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Kontinuität in Klinker

Bestattungsforum in Hamburg
Kontinuität in Klinker

Nach 80 Jahren Nutzung bedurfte das »Neue Krematorium« von Fritz Schumacher im Hamburger Stadtteil Ohlsdorf einer grundlegenden Instandsetzung und Erweiterung. Mit einem eigens gebrannten Klinker, der dem Original sehr nahe kommt, gelang es Dohse Architekten und tsj architekten, eine Brücke zwischen Alt und Neu zu schlagen und die Eigenständigkeit der beiden Gebäudeteile dennoch zu erhalten.

{Text: Claas Gefroi

405 ha, 400 000 Grabstellen – der Ohlsdorfer Friedhof ist eine Begräbnisstätte der Superlative. Auch Ortskundige verlaufen sich in dieser 1877 eröffneten Totenstadt in der Stadt, die zahlreiche architektonische Kostbarkeiten aufzuweisen hat. Eine der bedeutendsten ist das 1932 fertig gestellte »Neue Krematorium« von Fritz Schumacher – das letzte große Werk des berühmten Hamburger Stadtbaudirektors, bevor die Nationalsozialisten ihm das Amt nahmen. Es ist eine eindrucksvolle, symmetrische Anlage aus dunklem Klinker mit einer hohen Feierhalle, die von einem 70 Grad steilen Dach überwölbt wird, einem gewaltigen, turmartigen Rauchabzug und einer vorgelagerten, von Arkaden gesäumten Terrasse mit Treppenanlage. Trotz aller Monumentalität übt sich der Bau in seinem schlichten Klinkerkleid und dem dezenten Bauschmuck von Richard Kuöhl in nobler Zurückhaltung und stiller Würde. Ende der 60er Jahre wurde das Krematorium saniert, um Bauschäden zu beseitigen und die schlechte Akustik in der Feierhalle zu verbessern. Leider griff man dabei recht unsensibel ein – viel Altes wurde herausgerissen oder entstellt, das Neue wirkt aus heutiger Sicht billig und deplatziert. In den Jahrzehnten danach wurde das Gebäude nicht mehr gepflegt – es verfiel und wurde kaum noch genutzt, auch, weil die alte Technik die verschärften Immissionsrichtlinien nicht erfüllte. Schließlich zog man sogar den Abriss in Erwägung, doch das Denkmalschutzamt intervenierte und der Eigentümer, die städtische Hamburger Friedhöfe AÖR, beschloss eine grundlegende Sanierung und Erweiterung. Die Modernisierung durch Dohse Architekten aus Hamburg geschah unter dem Vorzeichen einer sorgfältigen Rekonstruktion, die Erweiterung durch tsj tönies schroeter jansen freie architekten, Lübeck, unter dem Credo einer möglichst bruchlosen Verbindung zwischen Altem und Neuem.
Instandsetzung Krematorium
Ursprünglich war für das Gesamtpaket aus Sanierung des Altbaus und Ergänzung durch zwei Flügelbauten eine Public-Private-Partnership-Lösung mit einem Generalübernehmer vorgesehen – alles andere als eine ideale Lösung für eine solch komplexe, anspruchsvolle Bauaufgabe. Immerhin wurde die delikate Instandsetzung und Modernisierung des alten Krematoriums ausgegliedert und Dohse Architekten erhielten so einen direkten Auftrag für ein Sanierungsgutachten und die anschließenden Arbeiten. Es wurde eine Erneuerung von Kopf bis Fuß. Die große Feierhalle wurde im Inneren denkmalgerecht rekonstruiert und modernisiert, indem die Planer nach Befund die alten farbigen Putze wiederherstellen, Wandbänke nachbauen und neue, akustisch wirksame Wandbekleidungen installieren ließen. Auch der völlig überformte Warteraum wurde seiner nachträglichen Einbauten