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Studentisches Wohnhochhaus in München

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Studentisches Wohnhochhaus in München

Die Arbeit zeigt, wie sich baulicher Bestand einfühlsam und doch eigenständig weiterentwickeln lässt. Das prägnante außenliegende Tragwerk eines Hochhauses im Münchner Olympiadorf verschwand zwar hinter Wärmedämmung, wurde aber anschließend wieder in freier Interpretation nachempfunden – mithilfe neuer Betonelemente, die jetzt vor der Fassade hängen. Den Charakter des 70er-Jahre-Baus hat das Büro knerer und lang dadurch weitgehend erhalten. Die Relevanz dieses Projekts liegt in seinem respektvollen Umgang mit dem unpopulären Erbe der Boomjahre, die uns den größten Anteil des heute vorhandenen Baubestands beschert haben.

{Text: Claudia Hildner

Die Olympischen Spiele von 1972 brachten auch architektonisch frischen Wind nach München. Längst genießen die Bauten, die ganz den Aufbruchsgeist der damaligen Zeit atmen, Denkmal- oder Ensembleschutz und dienen neuen Zwecken. Das Hochhaus von Günther Eckert am Helene-Mayer-Ring 7 etwa, einst Unterkunft für die Sportler, beherbergt seit Ende der Spiele Studentenwohnungen. Wie bei vielen Bauten jener Jahre hatte sein Architekt auf ein außenliegendes Tragwerk gesetzt, das die Fassaden gliederte: Loggien aus Beton rahmten jedes einzelne der 801 Apartments ein und machten es auf der Außenhaut des Gebäudes ablesbar. Die Lasten aus den Geschossdecken werden von Unterzügen gesammelt und über die gestapelten Loggienfertigteile im Fassadenbereich abgetragen – das Innere des Hochhauses blieb dadurch stützenfrei.
Loggien umgedeutet
Kehrseite dieser Flexibilität im Inneren waren durchlaufende Anschlüsse nach außen und damit schwere Wärmeverluste. Auch der Brandschutz bereitete Probleme; die bestehenden Loggienbrüstungen aus glasfaserverstärktem Kunststoff sind aus heutiger Sicht nicht mehr zulässig, da brennbar. Als sich das Dresdner Architekturbüro knerer und lang nun an eine Modernisierung des Gebäudes machte, standen die Freisitze also gleich aus mehreren Gründen zur Disposition. Gegen den hohen Aufwand, den ein Erhalt mit sich gebracht hätte, sprach v. a. auch die spärliche Nutzung der Loggien durch die Studenten – und die verlockende Alternative, den Außenraum der Wohnfläche den Apartments zuzuschlagen. Planer und Bauherr entschieden sich daher dafür, das Gebäude samt der Freisitze in eine gedämmte Hülle zu stecken. Dadurch vergrößert sich die reine Wohnfläche von 11,66 auf 14,12 m² und entspricht damit der Richtlinie für die Förderung von Wohnraum für Studierende, die einen Individualraum von mindestens 13 m² vorschreibt. Den Verlust der »ehrlichen Haut«, die das Hochhaus bisher ausgezeichnet hatte, machten die Architekten mit einer Konzentration auf die anderen Hauptmerkmale des ensemblegeschützten Baus wett: Der Einsatz modularer Systeme, die Plastizität der Fassade und die Verwendung roher Materialen prägen auch das neue Erscheinungsbild.
Zunächst wurden alle Betonbauteile – auch die neuen Brüstungen, die die ehemaligen Loggien nun abschließen – mit Mineralwolledämmplatten versehen. In die raumbreiten Öffnungen darüber wurden Schwingflügelfenster in der maximal zulässigen Größe gesetzt. Die Tiefenwirkung der ursprünglichen Erscheinung sollte auch nach der Modernisierung noch spürbar bleiben: Daher ließen die Architekten auf die gedämmte Fassade L-förmige Leichtbetonteile montieren, die die einzelnen Raumeinheiten – wie zuvor die Loggien – rahmen. Die Elemente sind sowohl horizontal als auch vertikal auf je einer Seite nach außen hin abgeschrägt. Aus dem richtigen Blickwinkel wirken die Fenster durch die optische Verzerrung stärker zurückversetzt, als sie tatsächlich sind. Abschließend wurde ein neues Brüstungselement aus Aluminium montiert, das etwas vor der Fensterebene sitzt und die Plastizität der Fassade zusätzlich betont. Mit seinen x-förmigen Sicken lässt es ein Gestaltungsmerkmal der entfernten alten Kunststoffbrüstungen in modifizierter Form wieder aufleben.
