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In Ruhe Krach machen

Akustische Gestaltung von Kindertagesstätten
In Ruhe Krach machen

Unter dem Titel »Lärmschutz für kleine Ohren« fand Ende Februar ein Symposium am Fraunhofer Institut in Stuttgart statt, dessen Forscher vom Umweltministerium Baden-Württemberg mit der Entwicklung eines Leitfadens zur akustischen Gestaltung von Kindertagesstätten beauftragt wurden. Denn, und das ist überraschend, für diese Bauaufgabe gibt es bislang noch keine zusammenfassende Handlungshilfe. Gültige akustische Anforderungen für andere Gebäude, etwa für Schulräume, sind auf Kindertagesstätten nicht ohne Weiteres übertragbar. Welche Empfehlungen sich aus dem Leitfaden ergeben und wie sie umgesetzt werden können.

Text: Dieter Ben Kauffmann, Philip Leistner, Andreas Theilig
Fotos: Roland Halbe, Frank Schmidt, Martin Duckek, Dietmar Strauß

Doch warum überhaupt dieser Aufwand mit der Akustik? – Lärm steht weit oben auf der Liste der Belastungsfaktoren unserer Zeit. Immer mehr Studien belegen die erhebliche Belästigung, von der sich mittlerweile zwei Drittel der Deutschen betroffen fühlen. Leider bleibt es aber nicht nur bei dem Gefühl. Andauernd hohe Lärmbelastungen können die Gedächtnisleistung stören sowie direkte gesundheitliche Beeinträchtigungen nach sich ziehen.
»Die Kinder stört der Krach nicht.« Diese Fehleinschätzung hält sich hartnäckig, da sich Kinder wohl seltener über Lärm beschweren. Dabei sind gerade sie von den Folgen permanenten Lärms besonders betroffen. Er stört selbst als scheinbar unbedeutendes Hintergrundgeräusch ihre Konzentrationsfähigkeit und wichtige Verarbeitungsprozesse, die sie für den Erwerb von Laut- und Schriftsprache dringend benötigen. Genau untersucht hat diese Auswirkungen die Psychologin Dr. Maria Klatte von der Universität Kaiserslautern. Ihre Ergebnisse belegen, in welch hohem Maß Lärmpegel und hallige Räume Belastungsfaktoren für das Betreuungspersonal und natürlich für die Kinder darstellen. Auch wenn in Deutschland noch keine systematischen Untersuchungen vorliegen, sind die psychoakustischen Studien zum Beispiel mit Grundschulkindern eindeutig: Je jünger die Kinder, desto weniger sind sie in der Lage, Hintergrundgeräusche auszublenden und akustisch verloren gegangene Sprachinformation aus dem jeweiligen Kontext zu ergänzen. Abbildung 3 illustriert die anhand von Wortverständnistests bei Ruhe und mit Störgeräuschen im Hintergrund durchgeführten Untersuchungen und deren Ergebnisse [1]. Werden die Aufgaben komplexer oder sind Kinder von Aufmerksamkeitsstörungen (ADS) betroffen, wirken sich die Störungen noch gravierender aus (Abb. 4) [2].
Der Bedarf an geeigneter Akustik besteht also gerade in Kindertagesstätten, in denen sich Kinder regelmäßig aufhalten und wesentliche Phasen ihrer Entwicklung durchlaufen. Die aktuell beabsichtigte Ausweitung der Betreuungskapazitäten durch den Bau zahlreicher neuer Kindertagesstätten ist daher sicher ein weiterer Anlass, sich diesem bislang unterbewerteten Bereich intensiv zu widmen. Von Anfang an muss die architektonische Gestaltung also auch unter den Gesichtspunkten der Gebäudeakustik bedacht werden: Die Umsetzung der Anforderungen an die bau- und raumakustischen Eigenschaften von Kindertagesstätten, um Ruhe und Kommunikation, gemeinsame Aktivitäten und individuelle Lebensentfaltungen nahezu gleichzeitig und kollisionsfrei zu ermöglichen, ist nur als integraler Bestandteil eines ganzheitlichen Architekturkonzeptes möglich. Das Ziel der akustischen Gestaltung von Kindertagesstätten ist es, optimale Bedingungen zu schaffen, um die Gesundheit – als ein Zustand physischen, seelischen und sozialen Wohlbefindens – und die Leistungsfähigkeit – mit Bezug auf alle physischen, psychischen und insbesondere kognitiven Leistungen – der Kinder sowie der Erzieherinnen und Erzieher zu fördern und nicht zu ›
› beeinträchtigen. Für die Nutzung der Räume gilt dies zwar abhängig vom jeweiligen Umfeld (Gebäude, Umgebung), jedoch meist unabhängig von organisatorischer Konzeption und individuellen Voraussetzungen.
