbarten 1 350 m2 großen Bürogebäude. Die Holzkonstruk-tion der Halle stellt sich energetisch derart gut dar – der Primärenergie- verbrauch liegt bei 325,5 kWh/m²a –, dass die Architekten derzeit auf eine DGNB-Gold-Zertifzierung hoffen. Die Temperierung benötigt mit rund 68 % des Primärenergiebedarfs den größten Energieverbrauch, der Energieaufwand für Beleuchtung und Warmwasser ist dagegen mit jeweils rund 13-14 % für die gesamte Energiebilanz kaum bedeutend. Die Herausforderung war, in der riesigen Halle den baulichen Wärmeschutz mit einer guten Dämmung zu gewährleisten und eine gleichmäßige Temperierung der Räume mit regenerativer Energie herzustellen. Üblich in herkömmlichen Logistikhallen sind gasbetriebene Heizstrahler, die allerdings nicht dem Erneuerbare-Energien-Gesetz entsprechen. In dieser Halle aktiviert eine Luft-Wasser- und Sole-Wasser-Wärmepumpe die Bodenplatte thermisch. Den ersten Berechnungen zufolge wird damit die Innentemperatur auch im Hochsommer nicht über 18 8 C steigen. Eine geothermische Anlage beheizt das angelagerte, zweigeschossige Bürogebäude, ebenfalls eine Holzkonstruktion. Auf dem Hallendach wird derzeit eine 7 821 m2 große PV-Anlage in Betrieb genommen.
Darf‘s etwas mehr sein?
In Zeiten kritischerer Kunden, explodierender Energiepreise und der Wirtschaftskrise, bei der sich kleine Supermärkte kaum mehr finanzieren können, investieren die Großen erst recht und sparen dabei. Die Prestigeobjekte, an die gerne viele Preise und Schlagzeilen vergeben werden, täuschen aber darüber hinweg, dass die meisten Supermärkte derzeit weder energetisch noch architektonisch nachhaltig sind. Es sind nur wenige, die sich architektonisch hervor tun, wie MPreis oder die minergie-zertifizierten Migrosmärkte in der Schweiz oder die Frische Paradiese, die das Berliner Büro Robert Neun in diversen deutschen Großstädten baute, etwa das im Mai vergangenen Jahres eröffnete Frische Paradies Lindenberg. Und es sind nur wenige, die durch Energieeffizienz glänzen. Kaum ein Supermarkt zeichnet sich gar durch beides aus. So sei den Pionierprojekten zwar gedankt, wenn der Kunde sich an neue Standards gewöhnt. Dass Architektur und Umweltbewusstsein zu einer selbstverständlichen und hochwertigen Einheit zusammenfinden, wird sich aber erst noch mit steigenden Energiepreisen und Kundenansprüchen entwickeln. Superlative, die jetzt gelten, sind morgen schon passé. Hoffentlich. •
  • Rewe, Berlin-Rudow: Architekten: KOCH Architekten, Düsseldorf Energetische Beratung/Bauphysik: Koch Projekt GmbH, Düsseldorf Gebäudetechnik: WINKELS-BEHRENS-POSPICH, Ingenieure für Haustechnik, Münster Beteiligte Firmen: Beleuchtung: Philips, Springe, www.philips.com PV Glas-Vordach: Schott Solar, Alzenau, www.philips.com PV Dach: Solyndra, Holzkirchen, www.philips.com
  • Tengelmann, Mühlheim an der Ruhr: Architekten: Vervoorts & Schindler Architekten, Bochum Klimatechnik: Tengelmann Energie, Mülheim an der Ruhr Beteiligte Firmen: Beleuchtung: Philips, Unternehmensbereich Lighting / Geschäftsbereich Leuchten, Springe / Velbert, www.philips.com PV Fassade: Schueco, Bielefeld, www.philips.com PV-Folie Dach: Sika Deutschland, Stuttgart, www.philips.com, mit Solar Integrated, Mainz, www.philips.com Oberlichter (Tageslichtstreuung): Okalux, Marktheidenfeld, www.philips.com WDVS: Brillux, Münster Kältetechnik: Epta, Mannheim, www.philips.com
  • Alnatura, Lorsch: Architekten: BFK Architekten, Stuttgart Klimaingenieur: IB Henne & Walter, Ingenieurbüro für technische Gebäudesysteme, Reutlingen
  • Frische Paradies Lindenberg: Architekten: ROBERTNEUN, Berlin Haustechnik: ENERATIO Ingenieurbüro für rationellen Energieeinsatz, Hamburg
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