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Das große Versprechen. Sanierung zum Effizienzhaus Plus in Neu-Ulm

Monitoring zweier Plus-Energie-Sanierungen in Neu-Ulm
Das große Versprechen

Firmen im Artikel
An zwei fast identischen Wohnzeilen wurden unterschiedliche Konzepte für die Sanierung zum Effizienzhaus-Plus-Standard ausprobiert. Ein zweijähriger Praxistest überprüfte die Verbrauchswerte. Hält die Realität, was die Berechnungen versprachen?

Text: Caudia Siegele; Fotos: Zooey Braun, Claudia Siegele, Eibe Sönnecken u. a.

Rund zwei Jahre ist es nun her, dass im Neu-Ulmer Stadtteil Pfuhl mit großem Brimborium und viel Politprominenz die beiden sanierten und prämierten Zeilenbauten in der Pfuhler Straße offiziell eingeweiht wurden. Auch die Architekten sowie die ausführenden Fachplaner wurden gefeiert und erhielten viel Angerkennung. Das Projekt sollte im Rahmen des vom Bund ausgelobten Wettbewerbs »Effizienzhaus Plus im Altbau« [1] aufzeigen, welche Potenziale der vernachlässigte Bestand an klassischen Wohngebäuden bietet, um Energie und Ressourcen einzusparen.

Effizienzhaus Plus Neu-Ulm
Ansicht der Pfuhler Str. 10-14 vor der 2016 begonnenen Sanierung
Foto: o5 Architekten raab hafke lang, Frankfurt a. M.

In Neu-Ulm bot sich dazu die Chance, bei zwei identischen Gebäuden gleichen Alters aus den 30er Jahren verschiedene Sanierungsansätze und energetische Konzepte auszuprobieren und den praxistauglichen Erfolg anhand einer zweijährigen Monitoringphase zu überprüfen. Gewinner des Wettbewerbs waren zwei Projektteams, bestehend aus Architekten, Fachplanern und projektbegleitenden Hochschulen: Der Pfuhler Straße 4-8 nahmen sich die Architekten Werner Sobek und Stefan Oehler gemeinsam mit der Hochschule Ruhr West in Mülheim an, die benachbarte Zeile mit den Hausnummern 10-14 bearbeitete das Büro o5 Architekten raab hafke lang [2] in Zusammenarbeit mit der ina Planungsgesellschaft und der TU Darmstadt.

Identische Ausgangslage, grundverschiedene Ansätze

Die Ideen beider Teams für die beiden angejahrten Zeilenbauten mit ihrem Endenergiebedarf von 507 kWh/m2a unterschieden sich nicht nur in der Frage des gebäudetechnischen Anlagenkonzepts, sondern auch in der Vorgehensweise bei der Sanierung – sowohl was die Grundrissorganisation, die Dämmung der Hülle als auch die Gestaltung der Fassaden anging. Das gebaute Ergebnis demonstriert dies sehr deutlich: Während das Team um Werner Sobek den Fokus für ihr Effizienzhaus Plus stark auf die Anlagentechnik und Vorfertigung bei der Ausführung legte, fielen bei o5 Architekten manche technischen Komponenten zugunsten gestalterischer und materieller Aspekte etwas reduzierter aus. Der erste Eindruck lässt die (straßenseitig) linke Zeile daher etwas nüchterner und introvertierter erscheinen, während sich die rechte Zeile mit viel Holz und Balkonen offener und freundlicher darstellt. Dagegen finden sich im ehemaligen Heizkeller bei »Sobek’s« mehr Lüftungsleitungen nebst zugehörigem Wärmetauscher als im eher aufgeräumten Technikraum der o5 Architekten.

