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Ästhetik trifft Funktion

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Ästhetik trifft Funktion

Farbe an Gebäuden ist ein höchst spannendes aber auch komplexes Thema, da gestalterische und technische Aspekte miteinander verknüpft sind. Nicht jede Farbnuance, nicht jeder Effekt ist machbar – häufig geben material-immanente Einschränkungen den Rahmen einer Farbkonzeption vor.

Text: Armin Scharf

In den letzten zehn Jahren hat Farbe als architektonisches Gestaltungsmittel wieder an Bedeutung gewonnen. Die lange als nicht wahrhaftig und beliebig angesehene Farbe feiert polychrome Feste an Fassaden oder in der Inneneinrichtung. Zu dieser Renaissance beigetragen haben Büros wie das von Otto Steidle (siehe S. 58), Sauerbruch Hutton oder Gigon & Guyer (siehe S. 22) in der Schweiz. Sie zeigten, oft zusammen mit Künstlern wie Erich Wiesner oder Adrian Schiess, dass Farbe gestaltgebendes Medium ist. Heute experimentieren gerade junge Architekturbüros unbefangen mit Farbe, nutzen bisher als »schwierig« geltende Nuancen aus dem Grünbereich oder greifen schon mal zu modisch-plakativen Tönen. Farbe, das wird spätestens in der Diskussion über Farbkonzeptionen deutlich, ist ein hoch emotionales Thema. Weil sie als unmittelbarer Sinneseindruck wirkt, fühlt sich jeder kompetent, über Farbigkeit zu urteilen. Allerdings läuft dies meist auf der Ebene des Gefallens, respektive Nichtgefallens ab, basiert also auf sehr subjektiven Maßstäben. Dass Farbgestaltung in der Architektur rational nachvollziehbare Aspekte bedient, eine Kubatur unterstreichen oder bewusst negieren, eine Gliederung stärken, wichtige Bereiche akzentuieren oder Bezüge zur Umgebung herstellen kann, gerät dabei leicht in den Hintergrund. Deshalb sollten Farbkonzepte auf klaren Argumenten basieren. Wer aus dem berühmten »Bauch« heraus gestaltet, steht schnell auf verlorenem Posten. Farbe hat aber nicht nur emotionale Komponenten. Technik, Chemie und Physik sind weitere Faktoren, wenn es um durch Beschichtung applizierte Farbe geht. Wobei sich diese verschiedenen Aspekte stets überschneiden: Eine technisch mangelhafte Beschichtung wird auch ästhetisch auf Ablehnung stoßen. Die Farberscheinung selbst basiert auf Pigmenten, kleinsten Teilchen, die bestimmte Wellenlängen des auftreffenden Lichtes absorbieren oder reflektieren. Das Reflexionsprinzip steht für Physik, die Pigmente sind ein Fall für die Chemie. Man kann also Farbe als interdisziplinäres Phänomen bezeichnen, ergänzt um psychologische und physiologische Wechselwirkungen. Diese Komplexität macht sie zu einem spannenden Medium.
Schutz und Anmutung
Eine Beschichtung besteht – unabhängig von ihrer spezifischen Verwendung – aus einem Bindemittel, Pigmenten, Füllstoffen, Lösemitteln oder Wasser und verschiedenen Additiven. Bei Klarlacken entfallen die Pigmente, bei Lasuren ist ihr Anteil gering. Prinzipiell soll eine Beschichtung den Untergrund (das Substrat) vor Schäden durch äußere Einwirkungen schützen. Am Bau bedeutet dies: Schutz vor UV-Strahlung (besonders bei Holzteilen), vor Korrosion, vor Karbonatisierung (bei Beton) und vor Witterungseinflüssen allgemein. Eine Fassadenbeschichtung verhindert, dass Regen in die Dämmschicht oder das Mauerwerk vordringt, und dass eventuell in nicht korrekt ausgeführten Anschlussbereichen eingedrungene Feuchtigkeit wieder ausdiffundieren kann (hohe Wasserdampfdiffusionsfähigkeit). Außerdem soll ein Fassadenanstrich Schmutz abweisen, Algenbefall verhindern und seine Farbigkeit möglichst lange behalten. Ein beachtliches Leistungsspektrum, das auf einer Dicke von wenigen Mikrometern abgebildet werden muss.
