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Der Tragwerksplaner, das unbekannte Wesen

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Der Tragwerksplaner, das unbekannte Wesen

Bei der Konzeption eines Heftes über Tragwerksplaner bot es sich für die db als bei Stuttgart beheimateter Redaktion geradezu an, das Gespräch mit den drei international bekannten, vor Ort ansässigen Büros zu suchen. Mehr über ihre Arbeitsweise und ihr Selbstverständnis zu erfahren – und darüber, wie sich ihre Beteiligung am Entwurfsprozess darstellt. Dazu haben wir am 7. April jüngere Mitarbeiter der Büros Leonhardt, Andrä und Partner, Schlaich Bergermann und Partner sowie Werner Sobek in den Verlag eingeladen. Es zeigten sich viele Gemeinsamkeiten – aber auch einige spannende Unterschiede und verschiedene Ansichten. Als weiteren Gesprächspartner luden wir Roland Ostertag.

Christine Fritzenwallner: Stand für Sie zu Beginn des Bauingenieurstudiums schon fest, dass Sie Tragwerksplaner werden möchten?

Heiko Trumpf: Bei mir entwickelte sich dies erst im Laufe des Studiums. Am Anfang hat man sicher gewisse Vorstellungen, aber erst mit der Zeit findet man heraus, dass man kreativ-entwerferisch arbeiten möchte, und das vor einem ingenieurwissenschaftlichen Hintergrund.
Christoph Paech: Das Studium des Bauingenieurwesen ist sehr weit gefächert: vom Wasserbau über den konstruktiven Ingenieurbau, bis hin zur Verkehrsplanung. Der in der Öffentlichkeit bekannteste Teilbereich ist dabei sicherlich der Brückenbau. In der Zeitung habe ich als Schüler immer wieder etwas über neue und große Brücken gelesen, was mich faszinierte. Daher entschloss ich mich, Bauingenieurwesen zu studieren, um Brücken zu entwerfen.
Lucio Blandini: Bei mir war es ein bisschen anders. Ich war schon als Abiturient an Tragwerksplanung interessiert und fasziniert vom Schalenbereich.
Nils Svensson: Ich bin familiär vorbelastet. Ich habe mein Leben lang Brückenvorträge gehört, mein Vater hat sie immer an uns getestet, von daher war mir das Thema Brückenbau sehr vertraut und ich wusste, dass ich gerade auf diesem Gebiet nicht arbeiten wollte. Eigentlich habe ich das Studium begonnen, ohne mich vorab für eine Richtung entschieden zu haben. Dass ich im Stahlbau und im Hochbau gelandet bin, hat mich dann doch überrascht.
Roland Ostertag: Gab es an Ihren Hochschulen im Bauingenieurstudium auch das Fach Baugeschichte oder Ingenieurbaugeschichte? Meines Wissens wird es in Stuttgart, Braunschweig und Aachen angeboten.
Lucio Blandini: Ich habe schon im ersten Jahr meines Studiums Architekturgeschichte gehört, das war bei uns im Studium aber nicht vorgesehen. Ich musste mich dafür ein wenig über die Bürokratie hinwegsetzen. In Catania gab es am Architekturlehrstuhl eine Fachrichtung, »Architectural Engineering« genannt, die es Bauingenieurstudenten ermöglichte, Einblicke in die wichtigsten Architekturthemen zu bekommen.
Heiko Trumpf: Bei uns in Hannover war Baugeschichte Teil des Lehrangebotes, wurde aber von den Studenten nicht richtig wahrgenommen. Der Bezug zum Studium war zu Beginn für viele von uns nicht ersichtlich.
Nils Svensson: Wir hatten in München das Fach Baukonstruktion unter Professor Schunck, der ursprünglich aus Stuttgart kam. Was den geschichtlichen Aspekt der Tragwerksentwicklung betrifft, denke ich im Nachhinein, dass dieser bei uns viel zu früh thematisiert wurde. Als Studienanfänger hat man noch wenig oder kein Verständnis und Bezug zu dem, was dort vorgestellt wird. Da wurden Momentenlinien und Kraftflüsse diskutiert. Später habe ich dieses Fach vertieft und erst dann viele Entwicklungen zu würdigen gewusst.
