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Bauträgerwettbewerbe schaffen in Wien Architekturqualität im Massenwohnungsbau

Erfolgreiches Instrument
Bauträgerwettbewerbe schaffen in Wien Architekturqualität im Massenwohnungsbau

Der Wiener Wohnbau hat einen guten Ruf, und das großteils zu Recht. Zur Qualitätssicherung tragen öffentliche Bauträgerwettbewerbe bei, über die jeweils die besten Realisierungskonzepte für die städtischen Grundstücke gefunden werden. Von ihnen hängt die Vergabe der Fördermittel ab. Das Verfahren hat eine Reduktion der Baukosten bewirkt und auch die ökologischen und sozialen Wohnungsbaustandards deutlich angehoben. Die festgeschriebenen Regularien bringen aber auch Nachteile mit sich, und angesichts des zunehmenden Siedlungsdrucks auf Wien ist noch nicht sicher, ob sich das hohe Niveau weiterhin halten lässt.

Text: Robert Temel

Der Wiener Wohnungsbau der Gegenwart entwickelte sich aus eindrucksvollen Ursprüngen: Vom Roten Wien über Wiederaufbau, Bauwirtschaftsfunktionalismus und Rückbesinnung auf Architektur in den 80er Jahren bis zur Liberalisierung ab den 90ern. Immer gleich geblieben, abgesehen von den Zeiten der Diktatur, ist dabei die Tatsache, dass der weit überwiegende Teil der gesamten Wohnungsproduktion von der öffentlichen Hand finanziert oder gefördert wird und diese somit die Mietpreise insgesamt unter Kontrolle halten kann – jedenfalls war das bis jetzt so. Heute wohnen mehr als die Hälfte aller Wiener in öffentlich (mit-)finanziertem Wohnungsbau. In verschiedenen Phasen wurden diese Wohnungen jeweils vorrangig von der Kommune selbst, gemeinnützigen oder gewerblichen Bauträgern produziert. Die Fördermittelvergabe geschah bis in die 80er Jahre nach politischem Proporz, architektonische Qualität war damals kein primäres Kriterium. Doch dann etablierte die bürgerliche, zu dieser Zeit innovative Wiener ÖVP für ihren Teil des Wohnbaussystems, also die »schwarzen« (konservativen) Bauträger, die Gesellschaft für Wohnungs-, Wirtschafts- und Verkehrswesen (GWV) als Qualitätssicherungsinstrument. Alle bürgerlichen Bauträger mussten Architektenbeauftragungen und Qualitäten mit der GWV abstimmen, was sich überaus positiv auf den Wiener Wohnungsbau auswirkte – und schließlich auch auf sozialdemokratischer Seite innovative Kräfte stützte. 1995 führte der damals neue Wiener Wohnbaustadtrat und heutige Bundeskanzler Werner Faymann (das Wiener Wohnbauressort ist ein Karrieresprungbrett) den sogenannten Bauträgerwettbewerb als neues Prinzip der Fördermittelvergabe ein.
Die Mittelvergabe sollte nun transparent und allein nach Qualitätskriterien erfolgen. Dafür wurde eine Jury eingesetzt, die sich etwa zur Hälfte aus Vertretern der Stadt Wien und zur anderen Hälfte aus Experten für Architektur, Städtebau, Freiraumplanung, Ökologie, Bautechnik und aus Bauträgern zusammensetzt. In allen Wohnbaugebieten in Wien ab etwa 200 bis 300 Wohnungen müssen die Fördermittel über den Bauträgerwettbewerb vergeben werden. D. h., das Gebiet wird anhand eines Masterplans in Bauplätze geteilt, und um jeden Bauplatz konkurrieren Teams von Bauträgern und Architekten mit sehr detailliert ausgearbeiteten Projekten. Diese Projekte werden nach vier sogenannten Säulen oder Kriteriengruppen bewertet: Architektur, Ökonomie, Ökologie und soziale Nachhaltigkeit.
Die Jury entscheidet, welches Projekt jeweils die Förderung erhält und damit, welcher Bauträger das Grundstück erwerben kann. Bis heute gab es etwa 40 Bauträgerwettbewerbe mit insgesamt etwa 16 000 Wohnungen. Zumindest anfangs ließen sich durch das Verfahren und die dadurch geschaffene Konkurrenzsituation unter den Bietern tatsächlich die Wohnungsbaukosten senken. Als weiterer Effekt trat hinzu, dass eine Vereinheitlichung zu verzeichnen war und bestimmte Qualitäten zum Standard wurden: Das gilt beispielsweise für energieeffizientes Bauen und die Vermeidung mancher Baustoffe, etwa Kunststofffenster; für Grundrissfunktionalität und hochwertige Erschließungsräume; und für Aspekte wie gemeinschaftsorientiertes Wohnen und Themenwohnbauten, d. h. die Ausrichtung einzelner Bauten auf spezielle Zielgruppen. Aufgrund der hohen Einkommensgrenzen und des großen Volumens des geförderten Wohnbaus in Wien handelt es sich dabei nicht um Sozialen Wohnungsbau im üblichen Sinne, sondern um ein Angebot, das sich an die große Mehrheit der Bevölkerung wendet. Dementsprechend ist auch die soziale Durchmischung relativ groß.