entkleidet und auf weißen Putz und dunkles Holzfurnier reduziert, um die Wirkung der farbigen Bleiverglasungen zu erhöhen. Eine zweite kleinere Feierhalle wandelten die Architekten schließlich zu einem Kolumbarium um. Einer Sisyphosaufgabe glich die Instandsetzung der Gebäudehülle: Schadhafte oder überputzte Mauerwerksteile an den Wänden wurden mit Bestandsresten ausgebessert. Da diese Reste des Originalmaterials nicht ausreichten, beschloss man, einen neuen Stein zu brennen, der dem alten so weit wie möglich gleicht. Nach langen Versuchen, die richtige Mischung der Zuschläge zu erhalten, wurde schließlich ein Wittmunder Vollklinker gebrannt, der in seinem Farbspiel und seiner lebendigen Oberfläche vom historischen Original kaum zu unterscheiden ist.
Erweiterungsbauten
Doch die Hamburger Friedhöfe AÖR wünschte sich nicht nur ein modernisiertes Krematorium, sondern auch zusätzliche Räumlichkeiten für ein zeitgemäßes Bestattungsforum. Hierzu zählen interkonfessionelle Feierhallen und Abschiedsräume unterschiedlicher Größe, ein Gastronomiebereich, Büros, die Verstorbenenverwahrung und zahlreiche Technikräume. Die Symmetrie der Schumacher-Anlage achtend, entwarfen tsj architekten rückwärtige Flügelbauten, die, von der Vorderseite kaum zu bemerken, nun einen geschützten Innenhof umschließen, in dem u. a. die Anlieferung der Verstorbenen stattfindet. Der nördliche Flügel mit der Verstorbenenverwahrung ist den Blicken entzogen, während im südlichen Riegel die Feierhallen, Abschieds- und Gastronomieräume auf zwei Ebenen untergebracht wurden. Die Neubauten suchen die Verbindung zum ehrwürdigen Schumacher-Monument, sie sind eigenständig und bedrängen den Altbau dennoch nicht. Der neue Wittmunder Klinker, der schon beim Krematorium verwendet wurde, bekleidet auch hier die Fassaden und sorgt für Kontinuität. Aber großzügige Verglasungen und ein Sichtschutz aus Betonlamellen sprechen zugleich eine zeitgemäße Architektursprache. Die Feier-, Abschieds- und Gastronomieräume sind freundlich und hell. Ihre würdevolle Schlichtheit wird allerdings durch die nicht von tsj architekten ausgesuchte, zu verspielte Inneneinrichtung empfindlich beeinträchtigt. Doch das stört von außen nicht. Was bleibt, ist die wie selbstverständlich wirkende Verbindung eines vorbildlich sanierten Monuments mit einer zurückhaltenden, aber zeitgemäßen Erweiterung. Beide Teile fügen sich zu einer harmonischen Einheit. Möglich wurde sie erst durch den rötlichen, doppelt gebrannten Stein.
Die größte Herausforderung war die Sanierung der Dachkonstruktion der großen Feierhalle. Die Architekten und das Denkmalschutzamt konnten anhand alter Fotos ermitteln, dass die vorgefundene Kupfereindeckung erst nachträglich installiert worden war. Um den monolithischen Charakter der Anlage zu erhöhen, hatte Fritz Schumacher ursprünglich nicht nur die Seitenwände, sondern auch die Dachflächen mit Klinkern verkleiden lassen. Die Halle selbst wird von sechs parabelförmigen Stahlbetonbindern und gemauerten Seitenwänden gebildet. Ein 120 cm hoher Ringbalken geht dann über in die steile Dachfläche, deren Decke ganze 12 cm stark ist. Die Mauerwerkshülle ohne Dehnfugen überdeckte die Stahlbetonkonstruktion hauchzart mit nur einem halben Stein Sichtmauerwerk, also 11 