Christine Fritzenwallner: In wieweit stimmt das Bild, das Sie während des Studiums vom Beruf des Tragwerksplaners vermittelt bekamen, mit Ihrer heutigen Tätigkeit überein?
Lucio Blandini: Es gab schon damals sehr unterschiedliche Bilder, bedingt durch die verschiedenen Vertiefungsrichtungen. Da Catania in einem seismisch aktiven Gebiet liegt, ist dort das Thema der Erdbebensicherheit vorherrschend und bestimmt das vermittelte Berufsverständnis. Ich habe mir gezielt Ansprechpartner außerhalb meiner Universität gesucht, wie beispielsweise Eduardo Benvenuto in Genua. Er hat immer vom »Esprit de géométrie« und vom »Esprit de finesse« gesprochen und darüber, dass es für Bauingenieurstudenten wichtig sei, ein über Formeln hinausreichendes kulturelles Interesse zu haben, um die eigene Kreativität zu entwickeln.
Christoph Paech: Die Aufgaben des Tragwerksplaners und seine Bedeutung für Bauwerke sind in der Gesellschaft wenig bekannt. Wenn ich auf die Frage, was ich beruflich mache, antworte, ich bin Tragwerksplaner, folgt gleich die Frage, was das sei. Und auf die Antwort, ich plane Tragwerke von Häusern und Brücken, heißt es dann: »Ah, Du bist Architekt!«. Von Bauingenieuren wird meist angenommen, dass sie lediglich für die Berechnungen zuständig sind.
Roland Ostertag: Aber am mangelnden Wissen um und Verständnis für ihren Beruf sind die Bauingenieure selbst schuld. Sie treten mit ihrem Können selten an die Öffentlichkeit.
Christoph Paech: Stimmt, aber diese Notwendigkeit wird den Bauingenieurstudenten im Studium auch nicht vermittelt. Architekturstudenten müssen von den ersten Semestern an immer wieder ihre Entwürfe vorstellen, andere für ihre Ideen begeistern, vor dem Professor und vor Kommilitonen präsentieren. Im Bauingenieurwesen werden solche Fähigkeiten deutlich weniger geschult oder verlangt.
Nils Svensson: Das klingt, als ob nur Architekten interessante Projekte bearbeiten. Man sollte nicht vergessen, dass ein Tragwerksplaner während seines Berufslebens eine weit größere Zahl von Projekten betreut als ein Architekt; und meist den sehr spannenden Teil; zwar nicht unbedingt bei einem Einfamilienhaus. Wenn man aber eine Brücke plant oder ein weitgespanntes Dach, dann wird es wirklich spannend. Wenn ich Besucher durch Bauwerke führe und erzähle, dass ich diese berechnet oder entworfen habe, erfahre ich Hochachtung.
Heiko Trumpf:Ich glaube, dass in unserem Studium der teamorientierte planerisch-entwerfende Ansatz, also die kollektive Intelligenz, nicht vermittelt wird. Im Beruf ist man dann später überrascht, wenn man gemeinsam am Tisch sitzt und Lösungen entwickelt; bei anspruchsvollen Projekten können das teilweise bis zu zwanzig Fachplaner sein, von der Lichtplanung bis zur thermischen Simulation.
Lucio Blandini: Während meiner Promotion arbeitete ich am Institut von Prof. Sobek, dem ILEK (Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren). Wir haben dort oft gemeinsame Entwürfe für Architekten und Bauingenieure angeboten, um die interdisziplinäre Zusammenarbeit zu fördern. Dabei zeigte sich meines Erachtens, dass die Fähigkeit der angehenden Bauingenieure gestiegen ist, ihre Lösungen als Entwürfe zu verstehen und sie selbstbewusst zu präsentieren.
Es ist sicher auch ein Verschulden unserer Berufsgruppe, dass nur ein Teil von uns bereit ist, die alte »Arbeitsteilung« zwischen Architekten und Tragwerksplanern infrage zu stellen und gemeinsam zu entwerfen. Manche Architekten fordern das mittlerweile explizit von uns – und ich finde es mehr als berechtigt.
Roland Ostertag: In meinen dreißig Jahren als Hochschullehrer habe ich Widerstand gegen eine Zusammenarbeit meist vonseiten der Bauingenieurstudenten erfahren. Deshalb wäre mein Vorschlag, angehenden Bauingenieure und Architekten in den ersten beiden Semestern die gleichen Grundlagen zu vermitteln und dann eine Vertiefung in eine Richtung anzubieten.
