Das grosse Moskau, das es nie gab

~Dagmar Ruhnau

»Groß-Moskau« hieß ein Rekonstruktions- und Entwicklungsplan, der 1926 veröffentlicht wurde und nach dem umgehend die neue Hauptstadt umgebaut wurde. Schon 1932 allerdings wurde Josef Stalin ideologischer Leiter der neuen Einheits-Architektenvereinigung und brachte das avantgardistische Projekt zum Stillstand. Die geplante Stadtneuordnung, etwa durch großzügige Magistralen, wurde nur in Ansätzen realisiert und begonnene Straßenbauprojekte abgewandelt. Das ist einer der Gründe, warum viele der Bauten aus der kurzen konstruktivistischen Blütezeit in einem »seltsamen, peripheren Zwischenraum« (E. Shapiro-Obermair in ihrem Nachwort) stehen und man sich so viele Dinge dazudenken muss, um die Objekte zu erfassen oder auch überhaupt zu finden. In verschiedenen Aufsätzen versuchen die Autoren, junge russische Kultur- und Kunstwissenschaftler, durch die Ergänzung des Unsichtbaren die selbst recht rasant im Verschwinden begriffenen Bauten (neben Vernachlässigung und Immobilienspekulation auch wegen ihrer Baumaterialien: nicht aus avantgardistischem Stahlbeton, sondern aus Holz, Ziegelsteinen und Bauschutt) wieder ans Licht zu holen. Entstanden ist daraus ein kompaktes, sachkundiges, kurzweiliges Buch – auch eine Geschichte von 1925 ist enthalten, in der Bahnhöfe und Straßenbahnen, Universitäten und Studentenklubs einen Hintergrund dauernder Bewegung abgeben –, das die einzelnen, sowohl in Russisch als auch in Deutsch abgedruckten Beiträge durch gute Fotografien erhaltener Bauten sauber voneinander trennt. Diese Bauten sind durchnummeriert und im Anhang mit Übersichtskarte aufgeführt, so dass sich das Buch (in Verbindung mit einem detaillierten Stadtplan) gut als informativer Stadtführer eignet.