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Kindertagesstätte im Baukastensystem in Frankfurt a. M.

Das Dorf in der Kiste
Kindertagesstätte im Baukastensystem in Frankfurt a. M.

U 3 macht mobil: Der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für unter Dreijährige hat in den Kommunen rege Bautätigkeit ausgelöst – inzwischen gibt es in Deutschland rund 52 000 Kitas. Während sich andere dabei mit Provisorien behelfen, ging Frankfurt a. M. frühzeitig mit gutem Beispiel voran: 2009 lobte die Stadt einen Architektenwettbewerb aus, der Baukastenkonzepte für Kitas verlangte, die an 34 Standorten im Stadtgebiet realisiert werden sollten – Ernst May wäre sicher begeistert. Doch ein erster gebauter Prototyp zeigt auch die Grenzen dieser Vorgehensweise auf.

    • Architekten: Birk Heilmeyer und Frenzel Architekten
      Tragwerksplanung: Knippers Helbig

  • Kritik: Christoph Gunßer
    Fotos: Eibe Sönnecken
Der Erfinder des »Neuen Frankfurt« könnte der neuesten Vorortsiedlung der Stadt gewiss wenig abgewinnen: Der Riedberg, ein Stadtteil für immerhin 15 000 Einwohner, ist fest in der Hand privater Bauträger. Mitten in dieser zusammengewürfelten Ödnis in bester Südhanglage ließ die für den Stadtteil federführende »Hessen Agentur« einen der fünf Preisträger-Entwürfe des städtischen Kita-Wettbewerbs als Prototyp errichten. Mehr noch als andere öffentliche Gebäude im Quartier liefert er ein totales Kontrastprogramm: Zwischen braven Doppelhäusern und der Baustelle eines Gymnasiums hält sich der zweistöckige Neubau gestalterisch so sehr zurück, dass man nicht einmal auf Anhieb den Eingang findet.
Minimalismus für Kinder
Von »Schöne Aussicht« wurde die Kita zwischenzeitlich in »Schatzkiste« umbenannt, wohl weil sich Kinder wenig um die ferne Skyline Frankfurts scheren und vielleicht auch, weil die Kita äußerlich schlicht eine Kiste ist. Hinter dem obligatorischen Maschendrahtzaun erhebt sich ein flacher Quader auf quadratischem Grundriss. Zentralbauten wie dieser sind bekanntlich schwer zu verorten. Wenn nun noch alle vier Seiten des Gebäudes gleich aussehen, nämlich aus einer verglasten Pfosten-Riegel-Konstruktion mit vorgelagertem Fluchtbalkon bestehen, fällt die Orientierung zusätzlich schwer.
Ist die Pforte im Zaun gefunden, empfängt einen kein Schild, nur eine Schließanlage, um den Zugangscode einzugeben. Anschließend steht man zunächst in einer Art Schleuse vor einer schweren Glastür, luftdicht, wie es der Passivhausstandard verlangt. Erst dahinter öffnet sich der großzügige, abermals quadratische »Dorfplatz«, der von einem großen Oberlicht erhellt wird und in den eine großzügige Treppe eingestellt ist. Dies ist eindeutig das Zentrum, der Schatz des Gebäudes.
Suche nach dem Selbstverständlichen
Für Projektleiter Jochen Günzler von Birk Heilmeyer und Frenzel Architekten besteht das Wesen des Entwurfsprozesses darin, sich im Team »so lange im Kreis zu drehen, bis Selbstverständliches entsteht«. Hier war es der Dorfplatz, wo es hieß: »So muss es sein.« Tatsächlich ergibt sich beim Spiel mit vier Rechtecken (im Fall dieser Kita sind das drei identische Gruppenräume und ein Büro/Küchenmodul) das einprägsame Schema mit windmühlenartigen Fluren, die in einen zentralen Hof münden. Dieser Typ wurde bereits vielfach ausgeführt (vgl. etwa den Kindergarten in Buchen in db 9/2009), denn er birgt große Vorzüge: kompaktes Volumen, rationell herstellbar durch viele identische Bauteile.
Doch es gibt neben der erwähnten städtebaulichen Neutralität des Bautyps auch interne Schwächen, die besonders kleine Kinder irritieren. So ist die Zahl der räumlichen Situationen gering: Besonders die Flure werden leicht ver- wechselt; durch die Vorfertigung der Module lassen sie sich kaum variieren. Die Besonnung der verschiedenen Gruppenräume ist anders als bei einer linearen Reihung sehr unterschiedlich.
Warten auf die »zweite Schicht«
Bei aller Robustheit und Praktikabilität bedarf der Bautyp also einer differenzierenden Überformung durch eine »zweite Schicht«. Architekten können diese als Farb- oder Materialwechsel oder andere Abweichungen einplanen, um besondere Situationen zu schaffen. Hier auf dem Riedberg übernimmt allein die skulptural in den Hof gesetzte zweiläufige Treppe diese orientierende Funktion.