Nils Svensson: Ich halte diesen Vorschlag nicht für geeignet. Gerade zu Beginn des Bauingenieurstudiums ist es aus meiner Sicht wichtig, ein statisches Grundverständnis und Grundwissen vermittelt zu bekommen. Das ist die Voraussetzung für tragwerksplanerische Kreativität.
Der Architekturstudent hingegen muss sich am Anfang freimachen von solchen Aspekten, wie ich bei Architektenkollegen, die ich an der Universität kennengelernt habe, beobachtete. Bei ihnen steht die Gestaltung und Gestaltfindung im Mittelpunkt, da muss am Anfang nicht alles »funktionieren«. Diese Anforderung kommt erst im Laufe des Studiums. Am Anfang würde man sich meiner Meinung nach eher gegenseitig behindern, zum Studienende wäre eine interdisziplinäre Zusammenarbeit auf jeden Fall wünschenswert.
Christoph Paech: In Stuttgart ist das gemeinsame Studium in Ansätzen möglich. Im Hauptstudium besteht das Angebot, auch Entwürfe an der Architekturfakultät zu machen, die für das Bauingenieurstudium angerechnet werden. Diese Möglichkeit wird von einigen Studenten wahrgenommen, um den eigenen Horizont zu erweitern.
Lucio Blandini: Dem stimme ich zu. Über den Tellerrand hinauszuschauen hat mir auch gut getan. Aber eine Zusammenarbeit im Entwurf sollte erst am Ende des Studiums stehen, wenn man genug Grundlagenwissen besitzt, um ein Problem auf unterschiedliche Weise angehen zu können. Wenn man dieses Bewusstsein noch nicht hat, kann man nur kopieren.
Roland Ostertag: Meine Erfahrungen als Hochschullehrer sind anderer Art. Zu Beginn des Studiums ausschließlich Grundlagenwissen zu vermitteln, verschüttet das Verständnis und die Offenheit für ganzheitliche Betrachtungen. Das kann am Ende des Studiums nicht nachgeholt werden.
Christine Fritzenwallner: Wann gab es bei Ihnen den Knackpunkt, an dem Sie sich entschieden, nicht in die Richtung »Erfüllungsgehilfe« des Architekten zu gehen, sondern kreativ zu arbeiten, Tragwerke entwerfen zu wollen?
Christoph Paech: Ich kann mich an einen Vortrag von Jörg Schlaich über Brückenbauten und Schalentragwerke erinnern, ein Plädoyer für den entwerfenden Ingenieur. Dieser Vortrag war für mich prägend. Ab da begann ich, die eingangs erwähnten Entwürfe während des Studiums auch an der Architekturfakultät zu absolvieren, sowohl Brückenentwürfe als auch Hochbauprojekte.
Heiko Trumpf: Bei mir gab es diesen Punkt erst zum Berufseinstieg. Ich hatte ein großes Brückenprojekt, eine Autobahnbrücke in Verbundbauweise, zu entwerfen und zu betreuen – und dann kam der Architekt dazu und durfte die Farbe auswählen. Da wusste ich: Das kann es nicht sein. Bei Ingenieurbauwerken kann ich doch nicht den Architekten hinzuziehen, wenn der Entwurf schon steht.
Zu meinen Studienzeiten wurden nur die Architekten von Anfang darin geschult, einen Entwurf zu präsentieren und auch Kritik einzustecken, während die Bauingenieure einen sehr strikten Lehrplan durchliefen. Ich halte es für ganz entscheidend, dass schon zu Studienbeginn eine Schnittmenge gefunden und gegenseitiges Verständnis gefördert wird. Wir Tragwerksplaner wollen nicht auf dem Level vieler ausländischer Universitäten »design by handbook«, also Statik nach Tabelle machen. Das ist nicht unser Verständnis. Kreative Tragwerke bedingen ein mathematisches, ein mechanisches Verständnis.
