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»Big Brother« auf der Baustelle

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»Big Brother« auf der Baustelle

In den vergangenen Jahren wurden europaweit zahlreiche Gebäude erstellt, deren technische Ausstattung vollständig vernetzt wurde und in denen die Industrie ihre Steuerungstechniken, Komfortfunktionen und Geräte dem Anwender anhand praktischer Beispiele vorstellte. Gerne wurden den Gebäuden das Attribut »intelligent« als Namenszusatz vorangestellt. Trotzdem blieb der Vorteil der Vernetzung im privaten Bereich schwer vermittelbar. Da es an echten Anwendungen fehlte und die Befürchtungen der Bauherren, sich eine schwierig zu beherrschende Technik aufzubürden, nicht unbegründet war, ließ die Nutzerakzeptanz zu wünschen übrig. In gewerblichen Bauten ist hingegen die Gebäudeautomation mittlerweile Standard und regelt Heizung, Lüftung, Klimatechnik und die vielfältigen Kommunikationsmittel moderner gewerblicher Immobilien. Gebäudeautomation meint jedoch nicht ausschließlich die Ausstattung fertiger Bauten, sondern kann auch bereits den Bauprozess begleiten und unterstützen. Das Fraunhofer-Institut in Duisburg und die Hochtief AG testen und verwenden die IT-Technik zur Kennzeichnung von Bauteilen und Bauarbeitern sowie zur automatisierten Erfassung des Bauprozesses.

Text: Rolf Mauer

Erkenntnisse aus bisherigen Forschungsprojekten
Die Fraunhofer-Forschungsanlage »inHaus1« wurde 2001 fertiggestellt, sollte neue Technologien und Anwendungen für private Wohngebäude vorstellen und in der praktischen Erprobung deren Alltagstauglichkeit beweisen. Bereits damals setzte man darauf, Betriebskosten und den Energieverbrauch zu senken und Senioren ein altersgerechtes Wohnen zu ermöglichen beziehungsweise für die Bewohner eine erhöhte Sicherheit zu bieten.
Als reines Forschungsobjekt ist »inHaus1« nie dauerhaft bewohnt worden, jedoch konnte man viele wertvolle Erkenntnisse über die Akzeptanz, Bedienbarkeit und den Anwendungsnutzen der eingesetzten Gebäudetechnik gewinnen. Auch die Grenzen der Akzeptanz wurden ausgelotet, denn letztlich muss jeder selbst entscheiden, ob er sich für seine Kinder einen Schulranzen wünscht, der vor dem Gang zur Schule automatisch gescannt wird und den Inhalt mit dem für den Tag geltenden Stundenplan vergleicht.
Vom Auto lernen
Die technische Ausstattung von Fahrzeugen ist heute Vorbild für viele Versuche der Elektroindustrie, Funktionen wie Sicherheit, Kommunikation und Komfort für die Bautechnik zu adaptieren, ohne den Nutzer zu überfordern oder ihm eine Technik aufzudrängen, die er nicht benötigt.
Die Gebäudeautomation bewegt sich folglich nicht auf die jahrelang propagierte Möglichkeit hin, grundsätzlich alles schaltbar zu gestalten und von einer zentralen »Kommandozentrale« sämtliche Komponenten eines Hauses, seien es Fernsehen, Musikanlage, Heizung, Beleuchtung und Lüftung zu steuern. Eine Vorstellung, die eher der Gedankenwelt des kalten Krieges und ihrer filmischen Darstellung von sogenannten »Warrooms« entlehnt ist, in denen sich die verfeindeten Parteien gegenseitig überwachten.
Stattdessen werden sich die Aufgaben der Gebäudetechnik hin zu reinen Assistenzfunktionen entwickeln und im Idealfall den Nutzer von jeder Kontrollfunktion und jedem »Schaltzwang« weitgehend entlasten.
Besonders im Bereich Seniorenwohnen können Assistenzsysteme eine große Rolle spielen und die Bewohner durch das automatisierte Erkennen von Notfällen und gesundheitlichen Veränderungen schützen. Da ein nicht unerheblicher Teil der für die Pflege zur Verfügung stehenden Zeit in die Dokumentation eben dieser Tätigkeiten investiert werden muss, sind Lösungen gefragt, die es dem Pflegepersonal erlauben, sich um ihre eigentliche Aufgabe, die der Patientenpflege, zu kümmern.
