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Subtile Virtuosität

Schulhaus in Zürich-Unterstrass
Subtile Virtuosität

Subtile Virtuosität
Bild: Walter Mair, Zürich

Nach achtzig Jahren erhielt das Zürcher Schulhaus Milchbuck durch B.E.R.G. Architekten die lange fällige Auffrischung und Erneuerung. Die gut erhaltene Gebäudestruktur ist nun fit für zeitgemäße Unterrichtsformen. Ein ausgeklügeltes Farbkonzept verbindet die Klassenzimmer untereinander.

Der Milchbucksattel teilt als Passübergang das Zürich des Limmattals von jenem im Glattal. Oben, auf der Kuppe, thront weitherum sichtbar das Schulhaus Milchbuck. Deutlich höher als alle umgebenden Wohnhäuser dominiert es das Quartier zwischen Zürich- und Käferberg. Die Anlage ist streng symmetrisch aufgebaut und umfasst neben dem Hauptgebäude zwei flankierende Turnhallen, die einen großen Pausenhof einrahmen. Entworfen wurde das Schulhaus von Architekt Albert Froelich, der sein Wettbewerbsprojekt von 1918 jedoch erst zehn Jahre später ausführen konnte. Umfassende städtebauliche Planungen im ganzen Milchbuckgebiet und finanzielle Engpässe nach dem Ersten Weltkrieg verzögerten den Bau. Als das Schulhaus 1930 eingeweiht wurde, galt seine neoklassizistische Monumentalität bereits als heillos veraltet und Froelich musste von seinen Kollegen viel Kritik einstecken. Dennoch oder gerade deswegen ist das Schulhaus Milchbuck mitsamt seinen imposanten Außen- anlagen im Inventar der schützenswerten Bauten von kommunaler Bedeutung eingetragen.

Viel Raum für Bildung

In den achtzig Jahren seit seiner Erstellung ist am Schulhaus nur wenig verändert worden. Die Bausubstanz war deshalb noch weitgehend erhalten, allerdings in stark gealtertem Zustand. Um das Gebäude den aktuellen Anforderungen an Schulbetrieb, Haustechnik und Energieverbrauch anzupassen, wurde der Klassentrakt umfassend saniert und umgebaut. Das ortsansässige Büro B.E.R.G. Architekten erkannte das Potenzial der vorhandenen Gebäudestruktur und nutzte deren Qualitäten für den Umbau. Eine mittig über die ganze Länge des Klassentraktes reichende Wand teilt den Grundriss in eine gleichgroße Zimmer- und eine Erschließungszone. In der Zimmerschicht konnten die Trennwände so versetzt werden, dass es nun zwar weniger, dafür aber deutlich größere Klassenräume gibt. Mit ihren achtzig Quadratmetern bieten sie den nötigen Platz um unterschiedliche Aktivitäten oder Lehrmethoden parallel nebeneinander stattfinden zu lassen. Alle Zimmer sind jetzt auch untereinander verbunden, wodurch der klassenübergreifende Unterricht ermöglicht und gefördert wird. Von außergewöhnlicher Großzügigkeit bleiben die Erschließungsbereiche, die mit konventionellen Schulhauskorridoren nicht verglichen werden können. Sie sind mehr als reine Verkehrsflächen und bieten echte Aufenthaltsqualität für die Pausen. Freistehende, kombiniert als Garderobe oder Sitzgelegenheit nutzbare Möbel stehen auf dem ursprünglich belassenen Klinkerboden und gliedern die großen Flächen in verschiedene Zonen, ohne den räumlichen Gesamtzusammenhang zu stören.

Aus den Lehrerzimmern, die vor dem Umbau genau in der Symmetrieachse des Klassentraktes in den beiden Obergeschossen die Schulbereiche Milchbuck A und B voneinander trennten, sind Schülerzimmer geworden; die unter Schutz stehende Holzverkleidung konnte dabei erhalten bleiben. Auf einfache Weise wird damit die geforderte Durchlässigkeit in jenen Stockwerken erreicht, und die Schülerinnen und Schüler erhielten noch einen zusätzlichen Aufenthaltsraum.

Feines Gespür für Oberflächen

In allen Innenräumen sind die Oberflächen sorgfältig aufgefrischt und ergänzt worden; besonderes Augenmerk galt der Rekonstruktion der, für die Erstellungszeit typischen, textilen Strukturgewebe als Wandbelag. Ein Farbbefund in den Erschließungszonen bildete die Ausgangslage für ein fein abgestimmtes Farbkonzept. In den Schulzimmern wird damit etwa die neue Durchgängigkeit thematisiert: Von Raum zu Raum wechseln sich die hellen Farbtöne von Sockel und Wand in einer logischen Abfolge ab. Das Konzept ist jedoch keineswegs aufdringlich oder didaktisch und nur nebenbei bemerkt man beim Übertritt von einem Zimmer in das nächste, dass jedes einen anderen Farbcharakter hat.