Die Entwicklung von Farben und Lacken ist Ergebnis jahrelanger Testreihen, Versuche und Optimierungsschritte. ›
› Wie komplex die Anforderungen mitunter sind, zeigt das Algenthema: Vornehmlich hoch gedämmte und damit kalte Fassadenoberflächen werden bei bestimmten Rahmenbedingungen (Nordlage, Nähe zu Wald oder Feldern, feuchtes Mikroklima) von Algen, mitunter auch von Schimmelpilzen besiedelt. Die Beschichtung kann die Ursachen natürlich nicht beseitigen, wohl aber die Ansiedlung und das Wachstum der Mikroorganismen bremsen – etwa durch besonders hydrophobe Oberflächen, durch minimale Zugaben von algizid wirkenden, sogenannten Filmkonservierern oder durch die eigene Alkalität der Beschichtung, was bei Silikatfarben der Fall ist.
Des Anstrichs Kern
Das Bindemittel umhüllt Pigmente und Füllstoffe, sorgt für die Adhäsion auf dem Substrat und ist für die wesentlichen Eigenschaften des fertigen Anstrichfilms verantwortlich. Bei Fassadenbeschichtungen, die handwerklich appliziert werden, unterscheidet man grundsätzlich mineralische von organischen Systemen. Erstere Gruppe umfasst die traditionellen Kalk- und Silikatfarben, während Siliconharzfarben und Dispersionsfarben die organische Fraktion bilden. Dispersionssilikatfarben, also Silikatmaterialien mit geringem Dispersionszusatz (nach DIN 18 363 maximal fünf Prozent), stehen zwischen beiden Gruppen, wobei sie eher der mineralischen Familie zuzuordnen sind. Diese Systematik unterwandern jüngste Entwicklungen, die sogenannten hybriden Bindemittel, auch als Nanokomposite bezeichnet. Diese Materialien setzen sich zusammen aus einer verfilmenden Acrylatdispersion und darin homogen verteilten, 10 bis 30 Nanometer großen, silikatischen Nanopartikeln. Bei der Trockung der Beschichtung bildet sich zusätzlich zum Polymerfilm ein dort eingebundenes, dreidimensionales Nanopartikel-Netzwerk, was die Härte deutlich erhöht. Außerdem reduziert es die Gefahr, dass der thermoplastische Anstrichfilm von Dispersionsbeschichtungen bei höheren Temperaturen erweicht und Schmutzpartikel einlagert. Erste Anwendungen scheinen diese Eigenschaften zu bestätigen, was Brancheninsider bereits von den Systemen der Zukunft sprechen lässt. Noch sind diese Werkstoffe im hochpreisigen Segment angesiedelt – da aber der Materialpreis mit einem geringen Anteil zum Endpreis einer handwerklichen Leistung beiträgt, könnte die zu erwartende längere Standzeit das Thema Preis relativieren.
