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neue Monte Rosa-Hütte in Zermatt (CH)

Alpine Moderne
neue Monte Rosa-Hütte in Zermatt (CH)

Revolution im Berghüttenbau? Eine neue, alpine Moderne demonstriert die vor wenigen Wochen eingeweihte, neue Monte Rosa-Hütte im schweizerischen Wallis nicht nur optisch, sie verspricht zugleich eine Energie-Autarkie von 90 %. Wenngleich ein derartiges Haustechnik-Konzept nicht neu ist, wurde in solcher Konsequenz bislang keine Berghütte gebaut – ein glitzernder Hingucker auf einer »herausfordernden Höhe« von fast 3.000 m, der, energetisch auf dem neuesten Stand, zurzeit nachhaltig durch die Alpenwelt hallt.

Text: Rüdiger Sinn
Fotos: Tonatiuh Ambrosetti, Marcel Baumgartner, Ludwig Weh

Um sieben Uhr morgens war auf 2 883 m die bizarre Bergwelt oberhalb von Zermatt noch angenehm idyllisch. Klare, kalte Luft strömte vom Monte Rosa-Massiv den Grenzgletscher hinab ins Tal. Doch kurz darauf hallten die ersten Hammerschläge durch die Stille. Rund 40 Arbeiter aus dem Wallis waren seit Mitte April zwölf Stunden täglich am Neubau der Monte Rosa-Hütte beteiligt. Um halb acht schließlich war von Bergromantik nichts mehr zu spüren. Ein Helikopter kreiste laut knatternd über der Baustelle, ließ 10 m weiter einen Holzstapel ab. Im Zehnminutentakt wurden zu Beginn des Tages die Materialien ins Gebirge geflogen. Die Bauperiode war kurz in dieser Höhe. Mitte April wurden die Schneemassen vom im Vorjahr betonierten Fundament entfernt, Anfang Mai dann, zum offiziellen Baubeginn, kamen die ersten großen vorgefertigten Holzelemente und die Arbeit am Rohbau begann. Schon am 2. Juli wurde »Aufrichte« gefeiert, und obwohl bei der Besichtigung im August die Fassade noch fünf Wochen eingerüstet bleiben sollte und reges Treiben herrschte, fand am 25. September die Einweihung statt.
Die neue Hütte des Schweizer Alpenclubs (SAC) ist in vielerlei Hinsicht wegweisend für alles bisher da Gewesene im Berghüttenbau. Die Grundlage ist ein geringer Ressourcenverbrauch, denn die Hütte verfügt über keinen Wasser- und Stromanschluss. 90 % des Energiebedarfs werden durch regenerative Energien erzeugt. Auch deshalb sieht der Neubau von außen nicht mehr wie eine klassische Berghütte aus. Auf die im Durchmesser rund 16 m breite Stahlunterkonstruktion – ein Achteck – wurden in Holzständerbauweise fünf Stockwerke gesetzt. Die Technikräume sind im UG untergebracht, im großzügig und offen gestalteten EG Küche und Gastraum. Eine Treppe zieht sich kaskadenförmig um den Kern herum nach oben in die Schlafräume und bietet traumhafte Ausblicke auf die gigantische Bergwelt des Schweizer Wallis. »Genießen Sie 29 Berggipfel auf über 4.000 m Höhe«, lautet der Slogan des Tourismusbüros Zermatt. Hier oben kann man sie tatsächlich alle sehen: Große Glasfronten geben etwa den Blick auf die Monte Rosa-Gruppe mit dem höchsten Schweizer Berg, die 4 634 m hohe Dufourspitze, frei, und der Blick ins Tal streift den umso berühmteren, das 4.478 m hohe Matterhorn.
Der Albedo-Effekt
Drinnen ist es angenehm warm. 30 cm Mineralwolle sorgen unter anderem dafür, dass der Bau später den Schweizer Minergie-P-Standard erreicht. Das entspricht dem Passivhaus-Standard mit seinem Jahresheizwärmebedarf ≤ 15 kWh/m²a, nur mit teils noch höheren Anforderungen. So muss z. B. die Luftdichtheit pro m2 Wandfläche nachgewiesen werden. Die Fenster sind dreifachverglast – Grundvoraussetzung, um das hochgesteckte Ziel einzuhalten, fast energieautark auf der »Berginsel« auszukommen. Die Warmwasserbereitung übernehmen rund 60 m2 Solar-Flachkollektoren, die, unterhalb der Hütte im Berg verankert, einen 6 600 l Wasserspeicher erwärmen. Zur Stromversorgung wurde auf über 110 m2 Fassadenfläche eine PV-Anlage mit einer Leistung von ca. 16 kWp (bei 83 m2 effektiver Absorber-fläche) an der Südseite der Hütte montiert. Die Anlage besteht aus monokristallinen Solarzellen, die einen Wirkungsgrad von knapp 22 % erzielen, und macht ein Drittel der Außenfläche der Hülle aus. Die anderen zwei Drittel sind mit Aluminiumblech bekleidet, das die Hütte in der Sonne zum Glitzern bringt und von weither sichtbar macht. »Weitere PV-Module wären auch an der Sonne abgewandten Seite möglich gewesen, waren aber für die Deckung des Strombedarfs nicht notwendig«, erklärt Matthias Sulzer, der für die Haustechnik verantwortlich ist. »Die indirekte Strahlung hier oben ist beträchtlich«, weiß er. Die so genannte Albedo, d. h. die diffuse Strahlung, die durch die umliegenden Gletscher und den langen Winter verursacht wird, trägt mit der niedrigen Temperatur – und damit dem höheren Ertrag der PV-Anlage – und der klaren Luft dazu bei, dass die Anlage eine 70 % höhere Ausbeute verspricht als Vergleichsanlagen auf 400 m Meereshöhe. ›
