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besser geb(r)aut

Bürogebäude in Ludwigsburg
besser geb(r)aut

Auf den ersten Blick fällt nicht auf, dass es sich bei dem Verwaltungsbau in der Weststadt Ludwigsburgs um einen generalsanierten Bestandsbau aus den fünfziger Jahren handelt, den nun ein neuer Büroriegel ergänzt. Dessen Energiekonzept unterscheidet sich vom Altbau zwangsläufig in einigen Punkten, beiden gemeinsam ist aber der Verzicht auf fossile Brennstoffe: Sie nutzen stattdessen regenerative Energiequellen wie etwa Geothermie oder Photovoltaik.

    • Architekten: Freivogel-Architekten Energiekonzept: Transsolar

  • Text: Rüdiger Krisch Fotos: Dietmar Strauß
Wenn man im Ausland Menschen fragt, was sie mit Deutschland verbinden, enthalten ihre Antworten sehr oft einen Begriff: Bier. Dieses vielleicht deutscheste aller Getränke wird längst weltweit gebraut – und doch hat Deutschland noch immer einen wichtigen Anteil daran. Zum Beispiel bei der Entwicklung, Herstellung und Vermarktung von Produktionsanlagen für Brauereien. Dies ist das Geschäftsfeld der Ziemann Group, die aus einer 1852 in Stuttgart gegründeten Kupferschmiede hervorging und sich heute als Weltmarktführer auf dem Gebiet der Brauereianlagen bezeichnet. Jedenfalls ist das Unternehmen längst international aufgestellt: Es betreibt Produktionsanlagen in Nordbayern, Frankreich, Brasilien und China – im Herbst 2008 kommt eine weitere in Indien dazu.
Am Stammsitz in Ludwigsburg befindet sich heute nur noch die Konzernzentrale, bestehend aus der Hauptverwaltung und der Forschungs- und Entwicklungsabteilung mit etwa zweihundert Arbeitsplätzen. Teile des Firmengeländes wurden in den letzten Jahren verkauft. Durch das internationale Wachstum der Firma war zur Jahrtausendwende das bestehende Verwaltungsgebäude zu klein geworden, eine Erweiterung stand an. Als internationaler Technologiekonzern wollte die Firma Ziemann auch beim Bauen hohen Ansprüchen gerecht werden und beauftragte daher im Jahr 2004 drei Architekturbüros mit der Entwicklung von Konzepten für das zentrale Verwaltungsgebäude. Im weiteren Verlauf der Planung kamen zu den funktionalen und gestalterischen Anforderungen noch ehrgeizige Ziele in Sachen Energieeinsparung und Schonung natürlicher Ressourcen hinzu.
Der realisierte Entwurf des Ludwigsburger Architekturbüros Freivogel bindet das bestehende Verwaltungsgebäude aus den fünfziger Jahren und das neue, im Grundriss ähnlich große Erweiterungsgebäude gestalterisch so überzeugend zusammen, dass sie nach außen als harmonische Einheit erscheinen. Die viergeschossige zentrale, durch ein Glasdach natürlich belichtete Halle des neuen Bauteils tritt auf der Südfassade als verglaste Fuge zwischen dem Alt- und dem rechtwinklig angeschlossenen Neubau in Erscheinung und nimmt dort auch ganz selbstverständlich den Haupteingang zum Gebäude auf. Das neue Ensemble umschließt rechtwinklig eine kleine, ansprechend gestaltete Grünfläche, deren drei alte Bäume das Firmengelände schon seit Jahrzehnten prägen. Durch seine klare Geometrie – scharf geschnittene Oberflächen mit außen bündigen Fenstern – und die reduzierte Farbigkeit strahlt das Gebäude eine großzügige Schlichtheit aus, die sich positiv vom Allerlei des umgebenden Gewerbegebiets abhebt.