Werner Sobek und die Pfuhler Straße 4-8

Das Team um Werner Sobek setzte bei der Gebäudehülle zugunsten der besseren Qualität und kürzeren Bauzeit auf maximale werksseitige Vorfertigung. Deren Konzept sah für die Pfuhler Straße 4-8 ein hochwärmedämmendes Fassadensystem in Holzbauweise vor, in das – bestehend aus 300 mm tiefen Stegträgern und komplett mit Mineralfaserdämmung ausgefüllt – bereits alle nötigen vertikalen Versorgungsleitungen und Regenfallrohre integriert sind. Elementweise auf die massive Außenwand montiert, verbesserte sich deren U-Wert auf 0,10 W/m2K. Die Dachkonstruktion wurde bis auf den Drempel zurückgebaut und ebenfalls mit vorgefertigten Holzelementen ähnlicher Bauart, jedoch mit 400 mm Mineralwolldämmung, komplett neu aufgerichtet. Nach oben bilden hinterlüftete OSB-Platten inkl. Dachabdichtungsbahn die Basis für die Aufnahme der PV-Module. Die Stahlbetondecke über dem unbeheizten Keller blieb dagegen nahezu unangetastet – sie wurde lediglich unterseitig mit einer 220 mm dicken Mineralwolldämmung versehen. Auch die neuen dreifachverglasten Fenster reihen sich mit einem U-Wert von 0,71 W/m2K vorbildlich in die Liste der energieeffizienten Außenbauteile ein.

Effizienzhaus Plus Neu-Ulm
Die Südfassade der Zeilenbebauung in der Pfuhler Str. 4-8 nach der Sanierung durch das Team um Werner Sobek … (Foto: Zooey Braun, Stuttgart)

Die im Keller installierte Anlagentechnik reduziert sich auf Wärmepumpe, Speicher für Trinkwarmwasser (1.000 l) und Lüftungsanlage. Die Querverteilung aller Leitungen verläuft unter der Kellerdecke, sodass die Anbindung der einzelnen Wohnungen über die in die Fassadenelemente integrierten, vertikalen Stegleitungen erfolgen konnte. Die Wärmeenergie für Heizung und Trinkwarmwasser liefert eine Sole-Wasser-Wärmepumpe, die Wärmeübergabe in die Räume übernehmen konventionelle Röhrenradiatoren. Aufgrund des geringen Heizbedarfs genügte eine Erdsondenbohrung im Garten. In jeder Wohnung ist eine Frischwasserstation installiert, um das Trinkwarmwasser auf die gewünschte Temperatur anheben zu können. Die zentrale Lüftungsanlage mit 80 % Wärmerückgewinnung bezieht die Außenluft im Bereich der Balkone, führt sie im Keller durch den Wärmetauscher und anschließend über vertikale Kanäle in der straßenseitigen Fassade zu den Wohnungen. Die warme Abluft wird in Küche, Bad und WC abgesaugt und in Kanälen in der Gartenfassade zurück in den Keller zum Wärmetauscher geführt. Auf dem Dach generieren insgesamt 214 m2 monokristalline PV-Module (= 90 % der verfügbaren Dachfläche) mit einer Leistung von 33,5 kWp rund 33.000 kWh Solarstrom/Jahr, was in der rechnerischen Bilanz einen Überschuss von knapp 9.000 kWh ergibt. Er macht das Gebäude zum Effizienzhaus Plus. Der Jahresprimärenergiekennwert liegt bei 32,4 kWh/m2a, der ermittelte Transmissionswärmeverlust H‘T bei 0,23 W/m2K.

o5 Architekten und die Pfuhler Straße 10-14

Etwas anders gestalteten sich die Sanierungsarbeiten in der Nachbarschaft: Zwar blieben hier die Dachkonstruktion und Sparren erhalten, dafür ging es jedoch innerhalb der Wohnungen lauter und staubiger zu: Die Grundrisse wurden derart verändert, dass ein »Durchwohnen« von der Straße zum Garten möglich wurde. Vor die Außenwand aus 240 mm dicken Ziegelsteinen wurde ganz handwerklich ein 200 mm dickes WDVS aus Mineralschaumplatten geklebt und gedübelt (U-Wert gesamt: 0,20 W/m2K). Um auch im Dach ausreichend Dämmung unterzubringen, erhielten die 120 mm hohen Sparren oberseitig eine ebenso dicke Verstärkung, sodass mit der abschließenden 40 mm dicken Holzweichfaserplatte das rund 300 mm dicke Dachschichtenpaket auf einen U-Wert von 0,16 W/m2K kommt. Auch in dieser Zeile wurden alle Öffnungen mit dreifachverglasten Fenstern versehen, die U-Werte zwischen 0,75 und 0,78 W/(m2K) erbringen. Konstruktiv unberührt blieb auch hier die Fertigbeton-Elementdecke über dem unbeheizten Keller, jedoch hat man sie unterseitig mit 150 mm Mineralwollplatten energetisch »ertüchtigt«.