Bei vielen Projekten werden wir vom Architekten entwerferisch sehr stark gefordert. Dann gilt es, gerade im Ausland, für eine Idee oder Vision eine technische Lösung zu entwickeln. Bei manchen Projekten liegt der Schwerpunkt eher auf der unterstützenden Beratung des Architekten. Da Architekturbüros sehr unterschiedlich sind, muss man bei jeder neuen Zusammenarbeit erst einmal in Erfahrung bringen, welche Erwartungen die Architekten an den Tragwerksplaner stellen und wieweit die von uns gewünschte Art der Zusammenarbeit möglich ist.
Roland Ostertag: Die Offenheit Ihrer Büros für die Zusammenarbeit mit Architekten lässt sich sicher auch darauf zurückführen, dass sowohl Jörg Schlaich als auch Werner Sobek zu Anfang ihres Studiums auch bei den Architekten studiert haben. Ist es diese Affinität, die die »Stuttgarter Schule der Bauingenieure« ausmacht?
Heiko Trumpf: Die Offenheit sicher, aber darüber hinaus auch ein allen gemeinsames Leitprinzip für den Entwurf von Tragwerken, eine klare Linie, die als »simple but sophisticated« beschrieben werden kann.
Lucio Blandini: Die Stuttgarter Schule ist in erster Linie geprägt durch den Schwerpunkt Leichtbau und Gestaltung – durch Frei Otto, Fritz Leonhardt, Jörg Schlaich und heutzutage Werner Sobek. Jeder von ihnen hat auf seine Weise das Thema Leichtbau vertieft und weiterentwickelt. Kern all dessen ist das interdisziplinäre Herangehen an Tragwerke sowie eine optimale Auswahl und Nutzung der Materialien und der Gestaltung.
Christine Fritzenwallner: Lassen sich dabei Unterschiede in der Herangehensweise der Büros Leonhardt, Andrä und Partner, Schlaich Bergermann Partner und Werner Sobek ausweisen?
Nils Svensson: Ich glaube schon, dass es Unterschiede gibt. Als Jörg Schlaich in den Siebzigern aus dem Büro LAP ausgeschieden ist, hat er die Erfahrungen des Münchner Olympiadachs mitgenommen und weiterentwickelt. LAP hat sich im Folgenden sehr stark auf den Brückenbau konzentriert, weltweit internationale Großbrücken gebaut. Das ist jetzt gelegentlich ein Problem, da wir von Architekten meist als Brückenbauer gesehen werden. Dabei arbeiten wir vielfältiger und haben auch viele Hochbauprojekte realisiert, wenngleich der Schwerpunkt auf dem Brückenbau liegt. Wir sehen uns eher als Architektenberater oder Unterstützer, weniger als diejenigen, die ein Tragwerk dominant beeinflussen wollen.
Christoph Paech: Aufbauend auf den Erkenntnissen, die Jörg Schlaich und Rudolf Bergermann am Münchner Olympiadach gewonnen haben, wurde die Arbeit mit Seilen und später auch mit Membranen bei uns im Büro vertieft. Aktuell wird dieses Wissen bei der gemeinschaftlichen Planung mit Architekten in zahlreichen Projekten mit weitgespannten Dächern eingesetzt und kontinuierlich weiterentwickelt.
Heiko Trumpf: Für unser Büro ist das sogenannte »Archineering« eine wichtige Grundhaltung. Gestalt, Struktur und Funktion sollen idealerweise eine Einheit bilden, wobei die kontextuelle Sensibilität gefordert wird – dies kann aber nur erreicht werden, wenn Architekt, Ingenieur und andere Fachplaner bereits in einem sehr frühen Stadium gemeinsam an einem Entwurf arbeiten. Bei unseren Entwürfen spielen taktile Qualitäten eine große Rolle, sind die Formensprache und Materialität stark innovativ ausgelegt. Neue Techniken werden ebenso wie neue Werkstoffe in unsere Arbeiten integriert. Auch ökologische Überlegungen spielen eine große Rolle. Wir haben hierfür das Triple-Zero-Konzept entwickelt, das als Vision über unseren Projekten steht: zero energy, zero emission, zero waste. Und es gibt nicht auftragsgebundene Studien, wie beispielsweise das Haus R 129, die uns als Entwicklungsträger dienen.
Elisabeth Plessen: Haben Sie im Büro die Zeit, außerhalb der tatsächlich anliegenden Arbeit auch noch an eigenen Forschungsgebieten zu arbeiten?
