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Archäologische Staatssammlung in München

… in die Jahre gekommen
Archäologische Staatssammlung in München

Wer sich zufällig von der Museumsmeile an der Prinzregentenstraße abbiegend in die Lerchenfeldstraße verirrt, wird überrascht ein museales Gesamtkunstwerk der 70er Jahre entdecken. Seine kubische Gliederung und die Bekleidung mit Corten-Stahl machen es unverwechselbar. Fassade und Interieur haben die Jahrzehnte überstanden, eine behutsame Nachbesserung ist aber unausweichlich.

    • Architekten: Johann-Helmut von Werz, Christoph Ottow, Erhard Bachmann, Michel Marx

  • Text: Ira Mazzoni Fotos: Helmut von Werz, Alex Kempkens, Anton Schedlbauer
Das Museum ist inzwischen fast unsichtbar, verschluckt vom Park- und Gartengrün. Selbst die kunstvoll nach einem Entwurf des Architekten Franz Hart aus Edelstahlbändern gefaltete Fassadenbeschriftung »Prähistorische Staatssammlung« wird von Baumkronen verdeckt. So fällt niemanden auf, dass dieses Museum irgendwie aus der Zeit gefallen ist. Denn seit dem Jahr 2000 nennt sich das staatliche Institut »Archäologische Staatssammlung«. Auffallen sollte der erste Münchner Nachkriegs-Museumsneubau nie. Erd- und naturnah sollte er sich gegenüber dem hohen Baumsaum des Englischen Gartens zurücknehmen. Abstand sollte er zu dem mächtigen Komplex des Bayerischen Nationalmuseums halten. Die Architekten Helmut von Werz, Christoph Ottow, Erhard Bachmann und Michel Marx (Gründer des Büros BMBW), die sich zuvor mit Schulbauten und städtebaulichen Entwicklungen einen Namen gemacht hatten, wählten eine lockere, in der Höhe gestaffelte Parkarchitektur. Der bereits 1974 bezogene Verwaltungs-und Werkstättenbau besetzt den Winkel der nordöstlichen Grundstücksgrenze, zur Stadt hin dreigeschossig aufragend, zum rückwärtigen Garten und zum Englischen Garten hin wie eine Wohnanlage terrassenartig abgestuft. Eine gläserne Eingangshalle stellt die Verbindung zu den sechs , auf einem Grundriss von 11 x 11 m in zwei Dreier-Gruppen errichteten, fensterlosen Ausstellungsboxen der Sammlung her, die, mit schmalen gläsernen Brücken verbunden, zwei Lichthöfe umschließen.
Erdig und den uralten Bodenfunden angemessen, sollte die Fassade des Museums sein, berichtet der damalige Projektleiter Roland Reisse. Vor allem die Metallfunde müssen es den Architekten ›
› angetan haben, verkrustet, verrostet, zusammengebacken kommen Hacken, Sicheln und Beile aus dem Erdreich. Erst in den restauratorischen Werkstätten werden daraus Exponate; der Rost hilft, die Dinge zu bewahren, irgendwann verlangsamt sich der zerstörerische Fraß, kommt im Erdreich zur Ruhe und der Kern der Sache bleibt erhalten.
So entschieden Helmut Werz und sein Team, den gestaffelten Museumskomplex mit wetterfestem Stahl zu bekleiden, der dank seiner Legierung binnen Jahresfrist eine stabile, schützende rostige Patina annahm. Diese bewahrende Eigenschaft des Corten-Stahls schien für die »sprechende« Fassade des Museums ideal, brachte den Architekten aber sofort beißende Kritik von Seiten der Boulevard-Presse. Corten begann damals gerade seine kurze Karriere in der Architektur. In Chicago war Mitte der 60er Jahre das Civic Center mit Corten-Platten verkleidet worden, in Berlin baute Manfred Schiedhelm ab 1967 die Freie Universität nach Plänen der Pariser Architekten Georges Cadillis, Alexis Josic und Shadrach Woods. Die Fassade der sogenannten »Rostlaube« entwarf Jean Prouvé. 1970/71 sorgte dann das pyramidenförmige »Ferrohaus« am Zürichsee von Justus Dahinden für Aufsehen in der Fachwelt.
»Wir hatten kaum Erfahrungen mit dem witterungsbeständigen Stahl«, räumt Reisse im Gespräch ein. »Wir hatten nur davon gehört, dass es Probleme an dauerhaft feuchten Stellen, vor allem auf waagrechten Flächen gibt.« Deswegen sah das Team davon ab, das Material für tragende Teile zu verwenden, und legte besonderen Wert auf eine gut hinterlüftete Fassadenkonstruktion. Die Stahlplatten wurden an den hohen Seiten nach vorne aufgebogen und an Ober- und Unterkante nach hinten, so dass sich Laschen bildeten, die in das auf die Ziegelmauern aufgeschraubte Schienensystem eingehängt werden konnten. Durch die Konstruktion von Rahmen und Platten ergab sich ein sehr schönes feines Fassadenrelief mit senkrechten Fugen. Die Fertigung bedingte aber auch ein gewisses Verspringen der Paneele, die nicht immer exakt Stoß an Stoß, Kante auf Kante sitzen. Auch dies sorgt für eine fast künstlerisch handwerkliche Oberflächengestalt, die für die archäologische Sammlung wirbt.
Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen kam der Rost an einigen Stellen des Baus nicht wie vom Hersteller beabsichtigt zum Stillstand, sondern fraß sich durch den Stahl. Aber liegt das nun an der Legierung, am (Stadt-)Klima oder an mangelnder Gebäudepflege? Es sind vor allem die Ecken der unteren Paneele der Westfronten, die durchgerostet sind. Dort wo sich Tropfwasser auf den waagerecht nach hinten gebogenen Stegen sammelt. Schadstellen finden sich auch in den Randbereichen, wo sich Dreck und Moos in den Fugen festsetzen und über lange Zeit Feuchtigkeit speichern konnten. »Ich habe mal gesagt, geht doch regelmäßig mit einem Stecken durch die Fugen, dann bekommt ihr keine Probleme«, seufzt Reisse. Doch für solche Dienstleistungen am Bau gibt es keinen Etat und kein Personal.
Ungewollte, grüne Patina haben die Edel-Rost-Platten überall dort angenommen, wo nahe Baumkronen für ein gut abgeschirmtes dauerfeuchtes Mikroklima gesorgt haben, in dem Algen wachsen und gedeihen. Graffiti in den dunklen Rücksprüngen des Komplexes ›
› weisen auf ein ganz anderes Problem der rost-patinierten Fassaden hin: Sie lassen sich schwer reinigen. Alles Gesprühte und Gepinselte bleibt in den kralligen Rostblüten schattenhaft, beinahe archäologisch, präsent.
Inzwischen sind auch die letzten beiden Ersatzplatten verbaut worden. Für weitere Reparaturen müssten die Paneele handwerklich nachgefertigt werden. »Wir warten auf eine Generalsanierung«, erklärt Museumsmann Gebhard. Aber jetzt muss erst einmal das Ägyptische Museum fertiggestellt werden.
Das Gebäude: ein Exponat seiner eigenen Geschichte
Vor 125 Jahren wurde die staatliche prähistorische Sammlung gegründet, 1976 konnte sie ihr erstes eigenes Haus beziehen. In den nachfolgenden Jahren, in denen jährlich Zigtausende von neuen Bodenfunden archiviert werden mussten, gründete der Museumsstab 14 Filialen im ganzen Land. Nie war Zeit und Geld für das Stammhaus da. Und so blieb vieles erhalten, was anderswo ausgemustert wurde. Selbst den bunten Teppich, die Edelstahlfreischwinger und niedrigen Glastische sowie die mundgeblasenen Hängeleuchten, die einst die gediegene Lobby-Atmosphäre des mit (eisenhaltigem!) Quarzit gepflasterten Museumsfoyers bestimmten, gibt es noch im Keller. Mit Ausnahme des Sonderausstellungsbereichs im rückwärtigen Entree herrscht im Gebäude Dunkelheit wie in der Tiefe des Erdreichs. Die Schätze werden nur punktuell von Vitrinenlicht oder Deckenstrahlern beleuchtet. Tiefbraun zieht sich dichter Teppichflor durch die Ausstellungsräume. In dunklem Ocker spannt sich der Rupfen über die Ziegelwände. Rötlichbraune Tropenhölzer bilden das Kassettenraster zwischen den Betonrippen der Decke. Der Höhlen- oder Grabkammer-Charakter ist perfekt getroffen. Etwas ermüdend findet Museumsleiter Rupert Gebhard die Gesamtstimmung zwar, bemerkt aber durchaus zufrieden, wie nachhaltig die gesamte Einrichtung war und ist – auch wenn sich der Rupfen von der Wand löst. 34 Jahre hat sich das an raumhohen Stangen befestigte modulare Vitrinensystem von Schöninger bewährt. Seit dem Eröffnungsjahr 1977 hat auch die Ausstellung der prähistorischen Schätze gehalten. Die bereits 1976 eingeweihten Schauräume der Römerabteilung werden gerade im Rahmen enger finanzieller Möglichkeiten erneuert. Wenn man dieses Museum generalüberholt, wird es nicht nur darum gehen, die Haustechnik, die Lkw-Anfahrt, den Lastenaufzug den inzwischen gewachsenen Bedürfnissen und internationalen Anforderungen entsprechend auszulegen, sondern es wird auch darum gehen, den spezifischen 70er-Jahre-Charakter zu bewahren. Als erstes würde Gebhard gerne die hochgewachsenen Bäume rund ums Haus auslichten lassen – damit sein Museum im Stadtbild wieder sichtbar wird. Vielleicht verschwinden dann die Algen und Moose in den Fugen der Corten-Stahlfassade, so dass sich der Reparaturbedarf fürderhin in Grenzen hält.


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