Wohin mit der Kita?
Die Kindertagesstätte zuerst einmal am akustisch richtigen Ort zu planen, ist natürlich wünschenswert, aber eher selten möglich. Oftmals liegen sie an lauten Straßen oder Plätzen. Die Lärmemission von außen muss daher in Einklang mit der gewünschten Fensterlüftung gebracht werden. Aber auch an solchen Plätzen ist es möglich, mit geeigneten architektonischen Mitteln zu reagieren. Über Lärmkarten können schon bei der Standortbestimmung entsprechende konkrete Lärmsituationen erkannt und gemessen werden, so dass sich bauliche Minderungsmaßnahmen wie etwa »Schallschirme« konzipieren lassen. Und das müssen nicht immer Mauern sein: Es gibt auch flexible, temporäre Lösungen gegen Lärm, wie beispielsweise aufblasbare Lärmschutzelemente (Bild 8).
Bau- und Raumakustik
In der Schallschutznorm DIN 4109 werden Kindertagesstätten mit keiner Silbe erwähnt, demnach liegen explizit keine baurechtlich verbindlichen Anforderungen für diese Nutzungsart vor. Die Anlehnung an die Schulbaurichtlinien funktioniert aber auch nur teilweise, da es im Gegensatz zu Schulgebäuden ein Vielfaches an unterschiedlichen Räumlichkeiten gibt wie etwa Ruhe-, Aufenthalts- und Gruppenräume oder auch offene Bereiche für allgemeine Aktivitäten. Diese individuell unterschiedlichen Nutzungsanforderungen stehen im Gegensatz zu den eher gereiht und gleichartig konzipierten Klassenzimmern und Fluren in Schulen. Dort werden nur Sonderbereiche wie Musiksaal oder Turnhalle auch gesondert planerisch bearbeitet.
Die bauakustischen Eigenschaften (Abb. 9) umfassen auch in Kindertagesstätten den Schallschutz von Wänden (außen wie innen), Decken, Dächern, Türen und Fenstern gegenüber Geräuschen wie Verkehrslärm, Sprache, Musik, etc. Physikalisch bedingt beeinflussen sich Bau- und Raumakustik gegenseitig in unterschiedlichem Maße. So hängt zum Beispiel der resultierende Schallschutz zwischen benachbarten Räumen sowohl von der Schalldämmung der Wandbauteile als auch von der akustischen Dämpfung in den Räumen ab. Die Grundrissgestaltung kann benachbarte, unterschiedlich geräuschintensive Nutzungen vermeiden oder »Pufferzonen« einbinden. Eine »akustische Sonderregel« sollte jedoch besonders beachtet werden: Eine einzige, unterschätzte Störschallquelle eliminiert die erfolgreichen Bemühungen an allen anderen Stellen.
Behaglichkeit
Natürlich ist auch die Behaglichkeit eine unverzichtbare Qualität für Räume in Kindertagesstätten. Die Akustik als deren Bestandteil steht in Bezug zu visuellen, haptischen und anderen sinnlichen Erfahrungen wie der Wahrnehmung von Licht, Sonne und Sicht (hell/dunkel/weit/nah), von Kühle und Wärme (Klima), von rau und glatt (Materialität), von herb und frisch (Geruch), von freundlich/einladend und dunkel/abweisend (Farben).
In Kindergärten und Kindertagesstätten sollte auf ein differenziertes Raumkonzept mit großen und kleinen Räumen eingegangen werden. Die erwähnten Aspekte der »Sinnlichkeit« spiegeln sich im Materialkonzept wider, welches demzufolge ebenfalls feinfühlig abgestimmt sein muss.