Lucio Blandini: Vieles geschieht in der Freizeit. Aber wir haben auch bürointerne Arbeitskreise. Das sind auftragsunabhängige Gruppen von Mitarbeitern, in denen Wissensaustausch sowie interne Forschung stattfindet. Die hierbei anfallenden Kosten werden vom Büro getragen.
Christoph Paech: Schlaich Bergermann Partner ist neben der Tragwerksplanung auch im Bereich erneuerbarer Energien tätig. Unter anderem in diesem Bereich wird auch nicht auftragsgebunden geforscht, wie zum Beispiel am Aufwindkraftwerk. Ein weiteres, gerade abgeschlossenes Forschungsgebiet beschäftigt sich mit Klimahüllen für Gewerbegebiete.
Heiko Trumpf: In unserem Büro arbeiten auch Architekten, Maschinenbauer und Produktdesigner; es gibt außerdem eine eigene Abteilung, die unsere Entwürfe und Studien in Visualisierungen, Renderings oder Filmen grafisch umsetzt und so für unsere Projektpartner besser verständlich macht. Das ist für ein normales Ingenieurbüro gar nicht denkbar.
Christoph Paech: Außerdem gibt es diverse enge Kontakte zu Universitäten, so dass wir Innovationen, die über Forschungsvorhaben entwickelt werden, in der Praxis nutzen und umsetzen können.
Roland Ostertag: Diese Kooperationen gibt es auch an anderen Hochschulstandorten.
Heiko Trumpf: Aber deren Schwerpunkte sind andere. In Aachen zum Beispiel. sind die Institute sehr groß, man macht eine international ausgerichtete Forschung, ist dabei aber stark normenorientiert und ingenieurwissenschaftlich. Es stehen ganz andere Budgets für die Forschung zur Verfügung; die Versuchshallen sind viel größer. In Stuttgart baut man auf Visionen, auf zukunftsträchtige Entwürfe und Werkstoffe, das ist eine völlig andere Ausrichtung.
Elisabeth Plessen: Haben international aufgestellte Büros wie die Ihrigen eine eigene Struktur? Und wie bildet diese sich im Büroalltag ab?
Heiko Trumpf: Die meisten deutschen Ingenieurbüros sind immer noch ganz klassisch auf den regionalen und nationalen Markt ausgerichtet, während die großen Baufirmen und auch die Universitäten sich auf den internationalen Markt ausrichten. Im Ausland sind Ingenieurbüros ganz anders aufgestellt. Dort arbeitet man »in line«, das heißt, mit Niederlassungen in New York, London, Dubai und Shanghai, und deckt so ganze Kontinente ab. International arbeitende Büros wie LAP, Schlaich Bergermann Partner und Werner Sobek sind in Deutschland noch die Ausnahme, deshalb ist es für uns Ingenieure so interessant, in diesen Büros zu arbeiten.
In der näheren Zukunft sehe ich für viele deutsche Büros große Probleme, wenn nämlich EU-weit ausgeschriebene, repräsentative deutsche Großprojekte von ausländischen Ingenieurbüros übernommen werden. Deutsche Ingenieurbüros überzeugen meist durch Technik, nicht aber durch Kommunikation und internationale Aufstellung. Mit guten technischen Lösungen allein kann man sich im internationalen Markt nicht profilieren, dazu gehört vor allem Flexibilität.
Nils Svensson: In England habe ich die Erfahrung gemacht, dass es für Ingenieure selbstverständlich ist, zwei Jahre ins Ausland zu gehen; das ist es in Deutschland noch nicht.
Christoph Paech: Unsere Bürophilosophie zeichnet sich durch ein zentrales Büro in Stuttgart aus, in dem unser Fachwissen unter einem Dach gebündelt ist. Das »Prinzip der offenen Tür« ermöglicht jedem, sich bei Kollegen aber auch bei den erfahrenen Partnern im Büro jederzeit Rat einzuholen. Das ist meines Erachtens nicht mehr möglich, wenn die Kollegen und damit das fachliche Wissen geografisch in viele Subgruppen zersplittert sind. Durch die Bürogründungen mit Mike Schlaich in Berlin und Herrn Schober in New York wurde dieser Ansatz etwas relativiert, jedoch bleibt als Ziel der enge Kontakt mit einem Innovationstransfer für die Projekte. Zum internen Wissensaustausch werden wöchentlich im Rahmen einer Kaffeepause mit allen Kollegen aktuelle Projekte vorgestellt und besprochen.