Leider wurde auch die Chance vertan, über eine differenzierende Freiraumplanung prägnante Orte zu schaffen: Die Spiel- und Grünanlagen sind einfacher Standard und bauen weder Bezug noch Spannung zum Gebäude auf – hier waren offenbar zu viele Ämter im Spiel. Und was hätte sich allein aus der markanten Hangkante alles gestalten lassen! Darin hätte sogar noch ein ganzes besonntes Sockelgeschoss Platz gefunden. In dieser Situation erweist sich ein Baukasten-Ansatz als zu starr. Nun wird es an den Nutzern sein, dem soliden, aber etwas eintönigen Standard mit Esprit und Chuzpe auf den Leib zu rücken. Begonnen hat die engagierte Leitung schon mit einer konkreten Schatzkiste und passenden »abenteuerlichen« Schildern an den Gruppenräumen. Potenzial zur Aneignung bietet auch die große Raumhöhe der Gruppenräume, die bei den Kleinen locker Platz für eine zweite Ebene lässt. Hier kann in den mit 75 m² riesigen, von raumhohen Glasscheiben begrenzten Quadern mit Fantasie eine kontrastierende Welt aus kleinen Höhlen und Nischen entstehen. Darüber mögen puristische Architekten die Stirn runzeln, aber Kinder brauchen und lieben sie.

Option Umnutzung
Das zweigeschossige Bausystem aus zweimal vier Quadern verwenden die Architekten an vier weiteren Standorten im Stadtgebiet. Platz finden die kompakten Quadrate auch auf Restflächen, vorwiegend in Kleingartenarealen. Dabei variiert die Größe der Höfe, und die Unterteilung der Gruppenräume wird z.T. für unter Dreijährige verändert; im Riedberger Typ gibt es dagegen nur zwei Gruppen für über Dreijährige zu ebener Erde sowie im OG drei Hortgruppen.
Ein Kostenvorteil gegenüber individuellen Entwürfen entsteht v. a. durch die gemeinsame Ausschreibung mehrerer gleichartiger Gebäude. Ob diese aber den Aufwand übersteigen, um den fehlenden Ortsbezug auszugleichen, sei dahingestellt. Es wird spannend zu beobachten sein, wie sich die fünf Gebäude später unterscheiden, wie sie Wurzeln schlagen. Man könnte die neutralen »Kisten« fast als Instrumente oder Leinwände verstehen, auf denen die Nutzer »spielen«.
Und wenn es mal zu wenige Kinder gibt, um die Kitas zu füllen? Dann sind die Gebäude womöglich neutral genug, um sie ganz anders zu nutzen, für betreutes Wohnen etwa, wie Projektleiter Günzler mutmaßt. Diese Perspektive ist mehr noch als der – in der Marktübersicht und bei diesen geringen Stückzahlen keineswegs triftige – Kostenvorteil das wohl wichtigste Argument für derart neutrale Strukturen, auch wenn es zunächst nahe liegt, kindgerechtere Räume zu fordern.
Konstruktion und Haustechnik
Im Konstruktiven hat sich das Architektenteam früh von der Vorstellung verabschiedet, hier ließen sich tatsächlich vorgefertigte Raummodule wie in einem Lego-Baukasten zusammenfügen. Der Vorfertigungsgrad der Mischkonstruktion aus Stahlträgern und -stützen (vorwiegend in der Fassadenebene) sowie Holzwänden und -decken ist stattdessen eher gering: Die Wände werden im Rahmenbau beplankt angeliefert, die meisten Installationen wie der Ausbau nachträglich eingebracht. Das enge konstruktive Raster von 61,5 cm wird de facto nicht streng eingehalten. Etwas schade ist, dass von der Holzkonstruktion im fertigen Gebäude wenig sichtbar bleibt. Allein die Decke über dem Dorfplatz ist als offen hölzernes Gittertragwerk erkennbar.
Die Decken der Gruppenräume spannen von der Fassade zur Hofwand und kragen dort für die Galerien aus. Die Trennwände zu den Fluren haben lediglich aussteifende Funktion. Nachdem im Riedberger Prototyp eine Holzrippendecke eingebaut worden war, kommt in den vier weiteren Kitas eine Holz-Beton-Verbunddecke zum Einsatz, deren höheres Gewicht einen raumklimatischen Vorteil bedeutet. Die trotz der zweischichtigen Fassade hohen Energieeinträge durch die Vollverglasung lassen sich so besser abpuffern.
Haustechnisch verfügt das im Passivhausstandard ohne Zertifizierung errichtete Gebäude über eine mechanische Lüftungsanlage, die jedoch vorwiegend in der kalten Jahreshälfte läuft, wenn Fernwärme den Restwärmebedarf deckt. Überschüssige Wärme entweicht über das große Oberlicht im Hof. Zwei Ventilatoren in der Fassade sorgen zusätzlich für Querlüftung. Wie die Sonnenschutzrollos in der äußeren Fassadenebene wird diese Haustechnik manuell bedient.