Mehr Komfort
Im Gebäudeinneren ging es vor allem um die Modernisierung der Technik und die Verbesserung der Wohnbedingungen für die Studenten. Das Budget verlangte dabei gewisse Einschränkungen, sodass knerer und lang beschlossen, bei den Erschließungsbereichen zu sparen und die Aufmerksamkeit der Ausstattung der Apartments zu widmen. Da die Trennwände nicht mehr den aktuellen Anforderungen an den Schallschutz gerecht wurden, ließen die Architekten alle Einbauten im Inneren entfernen. Eine biegeweiche, gedämmte Unterhangdecke, ein neu eingebauter schwimmender Estrich sowie neue Zwischenwände sorgen für mehr Ruhe in den dicht gepackten Unterkünften. Jede Wohneinheit funktioniert laut Thomas Knerer ähnlich wie ein »5-Zimmer-Apartment«: Die einzelnen Bereiche sind klar zoniert in Flur, Badzelle, Küche, Schlaf- und Arbeitsplatz. Die neutralen weißen Möbel, in die u. a. ein klappbarer Esstisch integriert ist, sind maßgefertigt und auf die Bedürfnisse der Studenten hin optimiert. Als Bodenbelag wurde Kautschuk gewählt; wie auch das Orientierungssystem im Gebäude und Teile der Zimmerausstattung greift er einen Blauton aus der Farbpalette auf, die Otl Aicher für die Olympischen Spiele 1972 eigens entwickelt hatte.
Durch den Umbau hat sich der Komfort deutlich gesteigert und die Heizkosten für die Studenten sind gesunken. Heute erreicht das Wohnhochhaus, das mit Mitteln des Freistaates Bayern und als KfW-Effizienzhaus 100 gefördert wurde, einen Primärenergiebedarf von 12,68 kWh/m²a und einen Endenergiebedarf von 53,6 kWh/m²a. Natürlich bleibt die Frage, ob die Abbildung einer ehemals »ehrlichen Konstruktion« als »Ornament« auf einer wärmegedämmten Hülle architektonisch sinnvoll ist. Doch gerade bei den Bauten der 70er Jahre sind solche einschneidenden Schritte wohl nötig, um sie in ihrer charakteristischen Erscheinung – und der ihr innewohnenden Wucht – im Stadtbild erhalten zu können. •
Standort: Helene-Mayer-Ring 7, 80809 München
Auftraggeber: Studentenwerk München
Architektur: knerer und lang Architekten, Dresden
HLS-Planung: Konrad Huber, München
Energieplanung: Ingenieure Süd, München
Jahresprimärenergiebedarf: 12,68 kWh/m²a
Jahresendenergiebedarf: 53,60 kWh/m²a
Baukosten: ca. 46,1 Mio. Euro brutto

München (S. 100)

 

knerer und lang
Thomas Knerer
1963 geboren. 1984-91 Studium in München und London. Seit 1993 Büro mit Eva Maria Lang in Dresden. 1999-2008 Professur an der WHZ in Zwickau. Seit 2012 im Gestaltungs- und Planungsbeirat Ingolstadt.
Eva Maria Lang
1964 geboren. 1985-91 Studium an der TU München. 1991-93 Büromitarbeit, seit 1993 Büro mit Thomas Knerer. 1994-2001 Lehrauftrag an der TU Dresden. Seit 2013 im Gestaltungs- und Planungsbeirat Halle.
Alexander Pötzsch
1976 geboren. 2003 Abschluss an der TU Dresden. Freie Mitarbeit in mehreren Büros, Lehrtätigkeit. 2007-13 Mitarbeit als Partner bei zanderarchitekten. Seit 2014 in der Geschäftsführung bei knerer und lang.
Claudia Hildner
s. db 12/2013, S. 129
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