Heiko Trumpf: Kommunikation ist das wichtigste, aber wenn man die Kollegen persönlich gut kennt, stellt es auch kein Problem dar, über eine Videokonferenz oder per Telefon zu kommunizieren. Wir haben ein Projektmanagementsystem, auf das wir von überall auf der Welt zugreifen können. Darin sehe ich die Zukunft.
Nils Svensson: Bei unseren vielfältigen internationalen Projekten sind meist Mitarbeiter vor Ort. Wir haben wenig internationale Niederlassungen. Das wird bei uns dadurch gesteuert, dass alle aus dem Heimatbüro für eine gewisse Zeit zu dem Projekt gehen.
Christoph Paech: Es ist meiner Meinung nach nur schwer möglich, global vertreten zu sein und dort überall den Auftraggebern eine Beratung auf höchstem Niveau mit umfassendem Fachwissen bieten zu können. Die meisten Projekte enden nach zwei, drei, spätestens fünf Jahren. Auch wenn wir zum Beispiel aktuell ein relativ großes Projekt in Georgien haben, bedeutet dies nicht, dass in den nächsten Jahren dort weitere Projekte folgen werden. Deshalb kann das Projekt von Stuttgart aus bearbeitet werden, und wenn der Auftraggeber es wünscht, reisen wir gerne zu Planungsbesprechungen dort hin.
Heiko Trumpf: Ich halte das für schwer praktizierbar. Auch wir warten natürlich, bevor wir eine Niederlassung eröffnen. Erst wenn sich abzeichnet, dass ein Markt vorhanden ist und weitere Projekte anstehen, gehen wir diesen Schritt. Das Geheimnis des »in line«-Arbeitens ist es, die Kontinente über Niederlassungen abzudecken. Der Support muss vor Ort sein. Anders sind die teils riesigen Projektvolumina nicht realisierbar. Wenn wir mit Bauherren und großen Investoren an ganzen Stadtteilen arbeiten, dann ist gerade das entscheidend.
Christine Fritzenwallner: Wie findet man heraus, welcher Architekt Beratung wünscht oder benötigt, gar gemeinsam am Entwurf arbeiten will?
Nils Svensson: Die Zusammenarbeit ist für den Tragwerksplaner dann sehr angenehm, wenn er früh Einfluss ausüben und damit auch früh Entscheidungen in Richtung eines sinnvollen Tragwerks lenken kann. Es gibt natürlich auch Architekten, die einen nur zur Realisierung ihres Entwurfes heranziehen. Das sind immer lösbare Aufgaben, aber jede Lösung hat ihren Preis und ihre Kosten.
Christine Fritzenwallner: Lehnen Sie auch Aufträge oder Anfragen ab, wenn Sie merken, Sie kommen mit dem architektonischen Entwurf nicht zurecht?
Elisabeth Plessen: … auch, wenn es sich um einen berühmten Namen handelt?
Nils Svensson: Nein, wir sehen uns als Unterstützer der Architekten, sind Anfragen gegenüber immer offen und versuchen, das jeweils für ein Projekt Beste zu verwirklichen.
Christoph Paech: Es gibt Architekten, zum Beispiel Frank O. Gehry, die eine sehr feste Position einnehmen und sehr genaue Vorstellungen haben, wie ihr Entwurf zu mindestens geometrisch aussehen soll. Ich denke, dass es dann für den Ingenieur schwierig sein kann, eine sinnvolle und wirtschaftliche Tragkonstruktion zu entwickeln. Es muss dann oft um einen guten Kompromiss gerungen werden. Das gelingt manchmal besser, manchmal schlechter, manchmal gar nicht. Bei allem ist das gegenseitige Verständnis wichtig: Wenn man die Argumentation des anderen nachvollziehen kann, dann kann man eine Entscheidung auch viel eher akzeptieren – und wird dann eine Zusammenarbeit sicher auch nicht ablehnen.
Heiko Trumpf: Wenn Architekten oder Investoren auf bekannte Büros wie die unseren zugehen, wissen sie, worauf sie sich einlassen, auf welche Herangehensweise. Der Reiz unserer Tätigkeit liegt im Spannungsfeld zwischen Komplexität und Form und den Leitlinien, die der Architekt vorgibt.
