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Zukunft des Deutschen kirchenbaus

teilvitalisierender abriss als alternative zum totalverlust
Zukunft des Deutschen kirchenbaus

Die Situation ist seit Jahren bekannt und hat doch nicht an Relevanz verloren: Die Zahl der Kirchenmitglieder geht zurück, Kirchen werden geschlossen, verkauft oder sogar abgerissen. Ein »vitalisierender Teilanriss« mit anschließendem Um- und Neubau könnte eine gelungene Alternative zum Abriss darstellen.

  • Architekten Dornbuschkirche: Meixner, Schlüter, Wendt; Markuskirche: Pfeifer Kuhn Architekten Tragwerksplanung Dornbuschkirche: Büro für Baustatik Hans Gruhn; Markuskirche: Bollinger und Grohmann
  • Text: Walter Zahner Fotos Dornbuschkirche: Christoph Kraneburg; Markuskirche: Ruedi Walti
Derzeit gibt es in Deutschland etwa 50 000 katholische und evangelische Kirchenbauten. Für ihren Erhalt wenden die beiden großen Kirchen erhebliche Summen auf. Einer Berechnung der katholischen Deutschen Bischofskonferenz zufolge sind es für ihre Bauwerke 400 Mio Euro jährlich.
Grob gerechnet wurde mindestens ein Fünftel dieser Kirchengebäude nach dem Zweiten Weltkrieg erbaut. Bedingt durch die Kriegszerstörungen, vor allem aber auch angesichts der Bevölkerungswanderung entstanden sie als Teil des Wiederaufbaus, oftmals aus der Notwendigkeit heraus, zu groß gewordene Kirchengemeinden aufzuteilen. Die Mehrzahl dieser Kirchen steht somit an den Rändern der Innenstädte oder in Stadterweiterungsgebieten. Unter den deutschen Kirchenbauten der fünfziger und sechziger Jahre finden wir, mit G. E. Kidder-Smith gesprochen, die schönsten, aber auch die am wenigsten gelungenen Bauwerke in Europa. Bei einer Vielzahl dieser Kirchen gibt es inzwischen erheblichen Renovierungsbedarf; einige von ihnen stehen zur Disposition.
Seit Mitte der achtziger Jahre diskutieren Vertreter der evangelischen Kirche, zuerst in Berlin im Rahmen der gleichnamigen Gespräche (ab 1987) zwischen staatlicher Denkmalpflege, universitärer Lehre und der zuständigen Landeskirche, später im Rahmen eines Forschungsauftrags am Institut für Kirchenbau und kirchliche Kunst der Gegenwart in Marburg, wie mit den zu groß gewordenen Kirchen (in Berlin beispielsweise denen der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert) umzugehen sei. Das Thema war zu diesem Zeitpunkt bereits seit längerer Zeit im europäischen Ausland, vor allem in Holland und England, von Belang. Dortige Erfahrungen von kultureller Umwidmung, Privatisierung, vom Verkauf auf dem freien Markt und Ähnlichem wurden aber nur bedingt ernst genommen und mussten hierzulande daher erneut gemacht werden. Seit dem Jahr 2000 wird diese Fragestellung auch von der Deutschen Bischofskonferenz behandelt. Wie für manche der evangelischen Landeskirchen liegt inzwischen ein offizielles Papier vor, das sich mit diesen Fragen auseinandersetzt.
Bedingt durch den Rückgang an Kirchenbesuchern sowie an Kirchensteuern, angesichts steter Austrittszahlen und immer weniger Geistlicher stehen beide Kirchen vor der Herausforderung, eine gewisse Zahl an Kirchengebäuden aufgeben zu müssen. Man rechnet bis zum Jahr 2015 auf katholischer Seite mit ca. drei Prozent des Bestands; das sind immerhin etwa 750 Kirchen. Besonders gefährdet sind hierbei die Bauten aus dem 20. Jahrhundert. ›
Welche Zukunft haben Kirchenbauten?
In den kirchlichen Denkschriften, Erlassen oder Orientierungshilfen wird berechtigterweise immer wieder davor gewarnt, vorschnell eine Kirche aufzugeben, ist mit ihr doch stets ein Teil des Glaubenslebens von Menschen verknüpft. Zugleich wird festgehalten, dass ein Abriss als ultima ratio denkbar und einer Übergabe in eine womöglich zweifelhafte Nutzung in jedem Fall vorzuziehen ist.