Ein Assistenzsystem sollte in der Lage sein, automatisch zu erkennen, wenn ein Bewohner stürzt, die Orientierung verliert oder gegen jede Gewohnheit das Bett nicht verlässt beziehungsweise ungewöhnlich lange an einer Stelle verharrt. Die dafür notwendige Sensorik wird entweder am Körper getragen, ist in den Räumen installiert oder besteht aus einer Kombination beider Lösungen.
Seit Jahren Standard sind Systeme zur Geräteüberwachung. Im Bereich des altersgerechten Wohnens können versehentlich angestellte oder vergessene Geräte eine Gefahrenquelle darstellen und automatisiert abgeschaltet oder die Gefahrensituation einer betreuenden Stelle gemeldet werden. ›
› Auch außerordentliche Notfälle, wie ein Wasserrohrbruch, ein Einbruch oder ein Feuer können durch Assistenzsysteme entdeckt und an die entsprechenden Notfalldienste gemeldet werden.
Noch im Sommer 2008 soll »inHaus2« fertiggestellt werden. Ein Konsortium aus neun Fraunhofer-Instituten, die Universität Duisburg-Essen sowie eine Anzahl verschiedener Firmen wie zum Beispiel Hochtief, Xella, Isover, Gartner und Osram als Systempartner wollen bis 2011 in diesem Proto- typen einer Nutzimmobilie verschiedene Forschungsprogramme laufen lassen. Im »inHaus2« werden Büroräume ebenso wie Kranken- und Pflegeräume sowie Hotelzimmer und Veranstaltungsräume enthalten sein. Hierbei sollen das Marktpotenzial einer systemtechnischen Integration von Baumaterialien und der technischen Gebäudeausrüstung ausgelotet werden.
GEbäudeautomation im Bauprozess
Integrierte Planung, Gebäudemodelle und digitale Gebäudeakten auf der Basis von RFID-Technologien (Radio Frequency Identification) zeichnen sich als Lösung für eine elektronisch überwachte Bauphase zunehmend deutlicher ab. Um Bauvorhaben wirtschaftlich erfolgreich sowie entsprechen der vertraglichen Bedingungen mangel- und unfallfrei abzuwickeln, ist die Koordination der Planungs- und Herstellungsprozesse von der Fertigung bis zur Nutzung der verschiedenen Bauwerksteile von großer Bedeutung und kostet viele Bauleiter nicht wenige Nerven. Der Einsatz von Elektronik kann die Bauüberwachung erleichtern und zuverlässiger machen.
Material- und Ausführungskontrolle
Die wenigsten an der Baustelle verfügbaren Materialien sind ausreichend etikettiert und identifizierbar, müssen jedoch eigentlich von einer verantwortungsvollen Bauleitung ständig kontrolliert und entsprechend den Angaben in der Ausschreibung verglichen werden.
Die tatsächliche Ausführung wird jedoch in der Regel nicht zuverlässig und beweissicher dokumentiert und ist im Streitfall bei Schallbrücken, Luftundichtheiten, Materialunverträglichkeiten, falscher Montage nicht nachvollziehbar. Identifikationssysteme, wie sie in anderen Wirtschaftsbereichen bereits erfolgreich eingesetzt werden, können in der Bauphase alle benötigten Informationen liefern, indem auf oder an den Produkten befestigte RFID-Bauteile (Tags) Informationen über die Herstellung, den geplanten Einbauort und den Empfänger enthalten.
Mit einem Soll-Ist-Vergleich bei der Anlieferung beziehungsweise vor der Montage oder der Bauabnahme ist somit prüfbar, ob zum Beispiel die richtigen Bauteile geliefert und entsprechend der Planung eingebaut wurden. Zusammen mit weiteren Daten generiert sich aus den gewonnenen Daten unter anderem die sogenannte digitale Gebäudeakte, die den Bestandszyklus eines Gebäudes vom Bau über Renovierungen bis zum Abriss und der abschließenden Entsorgung beziehungsweise der teilweisen Wiederverwendung dokumentieren kann.
