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Mikado nach Plan

Parkhaus am Salvatorplatz in München
Mikado nach Plan

Die Verkleidung der fünf neuen Halbgeschosse auf der Salvatorgarage im Herzen Münchens wirkt auf den ersten Blick als sei sie planlos aus einzelnen Stäben zusammengefügt. Die Struktur wurde jedoch aus verzinktem Stahlblech herausgeschnitten; die Form wurde nach genauen Vorgaben errechnet.

    • Architekt: Peter Haimerl Tragwerksplanung: Fsit Friedrich Strass

  • Text: Roland Pawlitschko Fotos: Florian Holzherr
Wie zahlreiche andere deutsche Städte der Nachkriegszeit, war auch München bis Ende der sechziger Jahre von einer um jeden Preis autogerechten Stadtplanung gekennzeichnet. Davon zeugen nicht zuletzt die im Herzen der Altstadt errichteten Parkgaragen. Wurden die meisten mit puristischen Hüllen aus Beton, Stahl und Glas als moderne Fremdkörper ins Gewebe der Stadt implantiert, so sollte sich die 1964 von Franz Hart geplante Salvatorgarage ganz bewusst ins historische Stadtbild integrieren. Unübersehbar verweisen deren Klinkerfassaden daher auf das dunkle Sichtmauerwerk der spätgotischen Salvatorkirche und die letzten Überreste der mittelalterlichen Stadtmauer Münchens – ohne dabei abstreiten zu wollen, dass sie zugleich Teil der trockenen Strenge eines fensterlosen Zweckbaus sind.
Vor zwei Jahren nun sollte die Salvatorgarage generalsaniert und um fünf weitere, halbgeschossig versetzte Ebenen aufgestockt werden. Mit Blick auf ihre inzwischen unter Denkmalschutz stehenden Klinkerfassaden und den Standort inmitten des ensemblegeschützten Kreuzviertels war dem Bauherrn, der Immobilienabteilung der HypoVereinsbank, von Anfang an klar, dass es dabei vor allem um die gelungene Gestaltung der Gebäudehülle gehen würde. Nicht zuletzt, weil die Denkmalbehörde bei Ausrichtung eines Architektenwettbewerbes grundsätzliches Wohlwollen signalisierte, wurden fünf Münchener Architekturbüros zur Teilnahme an einem gutachterlichen Fassadenwettbewerb eingeladen. Den eher behäbigen Entwürfen der anderen Wettbewerbsteilnehmer setzte der Münchener Architekt Peter Haimerl ein kunstvolles Stahlgeflecht von geradezu textiler Leichtigkeit entgegen. Die Denkmalpfleger waren begeistert und ihre Angst vor einer allzu wuchtigen Baumasse gebannt. Virtuos hatte Haimerl die kerkerhafte Schwere der alten Backsteinfassaden neutralisiert und das aufgesetzte Bauvolumen damit regelrecht gewichtslos erscheinen lassen. Die Tatsache, dass sich hinter den vermeintlich wild durcheinandergewirbelten Stäben einfach nur 135 weitere Autoabstellplätze befinden, wird dabei nicht verschwiegen, wohl aber auf subtile Weise verschleiert.
Konstruktiv erweist sich die filigrane Gebäudehülle als überraschend einfach: Die umlaufend vorgehängte Netzstruktur aus 15 000 identischen Stahlstäben – jeweils 1,50 m lang und analog zu den einst von Franz Hart verwendeten Ziegeln 50 mm breit – musste keineswegs aus unzähligen Einzelteilen mühsam auf eine Unterkonstruktion appliziert werden. Zerlegt in insgesamt 64 Felder von jeweils 2,50 m Breite und bis zu 8,50 m Höhe, wurde sie stattdessen mit computergesteuerten Plasma-Schneidegeräten direkt aus 30 mm dicken Stahlblechplatten herausgeschnitten. Die Befestigung der vollverzinkten Platten erfolgte punktuell direkt an den Geschossdecken der neuen Parkdecks. Angesichts dieses erstaunlich einfachen Fassadenaufbaus verwundert es nicht, dass dessen Realisierung letztlich kostengünstiger ausfiel als die konventionelltektonisch aus mehreren Bauteilen und Materialien zusammengesetzten Konkurrenzentwürfe aus dem Fassadenwettbewerb. Hinzu kommt, dass die ausführende Firma zur Herstellung der völlig unterschiedlichen Fassadenelemente lediglich das fertige 3D-Computermodell der Architekten benötigte – entsprechende Detailpläne also überflüssig waren.
Computer dienten jedoch nicht nur als Hilfsmittel zur Vereinfachung des Fertigungsprozesses, sondern als Ausgangspunkt von Haimerls »dynamischer « Entwurfsmethode. So ist das Stahlgeflecht der Salvatorgarage weder das Ergebnis eines zufälligen Mikadospiels noch ein sorgsam arrangiertes und rhythmisch gereihtes Ornament. Vielmehr handelt es sich dabei um ein programmiertes, auf der Simulation von Wachstumsprozessen basierendes Ordnungsmuster, dessen Gesetzmäßigkeiten es im Vorfeld des eigentlichen Entwurfsprozesses festzulegen galt. Beispielsweise sollten die einzelnen Stäbe nicht beliebig gedreht, sondern immer nur in vorgegebenen Winkeln zum Liegen kommen – ausgehend von der Horizontalen jeweils einem Vielfachen von 11,25°. Vor allem aber kam es darauf an, jene Bereiche zu definieren, in denen bestimmte Netzdichten erforderlich oder erwünscht sind. Eine hohe Dichte ist überall dort notwendig, wo sich die Montagepunkte an den Geschossdecken befinden oder es auch um Anprall- oder Absturzsicherung geht. Um einer harten Oberkante entgegenzuwirken, nimmt die Netzdichte dagegen nach oben hin kontinuierlich ab. Waren diese Bereiche erst einmal definiert, generierte die zusammen mit dem Architekten, Grafiker und leidenschaftlichen Programmierer Gero Wortmann entwickelte Software selbstständig das dazwischenliegende Stabgeflecht. Ohne dass dies vordergründig beabsichtigt gewesen wäre, ergab sich daraus schließlich ein Muster von hoher ästhetischer Qualität, welches in seiner ungerichteten Homogenität völlig frei von Sachzwängen zu sein scheint. Vor allem wohl aus diesem Grund wird die elegante Netzstrutur von Passanten zunächst meist als ein zweckfrei den Altbau zierendes Ornament wahrgenommen und nicht als transparente Parkhausfassade.

