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Das Schloss-Pendant

Gästehaus in Hohenkammer
Das Schloss-Pendant

Die Beschränkung auf wenige Materialien, die aufgrund ihrer großzügigen Verwendung und z. T. poetischer Details gekonnt zur Geltung kommen und so wohltuend Auge und Gemüt »beruhigen«, das einen beschleichende und doch wohlige Gefühl an einen Kreuzgang mit dicken alten Mauern, der gruftartige Keller als puristische Wellness-Oase: Das Tagungshotel am Schloss Hohenkammer strahlt Kraft und Gediegenheit aus. Wenn auch mit streng symmetrischen Proportionen, ist es dennoch ein idealer Ort, um Gedanken freien Lauf zu lassen.

    • Architekten: Brückner & Brückner Architekten Tragwerksplanung: CBP – Tragwerksplanung

  • Kritik: Christine Fritzenwallner Fotos: André Mühling
Die Münchener Rück bewies als Bauherr schon oft ein Gespür für reizvolle Architektur. Mit dem 2002 eingeweihten, von Baumschlager & Eberle modernisierten Verwaltungsgebäude in Schwabing zeigten sie, wie ein 70er-Jahre-Bau energieeffizient in eine neue und repräsentative Bürostruktur verwandelt werden kann, ohne dabei banal oder überkandidelt zu wirken. Und auch das »Stipendiatenhaus« am Englischen Garten, das Kiessler & Partner zur gleichen Zeit umplanten und erweiterten, zeugt im Inneren von Sensibilität für Materialien und Raumproportionen.
Gleiches nun in Hohenkammer. Vor gut fünf Jahren kaufte das Unternehmen das dortige Seminarzentrum – ein Anwesen inklusive Schloss, Gutshof und Gästehaus, rund 40 km nördlich von München in dörflicher Idylle inmitten der Auenlandschaft gelegen – und lud sogleich acht Büros zu einem Architekturwettbewerb ein. Das Ensemble sollte ein in sich stimmiger und stimmungsvoller Ort für Seminare und Veranstaltungen werden (den die Münchener Rück aber nur zu ca. 20 % selbst nutzt). Zum einen ging es um die Restaurierung des Wasserschlosses mit seinen Tagungsräumen, was Hild und K Architekten übernahmen, zum anderen um eine Erweiterung mit Hotelzimmern für das bestehende Gästehaus von 1968, dessen kleine Zimmer, Konstruktion und Erschließung nicht mehr heutigem Standard entsprachen. Brückner & Brückner begeisterten Bauherrn und Jury mit ihrem Entwurf eines Anbaus, den »Symmetrie und ausgewogene, hierarchische Proportionen bestimmen« (Preisbegründung) und der sich an der Traufhöhe von Gutshof und Bestands-Gästehaus orientiert. Bis auf einen Teil wurde Letzteres zwar abgerissen, dafür schließen drei neue, großzügige Flügel, einen Innenhof bildend, an. Ein großes Entree und Foyer ›
› grenzt an der Westseite an den quadratischen Komplex. Ohne dem historischen Renaissancebau gegenüber die Schau zu stehlen, wirkt der Neubau selbstbewusst, geradezu »gleichberechtigt«. Nur die breite, hohe Mauer, die Eingangssituation und Taxiauffahrt bildet, mag im ersten Moment abweisend wirken. Konzeptionell gesehen hat sie ihre Berechtigung: Sie nimmt den Verlauf einer der früheren Mauern auf, die sich einst im Barockgarten befanden und teilweise noch vorhanden sind. Über ihr thront in symmetrischer Anordnung eine lärchenholzverschalte, grau lasierte Kiste mit großzügiger Glasfront und Geste zum Schloss. Sie wird als Empfangsraum genutzt und ist galerieartig mit dem Foyer verbunden.
Draussen sitzen
Während die Eingangsfassade für manch einen in ihrer Geometrie und Strenge fast ein wenig erhaben und monumental wirkt, relativiert das Foyer sogleich diese Stimmung: Ein Gefühl von Geborgenheit, Ruhe und Kraft, verstärkt durch den – auch ein Jahr nach Eröffnung präsenten – wohligen Geruch von Holz, überrascht den Ankömmling. Grund dafür ist ein absoluter Purismus der verwendeten Materialien: Die Wand- und Deckenkonstruktion verbirgt sich komplett hinter 1 mm dickem Roteichenfurnier. Das Holz stammt, wie auch in den Gästezimmern, von einem eigenen Wald- bestand in der Nähe Hohenkammers. Oben auf der Galerie und in den umlaufenden Hotel-Korridoren (fast schon möchte man sie Wandelgänge nennen, doch dazu später mehr) besteht der Bodenbelag aus Eichendielen. Im Eingangsbereich hingegen kontrastiert der graue Granitboden mit dem erdigen Wand- und Deckenfarbton.
Das Foyer erscheint, rein für die Nutzung als Rezeption, etwas überdimensioniert für ein 150-Personen-Gästehaus auf dem Land. Doch am Tag oder bei größerem Besucheraufkommen findet es seine eigentliche Bestimmung. Zwischen den hölzernen Raumfragmenten lässt sich Kaffee trinken, auf lederbezogenen Sitzflächen lesen, auf Kollegen warten, arbeiten oder noch besser nichts tun und die Atmosphäre genießen. Die vielen gläsernen Einschnitte in Wand und Decke machen es hell und lenken den Blick ins Grüne.
Doch weil Sonnenschein die wenn auch wenigen Bildschirmarbeitsplätze der Rezeption störten, wurde auf einzelne Stellen der Überkopfverglasung grüne, UV-beständige Folie in zwei Farbabstufungen und in Ahornblätterform geklebt – eine bewusst untechnische und kreative Art von Sonnenschutz, der nicht sofort ins Auge fällt. Ein unkonventionelles, geradezu poetisches Detail. ›
Melodisch-stiller Stelenhof
