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Grotesk

Gebäudeschäden durch Mängel im Strassen- und Pflasterbau
Grotesk

Unvermögen, Ignoranz und Desinteresse seitens der Behörden haben zur grotesk missratenen Ausführung eines offenen Pflasterbelags geführt, der einen Schaden in sechsstelliger Höhe an einem angrenzenden historischen Privathaus verursachte. Manchmal wäre es eben besser, »das Dorf« nicht »schöner« machen zu wollen.

Text und Fotos: Josef Reis

Immer war das große Gasthaus in der Mitte eines fränkischen Dorfs trocken, obwohl es mit seiner Rückseite über zweieinhalb Stockwerke in den Berg gebaut ist, der die Kirche trägt. Seitdem aber der Kirchplatz erneuert und ausgebaut wurde, ist es in seinem Bestand gefährdet, obwohl es mehrfach getrocknet und instandgesetzt wurde. Nach heftigen Regenfällen erfolgten die Wassereinbrüche in das Haus immer um einige Stunden zeitversetzt. Sie traten erstmals 2010 nach Abschluss der Bauarbeiten an der Kirchentreppe auf dem Kirchenvorplatz auf, und zwar gleichzeitig in allen drei Geschossen, die mit ihren Wänden den Berg berühren.
In den beiden OGs wurden diese Wände und die anbindenden Fußböden bis 2,5 m weit in den Raum hinein durchfeuchtet. Im EG lief das Wasser bis 3 m weit in die Wände. Holzfäule und Hausschwamm zersetzten alle Holzbalken und Dielen, die mit dem nassen Bruchsteinmauerwerk in Berührung kamen. Im EG lief das Wasser geradezu von den Wänden und tropfte von den Decken. Böden und Inventar wurden stark beschädigt.
Rätselhafter Bodenaufbau
Ursprünglich hatte der Belag des Kirchenvorplatzes aus einer Asphaltdecke mit Kanaleinläufen bestanden. Um das Ortsbild zu verschönern, wurde der Asphalt durch einen Naturstein-Pflasterbelag ersetzt. Durch dessen 1-1,5 cm breite, mit Splitt verfüllte Fugen sollte ein großer Teil des Oberflächenwassers im Untergrund versickern. Der Kirchplatz wird durch zwei Natursteintrittstufen in zwei Ebenen unterteilt. Die erste, obere Ebene, in die auch die Treppe zum Kirchenportal mündet, ist mit ca. 8 cm/m Höhenunterschied leicht schräg, während der untere, etwa gleich große Teil, fast waagerecht verläuft.
Die Kirchplatzsanierung war im Stadtrat gründlich besprochen, geplant und genehmigt worden. Der Asphaltbelag und ergänzende Betonbeläge wurden entfernt, Abwasser-, Wasser- und Dränagerohre neu verlegt und alles mit Schotter eingeebnet – schon diese Reihenfolge ist merkwürdig. Wasser im Pflasterbett birgt immer die Gefahr von Frostschäden, besonders wie hier auf einer wasserundurchlässigen Betonplatte.
In zwei Ebenen wurde darauf die ca. 40-50 cm dicke Betonplatte aufgebaut. Der Betonplatte hat man wohlweislich ein Gefälle zur Mitte des Platzes hin gegeben, dorthin, wo später ein Dränagerohr (auf dem Beton) verlegt wurde, das künftig für die Ableitung des durch die Pflasterfugen dringenden Oberflächenwassers sorgen sollte. Mit Heißbitumen wurde diese Betonplatte dann beschichtet und mit Mauersperrbahnen seitlich an das Gasthaus angeschlossen. Mauersperrbahnen dürfen nur als Querschnittsabdichtung in Mauern verwendet werden. Für Abdichtungsarbeiten sind sie zu dünn und nicht hinreichend reißfest und die Beständigkeit gegen Öl und UV-Licht ist auch nicht gegeben.
Auf der Bitumenabdichtungsschicht der zweiten Betonlage wurde ohne Trennschicht (Delta-Noppenbahn und Filtervlies), im Verbund und in zwei Arbeitsgängen, noch einmal Beton der Güte C16/20 ca. 30 cm dick eingebaut. Darauf kam eine 10 cm dicke Splittschicht der Körnung 2-8 mm, in welcher dann das Kalksteinpflaster mit den breiten Pflasterfugen verlegt wurde.
Auch das Dränagerohr wurde auf der Betonplatte verlegt. Warum es aber mit Beton der Güte C12/15 ummantelt wurde, bleibt das Geheimnis der Bauüberwachung und der Bauausführenden. Seine Funktion, das rundum mit Beton eingefasste Pflasterbett zu entwässern, fiel damit aus. Der DIN 4095 (Dränung zum Schutz baulicher Anlagen, Planung, Bemessung und Ausführung) entspricht das jedenfalls nicht.
Gefährlicher Wandanschluss
Beim Öffnen des Pflasters trat außerdem zutage, dass auch der Wandanschluss der Fugenabdichtung viel zu niedrig angebracht worden war. Die dort vorgefundene Abdichtung aus einer Kombination von kunststoffmodifizierter Bitumendickbeschichtung und angeschraubter Mauersperrbahn entsprach weder der alten noch der neuen Abdichtungsnorm (DIN 18195), weil die geforderten Höhen der Abdichtungsoberkante nicht erreicht wurden.