Christoph Paech: Es kommt auf die Bauaufgabe an. Ist eine Membranstruktur vorgesehen, wird der Ingenieur viel früher in den Entwurf eingebunden, da die Geometrie sich bei der Formfindung aus einem Kräftegleichgewicht der Struktur nur in bestimmten Grenzen entwickeln lässt. Bei weniger komplexen Strukturen kann der Ingenieur sicherlich auch erst später für die Berechnung hinzugezogen werden.
Elisabeth Plessen: Gibt es auch Planungen, bei denen die Zusammenarbeit schmerzt, weil beispielsweise ein Bauherren- oder Architektenwunsch sich gegen alles wendet, was man im Büro als entwerferische Werte ansieht?
Heiko Trumpf: Ich sehe es als Herausforderung, mit anspruchsvollen Architekten zusammenzuarbeiten. Das hat bisher auch immer gut geklappt; auch wenn es zwischendurch Reibungen geben mag – an einem gewissen Punkt kommt man dann doch zusammen.
Nils Svensson: Das Porschemuseum in Stuttgart ist ein Beispiel, bei dem wir stark gekämpft haben, das kostet natürlich Kraft. Aber es gibt kein Zurück. Wenn man ein solches Projekt annimmt, dann führt man es zu Ende, ringt um das Bestmögliche und freut sich, wenn man am Ende sagen kann, es hat – trotz vieler Schwierigkeiten – funktioniert.
Lucio Blandini: Ich sehe unsere Rolle darin, unterschiedliche Szenarien zu entwickeln und zu gewichten. Dementsprechend gehen wir nicht immer den gleichen Weg, um ein Problem zu lösen. Wir zeigen mehrere Lösungen mit entsprechenden Implikationen auf und suchen das Gespräch. Die Dialektik, die dabei entsteht, führt oft zu einer guten Synthese der unterschiedlichen Ansätze.
Christoph Paech: Entwerfen bedeutet immer eine Diskussion zwischen den beteiligten Planungspartnern und führt zu einer Lösungsentwicklung über einen gewissen Zeitraum. Schwer wird es, wenn eine Partei von ihrem Standpunkt nicht abzuweichen bereit ist. Dann werden die anderen Beteiligten mit dem Ergebnis nur eingeschränkt zufrieden sein.
Nils Svensson: Es gibt immer eine klare Verantwortlichkeit an einem Bauwerk. Wenn man den Hochbau nimmt, ist für das unwirtschaftliche Tragwerk immer noch der Architekt verantwortlich. Wenn der Architekt dieses wünscht und der Bauherr den Architekten gewählt hat, sind wir dafür verantwortlich, die beste Lösung zu liefern, den Gesamtentwurf können wir aber nur begrenzt beeinflussen. Im Brückenbau ist es anders, da ist der Bauingenieur der Verantwortliche, weil es sich um ein Tragwerk handelt, das eine sehr einfache Funktion hat und das auch klar beschrieben ist, der Architekt mag an einigen Stellen beratenden Einfluss haben. Man muss aber deutlich sagen: Wenn eine Brücke schlimm aussieht, ist es die Schuld des Ingenieurs.
  • Lucio Blandini, 1976 geboren, studierte Bauingenieurwesen in Catania und Bologna und promovierte am Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK) der Uni Stuttgart bei Professor Sobek. Eine rahmenlose selbsttragende Glasschale diente dabei als Prototyp zur Veranschaulichung des Potenzials hochfester Klebstoffe für den konstruktiven Glasbau (siehe db 06/05, Seite 70 ff). Es schloss sich ein »Professional Master« in Architektur an der University of Pennsylvania als Fulbright-Stipendiat an. Seit 2006 arbeitet er bei Werner Sobek Stuttgart als Projektleiter an internationalen Projekten wie etwa dem »Qatar Foundation Education City Convention Centre« in Doha (Qatar) mit dem Architekten Arata Isozaki, an der »Regenstein-Bibliothek« in Chicago (USA), am Forschungscampus »Huawei in Hangzhou (China) oder dem Hotel Elysion in Bonn (siehe Bild) mit dem Architekturbüro Schommer: Dort soll ein einaxial unterspannter Stahlgitterrost eine knapp 30 m breite Hotel- und Eventhalle überspannen.
