Von Stefan Koppelkamm. Mit einem Text von Ludger Derenthal. 224 Seiten, mit 100 Duoton-Abbildungen. Deutsch/Englisch. Gebunden, 48 Euro Edition Axel Menges, Stuttgart, 2006
Kurz nach dem Mauerfall konnte man Orte in Ostdeutschland finden, in denen die Zeit fast fünfzig Jahre stehen geblieben war. Damals hielt Stefan Koppelkamm alltägliche urbane Situationen mit der Kamera fest: trübselige, leblose Hinterlassenschaften mit sichtbaren Wunden – brüchigen Mauern und vermauerten Fenstern. Ein Jahrzehnt später besuchte Koppelkamm diese Orte erneut und dokumentierte die rasante Veränderung im deutschen Osten vom identischen Kamerastandort aus. Der morbide Charme ist geleckten Fassaden gewichen, kosmetisch bereinigt, doch ohne Patina.
In den meisten Fällen belegt das Vorher-Nachher der fotografischen Paare eine aufwändige Sanierung, wenn auch nicht immer zum Vorteil der Gebäude. Aber der Osten nutzte vielerorts die Chance, die der Westen fünfzig Jahre zuvor kaum hatte. Hier ergänzte man nicht nur einzelne Ornamente oder ganze Dachlandschaften, sondern auch schon mal ein halbes Haus. Rekonstruktion bedeutet aber nicht zwangsläufig einen Zuwachs an Substanz: Meist sind es die alten Schaufenster im Erdgeschoss mit ihren Einbauten, Gittern und Türen, die großen Glasflächen weichen mussten. So gerät der Vergleich zum Suchspiel, das einen auffordert, beim Vor- und Zurückblättern auch kleinste Korrekturen aufzuspüren.
Und dann sind da die Aufnahmen der Häuser, die nicht saniert wurden und in weiteren zehn Jahren wohl nicht mehr stehen werden: Koppelkamms konsequente und stilistisch geschlossene Dokumentation ist eine unerbittliche Bestandsaufnahme, ein eindringliches Zeugnis von zehn Jahren deutscher Geschichte und einfach ein wunderbarer Fotoband. Peter Struck
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