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Paulskirche. Ein Denkmal unter Druck – bis 16. Februar 2020

Ausstellung – bis 16. Februar 2020
Paulskirche. Ein Denkmal unter Druck

Paulskirche. Ein Denkmal unter Druck
DAM, Saal Paulskirche in Frankfurt a. M. 2019, Foto: Moritz Bernoully

~Bernhard Schulz

Die Frankfurter Paulskirche ist ins Gerede gekommen. Dass eine Grundsanierung nötig ist, steht außer Zweifel. Doch die Diskussion reicht tiefer. Die Gestaltung an sich, wie sie der Kirchenbaumeister Rudolf Schwarz 1948 verwirklichen konnte, findet mehr und mehr Kritik. Die Erinnerung an die Nationalversammlung von 1848/49, das nach seinem Sitzungsort benannte »Paulskirchenparlament«, sei, so die Kritik, im gegenwärtigen Zustand nicht gegeben. Manche fordern die Rückkehr zur Gestaltung vor der Kriegszerstörung im März 1944, als die Kirche im Innern mit Emporen versehen war, eine wesentlich niedrige Decke hatte und mit einem hoch aufragenden Dach versehen war.

Diese Forderung wird auch von der lokalen AfD erhoben, wodurch die Diskussion zu einer lokalpolitischen Auseinandersetzung geworden ist, die eine sachliche Erwägung der gegensätzlichen Positionen hinsichtlich der Denkmalpflege kaum noch zulässt.

In dieser Situation hat das Deutsche Architekturmuseum eine Ausstellung zur Baugeschichte der Paulskirche unter dem Titel »Ein Denkmal unter Druck« erarbeitet, die sich in wohltuender Sachlichkeit ganz auf die Fakten konzentriert. Das überhaupt erst 1833 fertiggestellte protestantische Gotteshaus kam 1848 aus rein praktischen Gründen zur Ehre, der Tagungsort des deutschen »Vorparlaments« zu werden: Es wies mit seinem ovalen Grundriss und der entsprechenden Anordnung der Sitzbänke eine quasi schon parlamentarische Ordnung auf. Nach dem erzwungenen Scheitern der Nationalstaatsbildung 1849 diente die Kirche wieder als Kirche, kam aber in der Zeit der Weimarer Republik stärker als Erinnerungsort der Demokratie zur Geltung,
u. a. durch das außen angebrachte Ebert-Denkmal, das die Nazis sogleich entfernen ließen.

Im März 1944 brannte die Kirche nach einem verheerenden Bombenangriff auf Frankfurt bis auf die Außenmauern aus. Die Diskussion um den Wiederaufbau begann bereits 1946, da sich Frankfurt Hoffnungen auf den Zuschlag im Rennen um die künftige Bundeshauptstadt machte. Rudolf Schwarz, nicht Sieger des ursprünglichen Wettbewerbs, wurde im Rahmen einer Arbeitsgemeinschaft beauftragt und baute nicht die alte Kirche wieder auf, sondern beließ den leeren Innenraum unter dem durch den Wegfall des einstigen Dachstuhls merklich höheren, nunmehr flach geneigten Dach. Vor allem fügte Schwarz ein niedriges Untergeschoss auf Höhe der Erdgeschossebene hinzu, durch das die Besucher fortan das Gebäude betraten, um durch seitliche Treppen in den eigentlichen Versammlungsraum aufzusteigen. Verstanden werden sollte diese Anordnung als Symbol des Weges, den das deutsche Volk aus dem Dunkel der Nazizeit zu den lichten Höhen der Demokratie zurückzulegen hatte.

Die nachkriegsbedingt karge Ausstattung der Paulskirche ist vielfach beklagt und durch nachfolgende Reparaturen nicht wirklich behoben worden. Dieter Barteztko, der allzu früh verstorbene langjährige Architekturkritiker der FAZ, hat das in seinem Buch über den Wiederaufbau von 1998 so ausgedrückt: »Ein gebändigter Furor der Reue, eine Art kaltes Fieber der Selbstbezichtigung nahm in der neu-alten Architektur der Paulskirche Gestalt an. Der tiefe Glaube des Rudolf Schwarz und das noch unverbrauchte und relativ unverdrängte Schuldbewusstsein der Deutschen fanden darin zueinander.«

Die Ausstellung des DAM zeigt das in Fotografien sowie zahlreichen Skizzen v. a. aus dem Nachlass von Schwarz‘ Mitarbeiter Johannes Krahn sowie durch eindrucksvolle Schwarz-Weiß-Fotos, die insbesondere die majestätische Leere der zerstörten Kirche hervortreten lassen. Später wurde, wie es unverblümt heißt, nur mehr »Kosmetik betrieben«. Dass bei einer weiteren Sanierung in den 80er Jahren ein neuer Orgelprospekt eingebaut wurde, dessen Entwurf von Hand der Schwarz-Witwe Maria Schwarz stammt, gehört zu den Fundsachen der Ausstellung. Schließlich kamen erstmals auf Dauer angelegte Fenster anstelle der bisherigen, provisorischen Lösungen zum Einsatz: Der mit Schwarz befreundet gewesene Wilhelm Buschulte schuf Grisaillefenster in der historischen Sprossenteilung.

Die unbefriedigende städtebauliche Situation der seit der Nachkriegszeit isoliert dastehenden Paulskirche konnte durch Wettbewerbe nicht verbessert werden. Dies aber wird jetzt virulent: Denn das geplante Demokratieforum soll in unmittelbarer Nachbarschaft, womöglich einem Neubau, geschaffen werden. Dass bei der anstehenden Generalsanierung die Rolle der Paulskirche als Erinnerungsort der ersten nationalstaatlichen, gesamtdeutschen Demokratie neu bedacht werden muss, dürfte Konsens sein, unabhängig davon, dass die weit überwiegende Mehrheit der Frankfurter Lokalpolitik an der Nachkriegsgestaltung der Paulskirche festhalten will. Sie ist selbst Denkmal geworden, Denkmal der kargen und bedrückten Jahre nach 1945.

Bis 16. Februar.
Paulskirche. Ein Denkmal unter Druck.
Deutsches Architekturmuseum, Schaumainkai 43, 60596 Frankfurt a. M.,
Di-So 11-18, Mi bis 20 Uhr.
www.dam-online.de

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