› Für den Strombedarf bei Nacht oder bei einer Schlechtwetterperiode wird die Energie in Batterien mit 200 kW/h Kapazität gespeichert. Mit zum ökologischen Gesamtkonzept gehört auch eine Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung. Die thermische Solaranlage heizt mit dem warmen Wasser über einen Wärmetauscher die Luft entsprechend vor.
Wiedergenutzt
Auch beim Thema Wassergewinnung und -recycling ist das Projekt vorbildlich: Das Brauchwasser wird aus dem Schmelzwasser des Frühjahrs gewonnen. Eine riesige Kaverne von 200 000 l speichert das Wasser 40 Höhenmeter oberhalb der Hütte, um das natürliche Gefälle auszunutzen. Das Wasser reicht über ein Jahr, wird in der Hütte gefiltert und steht dann als Warm- oder Kaltwasser primär zum Kochen und Waschen zur Verfügung.
Gleichzeitig reinigt eine mikrobiologische Kleinkläranlage das Abwasser, das später als Grauwasser für die Toilettenspülung sowie für die Waschmaschinen wieder verwendet wird.
Ein Geschenk
Das Ergebnis dieses energetischen Gesamtkonzeptes, das zwar nicht neu ist, aber im Berghüttenbau in dieser Konsequenz noch nicht angewandt wurde: Bei einer angenommenen Auslastung von 5 000 Übernachtungen pro Jahr müssen nur rund 10 % der benötigten Gesamtenergie von außen eingebracht werden. Das bedeutet, Gas zum Kochen, Rapsöl und synthetischer Diesel für den Betrieb eines Mini-Blockheizkraftwerkes (notwendig bei Energieknappheit wie etwa einer längeren Schlechtwetterperiode) werden mit dem Helikopter aus dem Tal herangeschafft. »Der Energieverbrauch ist im Vergleich zur alten Monte Rosa-Hütte um zwei Drittel geringer«, rechnet Sulzer vor. Doch trotz der großen baulichen und energetischen Herausforderungen erfüllt der Neubau hohe Komfortansprüche.
Verantwortlich für das Gesamtkonzept ist die Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) Zürich, die Bauherrenschaft obliegt dem SAC. Das 150-jährige Jubiläum der Hochschule diente als Anlass, mit einem Bauwerk ein bleibendes Zeichen zu setzen und zum nachhaltigen Bauen im Alpenraum beitragen, mit dem SAC schien man einen begeisterten Bauherrn gefunden zu haben.
Startschuss für die Planung war im Jahr 2006. Studenten der Fakultät Architektur unter Professor Andrea Deplazes entwarfen zunächst zehn Modelle, danach wurden zwei Modelle ausgewählt und weiter verfolgt. Die Form soll an einen Bergkristall erinnern, der sich nach oben verjüngt. Mit den unregelmäßig geneigten Seitenflächen kommt er aber eher an die Form eines Séracs – eines Eisturmes, der sich im Gletscherbruch bildet – heran. Kein Wunder, dass kein Winkel an der Holzständer-Konstruktion wie der andere ist. Somit war auch die Umsetzung eine große Herausforderung für die Handwerker, die ein Zimmerer augenzwinkernd als »Laune der Architekten« kommentiert.
Minimal-Luxus
»Außen modern, innen gemütlich«, war die Zielvorstellung der Planer. Und tatsächlich: Wo das Auge im Innern hinfällt, sind helle Holzbalken aus heimischem Nadelholz zu sehen. Der Gastraum im EG ist großzügig gestaltet, an den Stützen, die mal aufrecht, mal schräg im Raum stehen, sind verspielte Verzierungen eingefräst, die einen Hauch traditionellen Berghüttencharme verströmen. Die Schlafräume unterscheiden sich von herkömmlichen Alpenhütten: Wurden die Bergsportler in der alten Monte Rosa-Hütte noch in Matratzenlagern mit 20 Betten ölsardinengleich untergebracht, legte man beim Neubau Wert auf kleinräumige Gemütlichkeit. Dreier- bis Achterzimmer nehmen in den oberen beiden Stockwerken die Gäste auf.
Trotzdem wird die Hütte kein Luxushotel auf 3 000 m werden. »Fließend kaltes Wasser, Toiletten im Haus und für jeden Gast einen Sitzplatz in der Gaststube – das ist der Minimal-Luxus, den wir dem Bergsteiger bieten müssen«, erklärte Peter Planche vom SAC. Warmes Wasser für die Dusche kostet extra. Die alte, für 160 Gäste ausgelegte Hütte von 1856 wird im Zuge des Neubaus abgerissen. Eine energetische Sanierung war laut SAC dringend notwendig gewesen, aber zu aufwendig.