Selbstverständlich muss jeder Besitzer eines Gebäudes vor einer umfangreichen Renovierung prüfen, inwieweit eine anstehende Investition sinnvoll ist. Das steht auch jeder Landeskirche und jedem Bistum zu. Ob Kirchengebäude angesichts leerer Kassen allerdings beliebige Verfügungsmasse sind, ist doch sehr zu bezweifeln. Das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz hat bereits im Jahr 2000 in Erfurt darauf verwiesen, dass Kirchen auch eines Interesses der Allgemeinheit bedürfen, der Umgang mit ihnen eben nicht nur in der kirchlichen Öffentlichkeit diskutiert werden darf. Vorgebrachte, noch weitergehende Forderungen, kirchliche Gebäude deswegen der Verfügungsgewalt der Institution Kirche zu entziehen, gehen dann aber doch zu weit.
Wenn allerdings – wie bei St. Ursula in Hürth-Kalscheuren geschehen – statt der 50-Jahr-Feier mit einer selten großen Gemeinde eine so genannte Profanierungs- oder Entwidmungsfeierlichkeit begangen werden muss, ist dies für die Betroffenen sehr problematisch. – Gottfried Böhms Hürther Kirche, die seit 1993 unter Denkmalschutz steht, wird, wie bekannt, ›
› erhalten bleiben; wie es heißt, will der Käufer inzwischen einen Teil des Grundstücks gewinnbringend veräußern. Was allerdings tatsächlich aus dem Kirchenbau wird, ist offen.
Neben diesem extremen Bespiel sollen hier nun zwei gelungene Lösungen vorgestellt werden. Vielleicht geben sie Anregungen für zahlreiche Kirchen, deren Zukunft derzeit ungewiss ist. Denn allein im Bistum Essen werden seit Beginn des Jahres 2006 96 »weitere Kirchen« geführt. Das sind Kirchenbauten, die künftig vom Bistum keinerlei Zuschüsse für den Erhalt bekommen werden. Wohlgemerkt: Sie werden nicht mehr für den liturgischen Dienst benötigt, sie werden aber nicht abgerissen!
dornbuschkirche: Umbau als Rückbau
Die aktive Frankfurter Dornbuschgemeinde war immer kleiner geworden, der Kirchenbau, ein längsgerichteter Sechziger-Jahre-Bau, zusehends renovierungsbedürftig. Die mit einem Gutachten beauftragten Frankfurter Architekten Meixner Schlüter Wendt konnten nachweisen, dass letztlich eine Verkleinerung des Kirchenraums die sinnvollste Lösung darstellt. Durch den an den Altarraum anschließenden Gemeindesaal war auch nach dem Umbau bzw. Abriss eine Erweiterung des verbleibenden Kirchenraums für die wenigen Fälle im Jahr, zu denen das notwendig ist, möglich.
Ihr schließlich auch ausgeführter Plan sah vor, den gesamten überlangen Gemeinderaum abzureißen und die verkleinerte Gemeindeversammlung im ehemaligen Altarbereich zusammenkommen zu lassen. Das Besondere der Lösung ist die Gestaltung der neuen Wand. In diese schreiben die Architekten die Kubaturen der Dinge ein, die im alten Raum anwesend waren und nunmehr getilgt worden sind. So sind beispielsweise die Empore mit Tragkonstruktion, der Altar und das Taufbecken positiv bzw. negativ in der Wand ablesbar – das Alte bleibt zeichenhaft präsent, lässt dem Neuen aber völligen Freiraum. Was sich von der einen Seite in die zwei Meter dicke Mauer gräbt, ist auf der anderen als ausgestülpte Form sichtbar. Die Architekten haben sich hierbei durch Stanz- und Prägeformen von Verpackungen anregen lassen, bei denen sich die Form des Eingepackten als Negativform zeigt. Im Innern wird das Negativvolumen der Empore durch ein Oberlicht zu einem Lichtraum. Dieser verweist einerseits auf das Rückgebaute, andererseits auf die durch den Glauben ständige Anwesenheit Gottes.
Die Gemeinde gewinnt einen relativ hohen Versammlungsraum, der ganz nach Wunsch gestaltet werden kann. Der frei bewegliche Altar kann wie ehedem vor die alte Stirnwand, genauso gut aber auch vor das wandhohe Glasfenster gestellt und die Gemeinde neu um ihn gruppiert werden. Mit dem Rückbau hat die Gemeinde einen neuen liturgischen Raum erhalten, dessen herausragende Qualität die Gestaltungsmöglichkeit für die Versammlung ist.
