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Bibliotheksbrücke in Bad Vilbel als Teil der »Neuen Mitte«

Mitten im Leben
Bibliotheksbrücke in Bad Vilbel

Die neue Stadtbibliothek bietet den Menschen der hessischen Mittelstadt bei Frankfurt nicht nur ein vielfältiges Literatur- und Medienangebot und ein Café. Als verbindende Brücke zwischen Kurpark und Innenstadt, v.a. aber als Teil der »Neuen Mitte« Bad Vilbels trägt sie wesentlich dazu bei, eine zuvor als Parkplatz genutzte Fläche überhaupt erst zu einem Ort zu machen – ein kleiner Geniestreich!

    • Architekten: Demmel und Hadler
      Tragwerksplanung: Krebs und Kiefer

  • Kritik: Arne Winkelmann
    Fotos: Jörg Hempel
Eine Bibliothek als Brücke – eigentlich ein Fest für Feuilletonredakteure: »Bildung verbindet«, »Bücher schlagen Brücken« oder »Das Lesen ist ein Fluss« hätte man sich gut als Überschriften zur Eröffnung im November 2013 vorstellen können. Leider fand das in Deutschland typologisch so einzigartige Bauwerk in der überregionalen Presse kein großes Echo. Das ist bedauerlich, weil es viele Erwartungen einlöst.
Die Bibliothek ist Teil der Neuen Mitte Bad Vilbels, einem städtebaulichen Eingriff, der dem bisher zentrumslosen Straßendorf, das sich an der engen 800 m langen Frankfurter Straße entlangschlängelt, nun tatsächlich zu einem Zentrum verhilft. Städtebaulich kann man das Ensemble der Neuen Mitte und der Bibliothek durchaus als genial bezeichnen. Die Idee für die städtebauliche Neuordnung und die Brücke geht auf den Architekten Fred Angerer zurück, der inmitten der Planungsphase 2010 verstorbenen ist und dessen Juniorpartner Bernhard Demmel und Gerald Hadler das Projekt zu Ende geführt haben.
Auf dem Grundstück eines ehemaligen Parkplatzes unmittelbar an der Nidda entstand ein Stadtplatz mit zwei flankierenden Gebäuden für Gewerbe und Wohnen sowie öffentlicher Tiefgarage. Als dritte Platzkante fungiert die Stadtbibliothek, die eine Lücke mit Blick auf den Fluss und das am nördlichen Ufer liegende Kurhaus aus den 20er Jahren nebst Kurpark freilässt. Das obere Geschoss kragt einige Meter aus und überdacht damit einen seitlichen Steg über den erst kürzlich renaturierten Flussraum. Im EG wurde ein Café integriert, das ungefähr ein Drittel der Grundfläche der Bibliothek einnimmt und maßgeblich dazu beiträgt, dass der Besucherstrom auf dem neuen Hauptplatz der 32 000 Einwohner zählenden Stadt heute enorm erscheint. Das Café dient als Treffpunkt, die Geschäfte sind hochfrequentiert – »kein Vergleich zu vorher«, bestätigen die Bibliotheksleiterin und der Leiter des Kulturamts. Natürlich verzeichnet die bislang provisorisch im UG des Kurbads untergebrachte Stadtbibliothek nun auch wesentlich mehr Besucher als zuvor.
Die Distanz von 40 m zwischen dem Nord- und Südufer der Nidda wurde mit einer Konstruktion aus drei zweigeschossigen Stahlfachwerkträgern überbrückt, dessen V-förmige Schrägstützen von außen deutlich ablesbar sind. Der Boden des oberen Stockwerks wurde dabei einfach zwischen den V-Stützen eingehängt. Die Stahlfachwerkträger, die in einem Abstand von 8 m zueinander stehen, liegen auf Brückenköpfen auf, die die notwendigen Technik- und Nebenräume für Bibliothek und Gastronomie aufnehmen.
Leselandschaft
Neben der städtebaulichen Konzeption besticht die Bibliotheksbrücke durch ihre architektonische Qualität. Ein Bauwerk mit einer topografisch derart privilegierten Lage muss selbstverständlich auch den Blick auf den umgebenden Naturraum freigeben. Und so war es nur folgerichtig, den Bibliotheksbau vollständig zu verglasen. Von den bequemen Lesesesseln, Arbeitsplätzen und Medienstationen aus bietet sich daher gleichsam ein 360°-Blick sowohl auf die Neue Mitte als auch auf die renaturierte Nidda und den angrenzenden Kurpark. Im EG ermöglicht eine Glasplatte im Boden zudem den Blick auf das fließende Wasser. Im oberen Stockwerk wird die Glasfassade von einem umlaufenden Wartungssteg mit feststehenden Sonnenschutzlamellen gesäumt. Die Lamellen dienen weniger zur Reduzierung der Wärmeeinträge (diese werden bereits durch die allseitige Dreischeiben-Isolierverglasungen wirksam eingedämmt) als vielmehr dazu, die Bücher vor direkter Sonneneinstrahlung zu schützen.