Pigmente: Kaltes Schwarz und dunkles rot
Auch im Bereich der Pigmente zeichnen sich neue Möglichkeiten ab. So hat BASF ein Schwarzpigment entwickelt, das thermische Nebenwirkungen reduziert. Ein schwarzer Körper erscheint deshalb schwarz, weil er das auftreffende Licht nahezu vollständig absorbiert. Leider »schluckt« er ebenso die infrarote Wärmestrahlung, weshalb sich schwarze Flächen in der Sonne stark erwärmen, was zu thermischen Spannungen im Werkstoff führt. Deshalb geben Hersteller von Wärmedämmverbundsystemen einen Mindest-Hellbezugswert für die Deckschicht an. Die neuen Schwarzpigmente reflektieren 30 bis 45 Prozent der auftreffenden Strahlungsenergie des nahen Infrarot-Bereiches, was laut BASF einer bis zu 20 °C kühleren Oberfläche entspricht. Und das bei unveränderter Schwarz-Optik, da das sichtbare Licht wie gewohnt absorbiert wird. Dieses selektive Verhalten wurde bereits bei Motorradkleidung aus synthetischen Fasern erfolgreich im Markt eingeführt. Für Fassaden wird es die Gestaltungsfreiheiten vergrößern, weil sich der momentan offiziell geltende (visuelle) Mindest-Hellbezugswert von 15 weiter nach unten verschiebt.
Mit steigender Intensität (oder Sättigung) wird ein Farbton in der Regel dunkler und absorbiert mehr Licht, was sich im geringeren Hellbezugswert ausdrückt. Intensives Rot, in jüngster Zeit eine absolute Trendfarbe, verfügt über einen sehr kleinen Hellbezugswert. Weil intensive Farben an Beliebtheit gewinnen, nehmen die Anforderungen an die Pigmente und deren Einbettung in die Beschichtungsmatrix deutlich zu. Mitunter sind extrem satte Töne nur durch eine Überpigmentierung des Beschichtungssystems möglich – allerdings kann das Bindemittel die vielen Pigmente dann nicht mehr zuverlässig umschließen, im Laufe der Zeit werden die farbgebenden Teilchen an der Oberfläche ausgewaschen, es kommt zur optisch unschönen Kreidung. Besonders deutlich lässt sich dieser Effekt bei ohnehin schwach bindenden Systemen, etwa Siliconharzfarben, beobachten. Daher sind diese hoch wasserdampfdiffusionsfähigen und hydrophoben Beschichtungen serienmäßig nur in gering gesättigten Farben erhältlich. Die eigentliche Schwachstelle ausgesprochen intensiver Töne sind die Pigmente selbst. Bunttöne wie das derzeit beliebte leuchtende Orange, das frische Grün oder das tiefe Rot lassen sich nicht mit mineralischen Pigmenten realisieren, sondern erfordern organische Pigmente, hergestellt aus petrochemischen Grundstoffen. Deren molekulare Struktur ist aber nicht absolut resistent gegen die UV-Strahlen im Licht. Werden bestimmte Bindungen im Molekül zerstört, schwindet auch die Farbigkeit. Über diese potenziellen Folgen muss man sich im Klaren sein – und auch, dass es sich hierbei nicht immer um einklagbare Mängel handelt.
Metallic, Glitzer und Lasuren
Leuchtende Farben sind das eine, Effekte das andere. Derzeit trifft man Metallic-Beschichtungen oder glitzernde Partikel auf Putzfassaden noch selten an. Auf feinen Putzstrukturen appliziert, zeigen Metallic-Beschichtungen auf Acrylatbasis einen durchaus reizvollen Schimmer, changierend zwischen stumpfem und reflektierendem Glanz, je nach Lichtverhältnissen und dem Standpunkt des Betrachters. Allerdings erfordert die Applikation Erfahrung und einen möglichst glatten Untergrund, da der Metallic-Effekt auf der gleichmäßigen Ausrichtung der plättchenförmigen Aluminium-Pigmente beruht, was beim Auftrag mit der Rolle schwierig ist. Einen ebenfalls standort- und lichtabhängigen Effekt entfalten glitzernde Teilchen aus Siliciumcarbid, die in die frisch beschichtete Oberfläche eingeblasen und anschließend durch Überwalzen