  • Standort: Christiane-Vulpius-Straße 11, 60438 Frankfurt a. M.

    Bauherr KiTa: HA Hessen Agentur, Wiesbaden
    Bauherr Baukastensystem: Stadt Frankfurt a. M., Hochbauamt
    Architekten: Birk Heilmeyer und Frenzel Architekten, Stuttgart
    Mitarbeiter: Jochen Günzler (Projektleiter), Hanna Weber, Mykola Holoviznin
    Bauleitung: biek architektur, Frankfurt a. M.
    Tragwerksplanung: Knippers Helbig, Stuttgart
    Technische Ausrüstung: CSZ Ingenieurconsult, Darmstadt
    Außenanlagen: Götte Landschaftsarchitekten, Frankfurt a. M.
    Bauphysik: CSZ Ingenieurconsult, Darmstadt
    Brandschutz: Endreß Ingenieurgesellschaft, Frankfurt a. M.
    Fassadenplanung: FFT-Bohner, Fichtenberg
    BGF: 1 221 m², Nutzfläche: 820 m²
    BRI: 6 364 m³
    Bauzeit: Februar 2012 bis April 2013
    Baukosten: 2,1 Mio. Euro (KG 300 und 400)
    Auszeichnung: best architects Award, 2014, Auszeichnung
  • Beteiligte Firmen: Holzbau Decken: Lignotrend, Weilheim-Bannholz, www.lignotrend.de
    Fassadensystem: esco Metallbausysteme, Ditzingen, www.lignotrend.de
    Textiler Sonnenschutz-Screen: RENSON Sunprotection-Screens, Waregem, www.lignotrend.de
    Oberlicht: LAMILUX, Heinrich Strunz Gruppe, Rehau, www.lignotrend.de
    Mobile Trennwand: abopart, Bad Zwischenahn, www.lignotrend.de
    Türen: Schörghuber Spezialtüren, Ampfing, www.lignotrend.de
    Türen (Ausführung): DAMIAN WERNER, Kalbach, www.lignotrend.de
    Linoleumboden: Armstrong DLW, Bietigheim-Bissingen, www.lignotrend.de
    Deckenanbauleuchte: (DA 400) tecnolight Leuchten, Arnsberg, www.lignotrend.de
    Pendelleuchte: (Basic Ball) RZB Rudolf Zimmermann, Bamberg, www.lignotrend.de

Birk Heilmeyer und Frenzel Architekten

Stephan Birk
Studium an der Uni Stuttgart. 2003-04 Mitarbeit bei Foster + Partners. Seit 2005 Büro mit Liza Heilmeyer. 2012-15 Professurvertretung an der Uni Stuttgart.
Liza Heilmeyer
Studium an der Uni Stuttgart. 2003-04 Mitarbeit bei Foster + Partners. Seit 2005 Büro mit Stephan Birk.
Martin Frenzel
Studium an der Uni Kaiserslautern. 1997-2005 Mitarbeit bei Mahler Günster Fuchs. Seit 2004 eigenes Büro, seit 2012 mit Stephan Birk und Liza Heilmeyer.

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