Im Erdgeschoss des Neubaus sind die öffentlichkeitswirksamen Nutzungen wie Schulungs- und Besprechungsräume sowie ein großzügiger Tagungsbereich angeordnet, erschlossen direkt von der zentralen Halle. In den Obergeschossen befinden sich Büroräume verschiedener Größen, vom Einzel- bis zum Großraumbüro. Auch der Altbau ist von der zentralen Halle aus zugänglich und weitgehend als Großraumbüro genutzt. Eine »Zweiklassengesellschaft« gibt es bei Ziemann nicht: Das bestehende Gebäude wurde bis auf den Rohbau entkernt und anschließend auf dem gleichen Ausstattungs- und auch Energiestandard wie der neue Bauteil wieder ausgebaut. Das Energiekonzept wurde für den Neubau exemplarisch entwickelt und anschließend in leicht abgewandelter Form auf den Altbau übertragen. Es setzt zur Energieeinsparung, neben der Minimierung von Wärmeverlusten, vor allem auf ein ausgeklügeltes Lüftungskonzept und die Temperierung massiver Bauteiler zur Unterstützung von Heizung beziehungsweise Kühlung.
Gebäudehülle
Die Gebäudehülle von Alt- und Neubau wurde zur Minimierung der Transmissions-Wärmeverluste hoch gedämmt (Putzfassaden mit WDVS). Die Kastenfenster bestehen aus einem innenliegenden Holzfenster, dem zur Verbesserung des Schallschutzes straßenseitig eine hinterlüftete Einfachverglasung vorgehängt ist. Zwischen den beiden Fenstern verläuft der Sonnenschutz in Form von Jalousien – thermisch außenliegend, aber gut geschützt vor Sturm und Hagel. Zusätzlich verfügt die Fassade über schmale vertikale Zuluftöffnungen, die nicht verglast, sondern durch fest stehende Metalllamellen gegen Wetter und Einbruch geschützt sind. Diese werden im Sommer mittels automatischer Regelung nachts geöffnet, versorgen dann die Räume mit kühler Frischluft, die wiederum die nicht verkleideten Decken abkühlt und thermisch aktiviert. Dadurch sind die Lüftungsklappen eine wichtige Komponente des sommerlichen Überhitzungsschutzes.
Temperierung Neubau
Denn der Schutz vor Überwärmung im Sommer ist heutzutage ein ähnlich drängendes Problem wie die Heizung im Winter. Das Lüftungskonzept spielt dabei eine entscheidende Rolle. Im Neubau ermöglicht die zentrale Halle eine koordinierte Lüftungsführung, die über den thermischen ›
› Effekt des Aufsteigens warmer Luft eine natürliche Luftwalze erzeugt: Durch die Fenster wird Frischluft in die Büros gesogen, strömt weiter in Richtung Halle, steigt dort auf und verlässt wieder durch Lüftungsklappen im Glasdach das Gebäude. Nach diesem Prinzip funktioniert auch die nächtliche, oben beschriebene »Frischluftspülung«. Ein innenliegender Sonnenschutz unterhalb des Glasdachs hält im Sommer den Wärmeeintrag in Grenzen.
Im Winter hingegen eignet sich das flächig verglaste Dach nach dem Prinzip eines Wintergartens für den Eintrag solarer Gewinne und zur Temperierung der Halle. Zur Deckung des geringen winterlichen Heizbedarfs in den Büro- und Besprechungsräumen ergänzen sich zwei verschiedene Systeme, die mit vorgewärmtem Wasser aus einer Wärmepumpe versorgt sind: Zum einen wurden auf dem Stahlbeton an einem relativ schmalen Deckenstreifen entlang der Fenster Kapillarrohrmatten angebracht, die durch oberflächennahe Leitungsführung kurzfristigen Wärmebedarf abdecken können. Im Rest der Decken sind Kunststoffschläuche in den Beton eingelegt, die diesen als Speichermasse aktivieren. Gemeinsam erreichen das schnell reagierende und das träge System im Winter eine langsame, gleichmäßige Temperierung. Die selben Systeme werden im Sommer mit kühlem Wasser gespeist und sorgen für die langsame Pufferung der Wärmelasten.