Durch die Rundumverglasung wirken die Räume sehr großzügig. Um den großen Lesesaal im OG höher wirken zu lassen, sind der Boden, die Regale und Möbel in dunklem Grau gehalten, die Akustikelemente der Decke und die Schrägstützen dagegen weiß. Runde Oberlichter unterstreichen diese Wirkung. Transparent sind auch die Geländer mit Glasfüllungen sowie die Wände der Büros der Bibliotheksleitung.
Für farbliche Akzente sorgen die Sitzmöbel, die im EG hellgrüne und im OG orangefarbene Bezüge erhielten. Die Vorhänge im Lesesaal, eingeplant als zusätzlicher Sonnenschutz, sind gleichfalls orange – ebenso wie auch die Vererschattungselemente bei den Computerarbeitsplätzen. Im Kinderbereich türmt sich in einer Ecke ein Sitzmöbel zu einer grünen Stufenpyramide auf und ermöglicht dadurch gleichermaßen kindlichen Bewegungsdrang zu stillen und legeren Lesekomfort.
Hohe Nutzungsflexibilität dank verschiebbarer Regale
Hinsichtlich der Nutzungsflexibilität ist die enge Zusammenarbeit zwischen den Architekten und den Nutzern bzw. dem Kulturamt der Stadt hervorzuheben. So wurde gemeinsam die Idee entwickelt, die Regalreihen im OG wie bei Archivsystemen auf Schienen zu setzen. Dadurch lassen sich die Regale bei Bedarf eng zusammenschieben, um bei Veranstaltungen großzügige Platzverhältnisse zu schaffen. Die sonst bei Archivregalen üblichen großen Kurbeln konnten vermieden werden, dennoch lassen sich die Regale unter dem hohen Gewicht der Bücher leicht verschieben.
Üblicherweise werden Bibliothekseinrichtungen von überregionalen Ausstattern wie z. B. dem EKZ Bibliotheksservice geplant und besorgt. Die Möblierung vom Empfangstresen über die Ausleihstationen, die Zeitungsregale und Medienwagen bis hin zu sämtlichen Buchregalen basiert in diesem Fall jedoch auf Entwürfen der Architekten. Die verschiedenen Elemente mit ihren unterschiedlichen Anforderungen an den Bibliotheksalltag wurden dabei in enger Abstimmung mit dem Bibliotheksteam entwickelt, bemustert und vor Ort getestet. Die meisten Elemente stehen auf Rädern, was eine flexible Gestaltung der unterschiedlichen Funktionsbereiche wie Jugendbibliothek, Mediathek etc. ermöglicht. Beispielsweise lässt sich die Kinderbibliothek im EG mit verschiebbaren Glaswänden problemlos so zonieren, dass ein multifunktionaler Projektraum abgetrennt werden kann.
Unabhängig von der Flexibilität des Gebäudes und der Variabilität der Einrichtung müssen allerdings auch die Bücher und Medien dazu beitragen, einen lebendigen und hochfrequentieren Ort zu etablieren. Also wurden die Öffnungszeiten erheblich ausgedehnt, um mit denen des umliegenden Einzelhandels zu konvergieren. Die Bibliothek ist von Dienstag bis Freitag von 10 bis 19 Uhr und samstags bis 16 Uhr geöffnet (sic), was selbstverständlich auch einen erhöhten Personalbedarf erfordert. Flexibel wird auch der Übergang zwischen dem Café und dem Zeitungslesebereich gehandhabt. Besucher können ihren Kaffee mit in die Bibliothek nehmen oder umgekehrt die Zeitung mit ins Café. Nach dem Ausbau des Buch- und Medienbestands soll nun das Programm mit Vorträgen und Lesungen folgen, um die Bibliothek zu einem vollwertigen kulturellen Zentrum der Stadt werden zu lassen.
Die erhöhten Betriebskosten, aber auch die beträchtlichen Baukosten von 6,5 Mio. Euro lohnen sich für die Stadt. Nicht zuletzt, weil es gelungen ist, eine öde Parkplatzfläche mithilfe eines verhältnismäßig kleinen Bibliotheksgebäudes in ein vitales Stück Stadt zu verwandeln. Ein gelungenes Beispiel, das durchaus Schule machen darf. •
  • Standort: Niddaplatz 2, 61118 Bad Vilbel