fixiert werden. Das Glitzern tritt besonders auf dunklen Untergründen deutlich in Erscheinung. Zurückgegangen ist die Verwendung von Lasuren, für die in erster Linie silikatische Materialien verwendet werden. Halbtransparent und wenig pigmentiert per überlagernder Bürstenschwünge appliziert, verleihen sie Flächen einen wolkig-weichen Ausdruck. Wirklich durchgesetzt haben sich Lasuren nicht, da sie sehr arbeitsintensiv sind und ein hohes handwerkliches Können erfordern. Zu grobe Schwünge, zu geringe oder zu dichte Überlagerungen stören das Flächenbild extrem – ganz zu schweigen von jenen Überlappungen, die von Gerüstlagen provoziert werden. Dieser »Effekt« entsteht, wenn nicht »nass-in-nass« gearbeitet wird, also eine Teilfläche bereits stark angetrocknet und ein Verschlichten mit der neuen Fläche nicht mehr möglich ist. Dann entsteht durch die Überlagerung halbtransparenter Schichten entlang der Gerüstebenen eine optisch dichtere Zone. Dies lässt sich selbst bei deckenden Beschichtungen, ja sogar bei der Applikation des Putzes beobachten. Das Problem dabei: In der Regel fallen Störungen im Strukturbild erst nach dem Abbau des Gerüstes ins Auge, und nur bei bestimmten Lichtverhältnissen, etwa beim gnadenlosen Streiflicht. Generell gilt: Je feiner der Deckputz, umso sorgfältiger muss gearbeitet werden, weil kleinste und meist unvermeidbare Unregelmäßigkeiten besonders zur Geltung kommen. Der häufige Wunsch nach einer minimal strukturierten, membrangleichen Putzoberfläche endet nicht selten im optischen Desaster. Es hat seinen Grund, dass das Gros der Putze aus mehrmillimetrigen Körnungen besteht. Die Tendenz geht ohnehin weg vom Glattputz, hin zu groben Strukturen, die teils sogar den traditionellen Kellenwurfputz aufgreifen, mit Körnungen von acht und mehr Millimetern. Werden die Kornspitzen überlasiert, verstärkt sich die visuelle Intensität der Grobstruktur zusätzlich.
Idee und Umsetzung
Ein Farbkonzept kann nur überzeugen, wenn es nach dem Stand der Technik umsetzbar ist. Dies bezieht sich vor allem auf die Farbsättigungen, auf Effekte und Strukturen, aber auch auf bauphysikalische Aspekte. Eine Beschichtung, deren Durchlässigkeit für Wasserdampf zu gering ist, wird zu Ausblühungen, im schlimmsten Fall zur Ablösungen der Farbe führen. Abblätterungen sind auch dann zu beobachten, wenn der Untergrund nicht tragfähig ist oder die filmbildenden Anstriche (Dispersionsfarben) nach der Trocknung eine zu hohe Eigenspannung besitzen. Wer reine Silikatfarben wählt, muss mit einem fleckigen Auftrocknen der Beschichtung bei nicht sachgemäßer Verarbeitung rechnen. Da die Aushärtung reiner Silikatfarben Wasser und Kohlendioxid aus der Luft benötigt, kommt es beim zu schnellen Verdunsten des Wassers – etwa im Sommer – zur Unterbrechung der Reaktion, das Wasserglas-Bindemittel verbleibt in seiner wasserlöslichen Form und kann vom Regen ausgewaschen werden. Hier hilft nur ein zusätzlicher Anstrich mit Dispersions-Silikatfarben.
Ein anderes Phänomen sind Kalkausblühungen auf frisch beschichteten mineralischen Putzen oder Betonflächen. Die Ursache dafür liegt im Untergrund selbst, der zwar oberflächlich trocken erscheint, aber tatsächlich noch viele wasserlösliche Calciumionen enthält. Diese können dann durch die folgende Beschichtung ausgewaschen werden – sogar noch einige Wochen nach dem Putzauftrag – und zu weißlichen Verfärbungen führen. Hier helfen nur spezielle Grundierungen, die die freien Calciumionen demobilisieren, einfache Egalisationanstriche aktivieren sie erneut, die Verfärbung taucht wieder auf. •
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