Effizienzhaus Plus Neu-Ulm
… Rechts daneben, nur durch die Straße getrennt, wirkt die neue Gestaltung der Hausnummern 10-14 (o5 Architekten) nicht so kühl wie beim Nachbarn
Foto: Eibe Sönnecken, Darmstadt

Zur Anlagentechnik gehört ebenso eine Sole-Wasser-Wärmepumpe, die über 30 effiziente Helix-Sonden (vertikale Spiralkollektoren) dem Erdreich die Wärme entzieht. Auch hier verlaufen die vertikalen Leitungsstränge innerhalb der Fassade, gut versteckt hinter dem WDVS. In den Räumen erfolgt die Wärmeübergabe mittels Niedertemperaturheizkörpern (max. 45 °C), und zur zentralen Speicherung der Heizwärme dienen vier Wasserspeicher mit je 700 l. Eine Besonderheit ist die dezentrale, wohnungsweise Warmwasserbereitung über Abluftwärmepumpen in den Bädern. Diese entziehen der wohnungszentral nach draußen abgeführten Raumluft die Wärme – die Zuluft strömt über Fassadenöffnungen nach, die gezielt hinter den Niedertemperaturheizkörpern angeordnet sind. Mit diesem Kniff lässt sich die Zuluft ohne großen zusätzlichen Aufwand vorkonditionieren, und es fallen deutlich weniger laufende Meter an Lüftungsleitungen an – ein Vorteil in den ursprünglich recht engen Wohnungen des Baubestands. Auf der südlichen Dachfläche produzieren die monokristallinen Module der 161,6 m2 großen PV-Anlage mit 24,93 kWp Leistung übers Jahr etwas mehr als 26.000 kWh Solarstrom. Auch bei diesem Konzept verbleibt rechnerisch – jedoch gegenüber der Hausgruppe 4-8 ein deutlich geringerer – Überschuss in Höhe von rund 2.000 kWh in der energetischen Jahresbilanz, der den Effizienzhaus-Plus-Standard ausmacht.

Monitoring bringt Defizite ans Tageslicht

Seit der Eröffnung und dem Bezug der beiden sanierten Zeilenbauten im Mai 2016 sind nun zwei Jahre vergangen und das für diesen Zeitraum angelegte Monitoring, durchgeführt vom Lehrstuhl für Energieeffizientes Bauen an der RWTH Aachen, ist nahezu abgeschlossen. Die spannende Frage lautet nun: Haben sich die berechneten Erwartungen bei beiden Wohnzeilen in der Praxis tatsächlich eingestellt? Obgleich der Abschlussbericht des Monitorings noch aussteht, lässt sich anhand der im Internet »live« veröffentlichten Messdaten [3] ablesen, dass die beiden Kurven für die tatsächlich erzeugte und die verbrauchte Energie bei den beiden Gebäuden oft sehr weit auseinanderdriften.

Effizienzhaus Plus Neu-Ulm
Kumulierte Endenergie bei der Pfuhler Str. 10-14
Grafiken: Fraunhofer IBP, Stuttgart