Etwa 15 cm unter der Pflasteroberfläche angebracht, liegt die Befestigungs- und Abschlussschiene ganze 30 cm tiefer, als es die heute gültige Abdichtungsnorm verlangt und unglaubliche 45 cm tiefer, als es die zur Bauzeit noch gültige Fassung der Abdichtungsnorm (DIN 18195) vorgeschrieben hätte. Dazu kommt, dass die Befestigung dieser Schiene auf ihrer Oberseite auf 80 % der freigelegten Länge gar nicht versiegelt und damit undicht war. Dadurch und durch die Bohrlöcher in der Befestigungsschiene konnte Wasser hinter die Schiene laufen und ungehindert hinter die Mauersperrbahn dieser fragwürdigen ›
› Sockelabdichtung gelangen. Für ein Bohrloch im Mauerwerk, mit Dübel und Schraube, ist dabei von einem Wasserdurchtritt von 0,5-5 l/h (!), je nach Wasserdruck und Anstauhöhe, auszugehen.
Weil das wasseraufnehmende Splittbett keine Verbindung zu dem einbetonierten Dränagerohr hatte und weitere Entwässerungsmöglichkeiten nicht vorhanden waren, konnte das Wasser wohl oder übel nur durch das Mauerwerk des angrenzenden Hauses abfließen. Untermauert wurde diese Feststellung durch die Uraninfarbe, die im Lauf der Untersuchungen ins Pflasterbett eingebracht wurde und heute noch im Mauerwerk und im Fußbodenaufbau der Gaststube sichtbar ist.
Warum überhaupt ein Pflaster mit breiten, dränagefähigen Fugen eingebaut wurde, wenn es dadurch nötig war, darunter Schichten einzubauen, die das »versickerte« Wasser wieder aufnehmen und ableiten sollten, ist nicht nachvollziehbar. Die Räum- und Streupflicht im Winter bleibt ohnehin bestehen, und Tausalzwasser darf bei einer funktionierenden Abdichtung auch nicht in die Mauern angrenzender Gebäude gelangen.
Nach den gängigen Regelwerken [1] soll der Wassereintrag in den Pflasteraufbau minimiert und Wasseransammlungen unter dem Pflaster vermieden werden. Denn solche führen zu Schäden an der Konstruktion und am Material.
Man hätte viel Geld sparen können und es wäre dauerhafter und besser kontrollierbar gewesen, die Regenwasserableitung auf der Pflasteroberfläche mit geschlossenen Pflasterfugen und einem im Mörtelbett verlegten Pflaster vorzunehmen und das Oberflächenwasser direkt in Rinnen und Sinkkästen verschwinden zu lassen. Lässt man Oberflächenflächenwasser über Pflasterfugen oder Pflastersteine versickern, sind deren Oberflächen nach drei bis sechs Jahren so stark verschmutzt, dass ihre Wasserdurchlässigkeit ohnehin zum größten Teil verlorengegangen ist.
Keine guten Aussichten
Wer letztlich die Verantwortung für die Schäden trägt, lässt sich wohl nicht mehr eindeutig feststellen. Der Prozess läuft noch, allerdings sind sämtliche Pläne zur Entwässerung aus den Unterlagen verschwunden. Die ausführende Firma ist längst konkurs und hätte auf die Planungen wohl auch kaum Einfluss nehmen können. Darüber, warum diese Mängel der Bauaufsicht nicht aufgefallen sind, lässt sich nur spekulieren. Der Platz vor der Kirche wurde bislang nicht saniert, sicher wartet die Gemeinde auf den Ausgang des Verfahrens und das Votum ihrer Haftpflichtversicherung, denn der Schaden allein am betroffenen Gebäude beläuft sich auf über 100 000 Euro. Da nur ein kurzes Stück des Dränagerohrs freigelegt wurde, treten nach starken Regenfällen noch immer Wassereinbrüche auf. •
Legende: [1] DIN 18318: Verkehrswegebauarbeiten, Pflasterdecken, Plattenbeläge, Einfassungen; ZTV und Richtlinien für den Bau von Pflasterflächen und Plattenbelägen; Merkblatt für Flächenbefestigungen mit Pflasterdecken und Plattenbelägen in ungebundener Bauweise; Merkblatt Pflasterdecken und Plattenbeläge aus Naturstein für Verkehrsflächen; Merkblatt für wasserdurchlässige Befestigungen von Verkehrsflächen; DIN 18130/1 Bestimmung des Wasserdurchlässigkeitsbeiwertes.; DIN 18318 ATV Verkehrswegebauarbeiten, Pflasterdecken und Plattenbeläge in ungebundener Bauweise; DIN 18332 ATV Naturwerksteinarbeiten: DIN EN 752 Entwässerungssyteme außerhalb von Gebäuden; DIN EN 1342 Pflastersteine aus Naturstein für Außenbereiche
Der Artikel ist erstmals in »Der Bausachverständige« 4/2014 erschienen und wird hier in einer anderen Fassung publiziert.

Schwachstellen (S. 130)
Josef Reis
1949 in Edelbach geboren. Ausbildung als Maurer, Bauzeichner, Bautechniker. 1987 Meisterprüfung, seit 1989 eigenes Bauunternehmen. 1995 öffentliche Bestellung und Vereidigung als Sachverständiger im Maurerhandwerk, 1997 im Beton- und Stahlbetonbauerhandwerk. 1997-2000 Beteiligung bei der Erneuerung der DIN 18195. Seit 2001 Veröffentlichungen und Vorträge.
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