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Abgang mit Glanz

Zentrale Müllsammelstelle in Pamplona (E)
Abgang mit Glanz

Idyllisches, vom Mittelalter geprägtes Pamplona. Immer mehr Menschen möchten hier wohnen, wo die Lebensqualität hoch und der Weinberg vor der Haustür ist. Doch mit den Einwohnern vermehrt sich der Müll. Die Architekten fanden, ein Bauwerk, das Wertstoffe sammelt und weiterverarbeitet, müsse sich nicht verstecken. Durch verwinkelte Geometrie und kräftige Farben macht der Bau auf sich aufmerksam. Ironisch verweisen die verbeulten Fassadenpaneele auf unsere Wegwerfgesellschaft und die Vorgänge im Innern.

    • Architekten: Vaillo + Irigaray & Galar Tragwerksplanung: Landabe Ingenieros

  • Kritik: Rosa Grewe Fotos: Jose Manuel Cutillas
Am Ende wird es meist trostlos. Dabei fängt es so schön an: In sorgsam gestalteter Innenarchitektur kaufen wir Produkte in sorgsam gestalteten Verpackungen, deren Investoren, Entwickler und Werber in sorgsam gestalteter Architektur sitzen. Das Produkt wird rundum mit Design umschmeichelt: Es soll sich verkaufen. Doch am Ende landet es im Müll, und von da an ist es vorbei mit der Schmeichelei. Müll und Architektur, die Bilder im Kopf verbinden sich nur schwer. Das Ende sollte nicht trostlos sein, und so planten die Architekten des Büros Vaillo + Irigaray eine Müllsammelstation, die mit einer Portion Selbstironie den Abgang mit Glanz ermöglicht.
Wachsende Stadt, wachsender Müllberg
Die Architekten leben und arbeiten in Pamplona in der nordspanischen Region Navarra und prägen bereits das Bild dieser Stadt mit einigen Neubauten. Seit den 60er Jahren verdoppelte sich die Einwohnerzahl auf fast 200 000. Besonders der letzte Bauboom seit 2000 brachte der Stadt zahlreiche Neubaugebiete, die ringförmig um den historischen Stadtkern wachsen. ›
› Für Architekten gibt es daher viel zu tun: Im Osten der Stadt wartet ein fertiges Straßenraster in der Größe mehrerer Fußballfelder auf seine Bebauung mit Wohnkomplexen und Infrastruktur. Das Büro Vaillo + Irigaray erarbeitete dazu die Masterpläne. Trotz Krise und noch leerer Baufelder sind die Architekten optimistisch, wie Antonio Vaillo erklärt: »Vor der Krise wäre das in fünf Jahren komplett bebaut gewesen, jetzt verzögert sich das ein wenig, aber auch danach wird es schnell weitergehen.« Die Krise, in Pamplona scheinbar ein vorübergehendes Problem. Ein dauerndes dagegen ist der Müll, der zusammen mit den Wohnvierteln der Stadt rasant wächst. Besonders die Sammlung und der Abtransport von Müll sind teuer und verbrauchen Energie und Fläche. Hier, in diesem Neubaugebiet, setzt die Stadt Pamplona daher auf eine neue Müllsortierung mit Vakuumtechnik, für die eine schwedische Firma die Technik und Vaillo + Irigaray Architekten das Gebäude planen sollten, »den Magen des Stadtviertels«, wie Vaillo erklärt. »Der Müll kommt hier an, wird umgewandelt und weitertransportiert.«
Form follows process
So funktioniert das System: Die Bewohner trennen ihren Müll nach Plastik, Glas, Papier und Restmüll und entsorgen ihn in öffentlichen Sammelcontainern. Diese schließen über Klappen auf ihrer Unterseite an ein unterirdisches Kanalsystem an, das mit einer zentralen Sammelstelle verbunden ist. Luft saugt den Müll durch die Kanäle bis an die Sammelstelle. Dort wird dem Müll Luft entzogen und Pressen formen ihn zu einem kompakten Paket. An vier LKW-Ladestationen »wartet« der Müll auf seinen Abtransport in die Recyclinganlage. Der Prozess ist vollautomatisiert, nur ein einzelner Mitarbeiter muss die Vorgänge kontrollieren, von einem gläsernen Kontrollraum aus. Rohre, Filter, Pressen und Turbinen bilden die Maschinerie. Vaillo erklärt: »Unsere einzige Bauvorgabe waren die Ausmaße der Vakuum-Anlage.« Die Prozesse im Innern bestimmen die Form des Gebäudes: Die Knicke in der Kubatur und die abgewinkelten Grundrisse folgen dem Rohrverlauf der Maschine. Schalldichte Raumabtrennungen schirmen den Lärm der Turbinen nach außen ab. Die Fensterflächen belichten den oberen Maschinen- und Kontrollraum, Lamellen verdecken die Abluftöffnung des Filters und leiten die Luft nach oben, große Tore im EG ermöglichen die LKW-Beladung. Durch ein kleines Bullauge lässt sich aus dem Kontrollraum die Zufahrt zur LKW-Beladung beobachten. Es ist ein funktionales, ökonomisches Gebäude aus Beton, mit einfachen, stählernen Einbauten und einem grauen Industrieboden, insgesamt lag das Baubudget unter 1 000 Euro/m². Funktional und finanziell war wenig Luft für Gestaltung, selbst die Farbe der Innenwände war vom Betreiber vorgegeben. Die Gestaltung konzentriert sich daher auf die Fassade, die als Imageträger für die Stadt, die Betreiber der Anlage und auch die Architekten selbst wichtig ist. ›
Müll ummantelt Müll
Für die Fassade hatten die Architekten die Idee, Altmaterial mit Altmaterial zu umhüllen. Sie wählten recycelte Aluminiumpaneele, die Dach und Fassade im Patchwork bekleiden. Ideengeber für Farbe und Form war aber ein anderes Material: Ursprünglich wollten sie bunte Paneele aus gepresstem Altkunststoff einsetzen, die ein Zwischenprodukt auf dem Weg zur Weiterverarbeitung sind. »Die bunte und unebene Beschaffenheit der Platten gefiel uns, dazu waren sie sehr ökonomisch. Weil sie aber aus unterschiedlichen Kunststoffen zusammengemischt waren, erfüllten sie die Brandschutzauflagen nicht.« So versuchten die Architekten mit Aluminium in grünen und gelben Lackierungen und mit einer Wölbung der Platten, eine ähnliche Wirkung zu erzielen: Aus der Ferne wirkt die Fassade homogen, ikonenhaft, das Gebäude erscheint größer als es ist. Aus der Nähe erkennt man die großen Maße der Fassadenpaneele von jeweils 1,5 x 2,5 m, ihre Tiefe und unterschiedliche Farbigkeit, das Gebäude verliert seine Zeichenhaftigkeit und Größe und gewinnt an Profil. Und erst der nahe Blick auf das Gebäude verrät dessen Funktion.
Die Umsetzung der Konstruktion mit Aluminium war einfach, wie Vaillo erklärt: »Die Paneele lassen sich wie Papier formen, die Wölbungen entstehen dabei durch die Einspannung des Paneels.« Mit Schrauben werden Spannung und Abstand der Paneele zur Unterkonstruktion justiert und somit das Paneel in die Wölbung gebracht. Der Glanz der gebogenen Paneele überzieht den Bau wie eine Lackschicht und verändert die Ansichten je nach Wetterlage. Bei bedecktem Himmel wirkt das Gebäude naturnah, zwischen gelb-braunen Feldern und grünen Wäldern, bei Sonnenlicht blitzen die Paneele der Fassade so grell, dass die Augen blinzeln müssen – ein blitzblankes Meister-Proper-Strahlen. »Die Idee ist, das negative Image von Müllanlagen zu verbessern« erklärt Vaillo und schwärmt dann, »das Vakuumsystem ist ein solch sauberer Prozess. Nichts stinkt, nichts ist verdreckt.«
Immer wieder Recycling