Materialien
Bei der Ausführung schallabsorbierender Maßnahmen kann man auf eine Vielzahl von Produkten aus unterschiedlichen Materialien zurückgreifen. Erfolg versprechend sind insbesondere Bauteilkombinationen, die den gesamten relevanten Frequenzbereich abdecken und im Idealfall weitere bautechnische und bauphysikalische Leistungen übernehmen. Multifunktionalität von Oberflächen ist gleichsam ein ökonomisches Gebot heutiger Architektur. Raumlicht, Raumklima und Raumschall sollten nicht neben- oder nacheinander, sondern miteinander konditioniert werden. Eine Holzoberfläche kann die haptischen Bedürfnisse, das erwartete wertige Raumgefühl, die Moderation der Lichtverhältnisse (Abmilderung von zu grellen Lichteinträgen) sowie die Schalldämpfung oder Schallabsorption erfüllen (Bild 5). Ein weiteres Beispiel sind halbtransparente Kunststofffolien, die, unter verglaste Dachelemente gespannt, eine hinterlüftete zweite Konstruktionsschale bilden. Mikroperforiert, mit Bedruckung und Low-E-Beschichtung funktioniert die Folie als Sonnen- und Blendschutz, kann thermischer Spiegel bei harten Bodenbelägen sein und reguliert die Raumakustik. Sie kann abgenommen, ausgewechselt und damit leichter gereinigt werden (Bilder 7). ›
› Die Integration von Schallschutz- und Raumakustikmaßnahmen in bestehende Bauteile reduziert die Notwendigkeit, eine eigene und damit zusätzliche »architektonische Schicht« zu entwickeln. So erhöht zum Beispiel die Mikroperforation in der vielfältig wirksamen Teflonfolie den Preis für dieses Bauteil in noch überschaubarem Maß, ebenso einfach und kostengünstig ist die Lochung einer Gipskartondecke. Die tendenziell teuerste Lösung ist die eigene »Schicht« für Schallschutz und Raumakustik. Sie birgt zusätzlich die Gefahr, als Nachbesserung empfunden zu werden.
Die Sorgfalt bei der Wahl des Materials erstreckt sich zudem auf Fragen des Brandschutzes, der Raumlufthygiene und der mechanischen Belastbarkeit. Lose Mineralfaserschichten sind daher grundsätzlich mit Akustikvliesen abzudecken und bei frei im Raum hängenden Segeln (Bild 6) sollte auch an eine praktikable Reinigungsmöglichkeit gedacht werden. Problematisch können offene, etwa gelochte Wandverkleidungen werden, wenn sie als schallabsorbierende Oberflächen im unteren Wandbereich angebracht sind: Aufgrund der haptischen Belastung dieser Flächen – die Kinder bohren mit den Fingern in den Löchern – sind sie nicht besonders geeignet.
Die Übersicht (Abb. 10) enthält die gängigen Schallabsorberkonstruktionen mit groben Angaben zur frequenzabhängigen Wirksamkeit. Dabei ist der Bereich der tieferen Frequenzen konstruktiv sicher am schwierigsten umzusetzen. Bei marktüblichen Akustikunterdecken etwa sollte erfahrungsgemäß eine Abhängehöhe von 20 cm nicht unterschritten werden. Tiefenab-sorber sind in Raumecken und Raumkanten am wirksamsten positioniert.
Sinnvolle massnahmen
Die Wahl der Bauweise und, damit verbunden, der einzelnen Bauteile erfolgt zunächst nach Gesichtspunkten, die nicht an erster Stelle den Schallschutz verfolgen. Bei Außenbauteilen zum Beispiel steht der Wärmeschutz im Vordergrund, bei Innenbauteilen dagegen der Brandschutz, und das Tragverhalten von Wänden, Decken und Dach folgt ohnehin einem statischen Gesamtkonzept. Grundsatzfragen wie Massiv- oder Leichtbau, Beton- oder Holzdecke stellen sich nicht aus schalltechnischer Sicht. Dennoch können alle bekannten Bauweisen auch auf hohem Schallschutzniveau realisiert werden. Gemauerte Wände, Ständerwände mit Gipskarton- oder Gipsfaserplatten, Systemtrennwände oder auch mobile Trennwände – sie alle können prinzipiell die notwendigen Anforderungen erfüllen. Ebenso lassen sich mit verschiedenen Typen von Massiv- oder Holzdecken die Trittschallwerte einhalten. Allerdings ist bei Decken dafür noch ein schwimmender Estrich, Doppel- oder Hohlraumboden als Deckenaufbau vorzusehen und gegebenenfalls auch eine abgehängte Unterdecke.