Die kostengünstigen und unkompliziert zu verwendenden RFID-Tags ermöglichen für den Gebäudebetrieb ein lückenloses Informationsmanagement unter anderem für die Bereiche Bauteil- und Raumfunktion, Komfortsteuerung, Wartung, Abrechnung, Reparatur oder Austausch.
Aus einzelnen Komponenten wird im Werk ein Bauteil gefertigt. Mittels RFID-Tags lassen sich die Einzelkennzahlen der Bauteile zusammenführen und weiter zu Bauteil-Kennzahlen wie Wärmeverlust/U-Wert verknüpfen. Für Fassaden ergeben sich Bauteil-Kennzahlen, die zum Beispiel für »Luftdichtheit« stehen, die nur im eingebauten Zustand gegeben sind. Über ein Auslesen der kombinierten Kennwerte lässt sich erkennen, ob die richtigen Bauteile entsprechend der Planung und Ausschreibung verwendet und montiert wurden.
Ein weiteres Beispiel sind Sensoren zur Betonüberwachung. Über diese Sensoren können Temperaturen und Druckdaten zur Qualitätsüberwachung während des Betoniervorgangs und der Aushärtephase ausgelesen werden. Auch lassen sich später die Messdaten dieser Sensoren für die Energiebilanz des Gebäudes nutzen.
Bauüberwachung und Materialfluss
Über ein »Baustellengate« werden sämtliche ankommenden Materialien und Bauteile während der Durchfahrt durch ein Baustellentor berührungslos erfasst. So können unmittelbar nach Eintreffen der Baumaterialien diese entsprechend dem Bauzeitenplan entweder gelagert oder zum Einbau vorbereitet werden. Auch eine automatisierte Prüfung, ob die richtigen Bauteile geliefert wurden, ist möglich. Selbst die Führung des Bautagebuchs mit Angaben zur Materialankunft beziehungsweise dem Einbau kann digitalisiert und automatisiert werden.
Der Einsatz von RFID-Transpondern macht jedoch nicht vor Materialien oder Bauteilen halt. Auf der Baustelle des »inHaus2« sind auch die Arbeitsschuhe und Sicherheitshelme der Bauarbeiter mit RFID-Tags ausgestattet. Was auf den ersten Blick wie eine Überwachung aus George Orwells »1984« aussieht hat jedoch nicht nur Nachteile. Der Zutritt zur Baustelle kann über eine geeignete Zugangskontrolle nur für Personen freigegeben werden, die die verlangte Sicherheitsausrüstung tragen.
Im Fall von Montagefehlern oder den nicht so seltenen Gelegenheits-Diebstählen von Baumaterialien lässt sich lückenlos feststellen, welche Personen für eine fehlerhafte Montage verantwortlich sind oder sich zum fraglichen Zeitpunkt an der Stelle befanden, an der ein Diebstahl verzeichnet wurde. Auch dieses »Personentracking« lässt sich automatisieren.
Im Zusammenhang mit einem Bauzeitenplan ist feststellbar ob die für eine bestimmte Leistung angeforderten Handwerker in der bestellten Mannstärke bereits eingetroffen sind oder ob das beauftragte Unternehmen angemahnt werden muss.
Wer diese Art von Qualitätsmanagement für überzogen hält, sollte sich vor Augen führen, dass diese Sorgfalt in allen großen Unternehmen unter industriellen Herstellungsbedingungen längst selbstverständlich ist. Erst die Miniaturisierung und die durch den Masseneinsatz günstige Elektrotechnik erlaubt eine Qualitätskontrolle auf der Baustelle, die industriellen Standards genügt.
Die Architektenkammer Nordrhein-Westfalen fand das Thema »inHaus2« nicht interessant genug und entschied sich auf Anfrage des Fraunhofer- Instituts gegen eine Zusammenarbeit und gemeinsame Weiterbildungsmaßnahmen für Architekten. Es stellt sich allerdings die Frage, ob wir es uns leisten können, solche Zukunftsthemen zu ignorieren. •
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