Hindernisse und Grenzen
Problematisch am Bauträgerwettbewerb ist, dass in Wien wegen der oft sehr detaillierten Vorgaben durch den Bebauungsplan und der nur auf Einzelprojekte ausgerichteten Verfahrensart der Stadtraum meist völlig vernachlässigt wird, wie viele Stadterweiterungsprojekte aus den vergangenen Jahrzehnten zeigen. Das Problem scheint jedoch langsam, nach langjährigen Diskussionen, erkannt zu werden, sodass für die nahe Zukunft eine Adaption des Verfahrens in Richtung Zweistufigkeit und somit stärkere Berücksichtigung der städtebaulichen Ebene zu erhoffen ist. Das führt direkt zur Frage der Nutzungsmischung in diesen neu entwickelten Stadtteilen: Der Wohnbau des Roten Wien bestand aus großen Wohnanlagen mit integrierten ergänzenden Nutzungen. Und bis heute werden Wohnanlagen und Wohnsiedlungen gebaut, dabei aber keinerlei Städtebau betrieben, der die verschiedenen Nutzungen – Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, Freizeit – miteinander kombinieren könnte. Wenn nötig, werden diese Siedlungen durch Schulen und Kindergärten ergänzt; hin und wieder gibt es einen Supermarkt oder eine Drogerie im EG; doch abgesehen davon handelt es sich meist um monofunktionalen Wohnungsbau. Das System der Wiener Wohnbauförderung kann andere Ziele auch kaum unterstützen. Und: Auch wenn die Wohnbaukosten bei der Einführung des Bauträgerwettbewerbs zurückgingen, besteht mittlerweile starker Kostendruck, und ein zentrales Problem ist, wie geförderter Wohnbau für niedrige Einkommen überhaupt gebaut werden kann – die Wiener Wohnbaustandards sind so hoch, dass kostengünstiges Bauen kaum möglich ist, potenzielle Spielräume fürs Sparen gäbe es somit eher in der Finanzierung.
Man darf auch nicht übersehen, dass die Jury des Bauträgerwettbewerbs zwar einzelne Auflagen für Projekte erteilt, dass die Mittelvergabe aber nicht an deren Einhaltung gebunden ist und auch später nicht kontrolliert wird.
Ein weiteres problematisches Thema, das mit dem mangelhaften Städtebau und den Kosten zusammenhängt, ist die generell sehr hohe Dichte des Wiener Wohnungsbaus, die bisweilen zu wenig befriedigenden Lösungen führt – und dieses Problem wird sich noch verschärfen, besteht doch derzeit ein massiver Bevölkerungsdruck. Wien soll bis 2030 von derzeit 1,7 auf 2 Mio. Einwohner wachsen, und die Entwicklungsflächen für die dafür nötigen Bauten werden immer knapper.
Die Staatsfinanzkrise verschärft das Problem zusätzlich: Nachdem 2010 die Wohnbaufördermittel für den Neubau massiv gekürzt wurden, droht eine empfindliche Produktionslücke. Deshalb nutzte Wohnbaustadtrat Michael Ludwig das niedrige Zinsniveau Anfang des Jahres, um die sogenannte Wohnbauinitiative zu starten: Die Stadt nahm Geld am Kapitalmarkt günstig auf und gab das mit geringen Aufschlägen an Wohnbaukonsortien weiter, die nun Wohnungen außerhalb des Bauträgerwettbewerbs und des Systems der Wohnbauförderung errichten sollen – gleichsam frei finanzierter Wohnbau mit öffentlichem Geld. Inwiefern diese Strategie wirksam ist, wird erst die Zukunft zeigen. •

~Robert Temel
1989-98 Architekturstudium an der Kunstakademie Wien, Diplom. Architektur- und Stadtforscher. Seit 1999 Autor u. a. der Zeitschrift architektur aktuell. Seit 2008 Doktoratsstudium an der TU Wien, seit 2009 Forschungsstipendium in Soziologie am IHS Wien. 2009 Mitbegründung der Initiative für gemeinschaftliches Bauen und Wohnen.


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