Für die Positionierung der Schallabsorber im Raum empfiehlt sich eine gleichmäßige Verteilung an Wand- und Deckenflächen. Gezielt angebrachte Pinnwände können in Form vollflächig mit Stoff bespannter Wandabsorber die akustische Wirkung ergänzen. Insbesondere dichtere Dekorstoffe sind wirksame Schallabsorber, wenn sie in einigen Zentimetern Abstand vor Wandflächen oder frei im Raum aufgehängt werden. Wenn es die Grundrisslösung zulässt, schaffen mobile Stellwände Stauraum, sind Gestaltungselement und variable optische Trennung. Natürlich können sie zugleich auch wertvolle Flächen zur Schallabsorption beitragen. Nicht zuletzt bietet die Auswahl des Mobiliars und der Spiel- und Sportgeräte akustischen Gestaltungsspielraum. In jedem Fall sollten sie nicht als zusätzliche Lärmquellen (Quietschen, Knarren, Schlagen) in Erscheinung treten.
Im Fall eines Kindergartens in Biberach (Bilder 1, 2 und 6) sorgt in den Gruppenräumen eine relativ raue Holzverschalung mit unterschiedlich breiten Fugen und dahinter liegenden Absorberplatten für einen Schallabsorptionsgrad von mehr als 0,7. Der Ruheraum ist dort schalltechnisch prinzipiell wie die Gruppenräume behandelt. Er wurde aber mit Textilien versehen, die neben der zusätzlichen akustischen Wirkung die beabsichtigte atmosphärische Ausstrahlung und ein besonderes Raumempfinden hinsichtlich des Lichtes, der Raumhöhe, der Farben und der Akustik erzeugen.
Fazit
Die akustischen Bedingungen in Kindertagesstätten beeinflussen nachhaltig deren Nutzung und Nutzbarkeit sowohl für die Erzieherinnen und Erzieher als auch für die Kinder. Alle genannten Anforderungen und Empfehlungen (Abb. 14) sind bei sachgemäßer Planung mit kommerziell verfügbaren Bauteilen problemlos umsetzbar.
Gute Akustik ist kein Luxus, der Theatern, Konzertsälen und Studios vorbehalten bleibt. Gerade die tagtäglich genutzten Lebens- und Arbeitsräume profitieren besonders nachhaltig von geeigneten akustischen Bedingungen. Nun wurde auch für Kindertagesstätten begonnen, das Problem an der Wurzel zu packen, indem die Auswirkungen von Lärm und akustisch ungünstigen Räumen auf Kinder untersucht werden. Eines Tages, so formulierte es Robert Koch wenn auch etwas zu dramatisch, wird der Mensch den Lärm ebenso bekämpfen müssen wie die Cholera und die Pest. Die notwendigen Mittel dazu stehen bereits zur Verfügung, sie müssen nur intelligent in ein architektonisches Gesamtkonzept integriert werden. •
Literaturhinweise: [1] Klatte, Maria, Akustische Bedingungen in Bildungseinrichtungen und ihre Wirkungen auf Kinder. Vortrag beim Symposium »Lärmschutz für kleine Ohren«, Stuttgart, 19. Februar 2009 [2] Geffner, D., J. Luckner und W. Koch, Evaluation of auditory discrimination in children with ADD and without ADD, Child Psychiatry and Human Development, 26 (3), 169–179, 1996
Die vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik in Stuttgart verfasste Broschüre »Leitfaden zur akustischen Gestaltung von Kindertagesstätten« des Umweltministeriums Baden-Württemberg kann über www.ibp.fraunhofer.de/akustik kostenlos bezogen werden. Die darin veröffentlichten Grafiken waren Grundlage für die Abbildungen 9–14.
Zum Thema Holz in Kindertagesstätten siehe auch: Informationsdienst Holz spezial Kindergärten/Kindertagesstätten, Dezember 2008, Download oder Exemplarversand unter: www.informationsdienst-holz.de/Publikationen
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