Markuskirche: Umbau als Ausbau
In Frankfurt-Bockenheim wurde aus der Markuskirche das Zentrum Verkündigung. Dem Freiburger Architekturbüro Pfeifer Kuhn (damals Pfeifer Roser Kuhn) gelingt es, mit zeitgemäßen Mitteln einen passenden Ausdruck für die vielfältigen Anforderungen, die sich hinter dieser einfachen Titulatur verbergen, zu schaffen. Eine Vielzahl an Büros, eine umfangreiche Bibliothek, ein Meditations- sowie ein verkleinerter Kirchenraum umfasste die Aufgabenstellung.
Die Verantwortlichen der Markuskirche – diese war nach Bombenschäden Anfang der fünfziger Jahre wiederaufgebaut worden – fanden mit der evangelischen Kirche in Hessen und Nassau einen Interessenten und entschieden sich für eine Umnutzung der Kirche zum Zentrum Verkündigung. Der Umbau schreibt dem Bau mit den technischen und architektonischen Mitteln unserer Tage die neue Aufgabe ein. Der ehemalige, wenig zwingende Innenraum wird vollkommen verwandelt. Sein Nachfolger, deutlich kleiner dimensioniert, arbeitet mit dem Charme zeitgenössischer Materialität – etwa beim indirekten Lichteinfall durch die doppelten Gussglaswände der Bibliothek. Die Bücherregale, sie sind im ersten Stock untergebracht, umgreifen den zentralen liturgischen Raum. Die reduziert, aber klar gestalteten Büros werden über in die Energiefassade eingebaute Kastenfenster natürlich belüftet.
Beide, hier kurz vorgestellten Bauten sprechen eine klare Sprache. Beiden ist eine Haltung gemeinsam, sowohl zu dem was Architektur heute leisten kann und muss, als auch zu dem was aus oder mit vorhandener Architektur machbar ist. Beide Gebäude gehen eigenständige Wege, beide zeigen Möglichkeiten auf, die zukunftsfähig sind. ›
  • Bauherr Dornbuschkirche: Evangelischer Regionalverband Frankfurt/M. Architekt: Meixner Schlüter Wendt Architekten, Frankfurt/M. Mitarbeiter: Ute Günzel; Jose Ortells Tragwerksplanung: Büro für Baustatik Hans Gruhn, Frankfurt/M. Elektro- und Lichtplanung: Pitsplan Ingenieur Team Sältzer, Bruchköbel Nutzfläche: 481 m² Umbauter Raum: 4574 m³ Baukosten: 500 000 Euro Bauzeit: 2004-05
  • Beteiligte Firmen Fenster- und Metallbauarbeiten: Metallbau Jäger GmbH & Co. KG, www.metallbau-jaeger.de Natursteinarbeiten: Fa. Günther, Frankfurt/M. Platzmarkierungen: Jone Fahrbahnmarkierung und Verkehrstechnik, Biebergemünd-Roßbach
  • Bauherr Markuskirche: Evangelischer Regionalverband Frankfurt/M. Architekt und Generalplaner: Pfeifer Kuhn Architekten, Freiburg (zum Zeitpunkt des Entwurfs: Pfeifer Roser Kuhn Architekten) Projektleitung: Manuela Riesterer, Sonja Kiehlneker Mitarbeiter: Johannes Abele, Stefan Abe Tragwerksplanung: Bollinger und Grohmann, Frankfurt/M. Objektüberwachung: Hamm + Kowalewsky Architekten, Mainz Projektsteuerung: Bau Real, Darmstadt Akustik: Ingenieurgesellschaft für technische Akustik, Wiesbaden Baukosten: 5,18 Mio. Euro (Kostengruppe 2 bis 7, inkl. MwSt) Planungs- und Bauzeit: 2000-05
  • Beteiligte Firmen Rohbau: Deutschmann, b@aufirma.de Abbruch: Wertsan GmbH (ehemals DV GmbH) Pfosten-Riegel-Fassade: AluTechnik GmbH, www.alutechnik.com Innenfassade: Schreinerei Ertelt GmbH, www.alutechnik.com Profilbauglasfassade, Holzkastenfenster: Friedrich Brüderlin Söhne Putz: Löwen-Restaurieurng Denkmalpflege Müller GmbH, www.alutechnik.com Gewebevorhang: K. M. Hardwork GmbH Stahl im Grenzbereich, www.alutechnik.com
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