Eine mechanisch unterstützte Lüftung ist hingegen nur im Atrium und in den beiden großen Tagungsräumen im Erdgeschoss vorgesehen. Dafür wird über einen 80 m langen, 2,5 m unter der Erde geführten Erdkanal vortemperierte Zuluft angesaugt und durch Schlitze im Fußboden eingeblasen.
Temperierung Altbau
Im Altbau, in dem es keine zentrale, mehrgeschossigen Halle gibt, kann die Luft nicht über eine thermisch angetriebene Luftwalze bewegt werden – hier wurden die eigentlich zur Entrauchung vorgesehenen Lüftungsklappen der Treppenhäuser hinzugezogen. Gleichzeitig waren die vorgefundenen Geschossdecken nicht als aktivierende Speichermasse verfügbar, da sie, als extrem dünne Stahlbeton-Rippendecken ausgebildet, nach unten mit Brandschutzplatten bekleidet werden mussten. Darunter hängen nun verputzte Kapillarrohrmatten, durch die temperiertes Wasser zirkuliert und die je nach Jahreszeit der Raumheizung oder -kühlung dienen. Trotz dieser Maßnahmen ist die nächtliche Auskühlung im Sommer geringer als im Neubau.
Wärmeerzeugung
Energieträger für winterliche Heizlasten ist die Erdwärme, die sowohl aus Bohrpfählen unter dem Neubau als auch aus Tiefbohrungen angezapft wird. Die 65 Bohrpfähle ragen 8 m tief ins Erdreich und waren als Tiefgründung der Fundamente ohnehin statisch erforderlich. Zusätzlich wurden im nördlich angrenzenden Parkplatz Tiefbohrungen für 26 Erdwärmesonden gesetzt, die 80 m tief in die Erde reichen. Zusammen fördern diese unterschiedlichen Sonden genügend thermische Energie, um konstante Vorlauftemperaturen zu erreichen, die sich sowohl für den Heiz- als auch für den Kühlfall eignen. Durch die minimalen Wärmeverluste des Gebäudes sind die Heizlasten allerdings gering. Da zudem keine Erwärmung und Speicherung von Brauchwasser in größerem Umfang erforderlich ist, reichen niedrige Vorlauftemperaturen aus, die von der Wärmepumpe problemlos aus der Erdwärme generiert werden können. Es handelt sich insofern um eine monovalente (nur von einem Energieträger gespeiste) Wärmeversorgung, die ganz ohne fossile Brennstoffe auskommt.
Strom
Eine Photovoltaikanlage mit einer Leistung von 105 kWp, die derzeit nachträglich auf den Dächern von Alt- und Neubau sowie auf der benachbarten ehemaligen Produktionshalle installiert wird, ist auf einen Strahlungsertrag von 98 MWh/a ausgelegt, was 850 KWh/m2a entspricht. Diese Anlage soll etwa den Strombedarf der haustechnischen Systeme, vor allem der Wärmepumpe für die Heizung und der Lüftungsanlagen, abdecken.
Gleichzeitig wurden Maßnahmen getroffen, die den Stromverbrauch im Gebäude begrenzen: Die großzügige Befensterung sorgt im Verbund mit selektiver Lichtlenkung in den Sonnenschutz-Jalousien für nahezu optimale Nutzung des Tageslichts. Und wenn die elektrische Beleuchtung doch zum Einsatz kommt, verfügt sie über eine automatische Abschaltung, die über Helligkeits- und Bewegungsmelder gesteuert wird.
