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Pflegenotstand

Das Gesundheitshaus in Dortmund leidet an Vernachlässigung
Pflegenotstand

Der einstige Pionierbau für Gesundheitsvorsorge wurde über Jahrzehnte kaum gepflegt. Nun ist das Bauwerk zu einem ungeliebten Patienten geworden, für dessen Heilung sich die klamme Kommune nicht verantwortlich fühlt.

{Text: Markus Jager

Als das Dortmunder Gesundheitshaus in den Jahren 1953-61 errichtet wurde, war es der Stolz der Stadt. Einer Stadt, die im Gesundheitswesen neue, zukunftsweisende Wege ging und dabei auch noch vorbildliche Architektur realisierte. Die besonderen Qualitäten dieser Strategie lassen sich an drei Aspekten festmachen: zum einen an der Betonung von Vorbeugung und Prophylaxe als zentrale Elemente einer klugen Gesundheitspolitik. Zum anderen an dem Umstand, dass erstmals alle relevanten Einrichtungen, die bis dato über das Stadtgebiet verteilt waren, in zentraler Lage unter einem Dach gebündelt wurden. Und zum Dritten an der Tatsache, dass es dem Architekten Will Schwarz (1907-92) erfolgreich gelang, jedweden Klinik- oder Behördencharakter zu vermeiden und somit den Besuchern des Hauses mögliche Schwellenängste zu nehmen. Der Gang zum Arzt gehört ja nicht immer zu den angenehmen Dingen des Lebens. In Dortmund ist er jedoch ein Erlebnis – mit bildender Kunst und einer heiteren, farbenfrohen und kunstvollen Architektur.
Besonders deutlich spiegelt sich dies im Haupttreppenhaus wider, das das räumliche und künstlerische Rückgrat des Gebäudes ist. Es erstreckt sich über acht Geschosse und erschließt das Haus mittels einer kreisrunden, frei tragenden Treppe. Der Architekt bezeichnete sie als »beschwingte Treppe« und in dem Rasterbau wirkt sie wie eine Skulptur. Ursprünglich konnten die Besucher des Hauses die Obergeschosse mit einem Paternoster erreichen (zwischenzeitlich durch einen Fahrstuhl ersetzt). Dabei hatten sie während der Fahrt nicht nur die Treppenspindel, sondern auch die Kunstwerke im Blick, die an der gegenüberliegenden Wand neben der Treppe platziert sind. Auf jeder Etage befindet sich das Werk eines anderen Künstlers mit wechselnden Ausdrucksformen von gegenständlich bis abstrakt. Allen Kunstwerken ist das Thema »Sanitas« (lat. Gesundheit) gemein. Auf der Tuberkulose-Etage wird ein Röntgenprozess der Lungen gezeigt, auf einer anderen sind Apothekergefäße zu sehen und auf einer weiteren Etage werden das Baden und die Körperhygiene als Teil der Gesundheitsvorsorge thematisiert. Ungeachtet ihrer künstlerischen Bedeutung dienen die Kunstwerke auch der Orientierung im Haus. Jedes Geschoss ist anders gestaltet und besitzt eine andere Kennfarbe. Will Schwarz umging damit das große Problem der Uniformität, die sich bei standardisierten Verwaltungsgebäuden leicht einstellt.
Errichtet wurde das Gesundheitshaus als Stahlbetonskelettkonstruktion. In das Stützenraster der Fassade wurden vorgefertigte Brüstungen eingesetzt, die mit einem Mosaik aus kleinen farbigen Glasplättchen belegt sind. Die übrigen Wandflächen des Gebäudes sind mit farbigen Klinkerriemchen verblendet. Die Materialwahl hatte neben ihren ästhetischen Reizen auch praktische Gründe: »Riemchenverkleidungen und Glasmosaik haben sich besonders im Industriegebiet bewährt, wo man alljährlich die starken Verrußungen abwäscht. Glasmosaikverkleidete Flächen werden abschamponiert, wie man es vom Autowaschen her gewöhnt ist.« [1] Die Themen Gesundheit und Hygiene spiegelten sich solchermaßen auch im äußeren Erscheinungsbild des Gebäudes wider.
Nach Auffassung von Will Schwarz sollte die großzügige Verwendung von Glas und farbigem Mosaik einen künstlerischen »Beitrag zur Gesundheitspflege« leisten. In einem Artikel zur Einweihungsfestschrift des Gesundheitshauses schrieb Schwarz: »Es wurde bei diesem Bau angestrebt, denen, die in ihm ihr Leben dem Dienst an der Erhaltung der Gesundheit der Menschen widmen, und denen, die in ihm bei jenen Rat und Hilfe suchen, eine Umgebung zu schaffen, die sie nicht bedrückt. Dementsprechend wurde viel heitere Farbe verstrichen und durch viele große Glasflächen steht es dem Himmel und den Wolken frei, in die Arbeitsräume von der Weite und der Freiheit, die ihnen eigen sind, einen Hauch hineinzutragen.«
Auf diesem Wege schuf der Architekt nicht nur ein Gebäude, in dem sich Mitarbeiter und Besucher heute noch gerne aufhalten. Es ist zugleich eines der schönsten Gebäude der 50er Jahre in Dortmund geworden. Offenkundige Altersspuren und zahlreiche Schadstellen machen es vielen Betrachtern inzwischen jedoch schwer, diese Schönheit ungetrübt wahrzunehmen. So wird dem Besucher unweigerlich deutlich, dass auch Häuser einer kontinuierlichen Pflege und Vorsorge bedürfen, wenn sie nicht zu einem Fall für die Intensivmedizin werden sollen. Leider ist diese Einsicht bei der Stadt Dortmund, die einst als Bauherr so klug agierte, heute nicht sehr verbreitet. •
Buchtipp:
Das neue Dortmund. Das Dortmunder Gesundheitshaus von Will Schwarz. Von Thomas Schilp, Andrea Zupancic (Hrsg.), 140 S., mit Fotografien von Gerd Kittel, Wasmuth Verlag, Tübingen 2014
[1] Schaupp, Wilhelm, Das neue Bauen und seine konstruktiven Probleme, in: Baukunst und Werkform, 12/1959, S. 512-514
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