Ähnlich ungewohnt und eher wie Kunst am Bau zu interpretieren geht es im Innenhof weiter, zu dem man vom Eingang direkt durch das Foyer und einen kleinen Wechselausstellungsraum gelangt. Dort spielen über 150 unterschiedlich hohe Stelen – in ungleichmäßigen Abständen entlang den Fassaden neben- und hintereinander gereiht – eine Art stumme Melodie. Zugleich verschatten die Lärchenholz-Leimbinder die Ganzglasfassaden um knapp 60 %. An der Südseite wurde zusätzlich Sonnenschutzglas verwendet. Der Raum zwischen Glashaut und Stelen lässt sich durchschreiten, eine abstrakte Form eines Kreuzgangs? Das Gefühl stellt sich hier wie auch beim Gang durch die Flure zaghaft ein. In Wirklichkeit haben die Stelen aber noch einen weiteren, pragmatischen Zweck: Sie schützen nicht nur die Fassade des Neubaus vor Sonne, sondern verstecken auch den weniger reizvollen Altbauflügel und vereinheitlichen so das Erscheinungsbild.
Nichts als Gespenster
Dass bei dem attraktiven Innenhof Landschaftsarchitekten tätig waren, überrascht zunächst. Der Park wirkt so, als wäre seine Bepflanzung schon immer vorhanden. Derart natürlich soll es selbst nächtens zugehen: Eine dezente Beleuchtung redeten die Landschaftsplaner Architekten und Bauherrn aus, die Dunkelheit brauche auch ihren Raum, schließlich habe auch die Nacht ihre Berechtigung – klare, nachvollziehbare Worte und Ansätze. Doch schade ist es, passiert man die inneren Flure, während draußen im Hof tatsächlich Dunkelheit »herrscht«. Statt Ausblicke zu schaffen und Tiefe zu erzeugen, werfen die Glaswände lediglich das eigene Spiegelbild zurück, die Stelen dahinter sind nur schemenhaft und fast ein bißchen gespenstisch sichtbar.
Bei Tag sind die Korridore lichtdurchflutet und wirken so breiter als notwendig. Am Ende jeden Gangs kann der Blick ins Freie schweifen; große Panoramafenster schaffen fantastische Ausblicke. Dafür sind die Fenster in den Zimmern selbst recht schmal, doch wer verbringt hier seine freie Zeit im Zimmer? In den im Vergleich zum hellen Flur eher duster wirkenden Räumen könnte man wiederum eine unterschwellige Anspielung auf klösterliche Gemäuer sehen, doch das mag übertrieben sein. Auf jeden Fall wird dem Wohlfühl-Charakter kein Abbruch getan – wie in allen anderen Bereichen des Neubaus ist die Ausstattung ansprechend: Ebenfalls ›
› wurde mit Eichenfurnier geschreinert, hier in einer Dicke von 2 mm. Ein einziges Raummöbel aus Garderobe, Schränken und Nachttisch schafft gelungen die Trennung zum Sanitärbereich. Gegenüber, an der Außenwand, befinden sich u. a. Schreibtisch und Fernseher, wiederum in einem Möbelstück verbunden. Die Fenster sitzen dazu innen bündig. So erweckt die Fassade von außen aufgrund ihrer tiefen Leibungen die An- mutung historischer, voluminöser Schlossmauern. Doch altertümlich ist die Konstruktion nicht, Wände und Decken im Gästezimmer-Komplex bestehen aus Leichtbeton; in der Eingangshalle, in der eine Überbrückung von bis zu 14 m notwendig war, wurde Spannbeton verwendet.
Unter der Erde
In die Unterwelt »abtauchen« lässt es sich entweder mit dem Fahrstuhl oder über einen Abgang vom Foyer aus. Früher befand sich im UG ein Schwimmbad, aber auch heutiger Saunabereich, Fitness-, Massage- und Ruheraum bringen Erholung und Abwechslung und lassen den Gedanken freien Lauf. Mit Überschreiten der Schwelle zum UG wechseln die sonst holzbeplankten oder weiß verputzten Wände zu mächtigen, grauen Granitblöcken. Auch solche mit Schönheitsfehlern – Löchern, Flecken, fehlenden Kanten – wurden eingebaut, was den Neubau umso sympathischer und authentischer macht. Auf die Spitze getrieben haben die Architekten ihr »Weniger ist mehr«-Prinzip aber auf grandios-einfache Weise im Ruheraum; sein Boden besteht nur aus Kiesel-steinen und einigen Steinplatten in der Mitte. Es ist bewusst gewollt, mit dem Schritt nach rechts zur auserwählten, hölzernen Liege- fläche zunächst den steinigen, knirschend-unebenen Boden unter den Füßen zu spüren.
Bodenhaftung
Neubau wie Schloss werden von den benachbarten Feldern und Wäldern mit Energie versorgt: Das 2,5 km entfernt liegende Blockheizkraftwerk mit Biogas- (Kleegras) und Hackschnitzelanlage (zugeschaltet von Oktober bis Mai) produziert neben Warmwasser auch Strom. Sollte der Winter besonders rau sein, kann zusätzlich Erdgas angeschlossen werden. Den Neubau selbst temperiert eine Bauteilaktivierung, zugleich gibt es Fußbodenheizung und individuell regelbare Wandheizungen.
Bodenständigkeit bewies man auch bei den eingehaltenen Baukosten, die im »Drehen an jeder finanzmäßigen Schraube« begründet liegen. Das »schlanke Budget« ließ nur »mittleren Standard« zu, erklärt Peter Brückner. Was man dem Neubau keineswegs ansieht, im Gegenteil: Die sparsam verwendeten Materialien wirken allesamt edel und gediegen, das passt zum Ort und nebenbei auch zur Handschrift der Architekten. Zu verdanken ist es zum einen sehr guten und zugleich günstigen Handwerkerleistungen, zum anderen aber auch einer gewissen »Durchdetaillierung der Einfachheit«, so Brückner. Dem kann man getrost zustimmen, und auch bei vorherigen Bauten lässt sich dieser Ehrgeiz der Planer finden. Der Neubau reiht sich also nicht nur in die Architekturqualität der Vorgängerbauten seines Bauherrn ein, sondern passt wie gewohnt auch zum Portfolio des Architekturbüros.


