Wer Architektur sehen will, muss reisen. Wenn Architektur reisen soll, muss sie in den Briefkasten passen. Etwa 200 Versuche, diese Aussagen zu belegen, werden im Meisterhaus Schlemmer präsentiert. Medium sind Architekturpostkarten der Jahre 1919 bis 1939 aus der Sammlung von Bernd Dicke. Sie zeigen die Weißenhofsiedlung in Stuttgart, die Schocken-Kaufhäuser Erich Mendelsohns, das Bauhaus, Großsiedlungen, Krankenhäuser oder Messen im standardisierten Format 9 mal 14. Diese Aufzählung ließe sich um gotische Kathedralen, Bismarcktürme oder Nationaldenkmale erweitern, aber in den Kabinetten des Meisterhauses beschränkt man sich auf die Moderne. Die Bildpostkarte, so die These Rolf Sachsses im reich bebilderten und äußerst lesenswerten Katalog, hat maßgeblich zur Durchsetzung der Moderne beigetragen. Billig in der Herstellung und massenhaft aufgelegt wird sie zur Mittlerin der neuen Architekturströmung. Architekten wie Firmen fertigen Postkarten zu Werbezwecken, an und von den Bauausstellungen in Stuttgart oder Breslau oder der »Pressa« in Köln nehmen die Besucher gleich ein Dutzend zum Leporello gebundene Karten mit nach Hause.
Die wenigsten der ausgestellten Karten sind je verschickt worden, hier einmal ein Stempel auf der Bildseite, dort den weißen Rand um eines der Meisterhäuser genutzt, um den Muskelkater mitzuteilen. Die meisten haben nie einen Briefkasten von innen gesehen, sondern wanderten als Erinnerungsträger in die Taschen der Besucher. So kam die Architektur zum Reisen – wenn auch auf nicht vorgeschriebenem Weg – und das Bild vom Neuen Bauen kam in die Köpfe und Postkartensammlungen. Christoph Tempel
Bis 6. Juni, Stiftung Bauhaus Dessau im Meisterhaus Schlemmer, Ebertallee 67; Di – So 10 – 18 Uhr
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Trockene Socken