Die außergewöhnliche Entwurfsmethode Peter Haimerls erfährt durch die neue Fassade der Salvatorgarage zweifellos eine eindrucksvolle Bestätigung – ästhetisch, konstruktiv und wirtschaftlich. Dabei ist natürlich klar, dass es hierbei nur um ein einfaches und von relativ unscharfen Anforderungen geprägtes zweidimensionales Ordnungsmuster ging. Doch Haimerl hat das Prinzip des »dynamischen Planens« längst ebenso erfolgreich auf weitaus komplexere dreidimensionale Projekte mit scharf umrissenen Vorgaben übertragen. Dazu zählt etwa ein Bürogebäude in München oder die Studie einer Stadt für 500 000 Einwohner in Korea. Bedauerlicherweise konnte noch keines dieser Projekte tatsächlich realisiert werden.


  • Standort: Salvatorplatz, 80333 München


    Bauherr: HVB Immobilien, München
    Architekt: Peter Haimerl, München
    Mitarbeiter: Gero Wortmann, Jutta Görlich, Tobias Hofmann, Gesa Burghoff, Markus Müller, Alexander Hann, Uwe Urbiks, Helen Neumann
    Tragwerksplanung: Fsit Friedrich Strass, München
    HLS-Planung: Fischer und Fei Fachplaner, Olchingen
    Nutzfläche: 6500 m² Stahlunterkonstruktion mit Verbundbetondecken, insgesamt ca. 5500 m²
    Fassade (verzinkte Stahlfassade, plasmageschnitten): 950 m²
    Baukosten: 3 Mio Euro Bauzeit: Mai 2005 bis August 2006

  • Beteiligte Firmen Fassade: Gföllner Fahrzeugbau und Containertechnik GmbH, Grieskirchen (A), www.gfoellner.at
    Stahlbau: Berger Bau GmbH, Passau, www.gfoellner.at
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