  • Bauherr: Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft, München
    Projektleitung: Bernd Püttner
    Betreiber: Schloss Hohenkammer GmbH, Hohenkammer
    Architekten: Brückner & Brückner Architekten, Peter Brückner, Christian Brückner
    Projektteam: Martin Caskli und Oliver Oechsle (Projektleitung), Rudi Völkl, Wolfgang Herrmann, Tobias Lippert, Christian Haberkorn
    Tragwerksplanung: CBP -Tragwerksplanung, Part of WSP-Group, München
    HLS: Ludwig Ingenieurgesellschaft für Technische Gebäudeausrüstung (IGL), Traunstein
    Elektro: Lechl & Forstner, Neuhaus/Inn
    Außenanlagen: realgrün Landschaftsarchitekten, München
    Bauphysik, Bauakustik: PMI – Dipl.-Ing. Peter Mutard, Unterhaching
    BGF: 6 300 m2 NF: 5 200 m2 BRI: 19 200 m3
    Bauzeit: März 2007 bis August 2008
    Baukosten: 10 Mio. Euro (Kostengruppe 300-600)
  • Beteiligte Firmen: Holzbodenbeläge: Massivholzsystemdiele Eiche rustikal weiß geölt, Zug-Parkett, Friedenweiler, www.zug-parkett.de
    Natursteinböden sowie Waschbecken und Dusche: Flossenbürger Granit
    Karusselltüranlage: Dorma, Ennepetal, www.zug-parkett.de
    Pfosten-Riegel-Fassaden Holz-Metall: UNILUX, Salmtal, www.zug-parkett.de
    Beleuchtung: Zumtobel, Dornbirn, www.zug-parkett.de
    Elektro/Schalter: Gira (E2), Radevormwald, www.zug-parkett.de
    Sanitärarmaturen: Grohe, Porta Westfalica, www.zug-parkett.de
    Trockenbau: Knauf, Iphofen, www.zug-parkett.de
    Dachdämmung Eingangshalle: Deutsche FOAMGLAS, Erkrath, www.zug-parkett.de
A Schloss
B Biergarten
C Gutshof, u. a. mit Restaurant, Galerie, Saal, Kasino und weiteren Gästezimmern
D Gästehaus (mit Altbau in schwarz)
  • 1 Umkleiden
  • 2 Massage
  • 3 Sauna
  • 4 Ruheraum
  • 5 Fitness
  • 6 Eingang / Foyer
  • 7 Wechselausstellung
  • 8 Empfangsraum
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