 

Argumentieren statt auswählen:

Der Weg zur „richtigen“ Farbe ist ein langer Prozess

Caspar Schärer Von außen ist dem Schulhaus Milchbuck nicht auf Anhieb anzusehen, dass dort Farben ein wichtiges Thema sein könnten. Im Inneren allerdings sind sie überall präsent, mal intensiv, mal nur als Hauch. Jeder Raum ist anders, und doch schwingt eine einheitliche Farbstimmung durch das ganze Schulhaus.

Nach einem ersten Rundgang wird klar, dass lediglich die vier Farben Blau, Rot, Gelb und Grün verwendet wurden, dies jedoch mit einer bemerkenswerten Virtuosität und Präzision. Tatsächlich waren Farben bereits vor dem Umbau da: In den Hallen-Korridoren gab es eine Grundfarbigkeit in Ölfarben, die in den achtzig Jahren seit der Erstellung kaum übermalt wurde. Für das Projekt zogen B.E.R.G. Architekten den Farbgestalter Beat Soller hinzu, mit dem sie eine jahrelange, intensive Zusammenarbeit verbindet. Soller untersuchte die alten Ölfarben und fand so den Originalcolorit heraus. Ein schlüssiges ursprüngliches Farbkonzept hingegen ließ sich nicht ermitteln, einzig eine mehr oder weniger grundsätzliche Beschränkung der Farbigkeit auf die Erschließungsbereiche. Die Schulzimmer waren generell neutral weiß gestrichen.

Das Projekt sah nun vor, genau das zu ändern. Indem die Zimmer untereinander mit neuen Türen zu einer Enfilade verbunden werden, verlieren sie ihren Charakter als in sich abgeschlossene Räume. Die neue Raumfolge reicht in den Regelgeschossen über zehn Zimmer. Jedes Zimmer bleibt eine Einheit, ist jetzt aber zugleich Teil eines größeren Ganzen. Über die Farbe soll diese neue Qualität dargestellt werden. Die Wände der Schulzimmer werden dafür in drei horizontale, farblich voneinander abgesetzte Zonen unterteilt: Die unterste Zone auf Augenhöhe reicht bis zum Türsturz, darüber folgt ein etwa halb so hoher Streifen und dann zuoberst eine schmale, der Decke zugeordnete Zone, die stets weiß bleibt. Ein ausgeklügeltes System stellt nun die Verbindung zwischen zwei benachbarten Räumen her: Die Farbe der unteren Zone erscheint im nächsten Raum im mittleren Streifen, während unten eine dritte Farbe auftaucht, die dann im nächsten Raum wiederum in der Mitte erscheint, usw.

Die vier Grundfarben der Schulzimmer – hinzu kommen weitere Farbklänge in den Erschließungsbereichen – stammen aus keinem bekannten Farbtopf und sind auch in keinem Farbstandard zu definieren. Sie wurden nicht ausge- sucht, sondern in einem langen Prozess gefunden, betont Beat Soller. Gemeinsam mit den Architekten und der Bauherrschaft näherte er sich Stück für Stück einzelnen Farbwelten an. Als Ausgangslage dienten die im Befund ermittelten Originalfarben aus den Zwanzigerjahren; doch schnell stellte sich heraus, dass eine solche Intensität für die Schulzimmer nicht gewünscht war. Die Farbtöne wurden laufend heller, Soller mischte Muster um Muster, besprach sie mit den Architekten, argumentierte aus seiner Sicht als Experte und berücksichtigte gleichzeitig deren Anliegen. So erreichte er eine Bearbeitungstiefe, die mit einem Farbstandard nicht möglich gewesen wäre. Alle Farbmuster mischte Soller individuell und übergab sie anschließend einem Hersteller, der über eine Analyse das exakte Mischungsverhältnis ermittelte. Die Kessel mit den so erzeugten Farben gingen dann direkt an die Maler auf der Baustelle. Verwendet wurden dabei nur Produkte mit einer möglichst geringen Umweltbelastung. In den Erschließungszonen, wo denkmalpflegerische Ansprüche zu erfüllen waren, kamen emulgierte Ölfarben zum Einsatz, die man ausschließlich mit Bürste und Pinsel aufbrachte. In den Schulzimmern wurde mit einer hochwertigen Dispersion gearbeitet.

Dem sanierten und umgebauten Schulhaus Milchbuck ist der intensive Prozess der Farbfindung anzusehen, oder besser: Er ist spürbar, in Art und Weise, wie die Farben präsent sind und sich zugleich zurücknehmen, wie sie die Innenräume prägen und doch nur beiläufig wahrgenommen werden.

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