Erwartungsgemäß überwiegt in den Sommermonaten bei beiden Gebäuden der Ertrag, dagegen in den Heizperioden der Verbrauch. Auffallend ist jedoch, dass die Differenzen zwischen Ertrag und Verbrauch bei der Pfuhler Str. 10-14 deutlich höher liegen als bei der Pfuhler Str. 4-8. Über die zweijährige Monitoringzeit betrachtet weist erstere zudem deutlich höhere Verbräuche auf und schneidet in der Bilanz somit auch sichtlich schlechter ab. Die Ursache dafür liegt nicht, wie so oft zuerst vermutet, am Verhalten der Verbraucher, sondern vielmehr an der Problematik, die Anlage korrekt einzuregeln. Zudem zeigte sich, dass bei der Pfuhler Straße 10-14 die Abluftanlage über lange Zeit auf höchster Stufe lief (Partyschaltung), anstatt sich wie geplant an den CO2-Sensoren zu orientieren. Also eine banale Fehlschaltung mit signifikanten Konsequenzen für den Energieverbrauch, da das Anlagenkonzept bei der Pfuhler Straße 10-14 zudem keine zentrale Wärmerückgewinnung der Abluft vorsieht. Der Fehler ist inzwischen erkannt und behoben, jedoch demonstriert dieses Malheur, welche immensen Folgen allein eine falsche Schalterstellung bewirken kann. Insgesamt gesehen zeichnet sich ab, dass die gemessene energetische Bilanz beim Gebäudetechnikkonzept der Pfuhler Str. 4-8 sogar ca. 20-30 % günstiger ausfällt als in den Berechnungen zuvor kalkuliert. Zurückzuführen ist dies u. a. auf die hohen Erträge der PV-Anlage auf dem Dach.

Was sich aus den Effizienzhaus-Sanierungen lernen lässt

Nachdem die Probleme bei der Einregulierung inzwischen behoben und auch eine weitere Verlustquelle infolge einer undichten Erdsonde erkannt wurden, darf man davon ausgehen, dass sich auch bei der Pfuhler Straße 10-14 künftig eine deutlich ausgeglichenere Bilanz abzeichnet. Es ist trotzdem zu vermuten, dass das energetische Konzept der Hausnummern 4-8 bilanziell besser abschneidet und dass es insgesamt weniger Probleme hinsichtlich der Kinderkrankheiten und bei der Einregulierung hervorbrachte. Allerdings sind für eine abschließende Bewertung auch die klimatischen Randbedingungen in und außerhalb der Gebäude heranzuziehen sowie die Zufriedenheit der Nutzer. Hierzu wird der abschließende Bericht Aufschluss geben.

Ergo – was lernt man nun daraus? Das Fraunhofer Institut für Bauphysik (IBP) in Stuttgart, das unter der Leitung von Hans Erhorn eine Querauswertung aller 36 Projekte des Effizienzhaus Plus-Modellvorhabens vorgenommen hat, kommt in seinem Abschlussbericht [4] trotz vieler Missstände zu einem sehr positiven Fazit, denn: Von den zwölf Projekten, die die zweijährige Messphase bereits durchlaufen haben, ist nur eines »durchgefallen« – alle anderen haben den Effizienzhaus-Plus-Standard auch in der Praxis erreicht. Allerdings lag bei allen Projekten aufgrund von Ineffizienzen bei der Anlagentechnik und einem durchweg höheren Stromverbrauch für Haushalt und Beleuchtung der Endenergieverbrauch höher als berechnet. Es zeigte sich auch, dass eine zweijährige Einregulierungsphase einzukalkulieren und viel Kommunikation unter allen Beteiligten vonnöten ist, bis sich die Verbrauchswerte einigermaßen an die Rechenwerte angleichen.


Standort: Pfuhler Straße, 89 231 Neu-Ulm

Bauherr: NUWOG, Wohnungsgesellschaft der Stadt Neu-Ulm

Baujahr: 1938, Einweihung nach Sanierung: Mai 2016


Weitere Informationen:

[1] S. dazu auch db 5/2018, S. 56 ff. sowie db 8/2018, Rubrik Energie

[2] S. auch die Anerkennung beim Wettbewerb »Respekt und Perspektive« in db-Metamorphose 12/2016, S. 122/123

[3] www.e3d.rwth-aachen.de/cms/E3D/Forschung/Projekte/~jtor/EPA-Neu-Ulm/

[4] Hans Erhorn und Antje Bergmann, Energieeffizienter Neubau von Wohngebäuden – Begleitforschung und Querauswertung von Modellvorhaben (Phase 2), IBP-Bericht WB 175/2015, Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP, Stuttgart

Einen ausführlichen Bericht über das  Effizienzhaus von 05 Architekten finden Sie hier


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