Die Strukturfassade aus Recyclingmaterial ist ein wiederkehrendes Element in der Architektur von Vaillo + Irigaray. Ironie ist oft dabei. Für eine Straßenwachtstation füllten sie Drahtkörbe mit geplatzten Autoreifen und bildeten daraus die Fassade. Für ein Restaurant sammelten sie leere Weinflaschen und verkleideten damit die Rückwand des Gastraums. Bei einer Lounge führten sie eine Hecke optisch mit grünen Röhren aus Recyclingplastik fort, »Aufforstung« nannten die Architekten das. Diesmal also sauber automatisierter Recyclingglanz, dem man fast glauben könnte, dass Müll nicht trostlos sei und dass Recycling die Endlichkeit beende. Kein Ende, keine Trostlosigkeit? Schöne, saubere Welt.


    • Standort: NA-2300 / Eje 13 s/n – Urbanización de Ripagaina, Pamplona

      Bauherr: Junta de Compensación AR1 de PSIS de Ripagaina
      Architekten: Vaillo + Irigaray & Galar, Pamplona
      Mitarbeiter: Daniel Galar Irurre (Projektleiter); David Eguinoa, Lucia Astrain, Luis Miguel Navarro, Juan Carlos de la Iglesia, Ángel Álvarez, Oscar Martínez, Xabier Tuñón, Isabel Franco
      Tragwerksplanung: Landabe Ingenieros, Pamplona/San Sebastian, Tadeo Errea
      HLS-Planung: Vaillo + Irigaray & Galar, Pamplona, Jose Ignacio Sola
      Planung Anlagenbau: INARQ, Zizur Mayor
      Nutzfläche: 755 m² BRI: 3 650 m³
      Baukosten: 825 416 Euro
      Bauzeit: Dezember 2006 bis Dezember 2009
    • Beteiligte Firmen: Bauausführung: AZYSA, Zizur Mayor, www.azysa.com
      Fassade / Aluminium-Paneele: ALTRES, Zaragoza, www.azysa.com
      Verarbeitungstechnik: ENVAC, Bilbao, www.azysa.com

Pamplona (E) (S. 40)


Vaillo + Irigaray & Galar


Jose Luis Vélaz Ballesteros
1971 in Navarra geboren. 1990-98 Architekturstudium an der Universität Navarra.
Daniel Galar Irurre
1979 in Navarra geboren. 1997-2003 Architekturstudium an der Universität Navarra.
Juan Luis Irigaray Huarte
1956 in Navarra geboren. 1974-80 Architekturstudium an der Universität Navarra.
Antonio Vaillo i Daniel
1960 in Barcelona geboren. 1979-85 Architekturstudium an der Universität Navarra. Masterabschluss Magna cum laude.
Rosa Grewe
2005 Architekturdiplom an der TU Darmstadt, zuvor Auslandsaufenthalte in den USA und in Mexiko. Mitarbeit in verschiedenen Architekturbüros, u. a. 2004/05 bei Albert Speer & Partner, Frankfurt a. M. 2006/07 Volontariat bei der DBZ. 2008 Diplom der Freien Journalistenschule in Berlin. Seitdem Publika-tionen für verschiedene Verlage.
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