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Schwarz gekleidet

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Schwarz gekleidet

Von anthrazit bis schwarz, von Putz über Beton bis Schiefer – geht man durch die Straßen der Städte wird man seit einigen Jahren zunehmend dunkler Gebäude gewahr. Nach farbigen Fassaden wagen sich immer mehr Gestalter offenbar auch auf die »dunkle Seite« der Fassadengestaltung. Ob etwa gar der bevorzugte Kleidungsstil der Architekten auf ihre Projekte abfärbt? Gedanken zu dunklen Fassaden und ebenso gewandeten Architekten.

Text: Bernhard Schulz

Die Chansonsängerin Juliette Gréco ist zeitlebens nur in Schwarz aufgetreten. Sie galt früh als »Muse der Existenzialisten«. Und die, wie man weiß, konnten sich etwas anderes als schwarze Kleidung nicht vorstellen. Außer den Existenzialisten, die eine eher zeitgebundene Erscheinung der Nachkriegsjahre waren, gibt es eine weitere Personengruppe, die Schwarz bevorzugt: die Architekten. Schwarz ist praktisch. Man steht nicht vor dem Kleiderschrank und muss überlegen, welches Kleidungsstück zu welcher Gelegenheit passen könnte. Schwarz passt immer. Dass auch die Brille, so denn benötigt, ein schwarzes Gestell besitzt, versteht sich von selbst. In der Regel ist sie rund, wie das »Corbu« vorgemacht hat, ebenso wie Hans Poelzig. Doch rund ist weniger charakteristisch als schwarz, denn das Gestell darf – jedenfalls heutzutage – auch eckig sein. Aber nie anders als schwarz.
So weit, so gut: Das mögen private Vorlieben oder eher Marotten sein. An den Kleidern sollt ihr sie erkennen. Neuerdings aber erkennen wir sie, die Architekten, auch an einem rapide zunehmenden Prozentsatz schwarzer Bauten. Sagen wir: von anthrazit bis schwarz. Auf jeden Fall dunkel. Nicht wenigen unbescholtenen Zeitgenossen erscheint das Dunkel eher als düster. Als Verdüsterung. Und mittlerweile hat es bereits manchen Protest fassungsloser Anwohner gegeben, als ihnen ein vor dem zuständigen Bauausschuss noch recht hellhäutiges Gebäude in vollendetem Zustand tiefdunkel entgegentrat.
Farbtendenzen
Der Trend zu Farbe und Farbigkeit hingegen, immer wieder einmal ausgerufen, ist im Bauwesen nie wirklich stabil. Legendär sind die Farbexperimente nach dem Ersten Weltkrieg, angeregt und begünstigt durch den Expressionismus. Bruno Taut wollte mit der Farbe »den Bauten ihren Charakter zurückgeben«. Dabei war es wohl eher so, dass die Bauten durch und mit der Farbe ihren unverwechselbaren Charakter erst erhielten. Das ist auch heute der Fall, beispielsweise bei den nach ausgefuchsten Konzepten farbig gestalteten Bauten von Sauerbruch Hutton.
Farbe ist schwierig; schon gar Mehrfarbigkeit. Sie beansprucht nicht nur Raum, um ihre Wirkung zu entfalten, sondern auch so etwas wie einen Resonanzboden. Einen nicht-farbigen Hintergrund. Eine Umgebung, vor der sie Kür laufen kann. Vielleicht erklärt sich die neuerdings steigende Beliebtheit des Schwarz‘ daraus, dass es in der Regel zwar eine sich abhebende Farbe ist aber eben auch eine Nicht-Farbe. Eine, die mit ihrer Nachbarschaft nicht oder nur wenig in Konflikt gerät.
Schwarz ist nicht einfach der Gegensatz zur Farbe, zur Farbe im Sinne einer bewusst gesetzten Farbigkeit. Auch das Schwarz hat meist nichts mit der einst von John Ruskin geforderten »Materialgerechtigkeit« zu tun. Die wenigsten Baustoffe sind schwarz; es sei denn die Schieferschindeln, mit denen die Häuser (nicht nur) im Siegerland bekleidet sind, oder die teergeschwärzten Balken alter Fachwerkhäuser. Materialgerecht heißt, Holz Holz und Ziegel Ziegel sein lassen, Sandstein Sandstein, und wenn er denn rot ist wie im Mainfränkischen oder grün wie im westfälischen Soest, dann ist die Farbe da, aber eine, die von Natur aus gegeben ist und sich gewissermaßen nicht erklären muss. Schwarz hingegen ist erklärungsbedürftig. Schwarz kann auf besondere Aufmerksamkeit rechnen und dementsprechend eingesetzt werden, wie bei dem inzwischen notorischen Neubau der bischöflichen Privatkapelle auf dem Limburger Domberg von Michael Frielinghaus. Schwarz kann ortstypisch sein, man denke an das weltberühmte Kunstmuseum in Ningbo, das Pritzker-Preisträger Wang Shu mit Ziegeln von Abrisshäusern errichtet hat. Und Schwarz kann den stillen Hintergrund bilden, vor dem sich Farbiges leuchtend abhebt.
Dezenz und Düsternis
In unseren Breitengraden, die mehr oder minder ein halbes Jahr lang mit Mangel an Licht und Helligkeit zu kämpfen haben, ist das absorbierende Schwarz nicht nur ein ästhetisches, sondern durchaus auch ein physiologisches Problem. Das mögen die protestierenden Anwohner intuitiv verspüren: die Furcht vor der Dunkelheit. Vor dem Mangel an Licht. Doch ist darüber von den Architekten des beliebigen schwarzen Bauens nichts zu hören. Sie hängen ihren Konstruktionen schwarze Fassaden vor, ob Stein- oder Aluminiumtapeten, ob matt oder glänzend; sie tauschen sogar, wie beim Berliner »Philips-Hochhaus«, eine silberne Raumschiff-Bekleidung gegen tonloses Schwarz aus, als die Generalsanierung anstand.
Interessanterweise stößt man durch den Wechsel der Fassade auf Gottfried Semper und seine »Bekleidungstheorie der Architektur«. Nicht dass Semper – kaum ist heute noch sein Name geläufig – eine Renaissance erlebte. Aber er hatte einen entwicklungsgeschichtlichen Zusammenhang, ja eine Abhängigkeit zwischen der menschlichen Notwendigkeit der Bekleidung und der Um- und Verhüllung der architektonischen Konstruktion postuliert. Und da wären wir wieder bei der Architekten-Liebe zur schwarzen Kleidung. Wie sich der Architekt selbst »behängt«, so auch seine Bauten. Ob die vermehrt auftretenden dunklen Fassaden als erstarktes Selbstbewusstsein der Architektenschaft oder doch eher als gemäßigt provokante Hervorhebung ihrer Projekte zu lesen ist, sei dahingestellt. Von einem Aufstand gegen die »weiße Moderne«, seit diese in die Architekturhistorie eingerückt ist, kann wohl jedoch kaum die Rede sein. Und ob »Weiße Moderne« oder vermeintliche »Neue Dunkelheit«, die Vorliebe für Kleidung, die immer passt und keine Umstände macht, hat Bestand. Und sie ist schwarz. •

Zum Thema (S. 17)
Bernhard Schulz
1953 in Berlin geboren. 1971-80 Studium der Politologie und VWL an der FU Berlin, später Kunstgeschichte. 1977-87 Kuratorentätigkeit in Berlin. Seit 1982 Kunstkritiker. Seit 1987 Redakteur im Kulturressort des Tagesspiegel, Berlin.
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