cm. Die fehlenden Dehnfugen in Decken- und Giebelflächen führten durch Bauteilbewegungen zu Rissen in den Mörtelfugen, in die Pflanzenwurzeln, Wasser und damit auch der Frost eindrangen und über die Jahre zu immer stärkeren Schäden führten. Daraufhin wurden im Rahmen der Sanierung von 1966 eine (bald auch schon wieder undichte) Dachhaut aus Holzschalung, Trennlage und Kupferdeckung aufgetragen. Mit dieser einschneidenden Veränderung am Erscheinungsbild des Bauwerks wollte sich das Denkmalschutzamt nicht abfinden und so beschloss man im Zuge der neuerlichen Instandsetzung die Wiederherstellung des Ziegeldachs mit den heutigen Mitteln der Bautechnik. Das Hauptproblem hierbei: Verblendmauerwerk ist für schräge Dachflächen nur bedingt geeignet. Deshalb entschieden sich Dohse Architekten für eine Kombination aus kunststoffmodifizierter Bitumendickbeschichtung (KMB) als wasserführende Abdichtungsebene sowie einer Kerndämmungslösung aus untereinander versiegelten Beton-Fertigteilelementen, da eine echte Mauerwerksverkleidung zu viele Verankerungen und damit zu häufige Durchdringungen der Abdichtungen bedeutet hätten. Auf den Fertigteilen befinden sich Klinkerriemchen aus dem rekonstruierten Stein. Angesichts der Entfernung zum Betrachter ist dies ein Kompromiss, mit dem man gut leben kann. •
Standort: Fuhlsbüttler Straße 756, 22337 Hamburg
Auftraggeber: Hamburger Friedhöfe AöR, www.friedhof-hamburg.de
Architektur Instandsetzung: Dohse Architekten, Hamburg, www.dohse-architekten.de
Architektur Erweiterung: tönies chroeter jansen freie architekten, Lübeck, www.tsj-architekten.de
Tragwerksplanung Instandsetzung: Otto und Lossien, Lasbek, www.ingbuero-otto.de
Tragwerksplanung Erweiterung: WEISKE + Partner Beratende Ingenieure, Berlin, www.weiske-partner.de
Generalunternehmer: BAM Deutschland AG, Stuttgart,
Nutzfläche: 2 880 m²
Bruttogrundfläche: 4 896 m²
Bruttorauminhalt: 19 584 m³
Baukosten: 13,4 Mio. Euro
Beteiligte Firmen:
Ziegelsteine: Wittmunder Vollklinker, Farbspiel Mustertafel 1808/1904, Schumacher Sondersortierung, Oldenburger Format, Klinkerwerke Wittmund, Wittmund,
Fugenmörtel: Restauriermörtel SK weich, Remmers Baustoff- technik, Löningen, www.remmers.de
Betonfertigteile Dach: IBF Industrielle Beton-Fertigteile, Hamburg, www.ibf-beton.de
weitere Informationen unter www.db-metamorphose.de

Hamburg (S. 114)

Dohse Architekten
Carsten Dohse
1979-87 Architekturstudium an der HfbK Hamburg. 1988-89 Mitarbeit im Büro Geelhar, Kaltenkirchen. 1989-2000 freie Mitarbeit im Büro Planerkollektiv. 1992 Planungsgemeinschaft Dohse – Windelen. 1993-2001 und ab 2009 Büro Dohse Architekten. 2001-08 Dohse + Stich Architekten. 2004-05 Ausbildung zum Sachverständigen für Schäden an Gebäuden.
tönies + schroeter + jansen freie architekten gmbh
Thomas Jansen
1941 in Lübeck geboren. 1964-70 Architekturstudium an der TU Braunschweig. 1970-75 Tätigkeit bei Henn und Wiechmann Architekten, Braunschweig. 1976-78 Büroleitung bei Henn und Voss Architekten, Braunschweig. 1978-81 Büroleitung bei Architekt Dr. Jüchser, Haale. Seit 1982 Partnerschaft mit Architekten Tönies und Schroeter, Lübeck/Berlin, seit 1992 als Geschäftsführender Gesellschafter.
Claas Gefroi
s. … in die Jahre gekommen
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