  • Nils Svensson wurde 1976 in Stuttgart geboren. 1996–2002 studierte er an der TU München Bauingenieurwesen. Seine Diplomarbeit machte er am Institut für Stahlbau unter Leitung von Professor Albrecht. Von 2002–04 arbeitete er als Ingenieur bei Ove Arup and Partners in London – ein Büro mit allein in Großbritannien rund 3000 Mitarbeitern. Dort war er beteiligt am »Singapur Flyer«, dem Entwurf für ein Aussichtsrad ähnlich dem »London Eye« mit dem Architekten Kisho Kurokawa oder dem Terminal 5 des Flughafens Heathrow mit Richard Rogers Partnership, London. Seit 2004 ist er im Büro von Leonhardt, Andrä und Partner in Berlin, während sein Vater, Geschäftsführender Gesellschafter im Büro in Stuttgart und dort vorwiegend im Brückenbau tätig ist. In Berlin bearbeitet Nils Svensson vor allem Hochbauprojekte, etwa die O2-Arena am Ostbahnhof Berlin oder den Rück- und Umbau eines unter Denkmalschutz stehenden Gebäudeensembles, dem Rosenthaler Hof, der Zentrale des AOK Bundesverbandes (siehe Bild).
  • Heiko Trumpf wurde 1971 in Lemgo geboren. Nach seinem Bauingenieurstudium 1991–97 an der Universität Hannover promovierte er 2006 zum »Stabilitätsverhalten ebener Tragwerke aus orthotropen pultrudierten faserverstärkten Polymerprofilen« am Lehrstuhl für Stahlbau und Leichtmetallbau der RWTH Aachen. Von 1997–99 war er im Ingenieurbüro Böger + Jäckle in Henstedt-Ulzburg und von 1999–2006 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Stahlbau und Leichtmetallbau der RWTH Aachen. Seit April 2006 ist er Team- und Projektleiter bei Werner Sobek Ingenieure in Stuttgart und seit März 2007 Lehrbeauftragter an der Uni Stuttgart. Zu seinen Projekten zählen Hochhäuser und Flughäfen, unter anderem in Zusammenarbeit mit den Architekten Murphy/Jahn, Dominique Perrault (»DC Towers«, Wien, siehe Bild) oder Henn Architekten (»Dubai crystal«). Im Mai sollen die Bauarbeiten einer von ihm geplanten Fußgängerbrücke in Reinbek aus Stahl und glasfaserverstärktem Kunststoff beginnen.
  • Roland Ostertag, Jahrgang 1931. Studium der Architektur an der TH Stuttgart, Diplom 1956. Freiberuflich tätig seit 1957. Kooperation mit Rolf Gutbrod und Frei Otto. 1970 bis 1998 Ordinarius für Gebäudelehre und Entwerfen an der TU Braunschweig. Obergutachter der DFG bei Forschungsvorhaben/SFB. Mitglied im Kuratorium der IBA – Emscher von 1995 bis 2000. 1993 bis 1996 Präsident der Bundesarchitektenkammer. Gastprofessuren. Zahlreiche Preise, Auszeichnungen und Veröffentlichungen.
  • Christoph Paech, 1978 geboren, studierte von 1999–2004 an der Universität Stuttgart Bauingenieurwesen, Vertiefung: Konstruktion und Entwurf, Baustatik, Höhere Mechanik und Baubetriebslehre. Seit 2004 ist er als Ingenieur angestellt bei Schlaich Bergermann und Partner, Stuttgart und seit 2007 als Honorarlehrkraft am Institut für Tragkonstruktionen und konstruktives Entwerfen der Architekturfakultät der Universität Stuttgart. Zu seinen wichtigsten Projekten zählen die Dachkonstruktion des Olympiastadions in Madrid, das Gebäude von Novartis »WSJ-242« in Basel, das Mahnmal zur Erinnerung an die Terrorattentate vom 11. März in Madrid (siehe db 06/08), »SPM Swimming Pool Complex« in Delhi sowie die Überdachung eines historischen Innenhofes in Limerick (Irland) mit einer Hochpunktmembran. Gerade plant er zusammen mit DREI Architekten die »Summer Concert Hall« in Georgien (siehe Bild).
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