PETER BÖHM schuf mit einem Anbau an das Philosophikum Ordnung und vermittelt zwischen verschiedenen Orten der Universität. Er zitiert lokale Vorbilder, ohne sie zu kopieren, und interpretiert die typische Materialität der Münsteraner Bauten neu.
Die Ergänzung des Philosophikums der Universität Münster (WWU) ist gebaute Dialektik: Sie ist gleichzeitig fortführender Weiterbau wie radikaler Schnitt. Dieser war nötig, nachdem das einstige Bischöfliche Theologenkonvikt Ludgerianum (1901-03 vom Architekten Franz Wucherpfennig errichtet) zuletzt ein eher labyrinthisch-verwachsenes Gewürge war. Begreift man das darin unterrichtete Fach, die Philosophie, als Wissenschaft vom systematischen Denken, der Beschäftigung mit Gedankengebäuden also, taugte das Philosophikum jedenfalls nur noch als Metapher für die heute beschriebene Unübersichtlichkeit postmoderner Wirklichkeiten.
PETER BÖHM ARCHITEKTEN haben als Neuordnung dem alten Seminargebäude, das sich zwischen Domplatz und dem Flüsschen Aa erstreckt, einen fünfgeschossigen Bibliotheksriegel zur Seite gestellt. Mit dem Altbau ist er über eine Halle verbunden, die zwei kerzengerade Kaskadentreppen aufnimmt. Brüstungen in den Öffnungen der Bibliothek zu dieser Erschließungsfuge dienen als Leseplätze und verbinden so Orte der individuellen Konzentration mit dem Kommunikationsraum – ein Erleben, das dem in Münsters legendärer Stadtbücherei (BOLLES+WILSON 1987-93) ähnelt. Als weiterer »Pate« in der Stadtarchitektur ist die Diözesanbibliothek (MAX DUDLER 2003-05) ablesbar. Wie Dudler im städtebaulichen Maßstab klärt Böhm hier einen verwachsenen Bestand durch einen in relativ neutraler rationalistischer Architektursprache gefassten Wegraum. Angesichts der formalen Ähnlichkeit mag die Bibliotheksfassade des Philosophikums auf den ersten Blick auch wie mit Sandstein verkleidet wirken, aber Böhm gelang stattdessen ein Geniestreich in der Materialhandhabung: Die in Münster weit verbreitete Kombination von roten Ziegelfassaden mit Details aus hellem Sandstein fasst er in einer gemeinsamen Oberfläche zusammen. Eine sandfarbene Schlämme aus Kalkzementmörtel verdeckt das Rot des Ziegelmauerwerks und lässt es gleichzeitig durchschimmern. An den Fassaden sorgt dieser Trick dafür, dass sich der Bau perfekt in sein Umfeld fügt, in der großen Erschließungshalle korrespondiert die Materialität mit der Oberfläche des Altbaus.
Philosophikum und Diözesanbibliothek ähneln sich besonders auch darin, dass historischer Bestand und oftmals eintöniger »Rationalismus« sich gegenseitig spannungsvoll bereichern. Kontinuität und Bruch im neuen Philosophikum können Schule machen. Hier eine philosophische. Damit ist Böhm der Aufgabe und dem Ort sinnreich-sinnlich gerecht geworden.
~Jan Rinke
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