Für manchen Nostalgiker ein herber Schlag. Der Altbau, urgemütlich und verwinkelt, steht nur einen Steinwurf unterhalb der neuen Monte Rosa-Hütte. Einige Handwerker, die dort untergebracht waren und den Flair des rustikalen Baus genossen haben, bedauern den Abriss. »Ich will gar nicht wissen, was das kostet«, erklärt ein Arbeiter. Das dagegen weiß der SAC: In den Gesamtkostenplan seien die Kosten für den Rückbau mit 110 000 Schweizer Franken – rund 72 000 Euro – bereits einkalkuliert. Der Neubau selbst kostete rund 6,5 Mio. Schweizer Franken, das entspricht ca. 4,18 Mio. Euro. Für den SAC ist der Bau der neuen Hütte ein Meilenstein in der über 145-jährigen Hüttengeschichte – und für energieautarkes Bauen in den Bergen ein ebenso bedeutender Schritt.


Die neue Monte Rosa-Hütte wird auch nach Eröffnung weiter »betreut«: Durch das Forschungsprojekt »Vorausschauendes Energiemanagement« soll eine energetische Optimierung möglich sein, indem angenommene Besucherzahlen und Wetterprognosen in die Gebäudesteuerung integriert werden. Siehe auch: www.neuemonterosahuette.ch
 
  • Bauherr: SAC, Sektion Monte Rosa Architektur
    Konstruktion: Studio Monte Rosa, Zürich / Bearth & Deplazes Architekten, Chur
    (Andrea Deplazes, Daniel Ladner, Marcel Baumgartner, Kai Hellat) Ausführung 
    Bauleitung: Architektur + Design, Zermatt (Hans Zurniwen)
    Energie-/Gebäudetechnik: Lauber IWISA AG, Naters (Matthias Sulzer)
    Weitere Beteiligte: www.neuemonterosahuette.ch/600_organisation.php
    Jahresheizwärmebedarf: # 15 kWh/m²a Peak-Leistung
    PV-Anlage: 15,6 kW NNF: 677 m2 BRI: 3 699 m2
    Baukosten: ca. 6,5 Mio. CHF Eröffnung: September 2009
Beteiligte Firmen: Solarfassade:3s Swiss Solar Systems, Lyss, www.3-s.ch
(Solarzellen von Sunpower) Thermische Kollektoren: Schüco, Bielefeld, www.3-s.ch / Jansen, Oberriet SG, www.3-s.ch Lüftungsgerät: Seven-Air, Luzern, www.3-s.ch
Gebäudeautomation/Haustechnik: Siemens Schweiz, Zürich, www.3-s.ch
Weitere Sponsoren: www.3-s.ch
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