Nutzerkomponente
Die Belegschaft durfte zunächst ab Herbst 2005 vom Altbau aus der Erstellung des Erweiterungsgebäudes zusehen und nach dessen Fertigstellung vollständig dorthin umziehen, solange ihr bisheriges Quartier ebenfalls saniert und umgebaut wurde. Die eigentliche Entlastung wurde schließlich wirksam, als Ende 2007 beide Teile fertig und miteinander verbunden waren und die Mitarbeiter sich auf der gesamten Fläche ausbreiten konnten. Nach einem kurzen Gewöhnungsprozess findet auch das Heizungs- und Lüftungskonzept bei den Nutzern große Zustimmung, auch wenn sich einige Verhaltensweisen erst einspielen mussten. So staunten viele über die Vorgabe, zwecks ungehindertem Luftwechsel möglichst oft die Bürotüren offen stehen zu lassen. Dass die Temperierung auch im Alltag funktioniert, kann der Autor dieser Zeilen bestäti- gen: Die Besichtigung fand an einem heißen Sommernachmittag statt – dennoch war das Klima der Innenräume sehr angenehm. Allerdings soll nicht verschwiegen werden, dass ein derart optimiertes Klimakonzept sensibel auf vermeintlich kleine Änderungen reagiert: Die Abwärme eines zunächst nicht vorgesehenen riesigen Flachbildschirms machte den Sitzungsraum des Vorstands zum wärmsten Raum des Hauses – bis man sich angewöhnte, das Gerät nach Benutzung nicht nur auf Standby zu schalten, sondern ihm vollständig den Strom zu entziehen.
Manche Gebäude sind schon beim Einzug wieder zu klein. So sitzt das Planungsteam Freivogel / Transsolar derzeit bereits an Plänen für den Umbau der nördlich angrenzenden, derzeit leer stehenden Produktionshalle zu weiteren Büroflächen. Nach den positiven Erfahrungen mit dem ersten und zweiten Bauabschnitt ist es nicht sehr überraschend, dass dort gleich die nächsten innovativen Maßnahmen geprüft – und bald wohl auch realisiert – werden. Ein weiterer genauer Blick in das Gewerbegebiet im Ludwigsburger Westen könnte sich schon bald wieder lohnen. •
  • Bauherren: A. Ziemann GmbH, Ludwigsburg Nutzer: Ziemann GmbH, Ludwigsburg Architekten: Freivogel-Architekten, Ludwigsburg / Jochen Freivogel, Steffen Mayer Mitarbeit: Ralf Chevalier, Kathrin Kammerer, Britt Lahmann Tragwerksplanung: Hildenbrand Ingenieure, Ludwigsburg HLS-Planung: Laux, Kaiser & Partner, Stuttgart Elektrotechnik: Müller & Bleher, Radolfzell KlimaEngineering: Transsolar, Stuttgart Mitarbeit: Volkmar Bleicher, Christian Matt Photovoltaik: Baumgartner GmbH, Kippenheim Nutzfläche: Neubau: 2380 m², Altbau: 1510 m² Bruttogeschossfläche: Neubau: 3580 m², Altbau: 2280 m² Bruttorauminhalt: Neubau: 12 210 m³, Altbau: 7610 m³ Baukosten (KG 300+ 400, netto): Neubau: 4,05 Mio. Euro, Altbau: 2,15 Mio. Euro Bauzeit: Neubau: September 2005 bis Dezember 2006, Altbau: Januar 2007 bis November 2007 Kompaktheit: A/V-Verhältnis = 0,33 Errechneter Primärenergiebedarf (bezogen auf Netto-Grundfläche): 25,2 kWh/m²a Errechneter Heizwärmebedarf: 32,6 kWh/m²a Errechneter Endenergiebedarf (benötigte Strommenge für den Betrieb der Wärmepumpe (Heizen) und Haustechnik (Pumpen etc.): 92 MWh/a, erzeugt durch geplante Photovoltaikanlage Regenerative Energiequellen: Geothermie: 65 Bohrpfähle je ca. 8 m 26 Erdsonden je ca. 80 m Photovoltaikanlage (im Bau): 105 kWp
  • Beteiligte Firmen / Hersteller: Kastenfenster: Fensterfabrik Montag, Biberach, www.fensterfabrik-montag.de Sonnenschutz Glasdach Atrium: clauss-markisen, Bissingen-Ochsenwang, www.fensterfabrik-montag.de Erdsonden: Enercret, Röthis (A), www.fensterfabrik-montag.de Bauteilaktivierung: Zent-Frenger, Leonberg, www.fensterfabrik-montag.de Akustik-Linearabsorber: pinta acoustic, Maisach, www.fensterfabrik-montag.de
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