    Bauherr BA 1 (Baubrücke): Humanistische Stiftung, Frankfurt a. M.
    Bauherr BA 2 (Hülle, Ausbau): Magistrat der Stadt Bad Vilbel, Fachbereich Bauwesen, Bad Vilbel
    Architekten: Demmel und Hadler GmbH, München
    Tragwerksplanung: Krebs und Kiefer, Darmstadt
    Objektüberwachung: schneider + schumacher
    Bau- und Projektmanagement Baugrundgutachter: Dr. Streim Geologen und Ing., Frankfurt a. M.
    Brandschutz: Hilla Sachverständigenbüro f. vorb. Brandschutz, Frankfurt a. M.
    Energiekonzept: Transsolar Energietechnik, München Bauphysik: PMI, Unterhaching
    Wasserwirtschaft: BGS Wasser, Darmstadt
    BGF: 1 500 m²
    Baukosten: rund 6,5 Mio. Euro (KG 300+400)
    Bauzeit: Juni 2011 bis Juli 2013
  • Beteiligte Firmen: Erd- und Rohbau: Riedel Bau, Schweinfurt, www.riedelbau.de
    Stahlbau: Donges SteelTec, Darmstadt, www.riedelbau.de
    Pfosten-Riegel-Fassade: Schüco International, Bielefeld, www.riedelbau.de
    Bodenbeschichtung: Sika Technology, Baar, www.riedelbau.de
    Systemböden, Schallschutztrennwand, Ganzglas-Türen: Lindner, Arnsdorf, www.riedelbau.de
    Ganzglastrennwand (F30): Promat, Ratingen, www.riedelbau.de
    Mobile Ganzglastrennwand: GEZE, Leonberg, www.riedelbau.de
    Stahl-Glas-Innentüren: Jansen, Oberriet, www.riedelbau.de
    Regale, Büchertürme: EKZ Bibliotheksservice, Reutlingen, www.riedelbau.de
    Akustikbaffeln: GfAG, Bietigheim-Bissingen, www.riedelbau.de
    Rundleuchten EG: XAL, Graz, www.riedelbau.de
    Spots/Strahler: Markgraf Licht, München, www.riedelbau.de

Demmel und Hadler


Bernhard Demmel
1984-91 Studium an TU München und ETH Zürich. 1991-92 Mitarbeit im Büro Prof. Fred Angerer. 1993-95 Assistenz an der ETH Zürich. 1996-2001 eigenes Architekturbüro, 2001-06 Zusammenarbeit mit Gerald Hadler und Fred Angerer. Seit 2007 Demmel und Hadler.
Gerald Hadler
1984-91 Studium an der TU München. 1991-94 Mitarbeit im Büro Prof. Fred Angerer, 1995-2000 als Partner. 1995-98 Lehrauftrag an der FH München. 2001-06 Zusammenarbeit mit Bernhard Demmel und Fred Angerer, seit 2007 Demmel und Hadler.
Arne Winkelmann
Architekturstudium in Weimar und Krakau, Promotion in Berlin und Weimar. Seit 2000 Tätigkeit als freischaffender Architekturpublizist und Kurator. Seit 2006 in der Architekturvermittlung des DAM.
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